Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2011, Az. 3 StR 164/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 5394

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Gegenstand

Zuständigkeitsänderung im Strafverfahren: Verfahrensübernahme durch schlüssiges Verhalten


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht - Schöffengericht - [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat wegen des Mangels einer von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensvoraussetzung Erfolg, so dass es auf die [X.] im Einzelnen nicht ankommt. Das [X.] hat als sachlich unzuständiges Gericht entschieden.

2

Der [X.] hat hierzu in Anlehnung an eine frühere Entscheidung des [X.] ([X.], Beschluss vom 14. Juli 1998 - 4 [X.], [X.]St 44, 121 ff.; bestätigt durch Urteil vom 22. April 1999 - 4 StR 19/99, [X.]St 45, 58, 62) in seiner Antragsschrift ausgeführt:

"[…] Die Annahme der [X.], sie sei infolge des Beschlusses des Schöffengerichts vom 7. September 2010 zuständig geworden, war rechtsfehlerhaft. Eine Verweisung der Sache durch das Schöffengericht konnte nach § 270 StPO nicht erfolgen, weil diese Bestimmung - auch nach vorangegangener Aussetzung - erst nach Beginn der Hauptverhandlung anwendbar ist (dazu [X.], Beschluss vom 26. September 1980 - StB 32/80, [X.]St 29, 341, 344 f.; Urteil vom 31. Januar 1996 - 2 StR 621/95, [X.]St 42, 39, 40; Beschluss vom 14. Juli 1998 - 4 [X.], [X.]St 44, 121, 122; [X.] in [X.] 26. Aufl. § 225a Rdnr. 5; Gmel in [X.] 6. Aufl. § 225a Rdnr. 3; [X.] in [X.]. § 225a Rdnr. 2; [X.] 53. Aufl. § 225a Rdnr. 4, jeweils mwN). Nach der verfahrensrechtlichen Situation (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Dezember 1991 - 4 StR 506/91, [X.]St 38, 172, 174) handelte es sich vielmehr um einen [X.] gemäß § 225a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 StPO (zum umgekehrten Fall siehe OLG Hamm MDR 1993, 1002 f.). Einen die Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung erst begründenden ([X.], Beschluss vom 14. Juli 1998 - 4 [X.], [X.]St 44, 121, 123; [X.] in [X.] aaO Rdnr. 31; [X.] aaO Rdnr. 17), ausdrücklichen Übernahmebeschluss gemäß § 225a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 StPO, der erst nach Einhaltung des in § 225a Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Verfahrens sowie nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten (§ 33 Abs. 2 und 3 StPO) hätte ergehen können und der dem Angeklagten entsprechend § 215 StPO förmlich zuzustellen gewesen wäre, hat das [X.] nicht erlassen. Die in der strafprozessualen Literatur (dazu etwa [X.] in [X.] aaO Rdnr. 19; dagegen [X.] in [X.] aaO Rdnr. 20) umstrittene Frage, ob ein Übernahmebeschluss im Sinne von § 225a Abs. 1 Satz 2 StPO auch stillschweigend ergehen kann, obwohl dieser grundsätzlich 'in zweifelsfreier Form erkennen lassen [muss], welches Gericht welchen Tatvorwurf mit welcher (vorläufigen) rechtlichen Würdigung abzuurteilen hat' (BT-Drucks. 8/976, [X.]), bedarf hier keiner Entscheidung. Ein konkludenter Übernahmebeschluss - etwa durch die Anordnung der [X.] oder die Zurückweisung der '[X.]' - scheidet schon deshalb aus, weil die [X.] sich, wie der Wortlaut ihres Beschlusses vom 30. September 2010 deutlich macht, an die Abgabeentscheidung des Schöffengerichts vom 7. September 2010 'gebunden' glaubte. Ein stillschweigender Übernahmebeschluss kann aber nur dann angenommen werden, wenn der Erklärende überhaupt das Bewusstsein hat, eine solche Entscheidung treffen zu können. Dies war vorliegend nicht der Fall. Das [X.] ist vielmehr fehlerhaft davon ausgegangen, dass es nur eine eingeschränkte Willkürprüfung gemäß § 270 StPO vornehmen kann und sah sich daher, da es das Vorliegen von Willkür verneint hat, an die Verweisung des Amtsgerichts gebunden. Aus dem gleichen Grund kommt eine schlüssige Übernahme der Sache in der von der [X.] durchgeführten Hauptverhandlung von vornherein nicht in Betracht, zumal darin ausweislich der Sitzungsniederschrift auch der 'Abgabebeschluss' des Schöffengerichts vom 7. September 2010 nicht verlesen wurde (vgl. [X.], Urteil vom 24. April 1974 - 2 StR 69/74, [X.]St 25, 309, 312 und Beschluss vom 14. Juli 1998 - 4 [X.], [X.]St 44, 121, 123; [X.] aaO § 243 Rdnr. 14). Der Feststellung der Unzuständigkeit des [X.]s steht schließlich die Vorschrift des § 269 StPO nicht entgegen. Zwar liegt dieser Norm der Gedanke zugrunde, dass die Verhandlung vor einem Gericht höherer Ordnung den Angeklagten generell nicht benachteiligen kann ([X.], 265, 271; [X.] aaO § 269 Rdnr. 1); die Anwendbarkeit der Bestimmung setzt jedoch voraus, dass die Sache nicht mehr beim Gericht niederer Ordnung anhängig ist, sondern die Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung prozessordnungsgemäß begründet wurde ([X.], Beschluss vom 24. April 1990 - 4 StR 159/90, [X.]St 37, 15, 20; Beschluss vom 12. Dezember 1991 - 4 StR 506/91, [X.]St 38, 172, 176 und Beschluss vom 14. Juli 1998 - 4 [X.], [X.]St 44, 121, 124). Daran fehlte es hier, weshalb das [X.] überhaupt nicht zur Sache verhandeln durfte.

[…] Die mangelnde sachliche Zuständigkeit führt - im Gegensatz zu anderen Prozesshindernissen - nicht zu einer Einstellung des Verfahrens, sondern gemäß § 355 StPO zu einer Verweisung der Sache an das zuständige Gericht. Das [X.] hat sich im Sinne der Vorschrift 'mit Unrecht für zuständig erachtet', da es bei objektiver Betrachtung nicht zuständig war (dazu [X.], Beschluss vom 14. Juli 1998 - 4 [X.], [X.]St 44, 121, 124; [X.] in [X.] aaO § 355 Rdnr. 2 und [X.] aaO § 355 Rdnr. 3, jeweils mwN); zuständig war das Amtsgericht - Schöffengericht - [X.]. Dies entspricht auch dem jetzigen Verfahrensstand ([X.] aaO), zumal bei neuer Verhandlung und Entscheidung eine höhere als die ausgesprochene Freiheitsstrafe nicht zu erwarten ist (§ 358 Abs. 2 StPO, §§ 24 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 25, 28 GVG)".

3

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an.

[X.]                                      Schäfer

                     [X.]

Meta

3 StR 164/11

28.06.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg), 18. Oktober 2010, Az: 4 KLs 74/10 - 165 Js 55748/09, Urteil

§ 225a Abs 1 S 1 Halbs 1 StPO, § 225a Abs 1 S 2 StPO, § 269 StPO, § 270 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2011, Az. 3 StR 164/11 (REWIS RS 2011, 5394)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5394

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Referenzen
Wird zitiert von

3 StR 164/11

6 StR 76/20

6 StR 76/20

4 StR 290/20

4 StR 360/20

1 StR 157/21

2 StR 452/20

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