Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.07.2013, Az. 4 StR 213/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 4464

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR
213/13

vom
4. Juli
2013
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am
4.
Juli
2013
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8.
Januar 2013
im Strafausspruch mit den
zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkam-mer
des [X.]s zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verwor-fen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen ist das Rechts-mittel
unbegründet im Sinne von §
349 Abs.
2 StPO.
1
-
3
-
1.
Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte war seit Beginn des
Jahres 2012 Geschäftsführer eines
Bordellbetriebs, in dem das spätere Tatopfer

v.

L.

als Tänzerin
und Prostituierte arbeitete. Beide gingen in der Folgezeit eine Liebesbeziehung ein, die konfliktreich verlief und häufig zu wechselseitigen Provokationen sowie Tätlichkeiten führte.

v.

L.

konsumierte
mehrmals täglich Amphetamin. Zu-
dem sprach sie dem Alkohol in erheblichem Umfang zu. Insbesondere der per-manente [X.] führte bei ihr zu einer fast ständigen Enthem-mung, Antriebssteigerung und Euphorie. Zugleich erhöhten
sich ihre Erregbar-keit
und Aggressivität. Sie war in manchen Situationen

(UA S.
22). Mitunter schrie sie
minuten-lang auf den Angeklagten ein und machte

r-lauf der zahlreichen tätlichen Auseinandersetzungen
bemerkte
der Angeklagte, dass er

v.

L.

durch einen kurzen Griff mit der rechten Hand an
ihren Hals ruhigstellen konnte. In der Folgezeit wandte er diese Verteidigungs-technik mehrfach erfolgreich an.
In den frühen Morgenstunden des 26.
Juni 2012 kam es erneut zu einem heftigen Streit zwischen dem Angeklagten und

v.

L.

und zu

wechselseitigen Tätlichkeiten. Dieser Vorfall veranlasste
die Verantwortlichen des [X.], die Zusammenarbeit mit dem Angeklagten fristlos zu [X.].
Die nachfolgenden Tage verbrachte der Angeklagte in verschiedenen Hotels.

v.

L.

, die ohne ihn in dem Bordell
nicht bleiben
wollte,
folgte ihm nach. Am 5.
Juli 2012 bezogen sie [X.] im Ho-

nur noch für zwei Übernachtungen
2
3
4
5
-
4
-
ausreichte. Den Abend des 6.
Juli 2012 verbrachten
beide in der

In-
nenstadt, wobei der Angeklagte einige Glas Bier trank, während

v.

L.

Sekt, Cocktails und Bier zu sich nahm. Am frühen Morgen des 7.
Juli

2012 kehrten beide gegen 02.00
Uhr in ihr Hotelzimmer
zurück, wo es wieder zu einem heftigen Streit kam. Während dieser Auseinandersetzung schrie

v.

L.

gegen 02.50
Uhr hysterisch über einen Zeitraum von fünf
Minuten ununterbrochen auf den Angeklagten ein, machte ihm Vorhaltungen und verlangte
von ihm, sie in Ruhe zu lassen und das Hotelzimmer zu [X.]. Als sie begann, ihn mit den Fäusten auf die Brust zu schlagen, stieß der Angeklagte sie weg, so dass sie zu Boden fiel.

v.

L.

stand so-
fort wieder auf und trat den Angeklagten in den Unterleib. Der Angeklagte, der seine Freundin von weiteren Tritten abhalten wollte,
umfasste daraufhin ihren Hals mit beiden Händen und würgte sie äußerst kräftig, so dass der Blutabfluss aus dem Kopf über einen Zeitraum von mindestens 30
Sekunden komplett [X.] war.

v.

L.

geriet in Atemnot. Ihr Röcheln war
im
Nachbarzimmer deutlich vernehmbar.
Dem Angeklagten
war bewusst, dass

v.

L.

durch die erhebliche Gewaltanwendung zu Tode kommen
könnte. Gleichwohl hielt er den erheblichen Druck auf den Hals aufrecht. Auf Grund dieser Gewalteinwirkung brach die Geschädigte leblos zusammen und verstarb infolge Erstickung.
Eine dem Angeklagten um 05.13
Uhr entnommene
Blutprobe wies

eine Blutalkoholkonzentration von 1,17
Promille auf. Im Blut von

v.

