Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.06.2011, Az. XI R 10/11

11. Senat | REWIS RS 2011, 5704

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Gegenstand

Tod des Klägers - Keine wirksame Aufnahme des Prozesses durch Vermächtnisnehmer - Mangel der Prozessführungsbefugnis


Leitsatz

1. NV: Verstirbt der Kläger während des Klageverfahrens, kann nur dessen Gesamtrechtsnachfolger, nicht aber ein Vermächtnisnehmer das Klageverfahren wirksam aufnehmen .

2. NV: Der Mangel der Prozessführungsbefugnis ist von Amts wegen und in jeder Lage des Rechtsstreits, also auch in der Revisionsinstanz, zu beachten .

Tatbestand

1

I. Streitig ist der Vorsteuerabzug aus der Neueindeckung eines asbesthaltigen Daches eines Wohnhauses im Zusammenhang mit der Installation einer Photovoltaikanlage (PV-[X.]nlage) zur Erzeugung von Strom aus solarer Strahlungsenergie.

2

Der während des Klageverfahrens verstorbene ehemalige Kläger errichtete im Jahr 2007 (Streitjahr) auf dem Dach seines Einfamilienhauses eine PV-[X.]nlage als [X.]uf-Dach-Montage-System. Mit der Einspeisung des erzeugten Stroms führte er steuerpflichtige Umsätze aus.

3

In seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat Oktober 2007 machte er u.a. den Vorsteuerabzug aus der Neueindeckung des Daches geltend. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts ([X.]) war nur die Südseite des [X.] erneuert worden, auf dem die PV-[X.]nlage montiert wurde.

4

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --F[X.]--) erkannte nach Durchführung einer [X.] diesen Vorsteuerabzug nicht an. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

5

Während des anschließenden Klageverfahrens erging am 15. Dezember 2008 ein Umsatzsteuerbescheid für 2007, mit dem wiederum der Vorsteuerabzug aus der Dacheindeckung versagt wurde.

6

Der ehemalige Kläger ist 2010 verstorben. In seinem Testament hat er seine Tochter [X.] als [X.]lleinerbin eingesetzt und das Einfamilienhaus einschließlich der PV-[X.]nlage durch ein Vermächtnis seinen beiden Enkeln zu gleichen Teilen zugewandt.

7

Sowohl die Vermächtnisnehmer als auch die [X.]lleinerbin haben gegenüber dem [X.] den Rechtsstreit gemäß § 239 der Zivilprozessordnung (ZPO) aufgenommen.

8

Das [X.] behandelte in seinem Urteil die Vermächtnisnehmer in [X.] als Klägerin und gab der Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid für 2007 statt (vgl. [X.] 2011, 338).

9

Es führte zur Begründung aus, der ehemalige Kläger habe sein Unternehmen "Stromeinspeisung durch Photovoltaik" der aus seinen beiden Enkeln bestehenden [X.] vermacht. Einer notariellen Übertragung habe es für den Eigentumsübergang an der PV-[X.]nlage nicht bedurft, da diese kein wesentlicher Grundstücksbestandteil sei, sondern ein selbstständiges Wirtschaftsgut. Dass die Übertragung der PV-[X.]nlage unabhängig vom Übergang des [X.] formlos bereits vorgenommen worden sei, ergebe sich daraus, dass die Umsatzsteuer-Voranmeldungen nunmehr von der [X.] der Enkel abgegeben würden. Da somit das Unternehmen des ehemaligen Klägers auf die [X.] der Enkel übergegangen sei, sei diese für [X.] des Unternehmens Rechtsnachfolger.

Die Klage sei begründet. Die Leistungen der Erneuerung der Dachfläche seien für das Unternehmen "Stromeinspeisung aus Photovoltaik" bezogen worden. Der Senat folge der Rechtsauffassung des [X.] Nürnberg in seinem rechtskräftigen Urteil vom 29. September 2009  2 K 784/2009 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 833).

Mit der vom [X.] zugelassenen Revision rügt das F[X.] die Verletzung von § 15 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes.

Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Das [X.] hat zu Unrecht die Gemeinschaft der Vermächtnisnehmer des ehemaligen Klägers als dessen Rechtsnachfolgerin und Klägerin angesehen.

1. Da der ehemalige Kläger während des Klageverfahrens verstorben ist, wurde das Klageverfahren gemäß § 239 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 155 [X.]O bis zur wirksamen Aufnahme durch den Rechtsnachfolger unterbrochen.

a) Mit dem Tod einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben über (§ 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--). Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung ([X.]) gehen bei der Gesamtrechtsnachfolge die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger über.

Nach ständiger Rechtsprechung tritt danach der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger in einem umfassenden Sinne sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung des Erblassers ein. Ausgenommen davon sind lediglich --hier nicht vorliegende-- höchstpersönliche Verhältnisse und unlösbar mit der Person des [X.] verknüpfte Umstände (vgl. Urteil des [X.] --BFH-- vom 13. Januar 2010 [X.], [X.], 378, [X.], 241, unter [X.], m.w.N.).

b) Der Erblasser kann zwar nach § 1939 BGB durch Testament einem anderen, ohne ihn als Erben einzusetzen, einen Vermögensvorteil zuwenden (Vermächtnis).

Bei einem Vermächtnis (§ 1939 BGB) liegt aber keine Gesamtrechtsnachfolge i.S. von § 45 [X.] und § 239 ZPO vor, da es nur einen schuldrechtlichen Anspruch des [X.] auf Übertragung einzelner Vermögensgegenstände begründet (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 1975 [X.], [X.], 254, [X.] 1975, 739; Boeker in [X.]/[X.]/[X.], § 45 [X.] Rz 18; [X.]/[X.], ZPO, 28. Aufl., § 239 Rz 10).

2. Durch den Tod des während des Klageverfahrens verstorbenen Erblassers trat deshalb die Alleinerbin A in dessen abgabenrechtliche Stellung hinsichtlich des angefochtenen [X.] für 2007 ein. Sie hätte deshalb vom [X.] als Rechtsnachfolgerin und Klägerin angesehen werden müssen.

Unerheblich ist, dass das Vermächtnis nach dem Tode des Erblassers nach Auffassung des [X.] im Jahr 2010 hinsichtlich der PV-Anlage vollzogen worden ist. Selbst wenn das Unternehmen seitdem auf die Vermächtnisnehmer übergegangen wäre, hätte dies nicht die Rechtsstellung hinsichtlich des in der Vergangenheit ergangenen [X.] für 2007 betroffen.

3. Zur Fortführung des Prozesses ist nur der Rechtsnachfolger befugt, nur er besitzt die notwendige Aktivlegitimation und Prozessführungsbefugnis (vgl. BFH-Urteil in [X.], 254, [X.] 1975, 739).

Das [X.] durfte deshalb gegen die Gemeinschaft der Vermächtnisnehmer kein Urteil in der Streitsache erlassen.

4. Der Mangel der Prozessführungsbefugnis ist von Amts wegen und in jeder Lage des Rechtsstreits, also auch in der Revisionsinstanz, zu beachten (vgl. z.B. BFH-Urteile in [X.], 254, [X.] 1975, 739; vom 3. April 2008 IV R 54/04, [X.], 495, [X.] 2008, 742, unter [X.]).

Meta

XI R 10/11

15.06.2011

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 10. Februar 2011, Az: 6 K 2607/08, Urteil

§ 155 FGO, § 239 ZPO, § 45 AO, § 1922 BGB, § 1939 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.06.2011, Az. XI R 10/11 (REWIS RS 2011, 5704)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5704

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