Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.02.2013, Az. 5 StR 427/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2013, 8077

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5 StR 427/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom 19. Februar 2013
in der Strafsache
gegen

1.

2.

wegen Untreue u.a.

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2
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Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 19. Februar 2013
beschlossen:

1.
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 13. Januar 2012 gemäß §
349 Abs. 4 StPO unter Aufrechterhaltung der [X.]

mit Ausnahme derjenigen zum [X.], zur Existenzgefährdung der A.
GmbH

und zum Vermögensnachteil sowie insgesamt zum Fall [X.] der Urteilsgründe

aufgehoben, soweit

a)
die Angeklagte B.
M.
verurteilt worden ist,

b)
der Angeklagte H.
M.
hinsichtlich der Fälle II.1 bis 10 der Urteilsgründe verurteilt ist, und

c)
im
Ausspruch über sämtliche [X.]n und die Gesamtstrafen.

2.
Die weitergehenden Revisionen werden nach § 349 Abs.
2 StPO als unbegründet verworfen.

3.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

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3
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G r ü n d e

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]
M.

unter Frei-sprechung im Übrigen

wegen Untreue in zehn Fällen jeweils in Tateinheit mit Bankrott und wegen versuchten Betruges zu einer zur Bewährung aus-gesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verur-teilt. Davon hat es vier Monate Freiheitsstrafe wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt erkannt.
Die Angeklagte B.
M.

hat das [X.] wegen Untreue in sechs Fällen jeweils in Tateinheit [X.], von denen 60 Tagessätze als vollstreckt gelten. Die hiergegen [X.], auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisi-onen der Angeklagten erzielen jeweils mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen des [X.] war der Angeklagte H.

M.
faktischer Geschäftsführer der A.
GmbH

(nachfolgend A.
GmbH), einer Tochtergesellschaft der von ihm gegründeten und maßgeblich bestimmten A.
AG. Seine Mutter, die Angeklagte B.
M. , war zwar formell bestellte Ge-schäftsführerin der A.
GmbH, führte aber keine entsprechende Tätigkeit aus. Spätestens ab Juni 2003 befand sich
die A.

GmbH in einem Zustand konkreter Existenzgefährdung durch Liquiditätsver-luste sowie drohender Zahlungsunfähigkeit. Ab diesem Zeitpunkt bis zum Verkauf der A.
GmbH am 5. August 2003 entzog [X.]
M.

(Fälle II.1 bis 10), überwiegend gemeinschaftlich mit seiner Mutter (Fälle II.1 bis 3, 5 bis 8 sowie 10 unter teilweiser abweichender Bewertung der Konkurrenzen), der A.

h-lich nicht oder nicht in dem
zustehende Haftungsmasse verkürzt. Bereits zwei Wochen nach dem Ver-1
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kauf der Gesellschaft stellte der neue Geschäftsführer einen Insolvenzantrag. Das Insolvenzverfahren wurde am 1. Oktober 2003 wegen Zahlungsunfähig-keit und Überschuldung eröffnet.

2. Die Verurteilungen der Angeklagten wegen Untreue haben keinen Bestand. Die Begründung, mit der das [X.] die Geldentnahmen aus der A.

GmbH als pflichtwidrig bewertet und einen rechtswidri-gen Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB bestimmt hat, begegnet durchgreifenden Bedenken.

a) Das [X.] hat

ohne im Einzelnen die Gesellschafterverhält-nisse der A.

AG näher darzulegen

zugunsten der Angeklagten angenommen, dass die Entnahmen jeweils im Einverständnis mit der [X.] erfolgten. Dennoch seien sie pflichtwidrig gewesen, weil sie die wirtschaftliche Existenz durch [X.] gefährdet hätten. Die [X.] Existenzgefährdung hat das [X.]

ohne Feststellungen zum Vermögensstatus der A.
GmbH zu treffen

allein aus dem tatsächlichen Geschehenslauf anhand einer Gesamtabwägung von Indizien ([X.] alsbald nach den Entnahmen, Verkauf der GmbH an einen Schwierigkeiten der A.
GmbH und des Mutterkonzerns) fest-gestellt. Dabei hat es freilich berücksichtigt, dass

klassischen wirtschaftskriminalistischen Beweisanzeichen für eine konkrete Vollstreckungsversuche, vorgelegen hat. Mangels vollständiger Buchhal-tungsunterlagen hat es von der Einholung eines Sachverständigengutach-tens zum [X.] der A.
GmbH abgesehen. Zudem g-grund vorgenommener Mani-e-samtbild einer bilanziellen Bewertung der wirtschaftlichen Situation der A.

