Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.02.2013, Az. 4 StR 557/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 8227

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 557/12

vom
13. Februar
2013
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 13.
Februar
2013
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 21.
September 2012 mit den Fest-stellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwur-gericht zuständige [X.] des [X.].

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entzie-hungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr und sechs Monate der verhängten Freiheitsstrafe vorweg zu vollziehen sind. Die Revision des Ange-klagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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3
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1.
Der unter anderem wegen Trunkenheit im Verkehr mehrfach vorbe-strafte Angeklagte, der nach eigenen Angaben in der [X.] vor der Tat täglich etwa zehn Flaschen Bier und gelegentlich Schnaps konsumierte, befand sich in der Nacht
zum 8.
April 2012 mit seinem Bekannten

[X.]

, dem späte-
ren Tatopfer, allein in dessen Wohnung. Während beide Bier und Schnaps tranken, kam es im Verlauf des Abends zu einem auch unter dem Einsatz von Fäusten geführten Streit um "alte Geschichten", der jedoch mit einer Versöh-nung zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten endete. Zwischen 2.00
Uhr und 3.00
Uhr kam es sodann ohne erkennbaren Anlass zu einem laut-starken, allein von der Stimme des Angeklagten dominierten Geschehen, in dessen Verlauf der Angeklagte dem Geschädigten mit einem 18
cm langen Gemüsemesser und einem 17
cm langen Schälmesser ohne rechtfertigenden Grund mit Tötungsvorsatz zwei Stiche in die Brust und drei Stiche in den
Rücken beibrachte, die lebensgefährliche Verletzungen verursachten. Der Wohnungsnachbar des [X.], der Zeuge A.

, verständigte kurz nach
4.30
Uhr die Polizei, nachdem der Angeklagte zuvor mit nacktem Oberkörper an der Wohnungstür des Zeugen A.

geklingelt und gegen die Tür geschla-
gen und getreten hatte. Den eintreffenden Polizeibeamten öffnete der vollkom-men unbekleidete und an Armen und Beinen blutverschmierte Angeklagte die Wohnungstür
und
eilte daraufhin
sofort ins Bad, wo er versuchte, sich mit ange-feuchteten Handtüchern das Blut abzuwaschen. Danach lief er kreuz und
quer durch die Wohnung und drängte sich mehrfach mit den Worten: "Meine Frau, meine Frau, ich will die jetzt ficken" zu dem Geschädigten hin, der [X.] im Wohnzimmer auf dem Boden lag. Da der Angeklagte von [X.] nicht abließ und nach einem der eingesetzten Polizeibeamten schlug und trat, wurden ihm Handfesseln angelegt. Während des Einsatzes der Polizei bot der Angeklagte den Beamten immer größer werdende Geldbeträge bis hin zu 500.000

,

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anderenfalls würden andere kommen und ihre Familien auslöschen. Am 8.
April 2012 um 5.58
Uhr wurde bei dem Angeklagten eine Blutalkoholkonzentration von 2,97

April 2012 an einer trotz ordnungsgemäßer Thromboseprophylaxe eingetretenen Lungenembolie auf
Grund der durch die Verletzungen erzwungenen Bettläge-rigkeit.
2.
Das sachverständig beratene [X.] hat angenommen, dass der Angeklagte infolge seines Alkoholkonsums bei Begehung der Tat in seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne von §
21 StGB erheblich vermindert, nicht jedoch schuldunfähig gewesen sei. Dem rechnerisch ermittelten Wert der Blutalkohol-konzentration zur Tatzeit in Höhe von 3,77

