Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.11.2011, Az. IV ZR 49/11

4. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 1170

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Gegenstand

Berufung im streitigen Verfahren auf Feststellung eines Miterbenrechts: Gehörsverletzung bei Verwertung von Sachverständigengutachten aus einem Erbscheinsverfahren


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird die Revision gegen das Urteil des [X.], 2. Zivilsenat, vom 8. Februar 2011 zugelassen.

Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 80.784,11 €

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt die Feststellung seines Miterbenrechts, hilfsweise seiner Stellung als Vermächtnisnehmer.

2

Die Erblasserin hatte mit notariellem Testament vom 27. Oktober 1988 den Beklagten und weitere 12 Personen zu ihren Erben eingesetzt sowie [X.]vollstreckung angeordnet. In diesem Testament ist der Kläger nicht bedacht. Durch weiteres notarielles Testament vom 17. Januar 1991 hob die Erblasserin frühere letztwillige Verfügungen auf, ordnete erneut [X.]vollstreckung an und wandte verschiedenen Personen ohne ausdrückliche Erbeinsetzung Vermächtnisse zu. Unter anderem sollten die beiden [X.]en sowie zwei andere Personen eine Eigentumswohnung erhalten. In einem notariellen Testament vom 6. Juli 1991 nahm die Erblasserin schließlich Änderungen hinsichtlich der Vermächtnisse vor und setzte bezüglich der Eigentumswohnung statt des Beklagten eine andere Person ein. Außerdem sollten der Kläger sowie seine Ehefrau das Ankaufsrecht für ein Pachtgrundstück und ein Teilgrundstück erhalten. Auch in diesem Testament erfolgte keine ausdrückliche Erbeinsetzung.

3

Der [X.]vollstrecker beantragte die Erteilung eines Erbscheins, der 28 in den [X.]n aus dem Jahre 1991 mit Grundstücks- und Geldzuwendungen bedachte Personen als Erben ausweisen sollte. Dagegen wandte sich der Beklagte und beantragte am 12. Juli 1995 seinerseits unter Berufung auf die Unwirksamkeit der beiden [X.] aus 1991, ihm entsprechend dem Testament aus 1988 einen Erbschein zu erteilen, der ihn als Miterben zu 1/13 ausweisen sollte. Nach Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen sowie Einholung eines Sachverständigengutachtens wies das Amtsgericht mit Beschluss vom 7. April 1998 den Erbscheinsantrag des [X.]vollstreckers zurück und kündigte an, dem Teilerbscheinsantrag des Beklagten stattzugeben. Zur Begründung führte es aus, dass die [X.] aus dem Jahre 1991 wegen [X.] der Erblasserin nichtig seien. Die dagegen eingelegte Beschwerde wurde vom [X.] nach Einholung eines zusätzlichen Sachverständigengutachtens zurückgewiesen. Die weitere Beschwerde des [X.] blieb ausweislich des Beschlusses des [X.] vom 13. Dezember 2006 ohne Erfolg. Dem Beklagten wurde am 5. September 2007 ein Erbschein ausgestellt, der ihn als Teilerben über 1/12 des Nachlasses ausweist.

4

Der Kläger begehrt nunmehr die Feststellung, dass er aufgrund der [X.] vom 17. Januar 1991 und 6. Juli 1991 Miterbe der Erblasserin geworden sei bzw. ihm zumindest ein [X.] zustehe. Die Vorinstanzen haben die Klage zunächst als unzulässig abgewiesen. Der Senat hat mit Urteil vom 14. April 2010 ([X.], [X.] 2010, 468) das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses hat die Berufung des [X.] erneut zurückgewiesen.