L.

wurden ein Alkoholgehalt von 1,30
Promille
und eine Amphetamin-
Konzentration von 1.800
ng/ml festgestellt.
2.
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der [X.] hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler erge-6
7
-
5
-
ben. Insbesondere hat das Schwurgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen eine Rechtfertigung durch Notwehr gemäß §
32 StGB im [X.] zu Recht verneint.
Der Angeklagte
befand sich, als ihn das spätere Tatopfer unter Steige-rung der vorangegangenen Angriffshandlungen (Faustschläge gegen die Brust)
in den Unterleib trat, zwar objektiv in einer Notwehrlage. Der Angriff
dauerte auch noch fort, da

v.

L.

, was der Angeklagte wusste, in sol-
chen Situationen

mit Worten

war und mit weiteren
Tätlich-keiten gerechnet werden musste.
Art und Maß der Verteidigungshandlung des Angeklagten waren aber
zur Abwehr des drohenden Angriffs nicht erforderlich (vgl. Senatsurteile vom 27.
September 2012

4
StR
197/12, [X.], 139, 140; vom 25.
April 2013

4
StR
551/12, Rn.
27). Auf der Grundlage der
getroffenen Feststellun-gen
war es dem Angeklagten vielmehr möglich, den gegen ihn geführten Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit schonender als geschehen zurückzu-weisen. Denn es war ihm
in der Vergangenheit stets
gelungen,

v.

L.

durch einen kurzen Griff an den Hals zur Räson zu bringen (UA
S.
25). Es ist nichts dafür ersichtlich, der konkreten Situation ungeeignet war, den Angriff effektiv und endgültig [X.]. Der Streit verlief nicht anders als vorangegangene [X.]. Dementsprechend hat sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung unter anderem mit dem Argument verteidigt, sich lediglich mit dem üblichen Verteidigungsgriff an den Hals zur Wehr gesetzt zu haben.
Es kommt hinzu, dass bei Würgen oder Erdrosseln als Tötungshandlung bis zum Erfolgseintritt bei dem Opfer körperliche Reaktionen
eintreten,
die eine 8
9
10
-
6
-
Verminderung von dessen Handlungsfähigkeit bewirken (insbesondere Atem-not, Bewusstlosigkeit, Erstickungskrämpfe) und einen Angriff auf den in [X.] durch fortschreitende äußere Anzeichen der Ermattung des Angreifers als sicher beendet und ein noch längeres Würgen als zweckverfeh-lend erscheinen lassen
([X.], Urteil vom 9.
November 2011

5
StR
328/11, Rn.
27). So liegt der Fall hier. Spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem

v.

L.

in akute Atemnot geriet und nur noch laut röchelte, war der von
ihr ausgehende Angriff endgültig abgewehrt.
Auch die Voraussetzungen des §
33 StGB liegen nach den Urteilsfest-stellungen

entgegen der Auffassung der Revision

nicht vor. Eine Entschul-digung wegen einer Überschreitung der Grenzen der Notwehr
setzt voraus, dass der Täter in einer objektiv gegebenen Notwehrlage (§
32 Abs.
2 StGB) bei der Angriffsabwehr die Grenzen des Erforderlichen aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat. Dafür fehlen jedwede
Anhaltspunkte.
3.
Dagegen kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben.
a)
Bei der konkreten Strafzumessung hat das Schwurgericht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Tatausführung von massiver Gewalt geprägt sei und durch das heftige Würgen eine besondere Brutalität aufweise. Weitere straferschwerende Umstände führt das Urteil nicht an.
Diese Strafzumessungserwägungen verstoßen
gegen das Doppelver-wertungsverbot des §
46 Abs.
3 StGB. Ebenso wie der Tötungsvorsatz als sol-cher darf die Anwendung der zur Tötung erforderlichen Gewalt
nicht straf-erschwerend gewertet werden (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 12.
Januar 1988

