2. Senat | REWIS RS 2024, 9404
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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Freibetrag für das Kind eines zivilrechtlich als verstorben geltenden Elternteils
1. Der zivilrechtliche Verzicht eines Kindes gegenüber seinen Eltern auf den gesetzlichen Erbteil bewirkt nicht, dass seinem Kind --dem Enkel des Erblassers-- der Freibetrag zu gewähren ist, der im Falle des Versterbens des Kindes zu gewähren ist. Das Erbschaftsteuerrecht folgt insoweit nicht der Fiktion des Zivilrechts.
2. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Revision des [X.]gegen das Urteil des [X.]vom [X.]wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde von seinem am [X.]verstorbenen Großvater (Erblasser) testamentarisch als Erbe zu einem Viertel eingesetzt. Zuvor hatte der Vater des [X.]mit notariell beurkundetem [X.]gegenüber dem Erblasser auf sein gesetzliches Erbrecht einschließlich seines Pflichtteilsrechts verzichtet. Die Erstreckung des Erbverzichts auf weitere Abkömmlinge wurde ausgeschlossen (§ 2349 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--).
In der Erbschaftsteuererklärung für den Erbfall nach dem Erblasser beantragte der Kläger die Gewährung eines Freibetrags in Höhe von 400.000 € gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 des [X.](ErbStG) i.V.m. § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 [X.]Er war der Ansicht, dass er aufgrund der in § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB angeordneten zivilrechtlichen Vorversterbensfiktion, nach der der verzichtende Vater so behandelt wird, als würde er zur [X.]des Erbfalls nach dem Tod des Erblassers nicht mehr leben, als Kind eines verstorbenen Kindes im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]anzusehen sei.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --FA--) vertrat die Auffassung, dass dem Kläger als Kindeskind des Erblassers gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 [X.]nur ein Freibetrag in Höhe von 200.000 € zu gewähren sei und setzte entsprechend mit Bescheid vom 04.03.2021 Erbschaftsteuer fest. Der Bescheid wurde am 19.07.2021 aus im Revisionsverfahren nicht streitigen Gründen geändert.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat das Finanzgericht (FG) die Klage abgewiesen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 1118 veröffentlicht.
Mit seiner Revision macht der Kläger eine Verletzung von § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 ErbStG, § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB und Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geltend. Da bei einem Erbverzicht der Verzichtende nach § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sei, sei diesem ein Erwerb von Todes wegen oder die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen nicht mehr möglich. Es könne daher --entgegen der Auffassung des [X.]nicht zu einer doppelten Inanspruchnahme des Freibetrags gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 [X.]in Höhe von 400.000 € kommen. Nur in dem Fall, dass der verzichtende Abkömmling testamentarisch bedacht würde, wäre die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme gegeben. Dies könnte von der Finanzverwaltung aufgrund der von Amts wegen durchzuführenden Übersendung der Eröffnungsniederschrift durch das Nachlassgericht überprüft werden.
Der Wortlaut des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]stehe der Annahme, dass eine [X.]des § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB wie ein tatsächliches Vorversterben des Kindes des Erblassers behandelt werde, nicht entgegen. Das Erbschaftsteuerrecht folge den Fiktionen des Zivilrechts, wenn nicht etwas anderes ausdrücklich angeordnet sei.
Zudem spreche auch die Absicht des Gesetzgebers, das Familienvermögen für die nächste Generation zu erhalten, für eine Gewährung des höheren Freibetrags an den Enkel, wenn das Kind des Erblassers aufgrund der zivilrechtlichen Fiktion des § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB als vorverstorben gelte. Ansonsten könnte der erhöhte Freibetrag von niemandem in Anspruch genommen werden und ginge der gesamten familiären Linie verloren. Das [X.](BVerfG) habe in seinem Beschluss vom 22.06.1995 - 2 BvR 552/91 ([X.]93, 165, [X.]1995, 671) dargelegt, dass die Ausgestaltung und Bemessung der Erbschaftsteuer die Testierfreiheit wahren müsse und Sinn und Funktion des Erbrechts als Rechtseinrichtung und Individualgrundrecht nicht zunichte oder wertlos machen dürfe. Dies spreche dafür, den höheren Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]auch dem Kind eines nach § 2346 Abs. 1 Satz 1 BGB auf seinen Erbteil verzichtenden Elternteils bei Erwerb von den Großeltern zu gewähren.