5

II. Das Berufungsgericht hat die Klage als zulässig behandelt, sie jedoch wegen [X.] der Erblasserin gemäß § 2229 Abs. 4 BGB als unbegründet angesehen. Hierbei hat es sich auf die im Erbscheinsverfahren eingeholten Gutachten der Sachverständigen Prof. [X.] und Prof. [X.] gestützt, die es gemäß § 411a ZPO verwertet hat. Hieraus ergebe sich, dass die Erblasserin unter einer schizoaffektiven Psychose gelitten habe und auch im [X.]punkt der [X.]errichtung keine "lichten Augenblicke" vorhanden gewesen seien. Die Notwendigkeit der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens folge nicht daraus, dass die Gutachter Auffassungen verträten, die von denjenigen anderer Psychiater abwichen. Dem Beklagten komme für die Beweisführung der Anscheinsbeweis zugute, den der Kläger nicht erschüttert habe. Die Erblasserin sei jedenfalls um die [X.], also vor- und/oder nachher, testierunfähig gewesen. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass es zu einer überraschenden, kurzfristigen Auflösung des Wahns durch eine kurz zuvor erhaltene Mitteilung der Erblasserin über eine lebensgefährliche Hautkrebserkrankung gekommen sei. Hierfür sprächen auch die Angaben der im Erbscheinsverfahren vernommenen Zeugen Dr. Sch.    und [X.]        . Im Übrigen sehe das Gericht die [X.] der Erblasserin auch ohne Berücksichtigung des Anscheinsbeweises als erwiesen an.

6

III. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde ist die Revision zuzulassen, das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 544 Abs. 7 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

7

1. Die Zulassung der Revision folgt aus einem entscheidungserheblichen Verstoß des Berufungsgerichts gegen den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO.

8

a) Das Berufungsgericht hat die im Erbscheinsverfahren zur [X.] der Erblasserin eingeholten Gutachten der Sachverständigen Prof. [X.]  und Prof. [X.] gemäß § 411a ZPO im streitigen Verfahren verwertet, ohne die [X.]en hierauf vorher hinzuweisen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Hierbei kann offen bleiben, ob die Verwertung eines Gutachtens nach § 411a ZPO einen förmlichen Beweisbeschluss voraussetzt (so [X.]/[X.], ZPO 29. Aufl. § 411a Rn. 4; [X.] in [X.], ZPO 22. Aufl. § 411a Rn. 17). Jedenfalls setzt eine Verwertung eines in einem anderen Verfahren eingeholten Gutachtens einen Hinweis an die [X.]en auf das beabsichtigte Verfahren voraus, damit diese noch vor der Verwertung des Gutachtens in der abschließenden Entscheidung des Gerichts Gelegenheit zur Stellungnahme haben (vgl. [X.], 2614 Rn. 9; [X.]/[X.], 3. Aufl. § 411a Rn. 7, 10; Musielak/[X.], ZPO 8. Aufl. § 411a Rn. 11; [X.] in [X.], ZPO 3. Aufl. § 411a Rn. 7; [X.] aaO Rn. 16; [X.]/[X.] aaO).

9

Diese Verfahrensweise hat das Berufungsgericht nicht eingehalten, da es die [X.]en zu keiner [X.] auf das beabsichtigte Vorgehen nach § 411a ZPO hingewiesen hatte. Die bloße Beiziehung der Nachlassakten des Amtsgerichts durch das Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung vom 3. April 2008 ersetzt das Verfahren nach § 411a ZPO nicht. Hierdurch sind die Akten lediglich zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden und können gegebenenfalls im Wege des [X.] verwertet werden. Das Verfahren nach § 411a ZPO stellt demgegenüber die Einholung eines Sachverständigenbeweises mit der Anwendung der allgemeinen Regeln der §§ 404 ff. ZPO dar ([X.]/[X.] aaO Rn. 13; [X.]/[X.] aaO Rn. 1; [X.] aaO Rn. 19). Zu einer derartigen Klarstellung hinsichtlich der weiteren Verfahrensweise bestand für das Berufungsgericht umso mehr Anlass, als zwar der Beklagte die Verwertung der im Erbscheinsverfahren eingeholten Gutachten nach § 411a ZPO angeregt hatte, der Kläger sich hiermit aber nicht einverstanden erklärt, sondern Einwände gegen die Richtigkeit der Gutachten erhoben hat.