5
StR
657/87,
[X.]R StGB §
46 Abs.
3 Tötungsvorsatz
2; 11
12
13
14
-
7
-
vom 28.
September 1995

4
StR
561/95, [X.]R StGB §
46 Abs.
3 Tötungsvor-satz
6; vom 24.
März 1998

4
StR
34/98, [X.], 657). Diese Grundsätze hat das [X.] nicht beachtet. Denn der Angeklagte hat, indem er
das Tatopfer über einen Zeitraum von mindestens 30
Sekunden heftig würgte,
ledig-lich die Gewalt angewendet, die erforderlich war, um den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann nicht entnommen werden, dass er das zur Tötung seiner Lebensgefährtin erforderliche Maß an Gewalt überschritten hat.
Auf diesem Rechtsfehler beruht der Strafausspruch, da
das [X.] die massive Gewaltanwendung als erheblich ins Gewicht fallend gewertet hat (UA
S.
25)
b)
Darüber hinaus begegnet die Begründung, mit welcher das [X.] einen minder schweren Fall des Totschlags nach §
213 StGB abgelehnt hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
aa)
Es wird nicht deutlich, welche
Alternative des §
213 StGB
das Schwurgericht seiner Prüfung zugrunde gelegt hat.
Das [X.] hätte die erste Alternative des §
213 StGB ausdrücklich erörtern müssen, weil es auf Grund des festgestellten Geschehensablaufs nicht fernliegend war, dass der Angeklagte durch eine vom späteren Tatopfer verübte Misshandlung provoziert worden ist
(vgl. [X.], Beschlüsse vom 14.
Mai 2002

5
StR
119/02, Rn.
3
f.; vom 24.
Oktober 2012

5
StR
472/12, Rn.
5; [X.], StGB, 60.
Aufl., §
213 Rn.
2 und 12). In diesem Zusammenhang hätte das Schwurgericht auch die Zuspitzung der Situation nach der fristlosen Kündigung des Angeklagten (Ver-lust des Arbeitsplatzes und der Unterkunft) in den Blick nehmen und prüfen müssen, ob hierdurch und die damit verbundenen Vorhaltungen und Tätlich-15
16
17
-
8
-

gebracht hat
(vgl. [X.], Beschluss vom 21.
Dezember
2010

3
StR
454/10, [X.], 339, 340). Dabei wäre
auch die Alkoholisierung des Tatopfers
und des Angeklagten, deren Schweregrad das Schwurgericht zudem verkannt hat, in die Betrachtung
einzubeziehen
gewesen
([X.], StGB, 60.
Aufl., §
213 Rn.
6). Die Wertung, der Angeklagte sei nur leicht enthemmt gewesen, geht von einem
unzutreffenden Maß der Alkoholisierung
(1,17
Pro-mille um 05.13
Uhr) aus. Die zur Feststellung der [X.] erforderliche
Rückrechnung ist unterblieben. Bei Zugrundelegung eines stündlichen Abbau-werts von 0,2
Promille und eines einmaligen Sicherheitszuschlags
von 0,2
Pro-mille
ergibt sich zur Tatzeit (03.00
Uhr) ein Blutalkoholgehalt von mindestens 1,81
Promille
(vgl. [X.], StGB, 60.
Aufl., §
20 Rn.
13).
bb)
Die Urteilsgründe begründen ferner die Besorgnis, dass das Schwur-gericht die zu Gunsten des Angeklagten objektiv gegebene Notwehrlage ver-kannt hat, die jedenfalls bei der Prüfung der zweiten Alternative des §
213 StGB
18
-
9
-
in die Gesamtbewertung hätte einbezogen werden müssen (vgl. Senatsbe-schluss vom 27.
Februar 2007

4
StR
581/06, NStZ-RR
2007, 194, 195).
Sost-Scheible
Roggenbuck
Ri[X.] [X.] ist urlaubs-abwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert.
Sost-Scheible

Mutzbauer

Reiter

Meta

4 StR 213/13

04.07.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.07.2013, Az. 4 StR 213/13 (REWIS RS 2013, 4464)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4464

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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