Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.10.2021, Az. 1 BvR 781/21

1. Senat | REWIS RS 2021, 1938

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Erfolgloser Befangenheitsantrag im Verfahren zu Vorschriften des Vierten Bevölkerungsschutzgesetzes ("Bundesnotbremse" - juris: EpiBevSchG 4) - Themenauswahl für Gedanken- und Erfahrungsaustausch des Gerichts mit Bundesregierung begründet keine Besorgnis der Befangenheit - angeführte Gründe für Besorgnis einer Befangenheit iÜ bereits völlig ungeeignet


Tenor

Das Ablehnungsgesuch gegen den Präsidenten [X.] und die Richterin [X.] wird zurückgewiesen.

Gründe

1

Die Beschwerdeführenden machen die Besorgnis der Befangenheit von Präsident [X.] und [X.]in [X.] geltend.

2

Mit Schriftsatz vom 22. September 2021 stellte Rechtsanwalt Prof. [X.] unter anderem namens des Beschwerdeführers zu 1) ein gegen den Präsidenten [X.] und die [X.]in [X.] gerichtetes Ablehnungsgesuch unter dem Aktenzeichen 1 BvR 968/21. Auf entsprechende Nachfrage des [X.] stellte Rechtsanwalt Prof. [X.] mit Schriftsatz vom 27. September 2021 klar, dass der Antrag im Verfahren 1 BvR 781/21 gestellt sei, in dem er ebenfalls als Verfahrensbevollmächtigter bestellt ist. Gegenstand dieses Verfahrens sind die mit Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 ([X.]) eingeführten Ausgangsbeschränkungen nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG.

3

Die Beschwerdeführenden begründeten ihr Ablehnungsgesuch ursprünglich im Wesentlichen wie folgt:

4

1. Die Besorgnis der Befangenheit von Präsident [X.] ergebe sich zum einen aus dessen Einflussnahme auf die Auswahl der bei einem Treffen der Bundesregierung mit dem [X.] am 30. Juni 2021 erörterten Themen und zum anderen aus der in der Pressemitteilung Nr. 78 des [X.] vom 20. August 2021 erfolgten Ankündigung, in den Verfahren 1 BvR 781/21 u.a. nach vorläufiger Einschätzung ohne mündliche Verhandlung im [X.] entscheiden zu wollen.

5

a) Aus der Akte des [X.] zu dem genannten Treffen zwischen der Bundesregierung und dem [X.] ergebe sich, dass das [X.] ursprünglich vorgeschlagen habe, über die Themen "Die Handlungsfähigkeit der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes im globalen Krisenfall" sowie "Desinformation und hybride Drohungen" [gemeint wohl: "Bedrohungen"] zu sprechen. Die tatsächlich bei dem Treffen erörterten Themen wichen vollständig von den ursprünglich durch das [X.] vorgeschlagenen ab. So sei etwa das erkennbar auf die "[X.]" gemünzte Thema "Entscheidung unter Unsicherheiten" erörtert worden. Wie dieses Thema auf die Tagesordnung des Treffens gekommen sei, könne der Akte des [X.] nicht entnommen werden. Der zeitliche Ablauf lasse lediglich den Schluss zu, dass Präsident [X.] das Thema "Entscheidung unter Unsicherheiten" selbst vorgeschlagen oder in Gesprächen mit dem [X.] mit beschlossen habe.

6

Die Auswahl des Themas "Entscheidung unter Unsicherheiten" als Gegenstand des Treffens zwischen der Bundesregierung und dem [X.] begründe die Besorgnis der Befangenheit von Präsident [X.]. Die Beschwerdeführenden müssten befürchten, dass der Bundesregierung die Möglichkeit eröffnet worden sei, dem zuständigen Senat die gegen die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde sprechenden Argumente darzulegen. Das gewählte Thema betreffe ersichtlich Entscheidungsspielräume des Gesetzgebers, die für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Ausgangsbeschränkungen von zentraler Bedeutung seien. Die [X.] sei ausweislich ihres Redemanuskripts dann auch konkret auf den Umgang mit der [X.] zu sprechen gekommen, wenngleich sie betont habe, nicht über beim [X.] anhängige Fälle sprechen zu wollen.

