Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 01.03.2018, Az. 2 C 49/16

2. Senat | REWIS RS 2018, 13038

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Gegenstand

Beamtenversorgungsrechtlicher Anspruch einer behinderten Waise auf Waisengeld nach der Vollendung des 27. Lebensjahres


Leitsatz

Der Anspruch einer behinderten Waise nach dem Beamtenversorgungsgesetz auf Waisengeld für Zeiten nach Vollendung ihres 27. Lebensjahres setzt voraus, dass die Behinderung bereits zu diesem Zeitpunkt dazu führte, dass die Waise außer Stande war, sich selbst zu unterhalten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von [X.].

2

Der 1960 geborene, ledige Kläger erlitt nach einer Frühgeburt eine frühkindliche Hirnschädigung, die zu einer paraspastischen Beinlähmung und zu orthopädischen Folgebeschwerden führte. In späteren Jahren traten weitere Erkrankungen hinzu.

3

Von 1976 bis 1979 absolvierte der Kläger eine Ausbildung zum Bäcker. 1980 zog er aus der elterlichen Wohnung in [X.] aus. Ab 1984 wohnte er in [X.], wo er versicherungspflichtig beschäftigt war. 1987 erkannte das Versorgungsamt [X.] an, dass bei dem Kläger eine Reihe von Behinderungen vorliegen; es stellte einen dadurch bedingten Grad der Behinderung (GdB) von 50 fest. 1990 zog der Kläger nach [X.]. Er nahm dort eine Beschäftigung als Verkäufer in einem Kaufhaus auf. 1994 stellte das Versorgungsamt [X.] einen GdB von 100 fest, der durch die bereits 1987 anerkannten sowie eine Reihe weiterer Behinderungen bedingt sei. 2002 und 2004 wurde die monatliche Arbeitszeit des [X.] einvernehmlich von 130 auf 110 und zuletzt 80 Stunden reduziert.

4

2005 bewilligte die [X.] dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die [X.] ab August 2004 in Höhe von damals 701,07 € monatlich. 2010 wurden dem Kläger aus seiner betrieblichen Altersversorgung Versorgungsleistungen in Höhe von 103,68 € monatlich ab Januar 2011 bewilligt. Im selben Jahr bewilligte die Familienkasse dem Vater des [X.] Kindergeld rückwirkend ab Januar 2009 in Höhe von zuletzt 184 € monatlich, das dem Kläger ausgezahlt wurde.

5

Im Juli 2012 starb der Vater des [X.], ein Ruhestandsbeamter der beklagten [X.], im Alter von 76 Jahren.

6

Im November 2012 beantragte der Kläger [X.]. Sein Antrag ist im Verwaltungsverfahren und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass dem Kläger kein Anspruch auf [X.] zustehe, weil zwar seine Behinderung, nicht aber seine fehlende Fähigkeit zum Selbstunterhalt vor dem 27. Lebensjahr eingetreten sei. Die Entstehungsgeschichte und der Zweck der maßgeblichen Vorschrift des [X.] belegten, dass ein Anspruch einer behinderten Waise auf [X.] für [X.]en nach Vollendung ihres 27. Lebensjahres voraussetze, dass die Behinderung bereits zu diesem [X.]punkt dazu geführt habe, dass die Waise außerstande war, sich selbst zu unterhalten. Der Kläger habe sich jedoch bereits vor seinem 27. Lebensjahr völlig aus der elterlichen Obhut und Fürsorge gelöst, alleine gewohnt und gearbeitet und sich selbst unterhalten können. Von August 1976 bis Juli 2004 sei er fast durchgängig erwerbstätig gewesen. Seine [X.] sei deshalb mit Vollendung seines 27. Lebensjahres im Jahr 1987 untergegangen. Sie habe sich daher beim Tod seines [X.] 25 Jahre später im Jahr 2012 nicht mehr zu einem Vollrecht wandeln können.

7

Hiergegen richtet sich die bereits vom Berufungsgericht zugelassene Revision des [X.], mit der er beantragt,

die Urteile des Verwaltungsgerichtshofs [X.] vom 15. September 2016 und des Verwaltungsgerichts [X.] vom 12. Februar 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2012 und deren Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger auf seinen Antrag vom 21. November 2012 [X.] zu gewähren.