l-gewöhnung des Angeklagten nur geringe Aussagekraft zu. Die Bewertung der psychodiagnostischen Kriterien ergebe kein einheitliches Bild. Eine mittelgra-dige [X.] des Angeklagten mit der Folge eingeschränkter
kognitiver
Fähigkeiten sei nicht sicher belegbar, aber auch nicht auszuschließen. Für
einen solchen Rauschzustand spreche seine Situationsverkennung dahin, dass er
angenommen habe, in der Wohnung liege seine Frau. Seine Versuche, sich das Blut abzuwaschen, belegten demgegenüber das Vorhandensein guter kog-nitiver Fähigkeiten, ebenso die Tatsache, dass er den Polizeibeamten immer höhere Geldsummen angeboten habe, damit sie ihn laufen ließen.
II.
Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten durch die Straf-kammer begegnet
insbesondere im Hinblick auf die Bewertung der [X.]
durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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5
-
1.
Die [X.] hat
zum Nachteil des Angeklagten eine zu niedrige Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt zu Grunde gelegt.
Ausgehend vom [X.] der nur vier Stunden nach Beginn des von der [X.] angenommenen Tatzeitraums beim Angeklagten entnomme-nen Blutprobe (zur Bedeutung des [X.]raums zwischen Tat und Blutentnahme vgl. [X.], Urteil vom 9.
August 1988

1
StR
231/88, [X.]St 35, 308, 315, 317; [X.]sbeschluss vom 24.
Januar 2008

4
StR
542/07, [X.], 334, Tz.
8) ergibt sich als [X.] nicht, wie der Sachver-ständige meint, der vom [X.] angenommene Wert von 3,77

, sondern ein solcher von 3,97

Schuldfähigkeit ein stündlicher Abbauwert von 0,2

u-schlag von 0,2

vom 24.
Januar 2008 aaO, Tz.
7 mwN).
2.
Die Erwägungen, mit denen das [X.] die Indizwirkung der [X.] vor dem Hintergrund der Alkoholgewöhnung des Angeklagten und seines Verhaltens während und nach der Tat bewertet hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a)
Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] gibt es zwar keinen Rechts-
oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration die Schuldfähigkeit regelmäßig aufgehoben ist; Entsprechendes gilt für die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit ([X.], Urteil vom 29.
April 1997

1
StR
511/95, [X.]St 43, 66, 72
ff.; Urteil vom 22.
Oktober 2004

1
StR
248/04, [X.]R StGB §
21 Blutalkoholkon-zentration
37). So ist es dem Tatrichter auch nicht verwehrt, die [X.] des [X.] bei der Bewertung der festgestellten
Tatzeit-Blutalkohol-6
7
8
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6
-
konzentration zu berücksichtigen ([X.]sbeschluss vom 9.
November 1999

4
StR
521/99, [X.], 136). Gleichwohl hat diese insofern Bedeutung, als sie

unter Beachtung des Zweifelssatzes

Aufschluss über die Stärke der
alkoholischen Beeinflussung gibt und in diesem Sinne ein zwar nicht allgemein gültiges, aber gewichtiges Beweisanzeichen neben anderen ist
([X.] vom 9.
November 1999 aaO). Zwar kann die Schuldfähigkeit auch bei Werten, die deutlich über 3

das Leben und die körperliche Unversehrtheit noch (möglicherweise einge-schränkt) erhalten
geblieben
sein (vgl. SSW-StGB/[X.], §
20 Rn.
36 mN zur Rspr.).
In einem solchen Fall
ist jedoch regelmäßig die Prüfung einer Auf-hebung der Schuldfähigkeit veranlasst ([X.], Beschluss vom 13.
Januar 2010

2
StR
447/09, [X.]R StGB §
20 Blutalkoholkonzentration
20).
Die Bewertung und Gewichtung der dafür entscheidungserheblichen Indizien im Rahmen der Gesamtwürdigung des [X.] ist im Wesentlichen Aufgabe des [X.]. Das Revisionsgericht kann in diese Würdigung nur eingreifen, wenn sie auf fehlerhaften Erwägungen oder Vorstellungen beruht ([X.], Urteil vom 31.
Oktober 1989