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nachteil zu Lasten der GmbH hat die Wirtschaftsstrafkammer bei den [X.] Taten in Höhe des jeweils entzogenen Betrages festgesetzt.

b) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass einverständliche [X.] bereits erzielter Gewinne und die Zahlung von [X.] für sich allein noch keinen rechtswidrigen Nachteil für die GmbH bedeuten, und zwar selbst dann nicht, wenn die entnommenen Beträge zu [X.] falsch gebucht werden; hat jedoch eine an sich zulässige Gewinn-entnahme schädliche Folgen, die über die durch die Entnahme bewirkte Vermögensminderung hinausreichen, kann sie als rechtswidriger Nachteil für die GmbH gewertet werden (vgl. [X.], Urteil vom 24. August 1988

3 [X.], [X.]St 35, 333, 336 f.). [X.] Handeln und ein rechtswidriger
Nachteil sind anzunehmen, wenn das Stammkapital beein-trächtigt oder die wirtschaftliche Existenz der Gesellschaft in anderer Weise gefährdet wird [X.], StGB, 60. Aufl., § 266 Rn. 96, 156 mwN), etwa weil der Gesellschaft ihre Produktionsgrundlagen
entzogen würden oder ihre Liquidität gefährdet wäre (vgl. [X.]St aaO,
S. 337 f., sowie [X.], Urteile vom 24. Oktober 1990

3 StR 16/90

und vom 10. Juli 1996

3 StR 50/96, [X.]R StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 23 und 37, sowie vom 13. Mai 2004

5 [X.], [X.]St 49, 147, 157 ff.).

aa) Der im Einzelnen in den Urteilsgründen dargelegte tatsächliche Geschehenslauf und die Gesamtabwägung aller Indizien sprechen zwar für Existenzgefährdung
vermuten. Dass die A.
GmbH sich jedoch bereits Anfang Juni 2003 in einem Zustand der Existenzgefährdung durch [X.] befunden hat und die Entnahmen sich nicht mehr im Be-reich des Erlaubten bewegten, sondern einen rechtswidrigen [X.] für die Gesellschaft bedeuteten, wird von den Feststellungen nicht genügend belegt. Insofern fehlt es an einer hinreichend konkreten [X.] der Vermögenssituation der A.
GmbH zum Zeitpunkt der 5
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(jeweiligen) Entnahmen (vgl. [X.], Urteil vom 22. März 2006

5 [X.], [X.], 265).

[X.]) Zwar kann sich die Gefährdung der Existenz oder der Liquidität [X.] auch ohne Aufstellung einer Vermögensbilanz allein auf Grund eines tatsächlichen Geschehenslaufs feststellen lassen (vgl. [X.], Urteil vom 24. August 1988

3 [X.], [X.]St 35, 333, 338; [X.], Beschluss vom 10. Januar 2006

4 [X.], [X.], 229, 230). Nach den bisheri-gen Feststellungen hat das [X.] aber angenommen, dass bei der A.

(UA S. 79) eingegangen sind. Zudem wies das einzige Firmenkonto am 31.
Juli 2003

und damit nach dem vom [X.] angenommenen Zeit-punkt des Eintritts der Existenzgefährdung der GmbH

noch ein Bankgutha-

cc) Der tatsächliche Geschehenslauf kann daher vorliegend nicht [X.] die gebotenen konkreten Feststellungen zum Vermögensnachteil [X.]. Der [X.] verkennt nicht die sich aus den unvollständigen Buchhal-tungsunterlagen ergebende Schwierigkeit, [X.]e Feststellungen zur Vermögenssituation der A.
GmbH zu treffen. Dennoch darf die konkrete Ermittlung des Nachteils nicht aus der Erwägung heraus unter-bleiben, dass sie mit praktischen Schwierigkeiten verbunden ist; verbleiben Unsicherheiten, ist vielmehr unter Beachtung des Zweifelssatzes der ([X.] im Wege der Schätzung zu ermitteln ([X.] 126, 170, 211
f.).