Andernfalls liege eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende verfassungsrechtliche Ungleichbehandlung im Vergleich zu der Besteuerung des Erwerbs von Todes wegen bei tatsächlichem Vorversterben eines Abkömmlings des Erblassers vor, da in diesem Fall dem Enkel ein höherer Freibetrag gewährt werde. Das Ergebnis wäre, dem Enkel im vorliegenden Fall den höheren Freibetrag ohne Not zu versagen, obgleich der Vater als Abkömmling des Erblassers diesen erhöhten Freibetrag aufgrund zulässiger erbrechtlicher Gestaltung nicht erhalte.
Der Kläger beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und den Änderungsbescheid vom 19.07.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.08.2021 dahingehend zu ändern, dass die Erbschaftsteuer auf 0 € festgesetzt wird.
Das [X.]beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das [X.]hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger für den Erwerb von dem Erblasser lediglich ein Freibetrag gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 [X.]in Höhe von 200.000 € zusteht. Der zivilrechtliche Erbverzicht nach § 2346 Abs. 1 BGB durch den Vater des [X.]gegenüber dem Erblasser hat nicht bewirkt, dass der Vater des [X.]als "verstorben" im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 2 [X.]anzusehen und dem Kläger der höhere Freibetrag von 400.000 € zu gewähren ist. Ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor.
1. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 [X.]bleibt in den Fällen der unbeschränkten Steuerpflicht der Erwerb der Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 und der Kinder verstorbener Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 in Höhe von 400.000 € steuerfrei. Die Formulierung "… und der Kinder verstorbener Kinder…" ist dahingehend zu verstehen, dass die Kinder des [X.]tatsächlich verstorben sind. Die [X.]des § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB bewirkt nicht, dass das erbverzichtende Kind als "verstorbenes Kind" im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]gilt und dessen Abkömmlinge den Freibetrag in Höhe von 400.000 € erhalten (gleicher Ansicht [X.]in Kapp/Ebeling, § 16 ErbStG, Rz 8; [X.]in Daragan/Halaczinsky/Riedel, ErbStG, BewG, 4. Aufl., § 16 [X.]Rz 2; [X.]in Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 7. Aufl., § 16 [X.]Rz 8/1; Birkenbeil/Holler, Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis --ErbR-- 2022, 652, 656).
a) Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers. Der Feststellung des zum Ausdruck gekommenen objektivierten Willens des Gesetzgebers dienen die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), dem Zusammenhang (systematische Auslegung), ihrem Zweck (teleologische Auslegung) sowie den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung); zur Erfassung des Inhalts einer Norm darf sich der [X.]dieser verschiedenen Auslegungsmethoden gleichzeitig und nebeneinander bedienen. Insbesondere bei der Auslegung einer Norm aus ihrem Wortlaut ist zu berücksichtigen, dass diese nur eine von mehreren anerkannten Auslegungsmethoden ist, zu denen auch die systematische Auslegung zählt. Nach letzterer ist darauf abzustellen, dass einzelne Rechtssätze, die der Gesetzgeber in einen sachlichen Zusammenhang gebracht hat, grundsätzlich so zu interpretieren sind, dass sie logisch miteinander vereinbar sind. Ziel jeder Auslegung ist die Feststellung des Inhalts einer Norm, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (Urteil des [X.]--BFH-- vom 13.09.2023 - II R 49/21, BFHE 282, 313, [X.]2024, 566, Rz 17).
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist das [X.]zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]bei einem Erbverzicht nach § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht vorliegen.
aa) Der Wortsinn der Norm ist eindeutig. § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]spricht von "verstorbenen Kindern" und nicht von "als verstorben geltenden Kindern". Nach dem klaren Wortlaut ist dieses Tatbestandsmerkmal der Vorschrift nur dann erfüllt, wenn das Kind tatsächlich verstorben ist, nicht aber, wenn es aufgrund einer gesetzlichen Fiktion als verstorben anzusehen ist, jedoch in Wirklichkeit noch lebt (vgl. Birkenbein/Holler, [X.]2022, 652).
bb) Auch nach der systematischen Auslegung sind als gemäß § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB verstorben geltende Kinder von der Freibetragsregelung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]nicht erfasst.
(1) Die Freibeträge sind nach § 16 Abs. 1 [X.]für unbeschränkt Steuerpflichtige dergestalt aufgebaut, dass diese ausgehend von dem persönlichen Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser in Anlehnung an die Steuerklassen gestaffelt sind. Je näher das verwandtschaftliche Verhältnis ist, umso höher ist der Freibetrag. Den zweithöchsten Freibetrag nach den Ehegatten und Lebenspartnern (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG; 500.000 €) erhalten grundsätzlich Kinder und die Kinder verstorbener Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 in Höhe von 400.000 € (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Für die Enkel des [X.]hat der Gesetzgeber einen Freibetrag in Höhe von 200.000 € vorgesehen, wenn die Kinder des [X.]zum Zeitpunkt des [X.]noch leben (§ 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG).
