Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.11.2003, Az. 2 StR 291/03

2. Strafsenat | REWIS RS 2003, 546

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Nachschlagewerk: ja, zu 2.[X.]St: ja, zu 2.[X.]R: ja, zu [X.]: ja, zu 2.StGB § 66 Abs. 4 Satz 3, [X.] einer Verwahrung im Sinne des § 66 Abs. 4 Satz 4 StGB ist Verbüßung [X.] auch dann anzusehen, wenn das Verfahren, in welchem sie [X.] wurde, nicht zu einer Verurteilung geführt hat und der Angeklagte für dieerlittene Untersuchungshaft entschädigt wurde.[X.], Urteil vom 26. November 2003 - 2 [X.] - LG KölnBUNDESGERICHTSHOFIM NAMEN DES VO[X.]ESURTEIL2 [X.]vom26. November 2003in der [X.] [X.] 3 -Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom [X.] 2003, an der teilgenommen haben:Vorsitzende [X.]in am [X.] Dr. [X.],die [X.]in am [X.] Dr. [X.],die [X.] am [X.] Rothfuß, Prof. Dr. [X.]und die [X.]in am [X.] Roggenbuck als beisitzende [X.],[X.] in der Verhandlung,Staatsanwältin bei der Verkündung als Vertreter der [X.]schaft,Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 4 -1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 10. April 2003 wird verworfen.2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und dieder Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen [X.] zu tragen.Von Rechts wegenGründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einerFreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Siche-rungsverwahrung angeordnet. Seine auf Verfahrensrügen und die Sachrügegestützte Revision ist [X.] Die Verfahrensrügen greifen nicht durch. Hierzu ist nur folgendesauszuführen:a) Die Rüge nach § 338 Nr. 1 StPO wegen vorschriftswidriger [X.] ist nicht begründet. Die Entscheidung, daß die Strafkammer inder Hauptverhandlung mit nur zwei Berufsrichtern besetzt sein soll, begründetdie Revision nur dann, wenn sie sich als objektiv willkürlich darstellt ([X.]St44, 328, 333 f.). Hiervon kann vorliegend keine Rede sein, denn die Sachewies weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht besondere, überdurch-schnittliche Schwierigkeiten auf, welche die Beteiligung eines dritten Berufs-richters nahelegten. Der Umstand allein, daß die Anordnung einer Maßregel- 5 -gemäß § 66 StGB in Betracht kam, stand einer Entscheidung nach § 76 Abs. 2GVG nicht entgegen.b) Die Rüge nach § 338 Nr. 5 StPO in Verbindung mit § 247 StPO er-weist sich gleichfalls im Ergebnis als unbegründet. Zwar durfte die Entschei-dung des Vorsitzenden, die Zeugin M. gemäß § 61 Nr. 2 StPO nicht zu vereidi-gen und vorläufig zu entlassen, grundsätzlich nicht in Abwesenheit des gemäߧ 247 Satz 1 StPO aus dem Sitzungssaal entfernten Angeklagten erfolgen. [X.] hat der [X.] aber darauf hingewiesen, daß es [X.] des hier gegebenen besonderen Verfahrensablaufs insoweit nichtum einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung handelte: Der [X.] zuvor den Angeklagten in Abwesenheit der Zeugin über den wesentlichenInhalt ihrer Aussage unterrichtet und sodann mitgeteilt, er beabsichtige, [X.] gemäß § 61 Nr. 2 StPO nicht zu vereidigen und sie vorläufig zu [X.]