Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.08.2022, Az. 7 ABR 3/21

7. Senat | REWIS RS 2022, 7666

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Gegenstand

Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - Verkündung - Rügeverzicht


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2., 3. und 4. werden der Beschluss des [X.] vom 26. November 2020 - 11 TaBV 56/20 - sowie der Beschluss des [X.] vom 25. Juni 2020 - 10 BV 26/20 - aufgehoben.

Das Verfahren wird zur neuen Anhörung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über die Errichtung eines Gesamtbetriebsrats.

2

Die antragstellende Arbeitgeberin ist eine Luftverkehrsgesellschaft mit Sitz in [X.] Sie beschäftigt ca. 580 Mitarbeiter im Bereich des Cockpits, 1.100 Mitarbeiter im Bereich des [X.] und zehn Mitarbeiter im Bereich des Bodenpersonals.

3

Die Beteiligte zu 3. ist die auf der Grundlage des mit der [X.] abgeschlossenen Tarifvertrags Personalvertretung Nr. 2 für die Beschäftigten des [X.] der [X.] vom 19. März 2018 (im Folgenden: [X.]) errichtete Personalvertretung. Die Beteiligte zu 4. ist die auf der Grundlage des mit der [X.] ([X.]) abgeschlossenen Tarifvertrags Personalvertretung Nr. 1 für die Beschäftigten des [X.] der [X.] vom 20. August 2019 (im Folgenden: [X.]) errichtete Personalvertretung. Der zu 5. beteiligte Betriebsrat ist für den Bereich des Bodenpersonals nach Maßgabe des Betriebsverfassungsgesetzes errichtet worden. Am 10. Jan[X.]r 2020 errichteten die Beteiligten zu 3. bis 5. gemeinsam einen Gesamtbetriebsrat, den Beteiligten zu 2.

4

Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, der zu 2. beteiligte Gesamtbetriebsrat sei nicht wirksam errichtet. Weder der [X.] noch der [X.] ermöglichten die Errichtung eines Gesamtbetriebsrats.

5

Die Arbeitgeberin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass die Errichtung und Konstituierung des Gesamtbetriebsrats der [X.] vom 10. Jan[X.]r 2020 nichtig ist;

                 

hilfsweise die Errichtung und Konstituierung des Gesamtbetriebsrats der [X.] vom 10. Jan[X.]r 2020 für unwirksam zu erklären;

        

2.    

festzustellen, dass die Beteiligten zu 3. bis 5. nicht berechtigt sind, gemeinsam einen Gesamtbetriebsrat in ihrem Unternehmen zu errichten.

6

Die Beteiligten zu 2. bis 4. haben beantragt, die Anträge abzuweisen. Der Beteiligte zu 5. hat keinen Antrag gestellt.

7

Das [X.] hat mit Beschluss vom 18. März 2020 einen zunächst anberaumten Gütetermin aufgrund der Gesundheitsrisiken im Sitzungsbetrieb vor dem Hintergrund der [X.] aufgehoben. Zugleich wurden die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren hingewiesen und um Mitteilung gebeten, ob sie mit einer solchen Entscheidung einverstanden seien. Nach Erklärung des Einverständnisses aller Beteiligten hat das [X.] einen „Beratungstermin im schriftlichen Verfahren“ auf den 25. Juni 2020 bestimmt. In den Akten befindet sich ein vom Vorsitzenden der Kammer unterschriebener, dem Hauptantrag zu 1. und dem Antrag zu 2. stattgebender Beschluss, der ausweislich der Angaben im Beschluss durch die Kammer „ohne Anhörung der Beteiligten am 25.06.2020“ ergangen war, und ein als „Laufzettel“ bezeichnetes Formularblatt. Dieses enthält nur in den ersten vier Zeilen - einschließlich „Dem Vorsitzenden zur Unterschrift vorgelegt“ - Eintragungen. Die weiteren Zeilen - [X.]. „Unterschrieben zur Geschäftsstelle gelangt“ - sind nicht ausgefüllt. Im unteren Teil des Formulars findet sich eine unterschriebene Verfügung der Geschäftsstelle, nach der [X.]. der „Beschluss“ an die Prozessbevollmächtigten der Beteiligten zuzustellen ist. Die Zustellung ist laut Vermerk Anfang Juli 2020 ausgeführt worden.

