Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 23.07.2019, Az. 1 BvR 2032/18

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2019, 5184

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Handhabung des § 5 KSchG zur nachträglichen Zulassung einer Kündigungsschutzklage - vorliegend keine Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz im arbeitsgerichtlichen Verfahren (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG)


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

1. Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, dass seine nicht fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage von der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht nachträglich zugelassen wurde. Er war von seiner Arbeitsverpflichtung freigestellt worden, hatte mehrere Änderungs- und Beendigungskündigungen erfolgreich vor den Arbeitsgerichten angegriffen und bis zu einer Klärung der Rechtslage nunmehr eine Beschäftigung im Ausland angetreten. In [X.] war er nicht mehr polizeilich gemeldet und vermietete sein Wohnhaus, behielt aber seinen Namen am Hausbriefkasten und kam in unregelmäßigen Abständen zurück. Er gab keine Nachsendung seiner Post in Auftrag, sondern bat seinen Mieter, von Einschreiben und Zustellungen sogleich digitale Aufnahmen zu übersenden und die übrige Post etwa einmal im Monat zu schicken; dem kam der Mieter regelmäßig nach. Seine Prozessbevollmächtigten hatten den Prozessbevollmächtigten der Arbeitgeberin gebeten, alle für den Beschwerdeführer bestimmten Schreiben an sie zuzustellen, was die Arbeitgeberin auch - mit Ausnahme des hier streitigen Kündigungsschreibens - tat. Die erneute ordentliche Kündigung wurde durch einen Botendienst in den Hausbriefkasten gelegt; eine Kopie an die Prozessbevollmächtigten gab es nicht. Der Briefumschlag war neutral gehalten und glich äußerlich Umschlägen, in denen die Arbeitgeberin regelmäßig allgemeine Informationen versandte. Der Beschwerdeführer nahm dieses Schreiben von seinem Mieter etwa dreieinhalb Wochen später vor Ort persönlich in Empfang. Fast vier Wochen nach Zustellung und vier Tage nach Kenntnisnahme der Kündigung erhob er Kündigungsschutzklage und beantragte zugleich vorsorglich, diese nach § 5 [X.] nachträglich zuzulassen.

2

2. Dieser Antrag war in allen drei Instanzen erfolglos. Das [X.] begründete dies damit, dass der Beschwerdeführer die ihm nach Lage der Umstände zuzumutende Sorgfalt im Sinne von § 5 [X.] nicht beachtet hätte. Sein Aufenthalt im Ausland sei keine vorübergehende Ortsabwesenheit von kurzer Dauer. Er hätte daher besondere Vorkehrungen für eine zeitnahe Kenntnisnahme seiner Post treffen müssen. Dazu gehöre es, eine Person seines Vertrauens damit zu beauftragen, seine Post regelmäßig zu öffnen und ihn oder einen zur Wahrnehmung seiner Rechte beauftragten Dritten zeitnah über ihren Inhalt zu informieren oder sie entsprechend weiterleiten zu lassen. Die Anweisung an seinen Mieter genüge dem nicht. Die Nachsendung der gesammelten Post einmal im Monat stelle nicht sicher, dass der Beschwerdeführer zeitnah Kenntnis nehmen könne. Auch habe er nicht auf die Praxis der Arbeitgeberin vertrauen können, seine Prozessbevollmächtigten über Zustellungen an ihn zu unterrichten, denn das sei nicht verbindlich vereinbart gewesen. Auch eine vertragliche Nebenpflicht zur Erkennbarkeit derartiger Schreiben gebe es nicht. Sein Unterlassen, die erforderlichen Vorkehrungen für eine zeitnahe Kenntnisnahme von in seinen Briefkasten eingeworfenen Schriftstücken zu treffen, sei auch kausal für die Versäumung der Klagefrist gewesen. Unerheblich wäre aufgrund der materiellen Schutzfunktion der Frist nach § 5 [X.] für den Arbeitgeber schließlich, dass durch den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage tatsächlich keine besonders lange Zeitverzögerung eingetreten wäre.

3

3. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen. Er rügt insbesondere eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).

4

4. Auf die Zustellung der Verfassungsbeschwerde an das [X.], den Senator für Justiz und Verfassung der [X.] sowie die im Ausgangsverfahren beklagte Arbeitgeberin sind keine Stellungnahmen eingegangen.

II.