7

b) Die Zweifel an der Unvoreingenommenheit von Präsident [X.] würden durch die in der Pressemitteilung Nr. 78 des [X.] vom 20. August 2021 in Aussicht gestellte Verfahrensweise verstärkt, nach vorläufiger Einschätzung ohne mündliche Verhandlung entscheiden zu wollen. Es sei überaus befremdlich, dass die Beschwerdeführenden über diese Einschätzung nicht informiert worden seien. Aus ihrer Sicht müsse der Eindruck entstehen, das Gericht halte jede weitere prozessuale Äußerung der Beschwerdeführenden bereits jetzt für entbehrlich.

8

2. Bei [X.]in [X.] bestehe ebenfalls die Besorgnis der Befangenheit, weil sie bei dem genannten Treffen mit der Bundesregierung einen Vortrag zu dem Thema "Entscheidung unter Unsicherheiten" gehalten habe. Über den Inhalt des Vortrags sei den Beschwerdeführenden zwar nichts bekannt, da die [X.]in angegeben habe, diesen ohne Manuskript gehalten zu haben. Die Beschwerdeführenden müssten aber davon ausgehen, dass die abgelehnte [X.]in ‒ wie die Bundesjustizministerin ‒ sich zu im vorliegenden Verfahren bedeutsamen Sach- und Rechtsfragen geäußert habe. Wegen des Vortrags ohne Manuskript sei den Beschwerdeführenden zudem die Gelegenheit zur Gegenrede genommen. Es bestehe die Gefahr des Eindrucks, die ‒ nach der Annahme der Beschwerdeführenden ‒ als Berichterstatterin zuständige [X.]in [X.] fühle sich der Bundesregierung näher als den Beschwerdeführenden.

9

1. Präsident [X.] hat unter dem 28. September 2021 eine dienstliche Stellungnahme abgegeben:

"Die anlässlich des Zusammentreffens von Mitgliedern der Bundesregierung und von Mitgliedern des [X.] am Abend des 30. Juni 2021 erörterten Themen 'Rechtsetzung in [X.]' und 'Entscheidung unter Unsicherheiten' wurden unter meiner Mitwirkung ausgewählt. Ich hielt und halte diese Themen für einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwischen Verfassungsorganen für geeignet, weil sie abstrakte und zeitlose Fragestellungen betreffen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten auch in zahlreichen Entscheidungen des [X.] niedergeschlagen haben, und sich diese Themen aus meiner Sicht ohne konkreten Bezug zu anhängigen Verfahren erörtern lassen. Demgemäß habe ich [X.] im Rahmen des oben genannten Zusammentreffens zu Sach- und Rechtsfragen anhängiger Verfahren nicht geäußert."

2. Ebenfalls unter dem 28. September 2021 hat sich [X.]in [X.] dienstlich geäußert:

"Entgegen der Annahme von Rechtsanwalt [X.] bin ich nicht Berichterstatterin in dem antragsgegenständlichen Verfahren. Bei dem Treffen zwischen dem [X.] und der Bundesregierung am Abend des 30. Juni 2021 fiel [X.] die Aufgabe zu, zum Thema 'Entscheidung unter Unsicherheiten' den in diesem Rahmen üblichen kurzen Impulsvortrag aus der Perspektive des [X.] zu halten. Mein Beitrag erläuterte die Perspektive, die das Gericht im Unterschied zu anderen Staatsgewalten in Erfüllung seiner Aufgaben auf das weite Feld von Entscheidungen unter Unsicherheit einnimmt. Gegenstand waren abstrakte Überlegungen dazu, dass Gerichte mit der Dynamik und Komplexität von Wissen anders umgehen müssen als Legislative und Exekutive mit ihrer je eigenen Handlungsrationalität. Zu Sach- und Rechtsfragen anhängiger oder absehbar anhängiger Verfahren habe ich in keiner Weise Stellung genommen."