8

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des [X.] ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt kein revisibles Recht (§ 137 Abs. 1, § 191 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 127 Nr. 2 BRRG).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von [X.], weil seine Anwartschaft auf [X.] mit der Vollendung seines 27. Lebensjahres gemäß § 61 Abs. 2 des Beamtenversorgungsgesetzes ([X.]) erloschen ist, da nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und deshalb bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts erst nach diesem [X.]punkt seine behinderungsbedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt entstanden ist (1.). Auch das [X.] als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) gebietet kein anderes Auslegungsergebnis (2.).

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von [X.], weil seine Anwartschaft auf [X.] mit der Vollendung seines 27. Lebensjahres gemäß § 61 Abs. 2 [X.] erloschen ist.

a) Die maßgebliche Gesetzesfassung für den geltend gemachten Anspruch des [X.] auf [X.] ist für den [X.]raum bis zum 10. Januar 2017 § 61 [X.] in der Fassung vom 14. November 2011 ([X.]) - im Folgenden: [X.] 2011 - und für den [X.]raum ab dem 11. Januar 2017 § 61 [X.] in der Fassung vom 5. Januar 2017 ([X.]) - im Folgenden: [X.] 2017.

Der mögliche Versorgungsfall ist mit dem Tod des [X.] des [X.] im Jahre 2012 eingetreten. Die zu diesem [X.]punkt maßgebliche Fassung des § 61 [X.] 2011 galt auch noch zum [X.]punkt des Berufungsurteils. Seit dem 11. Januar 2017 ist § 61 [X.] 2017 in [X.]. Die Geltung des § 61 [X.] 2017 ist gesetzlich nicht auf die [X.] vor seinem Inkrafttreten im Januar 2017 ausgedehnt worden (vgl. Art. 14 des Gesetzes zur Änderung des [X.] und weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vom 5. Januar 2017, [X.]). Ebenso wenig ist in der mit diesem Gesetz eingefügten Übergangsregelung des § 69k [X.] für vor dem 11. Januar 2017 eingetretene [X.] die Fortgeltung des § 61 [X.] 2011 angeordnet worden.

Aus § 113 Abs. 5 VwGO folgt, dass einer Verpflichtungs- oder Bescheidungsklage nur dann stattgegeben werden darf, wenn der Kläger im [X.]punkt der gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf den mit der Klage begehrten Verwaltungsakt hat. Dieser Grundsatz gilt auch für das Revisionsverfahren (stRspr, vgl. bereits [X.], Urteil vom 17. Dezember 1954 - 5 [X.] 97.54 - [X.]E 1, 291 <298 ff.>). Nicht aus dem Prozessrecht, sondern ausschließlich aus dem materiellen Recht ergibt sich, ob der vom Kläger mit der Verpflichtungsklage geltend gemachte Anspruch besteht und welcher Beurteilungszeitpunkt maßgebend ist. Ändert sich während des gerichtlichen Verfahrens das materielle Recht, so ist auf der Grundlage dieser Änderung zu entscheiden, ob das neue Recht einen durch das alte Recht begründeten Anspruch beseitigt, verändert oder unberührt lässt (vgl. [X.], Urteile vom 1. Dezember 1989 - 8 [X.] 17.87 - [X.]E 84, 157 <160 f.> m.w.[X.], vom 3. November 1994 - 3 [X.] 17.92 - [X.]E 97, 79 <81 f.> und vom 20. März 1996 - 6 [X.] 4.95 - [X.]E 100, 346 <348>). Entscheidend ist, ob sich das geänderte Recht nach seinem zeitlichen und inhaltlichen Geltungsanspruch auf den festgestellten Sachverhalt erstreckt ([X.], Urteil vom 11. Februar 1999 - 2 [X.] 4.98 - [X.] § 28 SVG Nr. 2 S. 2).

Bei laufenden Versorgungsleistungen kommt es in aller Regel auf die Sach- und Rechtslage in dem [X.]raum an, für den der Anspruch geltend gemacht wird. Stand dem Kläger nach altem Recht ein Anspruch auf [X.] zu, dann entfiele dieser Anspruch für den Geltungszeitraum des alten Rechts auch dann nicht, wenn dem Kläger der Anspruch nach neuem Recht nicht (mehr) zustünde; denn dem Kläger darf aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes allein wegen der Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens grundsätzlich kein Nachteil erwachsen (vgl. [X.], Urteile vom 18. Juni 1998 - 2 [X.] 20.97 - [X.] 237.7 § 15 [X.] Nr. 2 S. 2 und vom 11. Februar 1999 - 2 [X.] 4.98 - [X.] § 28 SVG Nr. 2 S. 3).