b) Nur bei einer vorherigen Unterrichtung der [X.]en über das beabsichtigte Verfahren nach § 411a ZPO sind diese in der Lage, die ihnen zustehenden prozessualen Rechte auszuüben, insbesondere gemäß § 411 Abs. 4 ZPO Einwendungen gegen das Gutachten zu erheben oder gemäß §§ 402, 397 ZPO die Anhörung des Gutachters in der mündlichen Verhandlung zu beantragen. Die [X.] hat zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Erläuterung der Sache für erforderlich hält, diesem zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann. Dieses Antragsrecht der [X.]en besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO und davon, ob das Gericht das schriftliche Gutachten für überzeugend hält und selbst keinen weiteren Erläuterungsbedarf sieht (Senatsurteil vom 23. Januar 2008 - [X.], [X.], 479 Rn. 15; [X.], Beschlüsse vom 14. Juli 2009 - [X.], NJW-RR 2009, 1361 Rn. 10; vom 22. Mai 2007 - [X.], [X.], 1713 Rn. 3; vom 5. September 2006 - [X.], NJW-RR 2007, 212 Rn. 2). Hierbei ist die [X.] nicht verpflichtet, die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret zu formulieren. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welche Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht.

Hier hat der Kläger geltend gemacht, dass er bei einem rechtzeitigen Hinweis des Berufungsgerichts über das beabsichtigte Verfahren nach § 411a ZPO beantragt hätte, die Sachverständigen Prof. S.  und Prof. [X.]zur mündlichen Verhandlung zu laden, um die Widersprüche zu den Begutachtungen durch die Ärzte [X.]  und Prof. Dr. M.      aufzuklären, die jeweils nicht von einer [X.] der Erblasserin ausgegangen seien (vgl. Gutachten des [X.]  vom 18. Januar 1999, Anlage [X.], sowie des Prof. Dr. M.    vom 18. Mai 2000, Anlage [X.]). Darüber hinaus hat der Kläger dargelegt, welche Fragen er den Sachverständigen im Einzelnen gestellt hätte, nämlich zur Dauer der Rückbildung eines Wahns, dem Vorhandensein eines chronifizierten Wahnsystems infolge der Befürchtung einer Verfolgung durch Nazis, dem Verhältnis der angenommenen [X.] der Erblasserin 1991 zu einer Remission ihrer Erkrankung in den Jahren 1983 bis 1990 sowie der Heilbarkeit einer endogenen Psychose.

Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Antragsrecht des [X.] unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs oder der Prozessverschleppung beschränkt wäre. Zwar ist im Erbscheinsverfahren der Sachverständige Prof. [X.] am 19. August 2002 zu seinem Gutachten angehört worden (Anlage [X.]). Diese Anhörung lag im [X.]punkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht aber bereits mehr als acht Jahre zurück und konnte etwa eine weitere Stellungnahme des Prof. Dr. M.     vom 19. Dezember 2002 nicht berücksichtigen. Ohnehin hat die [X.] unabhängig vom Gang der Beweisaufnahme in einem anderen Verfahren im Falle der Verwertung eines dort eingeholten Gutachtens gemäß § 411a ZPO einen Anspruch darauf, den Sachverständigen gemäß §§ 397, 402 ZPO vor dem erkennenden Gericht zu befragen. Eine mündliche Anhörung des Sachverständigen Prof. [X.]war im Erbscheinsverfahren nicht erfolgt.