. Hierzu gab er dem Angeklagten und dessen Verteidiger rechtliches [X.]; Anträge wurden nicht gestellt. Die anschließend - wieder in [X.] Angeklagten und in Anwesenheit der Zeugin - entsprechend erklärte undprotokollierte Verfügung stellte sich daher als bloßer Vollzug der zuvor getrof-fenen Entscheidungen des Vorsitzenden [X.]) Die Rüge einer Verletzung des § 265 StPO ist im Ergebnis unbegrün-det. Zwar konnte daraus, daß die Anklageschrift, in der Liste der anzuwenden-den Vorschriften nur "§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB" aufführte, nicht schon auf eineAnwendung des § 66 Abs. 1 StGB geschlossen werden, weil § 66 StGB auch inseinen Absätzen 2 und 3 auf die materielle Voraussetzung des Abs. 1 Nr. 3verweist. Auch wenn hier ein klarstellender rechtlicher Hinweis erforderlich ge-wesen und rechtsfehlerhaft unterblieben wäre, könnte aber ein Beruhen [X.] auf diesem Fehler, wie der [X.] zutreffend ausgeführt- 6 -hat, sicher ausgeschlossen werden. Am 5. Hauptverhandlungstag hat der [X.], wie die Revision zutreffend vorträgt, in einem [X.] mitdem Verteidiger in der Hauptverhandlung "die Voraussetzungen der Siche-rungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB erörtert" ([X.]). [X.] daher für den Angeklagten und seinen Verteidiger offenkundig, daß dieAnwendung des § 66 Abs. 1 StGB in Betracht kam. Der Angeklagte hätte sich,wenn ein Hinweis gemäß § 265 StPO ergangen wäre, nicht anders als gesche-hen verteidigen [X.] Auch die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge ergibt kei-nen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten. Zu erörtern ist hier allein die vonder Revision angegriffene Anordnung der Sicherungsverwahrung, namentlichdie Anwendung des § 66 Abs. 4 Satz 4 StGB in Verbindung mit den formellenVoraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB. Insoweit hat das[X.] folgendes festgestellt:a) Wegen im Oktober und November 1986 begangener Taten wurde der- bereits vielfach vorbestrafte - Angeklagte am 9. März 1988 wegen [X.] in Tateinheit mit Zuhälterei, Förderung der Prostitution in [X.] mit versuchter Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger und we-gen Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zweiJahren und neun Monaten verurteilt; die Einsatzstrafe betrug zwei Jahre undsechs Monate. Die Strafe wurde - nach Widerruf der [X.] Bewährung - bis zum 19. Dezember 1994 vollständig verbüßt.Durch Urteil vom 24. April 1991 wurde der Angeklagte wegen einer am9. Mai 1990 begangenen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jah-ren verurteilt, die er bis zum 29. August 1996 verbüßte. Die vorliegend [X.] beging er am 20. Juni 2002. Vom 4. bis 30. November 1997,- 7 -vom 5. März 1999 bis 2. Februar 2000 und vom 13. bis 25. Mai 2000 befandsich der Angeklagte in drei verschiedenen Verfahren in Untersuchungshaft. Indem zweiten dieser Verfahren wurde er vom [X.] [X.] dritte Verfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt; in beidenFällen wurde der Angeklagte für die erlittene Untersuchungshaft entschädigt.b) Das [X.] hat gesehen, daß, wenn die Haftzeiten des Ange-klagten unberücksichtigt blieben, die Voraussetzungen des § 66 Abs. 4 Satz 3StGB gegeben wären und daß die dort genannte [X.] der sog.Rückfallverjährung hier auch dann abgelaufen wäre, wenn gemäß § 66 Abs. 4Satz 4 StGB (allein) die Verbüßung von Strafhaft nicht eingerechnet würde. [X.] die Frist nicht einzurechnen hat es aber auch die Zeiten der Freiheitsentzie-hung durch Untersuchungshaft angesehen; dem Umstand, daß die [X.] nicht zu Verurteilungen führten, hat es im Hinblick auf Wortlaut undSinn der Vorschrift keine Bedeutung beigemessen. Hiergegen wendet sich [X.] unter Hinweis auf die von [X.] in [X.], 11. Aufl., § 66 Rdn. 40 ver-tretene Ansicht, von der [X.] seien nur solche Zeiten einer Verwah-rung in Abzug zu bringen, die der Angeklagte "durch sein Verhalten zu vertre-ten" habe; einem später freigesprochenen Angeklagten solle nicht angelastetwerden, daß er in Untersuchungshaft nicht in gleichem Maße Gelegenheithatte sich zu bewähren wie bei einem Leben in Freiheit (ebenso Horn in [X.], § 66 Rdn. 9; zweifelnd [X.]