8

Im Rahmen der Anhörung vor dem [X.] am 26. November 2020 haben die Vertreter aller Verfahrensbeteiligten nach einem Hinweis des Gerichts erklärt, einen etwaigen Verfahrensmangel der fehlerhaften Verkündung des erstinstanzlichen Beschlusses nicht rügen zu wollen. Das [X.] hat die Beschwerde der Beteiligten zu 2., 3. und 4. gegen den Beschluss des [X.]s zurückgewiesen. Mit ihrer vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde begehren diese weiterhin die Abweisung der Anträge der Arbeitgeberin.

9

B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

I. [X.] der Beteiligten zu 2., 3. und 4. ist zulässig.

1. Auch der zu 2. beteiligte Gesamtbetriebsrat ist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde befugt.

a) Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer durch die angefochtene Entscheidung beschwert ist und mit seinem Rechtsmittel gerade die Beseitigung dieser Beschwer begehrt. Die Rechtsmittelbefugnis im Beschlussverfahren folgt der [X.] ([X.] 1. Juni 2022 - 7 ABR 41/20 - Rn. 11; 8. März 2022 - 1 ABR 20/21 - Rn. 12). Daher ist [X.] nur derjenige, der nach § 83 Abs. 3 ArbGG am Verfahren beteiligt ist.

aa) Verfahrensbeteiligt ist eine Person oder Stelle, die durch die zu erwartende Entscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar betroffen wird (vgl. [X.] 1. Juni 2022 - 7 ABR 41/20 - Rn. 12; 20. Febr[X.]r 2019 - 7 [X.] - Rn. 14). In einem Beschlussverfahren kann nach § 83 Abs. 3 ArbGG nur eine Person, Vereinigung oder Stelle zu hören sein, die nach § 10 ArbGG beteiligtenfähig ist. Einem nicht existenten Gremium kommen keine betriebsverfassungsrechtlichen Rechtspositionen zu. Die [X.] ist vom Gericht in jeder Lage des Verfahrens - auch noch in der [X.] - von Amts wegen zu prüfen und zu berücksichtigen. Fehlt die Rechtsmittelbefugnis, ist das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen ([X.] 1. Juni 2022 - 7 ABR 41/20 - Rn. 12; 30. Juni 2021 - 7 [X.] - Rn. 17).

bb) Ist die Beteiligtenfähigkeit eines Gesamtbetriebsrats streitig, wird sie hinsichtlich der Zulässigkeit des Rechtsmittels unterstellt. Es entspricht einem allgemeinen prozess[X.]len Grundsatz, dass eine Partei, deren Parteifähigkeit oder gar rechtliche Existenz überhaupt im Streit steht, wirksam ein Rechtsmittel mit dem Ziel einlegen kann, hierüber eine Sachentscheidung zu erlangen ([X.] 1. Juni 2022 - 7 ABR 41/20 - Rn. 14; 30. Juni 2021 - 7 [X.] - Rn. 17 mwN).

b) Unter Anwendung dieser Grundsätze fehlt dem zu 2. beteiligten Gesamtbetriebsrat nicht die Rechtsmittelbefugnis. Die Beteiligten streiten gerade darüber, ob der Gesamtbetriebsrat wirksam errichtet und damit auch in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren beteiligungsfähig ist. Für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde ist dies zu unterstellen.

2. [X.] ist - entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin - nicht mangels einer ordnungsgemäßen Begründung unzulässig.

a) Nach § 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG muss die Rechtsbeschwerdebegründung angeben, inwieweit die Abänderung des angefochtenen Beschlusses beantragt wird, welche Bestimmungen verletzt sein sollen und worin die Verletzung bestehen soll. Bei einer Sachrüge sind nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO die Umstände zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergeben soll. Dabei muss die Rechtsbeschwerdebegründung den Rechtsfehler des [X.]s so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des rechtsbeschwerderechtlichen Angriffs erkennbar sind. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung. Der Rechtsbeschwerdeführer muss darlegen, warum er die Begründung des [X.] für unrichtig hält (st. Rspr., vgl. [X.] 29. Juli 2020 - 7 [X.] - Rn. 18 mwN, [X.]E 172, 1; 22. Oktober 2019 - 1 [X.] - Rn. 13, [X.]E 168, 136).