(2) Der Aufbau des § 16 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 [X.]spricht somit dafür, dass durch die Gewährung höherer Freibeträge zunächst die Kinder des [X.]begünstigt werden sollten, da der Gesetzgeber die familiäre Verbundenheit zu den Abkömmlingen der ersten Generation als am stärksten angesehen hat. [X.]des [X.]und leben noch die direkten Abkömmlinge des Erblassers, sieht der Gesetzgeber die familiäre Verbindung als nicht mehr so eng an. Es wird aus diesem Grund ein geringerer Freibetrag gewährt. Die in § 16 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 [X.]umgesetzte Staffelung des Freibetrags zeigt, dass erst dann, wenn die direkt vorangehende Generation nicht mehr am Leben ist, die Verantwortung für das Auskommen der zweiten Generation dem Erblasser zukommt. Dem wird durch den auf 400.000 € erhöhten Freibetrag für "verwaiste Enkel" nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]Rechnung getragen.
cc) Auch der Sinn und Zweck der Regelung erfordert im vorliegenden Fall nicht die Gewährung eines höheren Freibetrags im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 ErbStG. Die Begünstigung der Kinder und der Kinder vorverstorbener Kinder nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 [X.]dient dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und verwirklicht das Familienprinzip als Grenze für das Maß der Steuerbelastung. Danach ist die familiäre Verbundenheit der nächsten Angehörigen zum Erblasser oder [X.]erbschaftsteuerrechtlich zu berücksichtigen. Der steuerliche Zugriff ist bei Familienangehörigen derart zu mäßigen, dass diesen der Nachlass zumindest zum deutlich überwiegenden Teil oder, bei kleineren Vermögen, völlig steuerfrei zugutekommt (vgl. z.B. [X.]vom 22.06.1995 - 2 BvR 552/91, [X.]93, 165, [X.]1995, 671, unter [X.]und vom 21.07.2010 - 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, [X.]126, 400, Rz 97 f.; BFH-Urteil vom 05.12.2019 - II R 5/17, BFHE 267, 451, [X.]2020, 322, Rz 21). Hieraus folgt jedoch nicht, dass bei einem Verzicht des Kindes des [X.]auf seinen gesetzlichen Erbteil nach § 2346 Abs. 1 Satz 1 BGB dessen Kind beim Tod des [X.]der höhere Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]zu gewähren ist. Denn zu berücksichtigen ist dabei auch, dass das Kind des [X.]aufgrund [X.]Erbfolge nach wie vor neben seinem Kind, dem Enkel des Erblassers, zum Erben berufen werden könnte (s. hierzu unter II.2.b bb) und für den Unterhalt der Enkel des [X.]weiterhin sorgen kann.
dd) Auch aus der Historie der Norm ergibt sich keine andere Auslegung. Der Gesetzgeber stellte stets Kinder tatsächlich vorverstorbener Kinder durch die Gewährung eines höheren Freibetrags besser, als Kinder, deren Eltern bei Tod des [X.]noch lebten.
(1) Für Erwerbe vor dem 01.01.1996 sah § 16 Abs. 1 Nr. 2 [X.]i.d.F. vom 17.04.1974 für alle Personen der Steuerklasse I mit Ausnahme der Ehegatten einen Freibetrag von 90.000 DM vor. Die Vorschrift unterschied dabei nicht zwischen Kindern verstorbener Kinder und nicht vorverstorbener Kinder.