[X.]) Es hätte deshalb

ungeachtet unvollständiger Buchhaltungsunter-lagen

weiterer (Mindest-)Feststellungen dazu bedurft, ob und in welchem Umfang es im Tatzeitraum tatsächlich zu [X.] gekommen ist. Dass im Oktober 2003 das Insolvenzverfahren wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit eröffnet wurde, genügt
für die Annahme einer [X.] bereits zu Beginn des Tatzeitraums nicht (vgl. [X.], Be-7
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schluss vom 10. Januar 2006

4 [X.]
aaO). Hingegen erscheint es nicht ausgeschlossen, dass sich anhand der Erkenntnisse aus dem zeitnah eröffneten Insolvenzverfahren (Mindest-)Feststellungen zur Vermögenssitua-tion der A.
GmbH und damit auch zu einer naheliegenden Existenzgefährdung treffen lassen.

c) Im Fall [X.] ist von der Wirtschaftsstrafkammer darüber hinaus nicht dargelegt worden, ob und in welcher Höhe die von der Konzernmutter an die A.
GmbH

nicht ausschließbar

verkaufte Forderung gegen-über der Firma [X.]
in ihrem Wert zum Zeitpunkt der Abtre-tung tatsächlich hinter ihrem [X.] keinen kompensierenden Vermögenszuwachs dargestellt hat. Entspre-chende Feststellungen zum tatsächlichen Wert der verkauften Forderung und damit zur Höhe eines etwaigen Vermögensnachteils hat das [X.] nicht getroffen.

3. Die Feststellungen tragen auch nicht die Schuldsprüche wegen tat-einheitlichen Bankrotts nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Fälle II.1 bis 10). Eine drohende Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 283 StGB ist im Tatzeitraum nicht hinreichend belegt.

a) Für die Prognose der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit ist auf den letzten Fälligkeitszeitpunkt aller Verbindlichkeiten abzustellen; je länger der Prognosezeitraum ist, desto höher muss die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Zahlungsunfähigkeit sein; zu berücksichtigen ist die gesamte Entwick-lung der Finanzlage, d. h. die fälligen und im Prognosezeitraum entstehen-den Verbindlichkeiten, die zur Verfügung stehenden Mittel, Kreditmöglichkei-ten und die Auftragsentwicklung [X.], StGB, 60. Aufl., Vor § 283 StGB Rn. 11 mwN).

b) Für die Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit erweist sich die

zwar generell mögliche

Heranziehung wirtschaftskriminalistischer 10
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Beweisanzeichen ohne jegliche (Mindest-)Feststellungen zu einem Liquidi-tätsstatus, d.
h. zu kurzfristig fällig werdenden Verbindlichkeiten der A.

GmbH und den zu ihrer Tilgung vorhandenen oder herbeizu-schaffenden Mitteln (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Februar 2009

3 [X.], [X.], 2225, 2226),
entsprechend den Darlegungen zur Untreue als unzureichend.

4. Die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen II.1 bis 10 führt zum Wegfall der zugehörigen [X.]n und der Gesamtstrafen. Der Schuldspruch hinsichtlich des Angeklagten H.
M.

im Fall II.12 ist rechtsfehlerfrei getroffen; der [X.] hebt jedoch insoweit auch die verhängte [X.] auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt eine stimmige [X.] zu ermöglichen. Die Feststellungen

mit Ausnahme derjenigen zum [X.], zur Existenzgefährdung der A.
GmbH und zum Vermögensnachteil sowie insgesamt zum Fall [X.], die aufgehoben werden

sind ebenfalls rechtsfehlerfrei getroffen; sie können daher bestehen bleiben. Mit der getroffenen Kompensationsentscheidung hat es

bezogen auf den bisherigen Verfahrensablauf

sein Bewenden.

5. Für die neue Hauptverhandlung weist der [X.] darauf hin:

Das neue Tatgericht wird ausgehend von den im Insolvenzverfahren gewonnenen und von ihm als zuverlässig angesehenen Erkenntnissen zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und zur Überschuldung der Gesellschaft am 1. Oktober 2003 [X.] sichere Mindestfeststellungen zu dem Be-ginn der konkreten Existenzgefährdung und der wirtschaftlichen Krise zu tref-fen haben. Dazu erscheint es vorliegend angezeigt, einen (Mindest-)Liquidi-tätsstatus

gegebenenfalls durch Beauftragung eines Sachverständigen

zu erstellen, in welchem die
Barmittel sowie die kurzfristig liquidierbaren Vermögenswerte aller bestehenden und zu erwartenden Verbindlichkeiten entsprechend ihrer jeweiligen Fälligkeit gegenübergestellt werden (vgl. zur Feststellung einer tatsächlichen oder drohenden Zahlungsunfähigkeit [X.], 14
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Urteil vom 29. April 2010

3 [X.], NJW 2010, 2894, 2898, Beschluss vom 30. August 2011

2 [X.], NJW 2011, 3733, 3734).

[X.] Schneider

Dölp Bellay

Meta

5 StR 427/12

19.02.2013

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.02.2013, Az. 5 StR 427/12 (REWIS RS 2013, 8077)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8077

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 StR 427/12

3 StR 314/09

2 StR 652/10

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