b) Diesen Anforderungen genügt die Rechtsbeschwerdebegründung. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung zusammengefasst ausgeführt, § 47 Abs. 1 [X.] sei aufgrund der Regelung des § 117 Abs. 1 Satz 2 [X.] vorliegend nicht unmittelbar anwendbar. Auch die [X.] in § 1 Abs. 3 und Abs. 4 der jeweiligen Tarifverträge brächten § 47 [X.] nicht zur Anwendung. Eine solche Bezugnahme wäre wegen Überschreitung der Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien auch unwirksam, da diese den Geltungsbereich der Tarifverträge auf das [X.] bzw. das Kabinenpersonal beschränkt hätten und damit keine Gesamtvertretung unter Einbeziehung weiterer Beschäftigter durch diese Tarifverträge regeln könnten.

Mit diesen Argumenten des [X.]s setzt sich die Rechtsbeschwerdebegründung hinreichend auseinander. Sie führt anhand der einzelnen Kriterien aus, weshalb die Auslegung der Tarifverträge durch das [X.] fehlerhaft sei und die Tarifvertragsparteien ihre Regelungskompetenz nicht überschritten hätten. Beide Tarifverträge hätten die Option eröffnet, einen Gesamtbetriebsrat zu gründen. Durch das Zusammenspiel der Tarifverträge werde die Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien nicht überschritten. Aus § 117 Abs. 2 Satz 2 [X.] ergebe sich, dass zumindest ein Verweis auf die Regeln des [X.] - und damit auch auf § 47 [X.] - zulässig sein müsse.

II. [X.] ist begründet. Das [X.] durfte über die Anträge nicht in der Sache entscheiden, weil das Verfahren vor dem [X.] mangels Verkündung eines Beschlusses noch nicht abgeschlossen ist. Tatsächlich handelt es sich bei dem „Beschluss“ des [X.]s lediglich um einen Beschlussentwurf. Die bisher ergangenen Entscheidungen waren aufzuheben. Die Sache war zur Anhörung und Entscheidung über die Anträge an das [X.] zurückzuverweisen.

1. Der „Beschluss“ des [X.]s ist nicht verkündet worden.

a) Nach § 84 Satz 3 iVm. § 60 ArbGG sind arbeitsgerichtliche Beschlüsse zu verkünden. Dies gilt auch dann, wenn nach § 83 Abs. 4 Satz 3 ArbGG ohne mündliche Anhörung der Beteiligten entschieden worden ist (GMP/Spinner 10. Aufl. § 84 Rn. 16; [X.]/[X.]/[X.] ArbGG 5. Aufl. § 84 Rn. 5; [X.]/Poeche Stand 1. März 2022 ArbGG § 84 Rn. 10; vgl. auch [X.] 10. Juni 2020 - 4 [X.] 739/20 - zu II 1 der Gründe). § 83 Abs. 4 Satz 3 ArbGG lässt lediglich eine Ausnahme von der mündlichen Anhörung, nicht jedoch von der Verkündung zu. Soll ohne mündliche Anhörung entschieden werden, ist ein Beratungstermin zu bestimmen und die Entscheidung im [X.] an diesen zu verkünden (GMP/Spinner 10. Aufl. § 84 Rn. 16; GK-ArbGG/[X.] Stand Juni 2022 § 84 Rn. 16; [X.]/[X.]/[X.] ArbGG 5. Aufl. § 84 Rn. 5 ).

Die Verkündung eines instanzbeendenden Beschlusses hat immer in öffentlicher Sitzung zu erfolgen, § 84 Satz 3 iVm. § 60 ArbGG, § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG. Ein instanzbeendender Beschluss wird erst durch diese förmliche Verlautbarung mit allen prozess[X.]len und materiell-rechtlichen Wirkungen existent. Solange die Entscheidung noch nicht verkündet wurde, liegt rechtlich nur ein - allenfalls den Rechtsschein einer Endentscheidung erzeugender - Entscheidungsentwurf vor (vgl. zur Urteilsverkündung: [X.] 23. März 2021 - 3 [X.] - Rn. 20; 14. Oktober 2020 - 5 [X.] 712/19 - Rn. 9 mwN, [X.]E 172, 372).