Dass die Rechtsänderung während des Revisionsverfahrens eingetreten ist, ist unerheblich. Während der Anhängigkeit des Revisionsverfahrens eintretende Rechtsänderungen sind in dem gleichen Umfang für das Revisionsgericht beachtlich, in dem sie die Vorinstanz berücksichtigen müsste, wenn sie jetzt entschiede (stRspr seit [X.], Urteil vom 17. Dezember 1954 - 5 [X.] 97.54 - [X.]E 1, 291 <298>, vgl. nur [X.], Urteil vom 1. Dezember 1972 - 4 [X.] 6.71 - [X.]E 41, 227 <230>).

b) Die allgemeinen Entstehensvoraussetzungen für einen Anspruch bzw. ein Anwartschaftsrecht auf [X.] sind gegeben: Der Kläger ist Kind eines verstorbenen Ruhestandsbeamten (§ 23 Abs. 1 Halbs. 1 [X.]). Sein Vater hat eine Dienstzeit von mindestens fünf Jahren abgeleistet (§ 23 Abs. 1 Halbs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 [X.]).

Solange der (Ruhestands-) Beamte noch lebt, ist der Anspruch auf Witwen- und [X.] ein - einem Anwartschaftsrecht vergleichbarer - bedingter Anspruch, der dem (Ruhestands-) Beamten, nicht der Witwe oder der Waise zusteht ([X.], Urteil vom 13. Oktober 1971 - 6 [X.] 57.66 - [X.]E 38, 346 <348 f.>).

c) Das Anwartschaftsrecht auf [X.] ist gemäß § 61 Abs. 2 [X.] 2011 mit der Vollendung des 27. Lebensjahres des [X.] erloschen.

§ 61 [X.] regelt zeitliche Begrenzungen der (Witwen- und) Waisenversorgung. Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] 2011 erlischt der Anspruch auf [X.] mit dem Ende des Monats, in dem die Waise das 18. Lebensjahr vollendet; [X.] wird also grundsätzlich nur für minderjährige Waisen gewährt.

In den Fällen des § 61 Abs. 2 [X.] 2011 wird das [X.] in drei Fällen auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres gewährt. Dies ist u.a. bei einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG 2006 der Fall, d.h. bei einer auf körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung beruhenden Unfähigkeit, sich selbst zu unterhalten (§ 61 Abs. 2 Satz 2 [X.] 2011 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG 2006). Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 wird das [X.] über das 27. Lebensjahr hinaus gewährt, wenn die Behinderung bei Vollendung des 27. Lebensjahres bestanden hat und die Waise ledig, verwitwet oder ohne hinreichenden Ehegattenunterhalt ist (§ 61 Abs. 2 Satz 3 [X.] 2011).

aa) Hiernach legt bereits der Wortlaut der Norm nahe, dass die Gewährung von [X.] nach Vollendung des 27. Lebensjahres voraussetzt, dass - ebenso wie die Behinderung - auch die Unfähigkeit, sich selbst zu unterhalten, schon zu diesem [X.]punkt bestanden haben muss.

Dafür spricht zum einen das Wort "solange" in § 61 Abs. 2 Satz 1 [X.] 2011, denn zu den hiervon in Bezug genommenen Voraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG 2006 gehört auch die Unfähigkeit der Waise, sich selbst zu unterhalten. Nach § 61 Abs. 2 Satz 1 [X.] 2011 wird das [X.] nach Vollendung des 18. Lebensjahres auf Antrag gewährt, solange u.a. die in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG 2006 genannten Voraussetzungen gegeben sind. Voraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG 2006 sind zum einen, dass der Betreffende wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und zum anderen, dass die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist. Damit legt der Wortlaut nahe, dass mit dem Fehlen oder Wegfall einer dieser beiden Voraussetzungen - Behinderung und Selbstunterhaltsfähigkeit - auch der Anspruch auf [X.] für mindestens 18 Jahre alte Waisen nicht entsteht bzw. entfällt, ohne dass ein späteres Entstehen oder Wiederaufleben eines solchen Anspruchs möglich ist. Würde allein die Behinderung genügen, bedürfte es der Verweisung auf § 32 EStG 2006 nicht.