/[X.] 51. Aufl. § 66 Rdn. 15). Der [X.] hat die Frage, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden.c) Die Anwendung des § 66 Abs. 4 Satz 4 StGB durch das [X.]ist rechtsfehlerfrei. Als Zeit einer Verwahrung im Sinne des § 66 Abs. 4 Satz 4StGB ist Verbüßung von Untersuchungshaft auch dann anzusehen, wenn das- 8 -Verfahren, in dem sie angeordnet wurde, nicht zu einer Verurteilung geführt [X.] der Angeklagte für die erlittene Untersuchungshaft entschädigt wurde.aa) Aus dem Wortlaut des § 66 Abs. 4 Satz 4 StGB ergibt sich eindeutig,daß die Nichtanrechnung von [X.] auf die Frist des § 66 Abs. 4Satz 3 StGB nicht daran zu knüpfen ist, ob der Verwahrung ein [X.] zugrunde lag. Als behördliche Unterbringung in einer Anstalt ist [X.] seit jeher auch die Unterbringung im Maßregelvollzug ([X.]/[X.]§ 66 Rdn. 15), eine einstweilige Unterbringung nach § 126 a StPO ([X.]/[X.], 26. Aufl., § 66 Rdn. 69) sowie Freiheitsentzug nach landes-rechtlichen Unterbringungsgesetzen ([X.] in [X.] § 66 Rdn. 39) [X.]. Auf ein Verschulden an dem zu der Anordnung führenden [X.] es nicht an; gleichermaßen nicht darauf, ob die Anordnung materiellrechtmäßig gewesen ist ([X.] NJW 1969, 1678 zu § 20 a a.F. StGB; vgl. auch[X.]St 24, 62, 63 zu § 17 Abs. 4, § 48 a.F. StGB). Eine Ausnahme hiervon hatder [X.] in [X.]St 7, 160 für Fälle willkürlichen, offenkundigrechtsstaatswidrigen Freiheitsentzugs durch staatliche Organe anerkannt, weilhierin eine "behördliche Anordnung" nicht gesehen werden könne (Verwahrungim Konzentrationslager; zu § 20 a.F. StGB). Soweit sich die Revision auf dieseEntscheidung beruft, geht sie fehl, weil der zugrunde liegende Sachverhalt sichoffensichtlich unterscheidet. Die rechtsstaatlich unbedenkliche Anordnung [X.] aufgrund dringenden Tatverdachts ist auch dann keineWillkürmaßnahme, wenn sich in dem - durch die Untersuchungshaft gesicher-ten - Ermittlungsverfahren die Unschuld des Beschuldigten erweist; der [X.] auf Entschädigung gemäß § 2 Abs. 1 StrEG richtet sich seiner Naturnach nicht auf Schadensersatz wegen rechtswidriger Freiheitsberaubung, son-dern ist ein Aufopferungsanspruch im Hinblick auf ein durch ein Gericht recht-- 9 -mäßig angeordnetes, wenn auch vom Beschuldigten unveranlaßtes Sonder-opfer (vgl. [X.]Z 72, 302).bb) Das [X.] wird, wie das [X.] zutreffend hervor-gehoben hat ([X.] f.), auch durch den Regelungszweck des § 66 Abs. 4Satz 3 und 4 StGB gestützt. Die Unterbringung in der [X.] § 66 StGB ist ihrem Wesen nach keine "Zusatzstrafe" oder Strafschär-fung für Rückfalltäter, sondern eine der zukünftigen Gefährlichkeit des Ange-klagten entgegenwirkende Maßregel. Daher bezieht sich die Regelung des§ 66 Abs. 4 Satz 3 StGB, deren verbreitete Bezeichnung als "Rückfallverjäh-rung" wegen der Anknüpfung an den früheren § 48 StGB insoweit miß-verständlich sein kann, in [X.] nicht auf eine durch schnellen Rückfallbelegte höhere Schuld bei der Begehung der [X.], sondern auf die nach§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu stellende Prognose zukünftiger Gefahr für die [X.]