Die Entscheidung des [X.]s, ob der erstinstanzliche „Beschluss“ verkündet oder auf andere Weise verlautbart worden ist, ist im Rahmen der Rechtsbeschwerde vollumfänglich überprüfbar. Nach § 92 Abs. 1 Satz 1 ArbGG findet die Rechtsbeschwerde gegen den das Verfahren beendenden Beschluss des [X.]s statt; die Beschwerde findet gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG gegen das Verfahren beendende Beschlüsse der [X.]e statt. Die Zulässigkeit der Beschwerde ist Prozessvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Beschwerde und deshalb vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen (vgl. [X.] 24. März 2021 - 7 [X.] - Rn. 19 mwN). Nicht nur die fehlende Verkündung ist von Amts wegen zu beachten (vgl. zum Urteilsverfahren [X.] 23. März 2021 - 3 [X.] - Rn. 28), sondern auch die Frage, ob eine das Verfahren beendende Entscheidung vorliegt. Das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen muss grundsätzlich in der Revisions- bzw. [X.] geprüft und ermittelt werden (vgl. zum Urteilsverfahren [X.] 6. Juni 2007 - 4 [X.] 411/06 - Rn. 21, [X.]E 123, 46).

b) Der „Beschluss“ des [X.]s ist nach den Feststellungen des [X.]s nicht verkündet worden. Es ist lediglich ein Beratungstermin und kein Termin zur Verkündung der Entscheidung anberaumt worden. Ein Protokoll über eine Verkündung liegt nicht vor. Den Akten sind auch sonst keine Anhaltspunkte für eine etwaige Verkündung zu entnehmen.

2. Der „Beschluss“ des [X.]s wurde auch nicht auf andere Art und Weise wirksam verlautbart.

a) Nach der Rechtsprechung des [X.] und des [X.] stehen [X.]mängel dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde, so dass von einer Verlautbarung im Rechtssinne nicht mehr gesprochen werden kann. Sind deren Mindestanforderungen hingegen gewahrt, hindern auch Verstöße gegen zwingende Formerfordernisse das Entstehen eines wirksamen Urteils nicht ([X.] 8. März 2022 - 3 [X.] 361/21 - Rn. 13; 23. März 2021 - 3 [X.] - Rn. 26; 14. Oktober 2020 - 5 [X.] 712/19 - Rn. 13, [X.]E 172, 372; [X.] 11. Febr[X.]r 2022 - [X.]/21 - Rn. 11; 27. Oktober 2016 - [X.]/16 - Rn. 5).

Zu den Mindestanforderungen gehört, dass die Verlautbarung von dem Gericht beabsichtigt war oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet wurden ([X.] 23. März 2021 - 3 [X.] - Rn. 26; 14. Oktober 2020 - 5 [X.] 712/19 - Rn. 13, [X.]E 172, 372; [X.] 11. Febr[X.]r 2022 - V ZR 15/21 - Rn. 11; 27. Oktober 2016 - [X.]/16 - Rn. 5; 12. März 2004 - [X.]/03 - zu II 1 b der Gründe). An sich mit dem Wesen der Verlautbarung vereinbar ist eine Bekanntgabe des Urteils durch Zustellung statt durch Verkündung in öffentlicher Sitzung, da dies eine gesetzlich vorgesehene - wenn auch den in § 310 Abs. 3 ZPO aufgeführten Urteilen vorbehaltene - Verlautbarungsform erfüllt. Wird ein unter § 310 Abs. 1 ZPO fallendes Urteil den Parteien an [X.] statt förmlich zugestellt, liegt deshalb kein Verstoß gegen unverzichtbare Formerfordernisse vor, sondern ein auf die Wahl der Verlautbarungsart beschränkter Verfahrensfehler ([X.] 12. September 2019 - [X.] - Rn. 15; 27. Oktober 2016 - [X.]/16 - Rn. 5; 12. März 2004 - [X.]/03 - zu II 1 b der Gründe; vgl. [X.] 2. September 1965 - 5 [X.] 24/65 - zu I 3 der Gründe, [X.]E 17, 286).