Die Beschwerdeführenden haben das gegen den Präsidenten [X.] gerichtete Ablehnungsgesuch unter dem 29. September 2021 ergänzt. Dieser habe sich in einem Interview gegenüber der [X.] vom vorhergehenden Tag zur "[X.]" in einer die Besorgnis seiner Befangenheit zusätzlich begründenden Weise wie folgt geäußert: Nach seiner Bestandsaufnahme zeige sich Licht und Schatten. Einerseits sei [X.] im Vergleich zu anderen Ländern bisher insgesamt nicht schlecht durch die schwere [X.] der [X.] gekommen. Andererseits habe die [X.] Defizite in Teilbereichen aufgezeigt, etwa bei der Digitalisierung. Dies sei aber kein systemischer Mangel.

Die Beschwerdeführenden deuten dies als politische Äußerung, die bei unbefangener Lektüre der Corona-Politik des [X.] und der Bundes- und Landesregierungen ein gutes Zeugnis ausstelle. Bei unbefangenen Lesern des Interviews erweckten die Äußerungen des abgelehnten [X.]s den Eindruck, die "Inzidenzpolitik" der Regierung sei im Ergebnis recht erfolgreich gewesen. Dies wiederum begründe "bei objektiver Betrachtungsweise Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit bei der Bewertung von § 28b Abs. 1 Nr. 2 IfSG".

Die Beschwerdeführenden haben mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2021 zu den dienstlichen Erklärungen der abgelehnten [X.]in und des abgelehnten [X.]s ihrerseits Stellung genommen.

Die in der dienstlichen Stellungnahme von Präsident [X.] geäußerte Einschätzung, das Thema "Entscheidung unter Unsicherheiten" sei "zeitlos", sei schlechterdings unglaubhaft. Eine derartige Schutzbehauptung lasse erneut an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten [X.]s zweifeln, so dass er auch aus diesem Grund wegen der Besorgnis von Befangenheit abgelehnt werde.

Mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2021 haben die Beschwerdeführenden ihr Vorbringen abermals ergänzt. Interne Vermerke des [X.]s an die Bundeskanzlerin vom 10. Juni und 29. Juni 2021 bestätigten die Zweifel an der fehlenden Unvoreingenommenheit der abgelehnten [X.]. Die Beschwerdeführenden machen geltend, dass es in dem Vermerk vom 10. Juni 2021 heiße, Präsident [X.] habe nach Rücksprache mit Vizepräsidentin König als Thema vorgeschlagen "Entscheidung unter Unsicherheiten": Welche Beurteilungsspielräume verbleiben den Gewalten bei tatsächlichen Unklarheiten? Wieviel Überprüfbarkeit verbleibt dem [X.]? Wie kann Sicherheit gewonnen werden? Welche Evaluierungspflichten sind dabei zu berücksichtigen? Diese Themenbeschreibung habe einen offensichtlichen Bezug zu den beim [X.] anhängigen "Corona-Verfahren". Auch das [X.] habe dies erkannt, denn es habe vermerkt, dass das Thema grundsätzlich für die Diskussion geeignet sei, allerdings berühre es "auch aktuelle Streitpunkte (… laufende Eilanträge gegen die Corona-Notbremse)".

Die im Verfassungsbeschwerdeverfahren Äußerungsberechtigten hatten ebenfalls Gelegenheit zur Stellungnahme.

Das rechtzeitig gestellte Ablehnungsgesuch bleibt insgesamt ohne Erfolg. Ein Teil der von den Beschwerdeführenden vorgebrachten Gründe ist schon gänzlich ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten [X.] zu begründen. Im Übrigen ist das Gesuch jedenfalls unbegründet.

I.

Die Ablehnung eines [X.]s oder einer [X.]in des [X.] nach § 19 [X.]G setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Zweifel an der Unvoreingenommenheit zu rechtfertigen (vgl. [X.]E 148, 1 <6 Rn. 17>; 152, 332 <337 Rn. 15>; 156, 340 <348 Rn. 21> jeweils m.w.[X.]). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der [X.] oder die [X.]in tatsächlich parteiisch oder befangen ist oder sich selbst für befangen hält. Maßgeblich ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit zu zweifeln (vgl. [X.]E 148, 1 <6 Rn. 17>; 152, 332 <337 Rn. 15>).

Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die Umstände Anlass zur Sorge geben, dass ein [X.] oder eine [X.]in aus persönlichen oder anderen Gründen auf eine bestimmte Rechtsauffassung bereits so festgelegt ist, dass er oder sie sich gedanklich nicht mehr lösen kann oder will und entsprechend für Gegenargumente nicht mehr offen ist. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass [X.]innen oder [X.] des [X.] über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigen, in Unvoreingenommenheit und Objektivität zu entscheiden. Bei den Vorschriften über die Besorgnis der Befangenheit geht es aber auch darum, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu vermeiden (vgl. [X.]E 148, 1 <6 Rn. 17>; 152, 332 <337 f. Rn. 15>; [X.], Beschluss des [X.] vom 20. Juli 2021 - 2 [X.] u.a. -, Rn. 19).

Zweifel an der notwendigen Objektivität und Unvoreingenommenheit können etwa auch berechtigt sein, wenn sich aufdrängt, dass ein innerer Zusammenhang zwischen einer politischen Überzeugung und der Rechtsauffassung des betroffenen [X.]s oder der betroffenen [X.]in besteht (vgl. [X.]E 148, 1 <7 f. Rn. 19>; 152, 332 <338 Rn. 17>). Äußerungen zu politischen Vorgängen allein führen deshalb aber noch nicht dazu, dass Verfahrensbeteiligte darin vernünftigerweise die Festlegung auf eine bestimmte Rechtsauffassung sehen können (vgl. [X.]E 156, 340 <349 Rn. 23>).

II.

Danach dringt der Ablehnungsantrag weder gegen den Präsidenten [X.] (1) noch gegen die [X.]in [X.] (2) durch.

Die Beschwerdeführenden führen teils zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignete Gründe an. Im Übrigen liegen keine Umstände vor, die diese Besorgnis begründen können.

1. Das Ablehnungsgesuch gegen den Präsidenten [X.] bleibt ohne Erfolg.

a) Ein Teil der von den Beschwerdeführenden für die Besorgnis der Befangenheit von Präsident [X.] angeführten Gründe sind dazu gänzlich ungeeignet. Insoweit bedurfte es auch keiner dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten [X.]s (vgl. dazu [X.]E 153, 72 <73 Rn. 2>; stRspr; vgl. auch [X.], Beschlüsse des [X.] vom 23. Juni 2021 - 2 [X.] -, Rn. 22 f. und 2 BvB 1/19 -, Rn. 24 f., jeweils [X.] Müller).

aa) Wie das [X.] bereits entschieden hat, sind Treffen zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwischen dem [X.] und der Bundesregierung als solche, damit auch das hier fragliche Treffen vom 30. Juni 2021, ein zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeigneter Grund (vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 20. Juli 2021 - 2 [X.] u.a. -, Rn. 21 ff.; siehe zur Frage der Besorgnis der Befangenheit wegen der Themenauswahl unten Rn. 31 ff.).

bb) Für eine auf den Inhalt der Pressemitteilung des [X.] Nr. 78 vom 20. August 2021 gestützte Besorgnis der Befangenheit Präsident [X.]s benennen die Beschwerdeführenden ebenfalls lediglich gänzlich ungeeignete Gründe. Die darin enthaltene bloße Mitteilung einer vorläufigen Einschätzung des Senats zur Frage der Durchführung einer mündlichen Verhandlung kann grundsätzlich keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit eines [X.]s begründen; ebenso wenig das Absehen von einer - weder von der Prozessordnung vorgesehenen noch sonst praktizierten - entsprechenden persönlichen Mitteilung an die Beschwerdeführenden.

cc) Der von den Beschwerdeführenden vorgetragene Inhalt des Interviews von Präsident [X.] in der [X.] vom 28. September 2021 ist ebenfalls zur Begründung der Voraussetzungen aus § 19 Abs. 1 [X.]G gänzlich ungeeignet.