. Das Gesetz geht davon aus, daß eine prognostische Verwertungfrüherer Taten dann grundsätzlich ausscheidet, wenn der Angeklagte zwischenihnen und der jeweils nachfolgenden Tat fünf Jahre in Freiheit gelebt hat, [X.] weitere gravierende Straftat zu begehen. Die dem zugrunde liegende [X.] Vermutung ist der Sache nach naheliegend und entspricht den [X.] an die Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Maßregel nach § 66StGB.Entgegen der in der Literatur vertretenen Ansicht geht es daher bei [X.] des § 66 Abs. 4 Satz 4 StGB nicht darum, dem Angeklag-ten eine Zeit, die er auf behördliche Anordnung in einer freiheitsentziehendenAnstalt verbracht hat, bei der [X.] "anzulasten" (in diese Richtung[X.] in [X.] § 66 Rdn. 40; ähnlich [X.] in [X.] § 66 Rdn. 60). Die Verwah-rungszeit ergibt für ihn entgegen dieser Ansicht keinen Nachteil hinsichtlich der- 10 -Prognose; die Frist der eine negative Gefährlichkeitsprognose zwingend aus-schließenden "Verjährung" läuft unter Ausschluß von [X.] viel-mehr auch dann weiter, wenn etwa mehrere Anordnungen der [X.] jeweils zu Verurteilungen führten. Die gesetzliche Vermutung, daß jemand,der sich auf behördliche Anordnung in freiheitsentziehender Verwahrung [X.], keine oder nur eingeschränkte Gelegenheit hat, Anreizen zu neuen schwe-ren Straftaten zu widerstehen und daher Anlaß für die Verneinung der Progno-se seiner Gefährlichkeit in Freiheit zu geben, ist sachgerecht. Würde Untersu-chungshaft, die nicht zur Verurteilung führt, im Hinblick auf die Legalbewäh-rung einer in Freiheit verbrachten Zeit gleichgestellt, so würde daher hierdurchnicht ein "Nachteil" ausgeglichen, sondern dem Beschuldigten ein vom [X.] nicht getragener Vorteil zuteil, weil ein Zeitraum, in welchem er seineRechtstreue gerade nicht oder nur erheblich eingeschränkt unter Beweis stel-len konnte, so gewertet würde, als habe er dies getan. Eine solche Auslegungmüßte zu offensichtlichen Widersprüchen zu Unterbringungen aus Anlaß sons-tigen schuldlosen Verhaltens führen. Es würde überdies zu erheblichen prakti-schen Schwierigkeiten und unvertretbaren Verfahrensverzögerungen führen,wenn die Beurteilung der formellen Voraussetzungen des § 66 StGB etwa vomErgebnis von Rechtsmittel- oder Wiederaufnahmeverfahren abhinge, in [X.] vollzogen wurde. Der Senat ist daher mit dem [X.]der Ansicht, daß in die [X.] des § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB nur solcheZeiten einzurechnen sind, in denen der Angeklagte die tatsächliche Möglichkeithatte, sich in Freiheit zu bewähren. Auf ein Verschulden des Angeklagten aneiner behördlich angeordneten Verwahrungszeit, in welcher diese tatsächlicheMöglichkeit nicht bestand, kommt es nicht an.c) Das [X.] hat daher die formellen Voraussetzungen der Anord-nung gemäß § 66 Abs. 1 StGB zutreffend bejaht, weil der in [X.] zwischen den Taten nicht mehr als fünf Jahre betrug. Die [X.] im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB sowie der Prognose der- 12 -Gefährlichkeit des Angeklagten aufgrund der sorgfältigen, durch das Gutachtendes Sachverständigen gestützten Gesamtwürdigung des [X.]s läßt ei-nen Rechtsfehler nicht erkennen.[X.] [X.] Rothfuß [X.]Ri'in[X.] Roggenbuckist wegen Urlaubs an [X.] gehindert [X.]

Meta

2 StR 291/03

26.11.2003

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.11.2003, Az. 2 StR 291/03 (REWIS RS 2003, 546)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 546

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