b) Danach steht vorliegend der [X.]mangel dem wirksamen Erlass des „Beschlusses“ entgegen. Es ist nicht ersichtlich, dass seine Verlautbarung durch Zustellung vom Gericht beabsichtigt war. Der „Beschluss“ wurde nicht dadurch wirksam verlautbart, dass der Vorsitzende der Kammer dessen Übersendung an die Parteien selbst verfügt hat, so dass sein Wille, die Entscheidung zu erlassen, außer Frage stünde (vgl. [X.] 14. Oktober 2020 - 5 [X.] 712/19 - Rn. 14, [X.]E 172, 372; [X.] 12. März 2004 - V ZR 37/03 - zu II 1 b der Gründe). Eine solche richterliche Verfügung befindet sich nicht in den Akten.

Der „Laufzettel“ und damit die Schlussverfügung der Geschäftsstelle können die richterliche Verfügung nicht ersetzen, weil diese nicht den Willen des Richters dokumentieren, die Entscheidung der Kammer nach außen kundzutun (vgl. [X.] 8. März 2022 - 3 [X.] 361/21 - Rn. 14; 23. März 2021 - 3 [X.] - Rn. 27; 14. Oktober 2020 - 5 [X.] 712/19 - Rn. 14, [X.]E 172, 372). Im Übrigen befindet sich in der Akte zwar ein Laufzettel zum Verfahren, ausweislich dessen der „Beschluss“ am 25. Juni 2020 zur Geschäftsstelle gelangt, an diesem Tag zur Kanzlei gegeben worden, geschrieben und formatiert sowie dem Vorsitzenden zur Unterschrift vorgelegt worden ist. Die weiteren im Laufzettel aufgeführten Punkte sind aber nicht ausgefüllt. Das gilt insbesondere auch für die Zeile, in der einzutragen ist, wann ein Beschluss unterschrieben zur Geschäftsstelle gelangt ist. Auf dem Laufzettel befindet sich im unteren Bereich lediglich die Verfügung der Bediensteten der Geschäftsstelle vom 25. Juni 2020 zur Zustellung des Beschlusses an die Beteiligten zu 1. bis 5. sowie der von ihr am 1. Juli 2020 abgezeichnete Vermerk, dass die Zustellung ausgeführt worden sei.

3. Die Zustellung des „Beschlusses“ durfte von den Beteiligten auch nicht derart verstanden werden, dass die Verlautbarung auf diesem Wege anstelle einer Verkündung in öffentlicher Sitzung von dem Gericht beabsichtigt war. Zwar wurden die Beteiligten durch die Zustellung des „Beschlusses“ über diesen förmlich unterrichtet. Die Vorgehensweise des Gerichts konnte von den Parteien aber nicht derart verstanden werden, dass die Entscheidung mit Wissen und Wollen der Kammer verlautbart worden ist. Dies hat das [X.] verkannt.

a) Das [X.] führt an, dass der Vorsitzende offenkundig gemeint habe, dass die Entscheidung im schriftlichen Verfahren keiner Verkündung bedürfe und er deshalb weder einen [X.] noch einen [X.]termin bestimmt habe. Im Tenor des Beschlusses heiße es ausdrücklich „ohne Anhörung der Beteiligten“. Für die Beteiligten sei deshalb klar ersichtlich gewesen, dass das Gericht nach der Beratung keinen weiteren [X.]termin für erforderlich gehalten habe, sondern den Beschluss durch Zustellung verlautbaren wollte.

b) Die bloße Nichtanberaumung eines Anhörungstermins sagt jedoch nichts darüber aus, ob ein Gericht meint, es bedürfe keiner Verkündung, wenn im schriftlichen Verfahren entschieden werden soll. Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick auf die Mitteilung des Beratungstermins. Eines solchen Hinweises bedarf es zwar nicht ohne Weiteres, wenn ohnehin noch ein [X.]termin anberaumt werden soll. Der Hinweis auf den Beratungstermin kann aber auch den Zweck verfolgen, die Beteiligten darüber zu informieren, bis zu welchem Zeitpunkt die Kammer bei ihrer Entscheidung noch weiteren Vortrag wird berücksichtigen können. Beratungs- und Entscheidungstermin müssen nicht zwingend zusammenfallen. Auch wenn eine Anhörung stattfindet, kann es dazu kommen, dass eine Entscheidung nicht im [X.], also am Ende der Sitzung verkündet, sondern ein gesonderter [X.]termin anberaumt wird.