Dafür spricht auch, dass [X.] gemäß § 61 Abs. 2 Satz 3 [X.] 2011 über das 27. Lebensjahr "hinaus" gewährt wird. Nach der - im Streitfall für den überwiegenden [X.]raum maßgeblichen - Anspruchsnorm des § 61 Abs. 2 Satz 3 [X.] 2011 wird "das [X.] nach Satz 2" über das 27. Lebensjahr "hinaus" nur gewährt, wenn die Behinderung insbesondere bei Vollendung des 27. Lebensjahres bestanden hat und die Waise insbesondere ledig oder verwitwet ist. Es liegt wegen der Bezugnahme auf "das [X.] nach Satz 2" auch nahe, dass mit "Behinderung" in § 61 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 [X.] 2011 eine Behinderung im Sinne des § 61 Abs. 2 Satz 2 [X.] 2011 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG 2006 und damit eine Behinderung mit der Folge der Unfähigkeit zum Selbstunterhalt gemeint ist.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass es nach der Rechtsprechung des [X.] zu § 32 EStG 2005 für das Kindergeldrecht nicht erforderlich ist, dass neben der Behinderung auch die dadurch bedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt bereits vor der Vollendung des 27. Lebensjahres vorgelegen hat (BFH, Urteil vom 9. Juni 2011 - [X.]/08 - [X.], 143 Rn. 18 ff.). Der [X.] hat § 32 EStG aus sich heraus für das Kindergeldrecht ausgelegt, während die Regelung zum [X.] in § 61 Abs. 2 [X.] 2011 nur für den Begriff der Behinderung auf die Regelung in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG 2006 zurückgreift. Der [X.]anspruch bestimmt sich im Wege der Auslegung des § 61 Abs. 2 [X.] nach allen [X.], der Kindergeldanspruch im Wege einer solchen Auslegung des § 32 EStG. Das Auslegungsergebnis zum [X.]anspruch kann anders ausfallen als die Auslegung zum Kindergeldanspruch, weil sie an unterschiedliche Normen anknüpfen und weil - wie erwähnt - § 61 Abs. 2 [X.] 2011 nur bezüglich eines von mehreren [X.] auf die Regelung im Einkommensteuergesetz verweist. Die Frage einer Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (vgl. § 11 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes) stellt sich somit von vornherein nicht.

bb) In systematischer Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass die Regelungen zum Witwen- und [X.] Entstehungs- und Erlöschenstatbestände kennen. Das Erlöschen eines Anspruchs hat begrifflich sein Nichtmehrfortbestehen zur Folge. Das bedeutet, dass nach Erlöschen des Anspruchs auch der spätere Eintritt vorher fehlender einzelner Elemente des [X.] dieses Anspruchs - etwa der Unfähigkeit, sich selbst zu unterhalten - nicht zur Entstehung des Anspruchs oder zum Erstarken eines Anwartschaftsrechts zu einem (Zahlungs-)Anspruch führt. Anders ist es nur dann, wenn und soweit das Gesetz das Wiederaufleben des Anspruchs anordnet. Das ist aber im Rahmen des § 61 [X.] nicht für das [X.], sondern nur für das [X.] der Fall. Gemäß § 61 Abs. 3 [X.] 2011 - Entsprechendes gilt für § 61 Abs. 3 [X.] 2017 - lebt der Anspruch auf [X.], der mit der Wiederverheiratung der Witwe erloschen war (§ 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] 2011 und 2017), mit der Scheidung der Ehe wieder auf (vgl. [X.], Urteil vom 12. Januar 1967 - 2 [X.] 96.63 - [X.]E 26, 15 <19>). Eine entsprechende Regelung für das [X.] besteht nicht.