2. Aus dem Verstoß gegen § 411a ZPO ergibt sich eine weitere Verletzung des Anspruchs des [X.] auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Berufungsgericht entgegen § 285 Abs. 1, § 279 Abs. 3 ZPO mit den [X.]en nicht über das Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt und den Sach- und Streitstand erneut erörtert hat. Findet sich - wie hier - im Protokoll kein Hinweis darauf, dass die [X.]en zum Beweisergebnis verhandelt haben, steht ein Verstoß gegen § 285 Abs. 1, § 279 Abs. 3 ZPO fest (Senatsurteil vom 24. Januar 2001 - [X.], [X.], 830; [X.], Beschlüsse vom 25. September 2007 - [X.], [X.], 141; vom 20. Dezember 2005 - [X.], [X.]-Report 2006, 529). Dieser Verfahrensfehler stellt zugleich eine Verletzung des [X.] auf rechtliches Gehör dar, weil nicht auszuschließen ist, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf ihm beruht. Eine Stellungnahme des [X.] hätte zu einer für ihn günstigeren Entscheidung führen können. Zu einer derartigen Verhandlung über das Ergebnis der Beweisaufnahme konnte es hier nicht kommen, weil das Berufungsgericht bereits die Bekanntgabe einer beabsichtigten Beweisaufnahme nach § 411a ZPO unterlassen hatte.

3. Das Berufungsgericht hat ferner gegen den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen, indem es die Angaben des im Erbscheinsverfahren vernommenen Neurologen und Psychiaters [X.]         verwertet hat, ohne den Zeugen persönlich zu vernehmen. Dieser hatte in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 21. September 1994 im Erbscheinsverfahren zunächst ausgeführt, dass die Erblasserin bei ihm vom 14. Juni 1991 bis zum 21. September 1992 in nervenärztlicher Behandlung gestanden habe. Sie habe auch am 6. Juli 1991 unter einer paranoiden Psychose im Sinne einer schweren krankhaften Störung der Geistestätigkeit gelitten. Die Einsichtsfähigkeit sei zu diesem [X.]punkt schwer gestört gewesen, da nicht realistische Bedrohungsängste, Verfolgungsgedanken und krankhafte Beziehungsideen die Einsichtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit der Erblasserin krankhaft gestört hätten. In seiner Vernehmung vor dem Nachlassgericht am 27. März 1996 hat [X.]        sich zunächst auf seine schriftliche Stellungnahme bezogen, diese am Ende seiner Vernehmung aber relativiert, weil er nicht sicher ausschließen könne, dass die Erblasserin am 6. Juli 1991 nicht doch einsichtsfähig gewesen sein könnte. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung unter anderem auch auf die Aussage dieses Zeugen gestützt ([X.] 12 Abs. 2, 15 Abs. 1). Selbst vernommen hat es den Zeugen nicht, sondern die Akten des [X.] lediglich beigezogen. Zwar können schriftliche Aussagen sowie Protokolle über die Aussagen von Zeugen in einem anderen Verfahren im Wege des [X.] in den Zivilprozess eingeführt und dort gewürdigt werden. Unzulässig ist allerdings die Verwertung der früheren Aussagen im Wege des [X.] anstelle der Vernehmung des Zeugen im anhängigen Verfahren, wenn eine [X.] zum Zwecke des unmittelbaren Beweises die Vernehmung dieses Zeugen beantragt ([X.], Urteile vom 12. November 2003 - [X.], [X.], 1324 unter [X.] a; vom 30. November 1999 - [X.], [X.], 610 unter [X.] a).