Ebenso wenig konnten die Beteiligten allein aus der Ausführung im „Beschluss“, wonach die Kammer nicht auf eine mündliche Anhörung, sondern ohne Anhörung am 25. Juni 2020 ihre Entscheidung getroffen hat, entnehmen, der zugestellte Beschluss sei nicht nur ein Entwurf, sondern die mit Wissen und Wollen des Gerichts verlautbarte Entscheidung. Die Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne Anberaumung eines Anhörungstermins besagt nicht, dass die zu treffende Entscheidung nach der Beratung der Kammer nicht verkündet wird. Das Gesetz sieht gerade vor, dass die Entscheidung ohne Anhörungstermin getroffen werden kann und gleichwohl verkündet werden muss.

4. Die mangelnde Verkündung ist auch nicht durch den durch die Beteiligten im Beschwerdeverfahren erklärten Verzicht auf eine entsprechende Rüge geheilt worden. Der fehlende Wille der Beteiligten, den Mangel der Verkündung zu rügen, ist unerheblich (vgl. [X.] 23. März 2021 - 3 [X.] - Rn. 28). Eine Heilung kann nicht durch den übereinstimmenden Willen der Parteien, den Mangel in der Rechtsmittelinstanz nicht zu rügen, eintreten. Auf Verfahrensrügen kann nur verzichtet werden, wenn die Parteien bzw. die Beteiligten auf die Befolgung der maßgeblichen Vorschrift wirksam verzichten können (§ 295 Abs. 2 ZPO). Bei einer fehlenden Verkündung ist dies nicht der Fall. Die Parteien bzw. die Beteiligten können durch einen Rügeverzicht einen [X.] nicht zum Urteil bzw. einen Beschlussentwurf nicht zu einem Beschluss machen und der Rechtsmittelinstanz eine Grundlage zur Tätigkeit in der Sache verschaffen (vgl. [X.] 23. März 2021 - 3 [X.] - Rn. 28; zust. [X.] ZPO/[X.] Stand 1. Juli 2022 ZPO § 310 Rn. 68; im Ergebnis auch [X.]/[X.] 23. Aufl. § 310 Rn. 4). Die fehlende Verkündung ist von Amts wegen zu beachten und kann nicht durch unterlassene Rüge geheilt werden (vgl. [X.] 23. März 2021 - 3 [X.] - Rn. 28; GMP/Schleusener 10. Aufl. § 60 Rn. 27).

5. Das Verfahren war unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen an das [X.] zurückzuverweisen. Eine solche Zurückverweisung durch das [X.] ist - ausnahmsweise - zulässig, wenn schon das [X.] die Sache an das [X.] hätte zurückverweisen müssen (st. Rspr., vgl. [X.] 23. März 2021 - 3 [X.] - Rn. 33 mwN). Eine nach § 87 Abs. 2 Satz 1, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 528 ZPO der Überprüfung durch das Beschwerdegericht unterliegende erstinstanzliche Entscheidung war nicht ergangen.

