Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.03.2017, Az. V ZB 170/16

5. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 13914

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Gegenstand

Ausländerrecht: Vorliegen einer Freiheitsentziehungssache bei Aufenthalt des Ausländers im Transitbereich eines Flughafens


Leitsatz

Der nicht auf einer richterlichen Anordnung beruhende Aufenthalt des Ausländers in dem Transitbereich eines Flughafens ist jedenfalls dann nicht als Freiheitsentziehungssache i.S.v. § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, § 415 Abs. 1 FamFG anzusehen, wenn weder die Frist des § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG abgelaufen noch (im Verfahren nach § 18a AsylG) über einen Asylantrag des Betroffenen entschieden worden ist.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 29. Zivilkammer des [X.] vom 4. November 2016 wird auf Kosten des Betroffenen als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein ivorischer Staatsangehöriger, kam am 21. April 2016 auf dem Luftwege am [X.] an und äußerte im Transitbereich ein Schutzersuchen. Die beteiligte Behörde nahm ihn in einem Flughafengebäude in Gewahrsam und leitete ein Verfahren nach § 18a [X.] (sog. Flughafenverfahren) ein. Am 4. Mai 2016 wurde er in die Erstaufnahmeeinrichtung in [X.] entlassen, weil über den bei dem [X.] gestellten Asylantrag nicht kurzfristig entschieden werden konnte.

2

Das Amtsgericht hat den Antrag des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Unterbringung zurückgewiesen. Seine hiergegen bei dem [X.] eingelegte Beschwerde blieb erfolglos. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene sein Begehren weiter, festzustellen, dass er durch seine Unterbringung im Transitbereich des [X.] vom 21. April 2016 bis 4. Mai 2016 in seinen Rechten verletzt ist.

II.

3

[X.], der Aufenthalt des Betroffenen im Transitbereich des [X.] stelle keine Freiheitsentziehung dar. [X.] Rechtsgrundlage für den angeordneten Gewahrsam des Betroffenen sei § 15 Abs. 6 [X.]. Dessen Voraussetzungen lägen vor, weil der Betroffene auf dem Luftweg in das [X.] gelangt und nicht eingereist, sondern zurückgewiesen worden sei. Der bis zum 4. Mai 2016 angeordnete Gewahrsam sei auch nicht unverhältnismäßig gewesen, sondern habe dem Zweck gedient, die Altersangaben des Betroffenen zu überprüfen und insbesondere aufgrund widersprüchlicher Angaben des Betroffenen der nicht fernliegenden Möglichkeit nachzugehen, dass ein fälschlich ausgestellter Originalreisepass vorgelegt worden sei.

III.

4

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist nicht statthaft und daher unzulässig. Sie wurde nicht durch das Beschwerdegericht zugelassen (§ 70 Abs. 1 FamFG) und ist auch nicht nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft, denn sie betrifft keine Freiheitsentziehungssache im Sinne dieser Vorschrift. Der nicht auf einer richterlichen Anordnung beruhende Aufenthalt des Ausländers in dem Transitbereich eines Flughafens ist jedenfalls dann nicht als [X.]. § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, § 415 Abs. 1 FamFG anzusehen, wenn weder die Frist des § 15 Abs. 6 Satz 2 [X.] abgelaufen noch (im Verfahren nach § 18a [X.]) über einen Asylantrag des Betroffenen entschieden worden ist.