Im Übrigen lassen sich der Systematik der Norm keine weiteren eindeutigen Hinweise dazu entnehmen, ob § 61 Abs. 2 [X.] 2011 als Erweiterung der in § 61 Abs. 1 [X.] 2011 bestimmten Erlöschenstatbestände das Erlöschen des [X.]anspruchs hinausschiebt oder auch das erstmalige Entstehen eines solchen Anspruchs ermöglicht. Für das Hinausschieben des Erlöschens könnte sprechen, dass der Gesetzgeber das Wiederaufleben nur in Absatz 3 ausdrücklich anordnet. Dafür spricht auch - wie bereits erwähnt - die Verwendung des Wortes "solange" in Absatz 2 Satz 1 und der Umstand, dass das [X.] nach Satz 3 auf dasjenige nach Satz 2 "aufsetzt". Dagegen spricht, dass in Absatz 2 ebenso wenig wie vom "Wiederaufleben" vom "Erlöschen" die Rede ist; die in Absatz 2 verwendete Formulierung "wird gewährt" ist insoweit offen. Für die Möglichkeit des Wiederauflebens könnte sprechen, dass § 61 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 [X.] 2011 sonst überflüssig wäre: Der Eintritt der Behinderung bei Vollendung des 27. Lebensjahres bzw. das [X.] in verzögerter Schul- oder Berufsausbildung zu diesem [X.]punkt müssten nicht gesondert erwähnt werden, wenn ab dem 27. Lebensjahr nur die Anspruchsvoraussetzungen von § 61 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 [X.] 2011 neu hinzukämen.

cc) Ein eindeutiges Auslegungsergebnis ergibt sich aus Sinn und Zweck der Norm unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte.

Bereits in § 133 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] ([X.]) vom 26. Januar 1937 ([X.] S. 39) war geregelt, dass [X.] nach Vollendung des 18. Lebensjahres für eine Waise "weiter" gewährt werden konnte, wenn die Waise infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen dauernd außerstande war, sich selbst zu unterhalten. Damit war klar und eindeutig geregelt, dass Gebrechlichkeit und mangelnde Fähigkeit zum Selbstunterhalt bis zu einem bestimmten Lebensalter - damals dem 18. Lebensjahr - eingetreten sein mussten und keine Möglichkeit bestand, ein erloschenes [X.] wieder aufleben zu lassen oder für ein Kind, das erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres Waise wurde, [X.] zu gewähren (vgl. [X.], Urteil vom 8. August 1958 - 6 [X.] 312.57 - [X.]E 7, 205). Durch das [X.] zur Änderung des [X.] vom 20. Dezember 1940 ([X.] S. 1645) wurde das Wort "weiter" gestrichen, das Erfordernis der fehlenden Fähigkeit zum Selbstunterhalt aber beibehalten. § 164 Abs. 2 Bundesbeamtengesetz ([X.]) vom 14. Juli 1953 ([X.] [X.] 551) enthielt eine Soll-Regelung zur Gewährung von [X.] bei gebrechlichkeitsbedingt fehlender Fähigkeit zum Selbstunterhalt auch über das 24. Lebensjahr hinaus. 1957 wurde diese Altersgrenze in § 164 Abs. 2 [X.] auf das 25. Lebensjahr ([X.] [X.] 1337) und 1965 auf das 27. Lebensjahr ([X.]76) erhöht. 1969 wurde die Gewährung von [X.] in § 164 [X.] erstmals auch durch einen Verweis auf andere Vorschriften - seinerzeit auf eine Norm des Bundesbesoldungsgesetzes - geregelt ([X.] [X.] 365 <373>); nach Wegfall dieser besoldungsrechtlichen Bezugsnorm trat 1974 an ihre Stelle eine Norm des inzwischen geschaffenen Bundeskindergeldgesetzes ([X.] [X.] 3716 <3719>). In beiden Fällen blieb die fehlende Fähigkeit zum Selbstunterhalt Leistungsvoraussetzung.

Das 1976 erlassene Beamtenversorgungsgesetz ([X.] [X.] 2485) ersetzte § 164 [X.] durch § 61 [X.] und behielt die Anknüpfung an das Bundeskindergeldgesetz bei. In der Gesetzesänderung von 1981 ([X.] [X.] 1523 <1525>) entfiel u.a. die gesonderte ausdrückliche Erwähnung der fehlenden Fähigkeit zum Selbstunterhalt als Voraussetzung für die Gewährung von [X.] über das 27. Lebensjahr hinaus. Allerdings legte der systematische Zusammenhang das Fortbestehen dieses Erfordernisses ebenso nahe wie der Zweck des Gesetzes, der in der Begrenzung der Dynamik öffentlicher Ausgaben und der Rückführung der Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte durch Kürzungen auf der Ausgabenseite auch durch Eingriffe in [X.] lag (vgl. [X.]. 9/842, [X.], 53 ff.). Zum 1. Januar 1996 ([X.], [X.] [X.] 1942 <1945>) ersetzte der Gesetzgeber den Verweis in § 61 Abs. 2 [X.] auf das Bundeskindergeldgesetz durch einen Verweis auf die kindergeldrechtlichen Tatbestände des § 32 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1996. Die Bezugsnorm des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG 1996 stellte auf die behinderungsbedingt fehlende Fähigkeit zum Selbstunterhalt ab.

