Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.03.2015, Az. 2 StR 400/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 14564

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Gegenstand

Griff des Täters an den entblößten Penis des Geschädigten: Körperverletzung und sexuelle Nötigung mit Gewalt


Tenor

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 2. Juni 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall II. 2. der Urteilsgründe freigesprochen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Erwerbs jugendpornographischer Schriften in drei Fällen und wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Von dem Vorwurf der Vergewaltigung bzw. der sexuellen Nötigung ([X.] der Urteilsgründe [Fall 1 der Anklage]) hat ihn das [X.] aus rechtlichen Gründen und von einem weiteren Anklagevorwurf aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen den aus rechtlichen Gründen vorgenommenen Freispruch richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des [X.], die jeweils die Verletzung materiellen Rechts rügen; der Nebenkläger rügt zudem die Verletzung formellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2

1. Nach den zu [X.] der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen hielt sich der zum Tatzeitpunkt 15-jährige Nebenkläger in der Wohnung des Angeklagten auf. Er begab sich in das Badezimmer, zog dort seine Hose und Unterhose herunter und urinierte in die Toilettenschüssel. Der Angeklagte stand plötzlich unmittelbar hinter dem Nebenkläger, umfasste mit seiner linken Hand den entblößten Penis und "drückte einmal kurz zu, um sich hierdurch sexuelle Erregung zu verschaffen". Durch das [X.] empfand der Nebenkläger "für einen kurzen Augenblick leichte Schmerzen". Sodann "zog der Angeklagte derart am Glied des [X.], dass sich dieser - wie vom Angeklagten beabsichtigt - mit seinem Körper nach links umdrehen musste". Der Angeklagte ließ nunmehr den Penis los, hockte sich vor den Nebenkläger und führte kurzzeitig den Oralverkehr aus. Der Nebenkläger drehte sich weg und beendete damit den Oralverkehr.

3

2. Das [X.] hat den Angeklagten im [X.] der Urteilsgründe aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Da die Feststellungen keine schutzlose Lage belegten, sei der Tatbestand gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht erfüllt. Eine Verurteilung gemäß § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB scheide aus, weil eine Zwangslage des [X.] nicht festgestellt werden könne. Auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) komme nicht in Betracht, weil der Angeklagte "die Schwelle zu einer üblichen [gemeint: üblen] unangemessenen Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt werden muss, nicht überschritten" habe. Bei dem von dem Nebenkläger geschilderten "leichten Schmerz" habe es sich um eine - nicht tatbestandsmäßige - geringfügige und folgenlose Beeinträchtigung des Wohlbefindens gehandelt. Zudem seien keine Verletzungsfolgen festzustellen gewesen.

II.

4

Die auf den Freispruch im [X.] der Urteilsgründe wirksam beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

5

1. Die Staatsanwaltschaft hat zwar eingangs ihrer [X.] keine Beschränkung erklärt und am Ende ihrer Ausführungen die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils im Schuld- und Strafausspruch und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt. Mit diesem umfassenden Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der [X.] nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil ausschließlich im [X.] der Urteilsgründe für fehlerhaft hält. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 [X.] (vgl. auch Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 [X.], [X.], 285 mwN) versteht der Senat daher das gesamte [X.] dahin, dass die Staatsanwaltschaft das Urteil nicht angreifen will, soweit der Angeklagte verurteilt und aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden ist.

6

2. Der Freispruch des [X.]s lässt besorgen, dass der Tatrichter einen falschen rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat.

7

a) Nach den Feststellungen verursachte der Griff des Angeklagten an den entblößten Penis des Geschädigten einen "leichten Schmerz". In diesem Fall war aber das körperliche Wohlbefinden des Geschädigten nicht nur ganz unerheblich beeinträchtigt. Dies würde für eine Verurteilung wegen Körperverletzung ausreichen auch wenn Verletzungsfolgen nicht festgestellt werden konnten (vgl. auch Senat, Urteil vom 22. November 1991 - 2 [X.], insoweit in [X.], 106 nicht abgedruckt; [X.], Beschluss vom 22. Oktober 2013 - 3 [X.], [X.], 11; [X.], StGB, 62. Aufl., § 223 Rn. 4, 6 mwN). Die recht unklaren Feststellungen des [X.]s lassen aber weder erkennen, ob der Begriff "Schmerz" hier zutreffend verwendet ist und ob er vom Geschädigten selbst verwendet oder diesem - etwa als Vorhalt - vorgegeben wurde, noch verhalten sie sich zu dem erforderlichen Vorsatz des Angeklagten.

8

b) Auch ob die Tat als sexuelle Nötigung (vgl. Senat, Urteil vom 22. November 1991 - 2 [X.], insoweit in [X.], 106 nicht abgedruckt; [X.], aaO, § 177 Rn. 104) zu bewerten ist, wird der neue Tatrichter zu entscheiden haben. Selbst wenn der Nebenkläger aufgrund des vom Angeklagten sexuell motivierten Ziehens an seinem Penis mit einer Linksdrehung seines Körpers nachgeben musste, wäre damit der Tatbestand gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht ohne Weiteres erfüllt. Denn für die Annahme einer sexuellen Nötigung "mit Gewalt" ist erforderlich, dass der Täter [X.] entfaltet, um den als ernst erkannten oder erwarteten Widerstand des Opfers gegen die Vornahme sexueller Handlungen zu überwinden (vgl. auch Senat, Beschluss vom 31. Juli 2013 - 2 [X.], [X.]R StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 17). Dass der Angeklagte eine solche Zwangswirkung erzielen wollte, ist bisher nicht belegt.

9

c) Das Urteil ist im [X.] der Urteilsgründe mit den Feststellungen aufzuheben (vgl. dazu [X.]/[X.], [X.], 57. Aufl., § 353 Rn. 15a mwN).

III.

Die - nach Auslegung - ebenfalls allein auf den Freispruch im [X.] der Urteilsgründe zulässig beschränkte Revision des [X.] hat mit der Sachrüge aus den unter [X.] ausgeführten Gründen Erfolg; auf die (unzulässige) Verfahrensrüge kommt es nicht an.

[X.]     

Ri[X.] Dr. Appl ist an
der Unterschrift gehindert.

Krehl

[X.]

Eschelbach     

     Zeng     

Meta

2 StR 400/14

04.03.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Mühlhausen, 2. Juni 2014, Az: 803 Js 57978/13 - 3 KLs jug

§ 177 Abs 1 Nr 1 StGB, § 223 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.03.2015, Az. 2 StR 400/14 (REWIS RS 2015, 14564)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 14564

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