5

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (vgl. § 93a Abs. 2 [X.]). Die angegriffenen Entscheidungen halten sich im fachgerichtlichen Wertungsrahmen; sie verletzen den Beschwerdeführer insbesondere nicht in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

6

1. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip garantiert den [X.]en im Zivilprozess effektiven Rechtsschutz (vgl. [X.] 88, 118 <123>). Danach darf den Prozessparteien der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, durch [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. [X.] 88, 118 <124>). Das gilt auch für Entscheidungen über die Wiedereinsetzung nach Versäumung einer Frist (vgl. [X.] 37, 100 <102>; 40, 88 <91>; 40, 182 <186>; 41, 332 <335 f.>; auch [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 18. Oktober 2012 - 2 BvR 2776/10 -, Rn. 17 m.w.N.). Die verfassungsrechtlichen Grundsätze für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gelten auch im Verfahren über die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nach § 5 [X.] (in diese Richtung bereits [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 25. Februar 2000 - 1 BvR 1363/99 -, Rn. 19).

7

2. Das haben die Arbeitsgerichte hier nicht verkannt.

8

a) Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn das [X.] davon ausgeht, dass eine Person, die nicht nur vorübergehend, sondern länger ortsabwesend von der ständigen Wohnung ist und dennoch einen Briefkasten im Inland aufrechterhält, besondere Vorkehrungen ergreifen muss, dass sie zeitnah von dort eingehenden Sendungen Kenntnis erlangt. Daher ist es verfassungsrechtlich zwar nicht zwingend, hält sich aber im fachgerichtlichen Wertungsrahmen, wenn das [X.] in der angegriffenen Entscheidung fordert, dass bei längerer Ortsabwesenheit zur Wahrung der Frist des § 5 [X.] eine Person des Vertrauens damit beauftragt werden muss, die Post regelmäßig zu öffnen und über den Inhalt zu informieren oder die Post an einen bevollmächtigten Dritten weiterzuleiten, um eine zeitnahe Kenntnisnahme auch von in den Briefkasten eingeworfenen Schriftstücken sicherzustellen.

9

b) [X.] ist jedenfalls vertretbar, die nachträgliche Klagezulassung auch dann nicht zu gewähren, wenn sich die längerfristige Abwesenheit vom ständigen Wohnort, auf die das [X.] entscheidend abstellt, im Ergebnis nicht wesentlich auswirkt. Wie das Gericht selbst feststellt, ist tatsächlich innerhalb von vier Wochen Kündigungsschutzklage verbunden mit dem Antrag auf nachträgliche Klagezulassung nach § 5 [X.] erhoben worden. Zwar erlaubt § 5 [X.] grundsätzlich die Zulassung einer verspäteten Kündigungsschutzklage, wenn ein Antrag vor Ablauf von sechs Monaten gestellt wird. Jedoch soll die Klagefrist nach § 4 [X.] im Interesse des Arbeitgebers möglichst schnell Klarheit über die Rechtswirksamkeit einer Kündigung schaffen, auch damit Stellen neu besetzt werden können.

Der Beschwerdeführer hat nach Ablauf der Klagefrist, aber vor Ablauf von sechs Wochen Kenntnis von der Kündigung erhalten und die erforderlichen Prozesshandlungen unverzüglich nachgeholt. Dem Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage einer nur kurzfristig abwesenden [X.] wäre zu diesem Zeitpunkt ohne Weiteres stattgegeben worden. Doch ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Rechtsschutz hier durch die Versagung der Zulassung der verspäteten Klage erschwert wird, weil es sich um eine längerfristige Ortsabwesenheit handelte und die Entscheidung sich damit auf einen Sachgrund stützt (vgl. [X.] 88, 118 <124>).

c) Auch die Wertung, der Beschwerdeführer habe sich nicht auf die bisherige Praxis des Arbeitgebers verlassen dürfen, dass zeitgleich seine Prozessbevollmächtigten informiert würden, sowie die Annahme, dass es keine vertragliche Nebenpflicht gebe, ein Kündigungsschreiben äußerlich in einer Weise zu gestalten, die es als rechtlich relevante Handlung ausweist, liegen im Entscheidungsrahmen der Fachgerichte, die insoweit zu Lasten des Beschwerdeführers berücksichtigt haben, dass bereits jahrelange rechtliche Auseinandersetzungen mit der Arbeitgeberin vorangegangen waren, es sich also nicht um einen unabsehbaren "ersten Zugang" handelte (vgl. [X.] 41, 332 <335>).

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2032/18

23.07.2019

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BAG, 25. April 2018, Az: 2 AZR 493/17, Urteil

Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 5 Abs 3 S 1 KSchG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 23.07.2019, Az. 1 BvR 2032/18 (REWIS RS 2019, 5184)

Papier­fundstellen: NJW 2019, 3138 REWIS RS 2019, 5184


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 2032/18

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2032/18, 23.07.2019.


Az. 2 AZR 493/17

Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 493/17, 25.04.2018.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvR 2776/10

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