Nach dem eindeutigen objektiven Erklärungswert der fraglichen Äußerung in dem Interview hat der abgelehnte [X.] eine allgemein gehaltene Einschätzung der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Lage in [X.] im Vergleich zu nicht im Einzelnen benannten anderen [X.] geäußert. Seine Äußerung bezog sich auf eine Frage der Redaktion nach der Reformbedürftigkeit des [X.]. Bewertungen der seitens der verschiedenen zuständigen Gesetz- und Verordnungsgeber ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des [X.] enthält die von den Beschwerdeführenden vorgetragene Passage des Interviews nicht.

dd) Der Inhalt der dienstlichen Erklärung von Präsident [X.], er halte das Thema "Entscheidung unter Unsicherheiten" für einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwischen Verfassungsorganen für geeignet, weil es abstrakte und zeitlose Fragestellungen betreffe, die sich in den vergangenen Jahrzehnten auch in zahlreichen Entscheidungen des [X.] niedergeschlagen hätten, und weil sich dieses Thema auch ohne konkreten Bezug zu anhängigen Verfahren erörtern lasse, ist ebenfalls zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet. Ein Zusammenhang zu fehlender Unvoreingenommenheit und fehlender Unparteilichkeit ist offensichtlich ausgeschlossen.

b) Soweit die vorgebrachten Gründe nicht bereits gänzlich ungeeignet sind, vermögen sie die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten [X.]s ebenfalls nicht zu tragen. Der Antrag ist daher jedenfalls unbegründet. Die Beteiligung von Präsident [X.] an der Auswahl des Themas "Entscheidung unter Unsicherheiten" vermag den Anschein einer fehlenden Unvoreingenommenheit gegenüber den im gegenständlichen Verfahren entscheidungsrelevanten Rechtsfragen nicht zu begründen.

aa) Die Festlegung eines Themas für einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwischen [X.] und Bundesregierung als solche ohne inhaltliche Positionierung, wie damit rechtlich umzugehen ist, begründet grundsätzlich keinen "bösen Schein" einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit. Sie gibt insbesondere keinen Anlass zur Besorgnis einer Vorfestlegung zu entscheidungsrelevanten Rechtsfragen.

Das gilt auch für das hier gewählte Thema "Entscheidung unter Unsicherheiten". Die mit dem Thema verbundenen Rechtsfragen zu den Kontrollmaßstäben des [X.] unter den Bedingungen tatsächlicher Unsicherheiten sind vielfältig und stellen beziehungsweise stellten sich in zahlreichen Verfahren, die das [X.] bereits entschieden hat und noch zu entscheiden haben wird. Das [X.] hat sich etwa im Beschluss vom 8. August 1978 über die Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher Regelungen über die friedliche Verwendung der Kernenergie grundlegend zu gesetzgeberischen Entscheidungen unter den Bedingungen wissenschaftlich noch unsicherer Erkenntnisse sowie den dafür heranzuziehenden verfassungsrechtlichen Prüfmaßstäben geäußert (vgl. [X.]E 49, 89 <130 f.>). Erst kürzlich stellten sich entsprechende Fragen in dem Beschluss zum Klimaschutzgesetz. Darin verhält sich das [X.] ausführlich zu der Bedeutung von nicht unerheblichen Unsicherheiten in den Fachwissenschaften über das vorhandene [X.] des CO2-Ausstoßes und die daraus resultierenden Konsequenzen für den Gesetzgeber bei der Gestaltung des Klimaschutzes (vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 24. März 2021 - 1 BvR 2656/18 u.a. -, Rn. 220 ff.). Vergleichbare Fragen stellen sich auch weiterhin, wie zuletzt im Beschluss zur sogenannten [X.], in dem die gesetzgeberische Handhabung der Ungewissheiten über die Zinsentwicklung zu beurteilen war (vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 8. Juli 2021 - 1 BvR 2237/14 u.a. -, Rn. 214 ff.). Es handelt sich also um ein Thema zu einer abstrakten Rechtsproblematik, die die Rechtsprechung des [X.] seit langem prägt. Daran ändert auch die im Vermerk des [X.]s festgehaltene Themenbeschreibung nichts, denn es handelt sich insoweit lediglich um ebenso abstrakt formulierte Unterthemen, die gerade die vielfältigen mit dem Thema verbundenen Rechtsfragen aufgreifen.