1
StR
419/89, [X.]St 36, 286, 293). So verhält es sich hier.
b)
Die vom [X.] in diesem Zusammenhang angestellte Gesamt-würdigung ist bereits lückenhaft.
Nach den Urteilsfeststellungen stieß der Angeklagte im unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat im Treppenhaus mit unbekleidetem Oberkörper ohne erkennbaren Anlass unter lautem Schreien eine Drohung aus und zer-schlug eine Flasche, die er
dann dort liegen ließ. Ferner öffnete er beim [X.] vollständig unbekleidet die Wohnungstür. Diese Umstände [X.] nach Lage des Falles jeder für sich oder im Zusammenwirken für die Frage 10
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7
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der Schuldfähigkeit von Bedeutung sein; sie hätten
daher nicht unerörtert blei-ben dürfen.
c)
[X.] erweckt auch die Erwägung, der Versuch des Angeklagten, sich nach Erscheinen der Polizeibeamten das Blut abzuwa-schen, lasse auf erhalten gebliebene gute kognitive Fähigkeiten schließen. Schon dies lässt für sich genommen besorgen, dass das [X.] einem Verhalten, das eher dem Kreis einfacher Handlungsmuster zuzuordnen ist, für die Entkräftung der Indizwirkung der erheblichen [X.] eine zu große Bedeutung beigemessen hat (vgl. [X.]sbeschluss vom 9.
November 1999

4
StR
521/99, [X.], 136). Dass den Geldangeboten des Angeklagten den einschreitenden Beamten gegenüber eine solche Indiz-wirkung ebenfalls zukommt, liegt angesichts des fernliegenden Erfolges der [X.] und des Umstandes, dass der Angeklagte die Angebote mit haltlosen Drohungen verband, eher fern.
III.
Die Schuldfähigkeit des Angeklagten bedarf daher neuer Prüfung, [X.] unter Hinzuziehung eines anderen medizinischen Sachverständigen. Da der [X.] nicht ausschließen kann, dass der neue Tatrichter zur Annahme der Voraussetzungen des §
20 StGB gelangt, hat das angefochtene Urteil ins-gesamt keinen Bestand.
Für den Fall, dass auch die neue Verhandlung eine lediglich erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten (§
21 StGB) ergeben sollte, wird Folgendes zu bedenken sein:
12
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14
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1.
Im Hinblick darauf, dass die [X.] die Voraussetzungen eines minder schweren Falls des Totschlags im Sinne von §
213 StGB auf Grund der "massiven Einwirkung" des Angeklagten auf den Geschädigten abgelehnt hat, merkt der [X.] an, dass auch der im Sinne des §
21 StGB erheblich vermin-dert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Aus-gestaltung verantwortlich ist, sodass für eine derartige strafschärfende Erwä-gung
zwar grundsätzlich
Raum bleibt, indes nur nach dem Maß der geminder-ten Schuld. Dass dem Tatrichter diese Problematik bewusst war, muss das Ur-teil erkennen lassen ([X.], Beschluss vom 8.
Oktober 2002

5
StR
365/02, [X.], 104).
2.
Die vom [X.] angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß §
64 StGB begegnet mit der bisherigen [X.] ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Zwar
liegt der für die Unterbringungsanordnung erforderliche Hang, alko-holische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, beim Angeklagten nach den Urteilsfeststellungen auf der Hand. Auch
kann die von §
64 Abs.
1 StGB gefor-derte Gefahr weiterer erheblicher Straftaten schon allein durch die [X.] begründet werden ([X.]sbeschluss vom 20.
Januar 2004

4
StR
464/03, [X.], 204). Die Urteilsgründe beschränken sich indes zur Gefährlich-keitsprognose auf die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes, was dem [X.] die Prüfung, ob die [X.] insoweit von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist, unmöglich macht. Eine Darlegung der "detaillierten und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen" zu den [X.] wäre im vorliegenden Fall umso mehr geboten gewe-sen, als die Einzelheiten des zur Tat führenden Geschehens ebenso wenig [X.] festgestellt werden konnten wie das Motiv des Angeklagten für die Tat. 15
16
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-
Die für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkte, zu denen auch der

vom [X.] nicht erörterte

Grad der Therapiewillig-keit des Angeklagten zum Urteilszeitpunkt gehört (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 15.
Dezember 2009

3
StR
516/09, [X.], 141), hätten
hier ebenfalls einer
eingehenderen Darlegung in den Urteilsgründen bedurft.
Mutzbauer
Roggenbuck
Franke

Bender
Reiter

Meta

4 StR 557/12

13.02.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.02.2013, Az. 4 StR 557/12 (REWIS RS 2013, 8227)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8227

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 557/12

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