Zum 1. Januar 2007 wurde im Kindergeldrecht durch eine Änderung des § 32 EStG die Altersgrenze für die Gewährung von Kindergeld von dem bis dahin maßgeblichen 27. auf das 25. Lebensjahr herabgesetzt ([X.] I 2006 S. 1652). Für beamtenversorgungsrechtliche Ansprüche auf [X.] wollte der Gesetzgeber diese Änderung nicht übernehmen, weil im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung bei Waisenrenten ebenfalls die Vollendung des 27. Lebensjahres maßgeblich ist (dort allerdings als Höchstaltersgrenze, vgl. § 48 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 [X.] und [X.], Urteil vom 20. Juni 2002 - [X.] [X.]/01 R - [X.] 3-2600 § 48 Nr. 7). Um im Rahmen des § 61 Abs. 2 [X.] weiterhin auf das 27. Lebensjahr abstellen zu können, ersetzte der Gesetzgeber den bis dahin geltenden dynamischen Verweis in § 61 Abs. 2 [X.] auf § 32 EStG durch eine statische Verweisung, indem er seither auf diese Vorschrift "in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung", in der noch auf die Vollendung des 27. Lebensjahres abgestellt wurde, Bezug nimmt.

Diese Entstehungsgeschichte bietet keinen Anhalt für die Annahme, dass künftig auf die bis zu einem bestimmten Alter der Waise eintretende behinderungsbedingt fehlende Fähigkeit zum Selbstunterhalt als Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von [X.] verzichtet werden sollte. Dies hat das Berufungsgericht im Einzelnen zutreffend dargestellt ([X.] ff.). Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des [X.]anspruchs, wie er vom Senat bereits in seinen Urteilen vom 8. August 1958 - 6 [X.] 312.57 - ([X.]E 7, 205 ff.) und vom 11. Juni 1985 - 2 [X.] 34.83 - ([X.]E 71, 336 <339 f.>) formuliert worden ist. Danach ist Sinn der Regelung über die Gewährung von [X.], einer Beamtenwaise finanzielle Betreuung angedeihen zu lassen bis zu jenem [X.]punkt, in dem ein Kind typischerweise auf eigenen Füßen zu stehen vermag und elterlicher Obhut nicht mehr bedarf. In [X.] Durchführung dieses Gedankens gilt die sonst vorgesehene zeitliche Begrenzung für die Gewährung von [X.] dann nicht, wenn die Waise infolge körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung dauernd außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Der Senat hat in dem erwähnten Urteil vom 8. August 1958 (a.a.[X.]) ausdrücklich konzediert, dass eine erst in höherem Alter eintretende behinderungsbedingte Erwerbsunfähigkeit die Angehörigen oft besonders hart treffe. Schlussfolgerungen für den [X.]anspruch hat er aber nicht gezogen, weil es sich dann nicht um den typischen Fall der beamtenrechtlichen Fürsorge handele.

dd) Der Anspruch auf [X.] kann deshalb jedenfalls nach der Vollendung des 27. Lebensjahres nicht entstehen oder wiederaufleben, wenn - wie hier - ein Kind, nachdem es wirtschaftlich selbständig geworden ist, die Fähigkeit zum Selbstunterhalt verliert (vgl. für das Kindergeld: [X.], Urteil vom 14. August 1984 - 10 [X.] 6/83 - [X.]E 57, 108 <109 ff>.). Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es dann des [X.]es nicht mehr bedarf, weil das Kind eigene sozialversicherungsrechtliche Ansprüche erworben hat.

d) Auch für den nach § 61 Abs. 2 [X.] 2017 zu beurteilenden [X.]raum ab 11. Januar 2017 steht dem Kläger [X.] nicht zu.