a) Da der „Beschluss“ des [X.]s nicht wirksam verkündet worden ist, kann er keine rechtliche Wirkung erzeugen, gleichwohl aber zur Beseitigung des mit ihm verbundenen [X.] mit der Beschwerde angefochten werden (vgl. [X.] 23. März 2021 - 3 [X.] - Rn. 29 f.; 14. Oktober 2020 - 5 [X.] 712/19 - Rn. 15 mwN, [X.]E 172, 372). Das [X.] hätte auf die danach statthafte Beschwerde der Beteiligten zu 2. bis 4. den arbeitsgerichtlichen „Beschluss“ aufheben und den Rechtsstreit ausnahmsweise an das [X.] zurückverweisen müssen. Eine eigene Sachentscheidung war dem [X.] grundsätzlich verwehrt (vgl. [X.] 23. März 2021 - 3 [X.] - Rn. 30; 14. Oktober 2020 - 5 [X.] 712/19 - Rn. 16, aaO). Einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] wegen eines Mangels im Verfahren steht § 68 ArbGG nicht entgegen, weil ein Verfahrensfehler vorliegt, der in der Beschwerdeinstanz nicht korrigiert werden kann. Das [X.] konnte die im ersten Rechtszug unterbliebene Entscheidungsverkündung nicht selbst vornehmen (vgl. [X.] 23. März 2021 - 3 [X.] - Rn. 31; 14. Oktober 2020 - 5 [X.] 712/19 - Rn. 17, aaO; 20. Febr[X.]r 2014 - 2 [X.] 248/13 - Rn. 28 f. mwN, [X.]E 147, 227).

b) Der Rechtsstreit ist unter Aufhebung der beiden vorinstanzlichen Entscheidungen und auch unter Aufhebung des Verfahrens (§ 92 Abs. 2 Satz 1, § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 562 Abs. 2 ZPO) ab dem Zeitpunkt, als die Beteiligten mit Beschluss vom 18. März 2020 aufgefordert worden waren mitzuteilen, ob sie mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden sind, zur neuen Anhörung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen. Es bedarf grundsätzlich auch der Durchführung einer Anhörung vor dem [X.]. Aufgrund der bisher unterbliebenen Verkündung des „Beschlusses“ sind die Beteiligten zwischenzeitlich an ihr nach § 83 Abs. 4 Satz 3 ArbGG erteiltes Einverständnis nicht mehr gebunden. Das [X.] hat im Beschluss vom 18. März 2020 ausdrücklich auf die Gesundheitsrisiken im Sitzungsbetrieb hingewiesen, welche heute ggf. nicht mehr in gleicher Weise bestehen. Im Übrigen muss bei der Entscheidung im schriftlichen Verfahren - auch wenn § 83 Abs. 4 Satz 3 ArbGG anders als § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO keine feste Frist für die Verkündung der Entscheidung vorsieht - die Entscheidung alsbald nach der Zustimmung der Beteiligten verkündet werden (vgl. GMP/Spinner 10. Aufl. § 83 Rn. 116).

III. Der Senat kann keine Hinweise zur materiellen Rechtslage erteilen. Solche Hinweise des [X.] an die Vorinstanz sind nur dann angezeigt, wenn diese prozess[X.]l daran gebunden ist (vgl. § 92 Abs. 2 Satz 1, § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 563 Abs. 2 ZPO). Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil mangels Abschlusses des Verfahrens vor dem [X.] zum Zeitpunkt der Entscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren das rechtliche Prüfprogramm für den Senat nicht feststeht (vgl. zum Urteilsverfahren [X.] 14. Oktober 2020 - 5 [X.] 712/19 - Rn. 21, [X.]E 172, 372).

        

    Klose    

        

    Waskow     

        

    Hamacher    

        

        

        

    Schuh    

        

    Meißner    

                 

Meta

7 ABR 3/21

17.08.2022

Bundesarbeitsgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Düsseldorf, 25. Juni 2020, Az: 10 BV 26/20, Beschluss

§ 47 Abs 1 BetrVG, § 117 BetrVG, § 83 Abs 4 S 3 ArbGG, § 1 TVG, § 60 ArbGG, § 310 Abs 3 ZPO, § 310 Abs 1 ZPO, § 128 Abs 2 S 3 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.08.2022, Az. 7 ABR 3/21 (REWIS RS 2022, 7666)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7666 MDR 2023, 319-320 REWIS RS 2022, 7666 NJW 2023, 540 REWIS RS 2022, 7666


Verfahrensgang

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Az. 7 ABR 3/21

Bundesarbeitsgericht, 7 ABR 3/21, 17.08.2022.


Az. 10 BV 26/20

Arbeitsgericht Düsseldorf, 10 BV 26/20, 25.06.2020.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
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Zitiert

7 ABR 41/20

V ZR 15/21

3 AZR 224/20

IX ZR 262/18

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