(2) Aufgrund des [X.]vom 22.06.1995 - 2 BvR 552/91 ([X.]93, 165, [X.]1995, 671) erhöhte der Gesetzgeber für Erwerbe ab dem 01.01.1996 durch das Jahressteuergesetz 1997 ([X.]1997) vom 20.12.1996 ([X.]1996, 2049, BStBl I 1996, 1523) die persönlichen Freibeträge zur Kompensation der veränderten Wertermittlung nach dem Bewertungsgesetz. Zudem wurde im Zuge der Neugliederung der Steuerklassen (§ 15 ErbStG) die Struktur der persönlichen Freibeträge verändert. Dabei sollte sich die Freistellung am Wert eines durchschnittlichen Einfamilienhauses orientieren (BTDrucks 13/4839, S. 70). Nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 [X.]i.d.F. des [X.]1997 blieb nunmehr ein Erwerb der Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 und der Kinder verstorbener Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 in Höhe von 400.000 DM steuerfrei; ein Erwerb von Kindern nicht vorverstorbener Kinder wurde nur in Höhe von 100.000 DM freigestellt (§ 16 Abs. 1 Nr. 3 [X.]i.d.F. des [X.]1997). Die Freibeträge wurden in der Folge mehrmals angepasst. Durch das [X.]vom 24.08.2008 ([X.]2008, 3018) wurden schließlich die aktuell geltenden Freibeträge in § 16 Abs. 1 Nr. 2 [X.](400.000 €) und in § 16 Abs. 1 Nr. 3 [X.](200.000 €) eingefügt. Dabei stellte der Gesetzgeber stets Kinder vorverstorbener Kinder durch die Gewährung eines höheren Freibetrags besser, als Kinder, deren Eltern bei Tod des [X.]noch lebten.
ee) Zu einer anderen Auslegung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 [X.]führt nicht, dass auch andere zivilrechtliche Bestimmungen --wie beispielsweise die Erbausschlagung nach § 1953 BGB oder die Erklärung der Erbunwürdigkeit gemäß § 2344 Abs. 1 BGB-- zur [X.]führen. Vielmehr ist bei jeder Norm eine eigene erbschaftsteuerrechtliche Auslegung durchzuführen. Die erbschaftsteuerrechtliche Behandlung weicht hier teilweise von der Systematik des Zivilrechts ab. Dies ist zulässig und entspricht dem gesetzgeberischen Willen (vgl. [X.]vom 28.06.2023 - II B 79/22, BFH/NV 2023, 1069, Rz 13).
2. Eine analoge Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]auf Enkel des [X.]aufgrund der Fiktion des § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB kommt nicht in Betracht.
a) Eine erweiternde Auslegung setzt eine Regelungslücke voraus. Die Norm muss gemessen an ihrem Zweck unvollständig, das heißt ergänzungsbedürftig sein. Ihre Ergänzung darf nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widersprechen. Dass eine gesetzliche Regelung rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig anzusehen ist ("rechtspolitische Fehler"), reicht nicht aus. Die Unvollständigkeit muss sich vielmehr aus dem gesetzesimmanenten Zweck ergeben und kann auch bei einem eindeutigen Wortlaut vorliegen (BFH-Urteil vom 10.05.2023 - II R 24/21, BFHE 281, 149, [X.]2023, 1060).
b) Nach diesen Grundsätzen ist eine analoge Anwendung nicht geboten.
aa) Es fehlt bereits an einer Regelungslücke. Sinn und Zweck der Regelung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]ist, dass ein Enkel des [X.]als entfernterer Abkömmling den höheren Freibetrag erhält, wenn das Vermögen wegen des vorzeitigen Todes des Kindes des [X.]auf diesen übergeht (s. hierzu oben II.1.a bb). Diese Vergünstigung ist nicht geboten, wenn der Abkömmling des [X.]noch lebt und weiterhin für die finanzielle Ausstattung seines Kindes, das heißt des Enkels des Erblassers, sorgen kann, was bei seinem tatsächlichen Vorversterben nicht der Fall wäre.
bb) Die analoge Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]würde zudem eine legale Steuerumgehungsmöglichkeit schaffen, die geeignet wäre, die Staffelung der Freibetragsregelung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 und Nr. 3 [X.]auszuhöhlen. Denn das Kind des [X.]kann trotz seines Verzichts nach § 2346 Abs. 1 Satz 1 BGB aufgrund [X.]Erbfolge von dem Erblasser zum Erben berufen werden. In diesem Fall könnten sowohl das Kind als auch der Enkel des [X.]jeweils den Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 [X.]in Höhe von 400.000 € in Anspruch nehmen. Allein die Möglichkeit des Eintritts einer Doppelbegünstigung ist ausreichend, um eine analoge Anwendung der Regelung auszuschließen, sodass es nicht darauf ankommt, ob im vorliegenden Fall tatsächlich eine Doppelbegünstigung ausgeschlossen ist.