5

1. Freiheitsentziehungssachen im Sinne des FamFG sind nach § 415 Abs. 1 Verfahren, die die aufgrund von Bundesrecht angeordnete Freiheitsentziehung betreffen, soweit das Verfahren bundesrechtlich nicht abweichend geregelt ist. Eine Freiheitsentziehung liegt nach § 415 Abs. 2 FamFG vor, wenn einer Person gegen ihren Willen oder im Zustand der [X.] insbesondere in einer abgeschlossenen Einrichtung, wie einem Gewahrsamsraum oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses, die Freiheit entzogen wird. Dies ist bei dem Transitaufenthalt nicht der Fall. Nach der Rechtsprechung des [X.] stellt die Anordnung des [X.] nach § 15 Abs. 6 Satz 1 [X.] zur Durchführung des Verfahrens nach § 18a [X.] schon deswegen keine Freiheitsentziehung oder Freiheitsbeschränkung im Sinne der Art. 104 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG dar, weil der Gewährleistungsinhalt der hierdurch geschützten körperlichen Bewegungsfreiheit durch rechtliche und tatsächliche Hindernisse für das freie Überschreiten der Staatsgrenze nicht berührt wird ([X.] 94, 166, 199). Gegen die Annahme einer Freiheitsentziehung spricht auch, dass es dem Betroffenen freisteht, jederzeit auf dem Luftweg abzureisen ([X.], Beschluss vom 12. Oktober 2016 - [X.], [X.] 2017, 61 Rn. 5; Beschluss vom 12. Oktober 2016 - [X.], [X.] 2017, 60).

6

2. Dem steht nicht entgegen, dass die Anordnung nach § 15 Abs. 6 [X.] nach einer gewissen Dauer und wegen der damit verbundenen Eingriffsintensität einer Freiheitsentziehung gleichstehen kann (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Oktober 2013 - [X.]/13, juris Rn. 6, insoweit nicht abgedruckt in [X.] 2014, 57; Beschluss vom 12. Februar 2015 - [X.], NVwZ 2015, 840 Rn. 6; Beschluss vom 12. Oktober 2016 - [X.], [X.] 2017, 61 Rn. 5; Beschluss vom 8. Dezember 2016 - [X.], juris Rn. 5; vgl. auch [X.], NVwZ 1997, 1102 [X.]. 43) und infolgedessen als [X.]. § 415 Abs. 1 FamFG zu behandeln ist. Die Abgrenzung trifft der Gesetzgeber in der Weise, dass der Aufenthalt des Ausländers im Transitbereich des Flughafens spätestens 30 Tage nach Ankunft am Flughafen der richterlichen Anordnung bedarf (§ 15 Abs. 6 Satz 2 [X.]). Diese Frist war hier bei der Entlassung aus dem Transitbereich noch nicht abgelaufen.

7

3. Ob die Anordnung des Aufenthalts des Betroffenen in dem Transitbereich des Flughafens ab dem Zeitpunkt als Freiheitsentziehung anzusehen ist, in dem der Asylantrag des Betroffenen im Rahmen des Flughafenverfahrens bestandskräftig abgelehnt worden ist und seine Zurückweisung nicht ohne Verzögerung vollzogen werden kann (so [X.], [X.] 2016, 192, 193 mwN; [X.], NVwZ-RR 2006, 728, 729 f.; offen gelassen in [X.], [X.] 2015, 53, 54 mwN; vgl. zum Streitstand Funke-Kaiser, in GK-[X.], [X.], § 15 Rn. 123 ff. sowie [X.] in [X.], FamFG, 19. Aufl., § 415 Rn. 5), hat der [X.] bislang nicht entschieden (vgl. Beschluss vom 9. März 2017 - [X.] 119/16, zur [X.] bestimmt), und bedarf auch hier keiner Entscheidung, weil die Entlassung des Betroffenen aus dem Transitbereich noch vor Abschluss des Flughafenverfahrens und Entscheidung über seinen Asylantrag erfolgte.

IV.

8

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Die Festsetzung des [X.] beruht auf § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Schmidt-Räntsch      

        

Brückner      

        

Weinland

        

Kazele      

        

[X.]      

        

Meta

V ZB 170/16

16.03.2017

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Frankfurt, 4. November 2016, Az: 2-29 T 124/16

§ 70 Abs 3 S 1 Nr 3 FamFG, § 415 Abs 1 FamFG, § 15 Abs 6 S 2 AufenthG, § 18a AsylVfG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.03.2017, Az. V ZB 170/16 (REWIS RS 2017, 13914)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 13914


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 1143/17

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1143/17, 09.08.2021.


Az. V ZB 170/16

Bundesgerichtshof, V ZB 170/16, 16.03.2017.


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