bb) Entgegen der Einschätzung der Beschwerdeführenden ergeben sich für eine Besorgnis der Befangenheit von Präsident [X.] sprechende Umstände auch nicht daraus, dass aufgrund des unter seiner Mitwirkung gewählten Themas Mitglieder der Bundesregierung die Möglichkeit gehabt hätten, sich zu tatsächlichen und rechtlichen Aspekten konkret anhängiger Verfahren zu äußern. Der Vorwurf der Beschwerdeführenden, das Thema sei gerade zu diesem Zweck vorgeschlagen worden, stellt eine bloße Behauptung dar, für die es keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt und die bei vernünftiger Betrachtung nicht naheliegt. Im Übrigen hat sich die Ministerin ausweislich des von den Beschwerdeführenden selbst vorgelegten Redemanuskriptes in ihrem achtminütigen Impulsvortrag gerade nicht zu konkret anhängigen Verfahren geäußert. Ungeachtet dessen wäre der sachliche Gehalt ihres konkreten Vortrags von vornherein nicht geeignet, eine Grundlage für einen Rückschluss zu bieten, Präsident [X.] habe das Thema mit ausgewählt, um der Bundesregierung Äußerungen zu einem anhängigen Verfahren zu ermöglichen.

2. Das gegen die [X.]in [X.] gerichtete Ablehnungsgesuch ist gleichfalls teilweise bereits gänzlich ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit der [X.]in zu begründen, so dass insoweit eine dienstliche Stellungnahme nicht veranlasst war (a). Im Übrigen ist das Gesuch jedenfalls unbegründet (b).

a) So kann die Besorgnis der Befangenheit von vornherein nicht darauf gestützt werden, dass die abgelehnte [X.]in den Impulsvortrag ohne Redemanuskript gehalten hat. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Art der Vorbereitung und Dokumentation eines Vortrages die Besorgnis ihrer Befangenheit begründen könnte. Angesichts der häufigen Beschäftigung des [X.] mit den Aspekt "Entscheidung unter Unsicherheiten" betreffenden Fragen (oben Rn. 32) ist es im Übrigen auch naheliegend, dass die in einem kurzen Impulsvortrag anzusprechenden Gesichtspunkte einer langjährigen [X.]in des [X.] auch ohne Redemanuskript vertraut sind.

b) Im Übrigen ist der gegen die [X.]in [X.] gerichtete Ablehnungsantrag jedenfalls unbegründet. Die Beschwerdeführenden mutmaßen, die abgelehnte [X.]in habe sich zu für das anhängige Verfahren bedeutsamen Sach- und Rechtsfragen geäußert. Wie sich aus der dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten [X.]in ergibt, waren Gegenstand ihres Vortrags allein abstrakte Überlegungen dazu, dass Gerichte mit der Dynamik und Komplexität von Wissen anders umgehen müssen als Legislative und Exekutive mit ihrer je eigenen Handlungsrationalität. Dies kann eine Besorgnis der Befangenheit der [X.]in nicht begründen. Dass abstrakte rechtliche Überlegungen auch in einem konkreten Verfahren zur Anwendung gelangen können, ist ihnen immanent. Nicht anders als bei in wissenschaftlichen Beiträgen oder sonst geäußerten Rechtsauffassungen könnten allgemein gehaltene Rechtsausführungen allenfalls dann zur Besorgnis der Befangenheit führen, wenn weitere Umstände in der Person der abgelehnten [X.]in hinzuträten, aus denen auf eine fehlende Unvoreingenommenheit und insbesondere eine Vorfestlegung zu entscheidungsrelevanten Rechtsfragen geschlossen werden könnte (vgl. auch [X.]E 156, 340 <350 Rn. 25> m.w.[X.]). Dies ist nicht der Fall.