Einen derartigen Beweisantrag hat der Kläger gestellt, indem er sich zum Beweis für die Testierfähigkeit der Erblasserin bei Errichtung der [X.] vom 17. Januar 1991 und 6. Juli 1991 auf das (sachverständige) Zeugnis des [X.]       berufen hat (Schriftsatz vom 17. April 2007 S. 6 f.; vom 14. November 2007 S. 6 f.; vom 8. Dezember 2010 S. 3). Anhaltspunkte dafür, dass der Vortrag und Beweisantritt des [X.] lediglich unzulässig "ins Blaue hinein" erfolgt wäre und sich als Rechtsmissbrauch darstellt, bestehen nicht. Soweit das Berufungsgericht demgegenüber ausführt, eine Vernehmung des [X.]      sei nicht angezeigt gewesen, da kein neuer Sachvortrag in sein Zeugnis gestellt worden sei, stellt dies nach den dargelegten Grundsätzen eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar, die im Prozessrecht keine Stütze findet und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (Senatsbeschlüsse vom 29. Oktober 2008 - [X.], [X.], 517 Rn. 7; vom 21. November 2007 - [X.], [X.], 382 Rn. 2).

4. Nach dieser ergänzenden Beweisaufnahme durch Anhörung der Sachverständigen Prof. [X.] und Prof. [X.] sowie Vernehmung des (sachverständigen) Zeugen [X.]        wird das Berufungsgericht sodann zu entscheiden haben, ob es selbst ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen hat.

a) Der Kläger hat sich für seine Behauptung, dass die Erblasserin im [X.]punkt der Errichtung der [X.] am 17. Januar 1991 und 6. Juli 1991 testierfähig gewesen sei, unter anderem auf die bereits im Erbscheinsverfahren vorliegenden Gutachten des [X.]  vom 18. Januar 1999 sowie des Prof. Dr. M.    vom 18. Mai 2000 berufen. [X.]  war zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Erblasserin von einer krankheitsbedingten Einschränkung der Steuerungsfähigkeit hinsichtlich ihrer letztwilligen Verfügungen nicht gesprochen werden könne (vgl. S. 3, 15, 20-24 des Gutachtens). Prof. Dr. M.    hat ausgeführt, dass sich [X.] nicht begründen lasse, sondern dass umgekehrt mehr dafür als dagegen spreche, dass die Erblasserin zu den [X.]punkten der Errichtung der [X.] testierfähig gewesen sei (S. 30-34 des Gutachtens).

Legt eine [X.] ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall - wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger - den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (Senatsurteile vom 25. Februar 2009 - [X.], [X.], 817 Rn. 9; vom 24. September 2008 - [X.], [X.], 1676 Rn. 11; vom 22. September 2004 - [X.], [X.], 676 unter [X.] [X.]). Der Tatrichter muss daher die Gründe darlegen, warum er einem Gutachten den Vorzug gibt. Zur weiteren Aufklärung ist gegebenenfalls der gerichtliche Sachverständige gemäß § 411 Abs. 3 ZPO mündlich anzuhören oder ein Obergutachten nach § 412 ZPO einzuholen.

b) Hier hat das Berufungsgericht sich mit den entgegenstehenden Gutachten [X.]  und Prof. Dr. M.    inhaltlich nicht auseinandergesetzt, sondern lediglich in verfahrensrechtlich unzulässiger Weise die Gutachten Prof. [X.]  und Prof. [X.] gemäß § 411a ZPO verwertet. Ergänzend hat es nur ausgeführt, die Notwendigkeit der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens folge auch nicht daraus, dass die gerichtlichen Gutachter Auffassungen verträten, die von denjenigen anderer Psychiater abwichen. Ein weiteres Gutachten würde die Entscheidungsfindung des Gerichts weder fördern noch beeinflussen. Soweit das Berufungsgericht dann ausführt, die vier Gutachten der Sachverständigen Prof. [X.] und Prof. [X.] stellten in ihrer Gesamtheit eine hinreichende Entscheidungsgrundlage dar, fehlt es auf dieser Grundlage an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den abweichenden Feststellungen [X.]  und Prof. Dr. M.    .