3. Dieses Ergebnis ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es liegt weder ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor.
a) Das nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 GG grundgesetzlich gewährleistete Erbrecht wird nicht verletzt.
aa) Die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 GG gewährleistet das Erbrecht als Rechtsinstitut und als Individualrecht. Nach dem [X.]überlässt Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dem Gesetzgeber, Inhalt und Schranken des Erbrechts zu bestimmen, wobei er eine weitreichende Gestaltungsbefugnis hat (BVerfG-Beschluss vom 22.06.1995 - 2 BvR 552/91, [X.]93, 165, [X.]1995, 671, unter C.I.2.a cc). Hinsichtlich der Freibeträge führt das [X.]aus, dass der erbschaftsteuerliche Zugriff bei Familienangehörigen im Sinne der Steuerklasse I (§ 15 Abs. 1 ErbStG) derart zu mäßigen ist, dass jedem dieser Steuerpflichtigen der jeweils auf ihn übergehende Nachlass --je nach dessen [X.]zumindest zum deutlich überwiegenden Teil oder, bei kleineren Vermögen, völlig steuerfrei zugutekommt. In Bezug auf einen darüberhinausgehenden Vermögenszuwachs ist der erbschaftsteuerliche Zugriff so zu beschränken, dass eine im Erbrecht angelegte Mitberechtigung der Kinder am Familiengut nicht verlorengeht (BVerfG-Beschluss vom 22.06.1995 - 2 BvR 552/91, [X.]93, 165, [X.]1995, 671, unter C.I.2.b aa).
bb) Danach verstößt die Auslegung, dass die Freibetragsregelung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.]in Höhe von 400.000 € dem Enkel bei einem Erbverzicht des Kindes des [X.]trotz der Fiktion des § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zu gewähren ist, nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Der Enkel erhält danach den Freibetrag gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 [X.]in Höhe von 200.000 €. Es wird [X.]nicht schlechter gestellt, als wenn das Kind des [X.]--wie es tatsächlich der Fall [X.]noch lebte. Es ist nicht ersichtlich, warum die vom Erblasser und seinem Kind gewählte Gestaltung des Erbverzichts gemäß § 2346 Abs. 1 Satz 1 BGB nach Art. 14 Abs. 1 GG ein anderes Ergebnis zu Gunsten des Enkels des [X.]erfordert, zumal sich der Verzicht lediglich auf das gesetzliche Erbrecht bezieht, sodass das verzichtende Kind bei [X.]Erbfolge noch den Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 [X.]in Höhe von 400.000 € neben dem Enkel des [X.]in Anspruch nehmen könnte (s. hierzu unter II.2.b bb).
b) Es liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor.
aa) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG belässt dem Gesetzgeber einen weitreichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des [X.]als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes. Abweichungen von der mit der Wahl des [X.]einmal getroffenen Belastungsentscheidung müssen sich indessen ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands). Demgemäß bedürfen sie eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag. Dabei steigen die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund mit Umfang und Ausmaß der Abweichung (vgl. BVerfG-Beschluss vom 23.06.2015 - 1 BvL 13/11, 1 BvL 14/11, [X.]139, 285, [X.]2015, 871, Rz 72, m.w.N.).
bb) Vorliegend fehlt es bereits an vergleichbaren Sachverhalten. Die Fallgruppen "Kinder tatsächlich verstorbener Kinder" und "Kinder von als fiktiv verstorben geltenden Kindern" können nicht gleichgesetzt werden. Wie unter [X.]des Urteils dargelegt, können nach § 2346 Abs. 1 Satz 1 BGB fiktiv als verstorben geltende Kinder nach wie vor Erwerber aufgrund [X.]Erbfolge sein und den Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 1 [X.]erhalten, wohingegen dies für tatsächlich verstorbene Kinder nicht möglich ist. Dies rechtfertigt eine abweichende Beurteilung bei der Gewährung des Freibetrags.
4. [X.]beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Meta
31.07.2024
Urteil
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 28. Februar 2022, Az: 3 K 176/21, Urteil
§ 1953 BGB, § 2344 Abs 1 BGB, § 2346 Abs 1 S 1 BGB, § 2346 Abs 1 S 2 BGB, § 15 Abs 1 ErbStG 1997, § 16 Abs 1 Nr 2 ErbStG 1997, § 16 Abs 1 Nr 3 ErbStG 1997, Art 3 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 S 1 Alt 2 GG
Zitiervorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 31.07.2024, Az. II R 13/22 (REWIS RS 2024, 9404)
Papierfundstellen: REWIS RS 2024, 9404
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
II B 39/20 (AdV) (Bundesfinanzhof)
Schenkungsteuer: Freibetrag für Urenkel
Freibetrag bei Übertragung von Vermögen auf eine Familienstiftung
Freibeträge bei Zusammentreffen mehrerer Nacherbschaften
Freibetrag bei Zusammentreffen von mehreren Nacherbfolgen
1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07 (Bundesverfassungsgericht)
Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz im Zeitraum vom 28.12.1996 bis …
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