III.

Der Senat hatte ohne die abgelehnte [X.]in und den abgelehnten [X.] zu entscheiden. Zwar sind bei auf gänzlich ungeeignete Gründe gestützten Ablehnungsgesuchen auch die Abgelehnten zur Entscheidung darüber berufen (vgl. [X.]E 153, 72 <73 Rn. 2>; [X.], Beschluss des [X.] vom 20. Juli 2021 - 2 [X.] u.a. -, Rn. 35; stRspr). Da der hier gestellte Ablehnungsantrag aber bezüglich beider nicht insgesamt offensichtlich unzulässig ist, sind Präsident [X.] und [X.]in [X.] von der Mitwirkung an der Entscheidung darüber ausgeschlossen.

Präsident [X.] war wegen des ihn betreffenden Ablehnungsgesuchs auch gehindert, über den gegen [X.]in [X.] gerichteten Ablehnungsantrag zu entscheiden, wie umgekehrt [X.]in [X.] nicht zur Entscheidung über die Ablehnung von Präsident [X.] berufen war. Die gegen beide vorgebrachten Ablehnungsgründe stehen in einem engen sachlichen Zusammenhang (vgl. dazu [X.], Beschuss der [X.] des [X.] vom 14. April 2004 - 2 BvR 2225/03 -, Rn. 9).

Meta

1 BvR 781/21

12.10.2021

Bundesverfassungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BVerfG, 5. Mai 2021, Az: 1 BvR 781/21, Ablehnung einstweilige Anordnung

§ 19 Abs 1 BVerfGG, § 19 Abs 2 S 1 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.10.2021, Az. 1 BvR 781/21 (REWIS RS 2021, 1938)

Papier­fundstellen: NJW 2021, 3447 REWIS RS 2021, 1938


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 781/21, 1 BvR 805/21, 1 BvR 820/21, 1 BvR 854/21, 1 BvR 889/21

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 781/21, 1 BvR 805/21, 1 BvR 820/21, 1 BvR 854/21, 1 BvR 889/21, 05.05.2021.


Az. 1 BvR 781/21

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 781/21, 16.11.2021.

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 781/21, 12.10.2021.


Az. 1 BvR 854/21

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 854/21, 19.10.2021.


Az. 1 BvR 781/21, 1 BvR 798/21, 1 BvR 805/21, 1 BvR 820/21, 1 BvR 854/21, 1 BvR 860/21, 1 BvR 889/21

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 781/21, 1 BvR 798/21, 1 BvR 805/21, 1 BvR 820/21, 1 BvR 854/21, 1 BvR 860/21, 1 BvR 889/21, 19.11.2021.


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W 8 E 22.456

1 BvR 2622/21

1 BvR 743/21

AN 18 E 22.00682

W 8 E 22.457

AN 18 E 22.00689

AN 18 E 22.00688

AN 18 E 22.00690

20 CE 22.646

W 8 E 22.495

RO 5 E 22.575

1 BvR 133/22

AN 18 E 22.00418

1 BvR 2649/21

1 BvL 3/18, 1 BvR 717/16, 1 BvR 2257/16, 1 BvR 1824/17

2 L 379/22

1 BvR 2821/16

3 ZB 4/21

1 BvR 2888/20, 1 BvR 1152/21, 1 BvR 1153/21, 1 BvR 1154/21, 1 BvR 1155/21, 1 BvR 1156/21

4 RBs 88/22

20 NE 21.1328

20 B 22.29, 20 B 22.30

29 L 1703/22

RO 5 K 20.1192

10 Nc 9/21

W 8 K 22.418

24 K 4215/21

24 K 1475/21

24 K 1472/21

24 L 2054/22

2 K 330/22

1 BvR 1496/22

1 WB 2/22

1 BvR 19/22

1 WB 5/22

3 CN 1/21

3 CN 2/21

Zitiert

2 BvB 1/19

2 BvR 2691/17

1 BvR 781/21

2 BvE 1/17

2 BvR 2006/15

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