Allerdings ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der [X.]en zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Es ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Damit sich ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen lässt, müssen besondere Umstände deutlich gemacht werden, die zweifelsfrei darauf schließen lassen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist ([X.], [X.] 2009, 142 unter II 1 a; [X.], 244 unter II 1 a aa; [X.], Beschluss vom 27. März 2003 - [X.], [X.]Z 154, 288, 300). Hier ist zu berücksichtigen, dass die Sachverständigen Prof. [X.]und Prof. [X.] sich inhaltlich bereits teilweise mit den entgegenstehenden Gutachten des [X.]  und des Prof. Dr. M.      beschäftigt und ausgeführt haben, warum sie diesen nicht folgen (ergänzendes psychiatrisches Gutachten des Prof. [X.]vom 15. März 1999, S. 29-36 zu dem Gutachten [X.]  ; Gutachten des Sachverständigen Prof. [X.]vom 16. September 1999, [X.] ebenfalls zu den Ausführungen des [X.]  ; gutachterliche Stellungnahme des Prof. [X.] vom 26. September 2001, S. 16-21, sowie Anhörung des Sachverständigen Prof. [X.] vom 19. August 2002 S. 4, zu den Feststellungen des Prof. Dr. M.     ). Das Berufungsgericht wird nach der ohnehin erforderlichen Anhörung der Sachverständigen Prof. [X.]und Prof. [X.] sowie Vernehmung des Zeugen [X.]      (oben zu [X.]) nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden haben, ob und gegebenenfalls welche weiteren Beweiserhebungen erforderlich sind.

5. Für die hiernach vorzunehmende Beweisaufnahme ist es auch unerheblich, ob und inwieweit der Beklagte sich für die Frage der [X.] der Erblasserin auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises berufen kann. Aus dem Grundsatz, dass die Störung der Geistestätigkeit und damit die [X.] die Ausnahme und die Testierfähigkeit die Regel ist, ergibt sich, dass die [X.] des Erblassers gemäß § 2229 Abs. 4 BGB von demjenigen zu beweisen ist, der sich auf die Nichtigkeit des [X.] beruft ([X.], 5. Aufl. § 2229 Rn. 57; [X.]/[X.], BGB [2003] § 2229 Rn. 52). Ist allerdings [X.] vor und nach [X.]errichtung gegeben, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für [X.] auch im [X.]punkt der [X.]errichtung (BayObLG, Beschluss vom 22. November 2001 - 1Z [X.], juris Rn. 29 ff.; [X.] aaO Rn. 62; [X.]/[X.], [X.]. § 2229 Rn. 35; [X.]/[X.] aaO Rn. 52, 54). Liegen diese Voraussetzungen vor, so muss der durch das Testament Begünstigte Umstände darlegen und beweisen, durch die der Beweis des ersten Anscheins erschüttert wird. Dazu genügt der Nachweis einer ernsthaften Möglichkeit einer vorübergehenden Besserung des Gesundheitszustandes des Erblassers, so genanntes lichtes Intervall, bei Errichtung des [X.]. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt. Ob die tatsächlichen Voraussetzungen für den Anscheinsbeweis vorliegen, lässt sich demgegenüber erst nach der ergänzenden Beweisaufnahme klären. Soweit der Kläger darüber hinaus die Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises jedenfalls für das Testament vom 6. Juli 2001 nicht für gegeben hält, weil das Berufungsgericht Ausführungen zur [X.] der Erblasserin lediglich für den [X.]raum davor, nicht aber danach getroffen habe, kam es hierauf ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger den Anscheinsbeweis erschüttert hatte. Das Berufungsgericht hat die [X.] der Erblasserin nämlich unabhängig von der Berücksichtigung des Anscheinsbeweises als erwiesen erachtet.

Dr. [X.]                                                    Dr. Karczewski

                                       [X.]                                                            Dr. Brockmöller

Meta

IV ZR 49/11

23.11.2011

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 8. Februar 2011, Az: 2 U 17/07, Urteil

§ 279 Abs 3 ZPO, § 285 Abs 1 ZPO, § 411a ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.11.2011, Az. IV ZR 49/11 (REWIS RS 2011, 1170)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1170

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