Die Vorschrift des § 61 Abs. 2 [X.] hat in der Neufassung insoweit eine Änderung erfahren, als die Verweisung auf § 32 EStG 2006 durch eine unmittelbare Regelung und in Satz 1 das Wort "solange" durch das Wort "wenn" ersetzt worden ist. Andererseits ist nach der jetzigen Fassung die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt ausdrückliche Voraussetzung für die Gewährung von [X.] nach Vollendung des 18. Lebensjahres. Eine inhaltliche Änderung war nach den Gesetzesmaterialien mit der Neufassung nicht beabsichtigt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, [X.]. 18/9532 S. 47).

Letztlich gilt für die Auslegung des § 61 Abs. 2 [X.] 2017 nichts anderes als für die Auslegung dieser Norm in der Fassung von 2011. Auch bei der Neufassung spricht bereits nach dem Wortlaut ("hinaus") mehr für das Erfordernis der fehlenden Selbstunterhaltsfähigkeit bereits vor Eintritt des 27. Lebensjahres und gelten die Aspekte der Auslegung nach Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte (tradierte begrenzte Reichweite der Alimentationsverpflichtung des Dienstherrn) unverändert.

2. Eine andere Auslegung ist auch nicht beamtenverfassungsrechtlich im Hinblick auf das [X.] als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG geboten.

Zwar fordert das [X.], dass der Beamte und seine Familie zu alimentieren sind. Allerdings erstreckt sich die Reichweite des [X.]s hinsichtlich der Besoldung des Beamten grundsätzlich nur auf minderjährige und im Haushalt lebende Kinder und gilt entsprechendes auch für die Hinterbliebenenversorgung in Form des [X.]es. Eine lebenslängliche Versorgung ist nur dem Beamten und - grundsätzlich - seiner Witwe verfassungsrechtlich gewährleistet. Den Dienstherrn trifft seit jeher nicht die Verpflichtung, dem Beamten die kinderbezogenen [X.] ohne zeitliche Begrenzung zu gewähren. Die Erwägung des Gesetzgebers, dass die Kinder eines Beamten nur solange bei der Bemessung der Höhe der Besoldung zu berücksichtigen sind, wie allgemein zu erwarten ist, dass sie zum Haushalt des Beamten gehören und ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit wegen auf Unterhalt durch ihn angewiesen sind, ist nach wie vor sachgerecht. Gleiches gilt hinsichtlich der Bemessung der Höhe der Versorgungsbezüge. Dementsprechend ist der Gesetzgeber nicht gehindert, die Gewährung von [X.] durch die Anknüpfung an Altersgrenzen zeitlich zu begrenzen. Die Festsetzung solcher Altersgrenzen gründet in der Erfahrung, dass die Waisen typischerweise jedenfalls in diesem Alter ihre wirtschaftliche Selbständigkeit erlangt haben und sich selbst unterhalten können ([X.], Beschluss vom 15. Mai 1985 - 2 BvL 24/82 - [X.]E 70, 69 <80 ff.> zum [X.]).

Die Alimentationsverpflichtung des Dienstherrn aus Art. 33 Abs. 5 GG erstreckt sich also nicht auf Kinder, die - behindert oder nicht - im Erwachsenenalter selbständig leben und arbeiten. Sie lebt auch nicht wieder auf, wenn die Kinder diese Fähigkeit später verlieren. Dann haben die Betroffenen regelmäßig einen eigenen Anspruch im System der [X.] Sicherung; dessen Auskömmlichkeit ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Zwar muss der Beamte sich einschränken, wenn er in einer solchen Lage sein Kind unterstützt oder Mittel anspart, die für eine solche Unterstützung in der [X.] nach seinem Tod bestimmt sind. Doch ist diese Konstellation nicht von der Alimentationspflicht des Dienstherrn erfasst.

3. Nach alledem steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf [X.] nicht zu. Das Berufungsgericht hat die Revision des [X.] gegen das klageabweisende Urteil des [X.] zu Recht zurückgewiesen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

2 C 49/16

01.03.2018

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 15. September 2016, Az: 4 S 1741/15, Urteil

§ 23 BeamtVG, § 61 BeamtVG, § 69k BeamtVG, § 32 EStG 2006, Art 33 Abs 5 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 01.03.2018, Az. 2 C 49/16 (REWIS RS 2018, 13038)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13038

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XI R 44/11 (Bundesfinanzhof)

Kindergeldanspruch für ein volljähriges, beeinträchtigtes Kind - Feststellungslast - Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Absenkung …


Referenzen
Wird zitiert von

4 S 143/19

Zitiert

III R 61/08

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