7. Senat | REWIS RS 2014, 6167
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(Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 23.04.2014 VII R 28/13 - "Rechtmäßiges Alternativverhalten" und Tilgungsreihenfolge bei Aufrechnung - Haftung des GmbH-Geschäftsführers wegen Nichtabgabe der Steuererklärung - Mitverschulden des Finanzamts)
1. NV: Hat das FA einen Geschäftsführer wegen pflichtwidriger Nichtabgabe einer Steuererklärung in Haftung genommen, so kann die Schadenszurechnung nicht unter dem Gesichtspunkt eines rechtmäßigen Alternativverhaltens entfallen. Denn die Haftung entfiele nur dann, wenn der Haftungsschuldner auch bei Vermeidung des ihm vorgeworfenen Pflichtenverstoßes, also durch das ihm abverlangte rechtmäßige Verhalten den Schaden verursacht hätte. Bei pflichtgemäßer Abgabe der Steuererklärung tritt der Steuerschaden aber gerade nicht ein .
2. NV: Die in § 225 Abs. 2 AO angeordnete Tilgungsreihenfolge gilt nur für freiwillige Zahlungen des Steuerschuldners. Gegen welche Ansprüche die Aufrechnung erklärt wird, entscheidet gemäß § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 396 Abs. 1 BGB der Aufrechnende, im Verrechnungsfall also das FA .
3. NV: Selbst im Falle eines Fehlverhaltens des FA fehlt es an einer Rechtsgrundlage dafür, dass der Haftungsanspruch wegen Mitverschuldens der Verwaltung ganz oder teilweise entfällt; allenfalls kann ein etwaiges Mitverschulden des FA im Rahmen der Ermessensprüfung Berücksichtigung finden und dies nur dann, wenn es gegenüber dem Verschulden des Haftungsschuldners deutlich überwiegt .
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war neben einem weiteren Mitgesellschafter bis zum 30. November 2006 Geschäftsführer der [X.] (GmbH). Danach wurde [X.] zur alleinigen Geschäftsführerin berufen. Auf deren Antrag wurde mit Beschluss vom [X.] Juni 2007 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet.
Da die GmbH zum Fälligkeitszeitpunkt, dem 28. Februar 2005, die Umsatzsteuerjahreserklärung 2003 nicht abgegeben hatte, schätzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) die Umsatzsteuer 2003 mit Bescheid vom 22. Juni 2005 auf 2.958,41 €.
Aus den fristgerecht eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen für das 1. bis 3. Quartal 2006 ergaben sich jeweils Guthaben (4.075,96 €, 5.268,71 €, 76.706,81 €), die das [X.] mit rückständigen Steuern der GmbH, u.a. Umsatzsteuer 2004 und Lohnsteuer Februar 2006, verrechnete.
Aufgrund einer bei der GmbH durchgeführten Außenprüfung setzte das [X.] die Umsatzsteuer 2003 mit Änderungsbescheid vom 12. Juni 2007 auf 36.822 € fest. Nach Abzug des bereits getilgten Schätzungsbetrags von 2.958,97 € verblieb eine ab 16. Juli 2007 fällige Umsatzsteuer 2003 in Höhe von [X.] €. Dieser Betrag ist in der zur Insolvenztabelle festgestellten Summe der vom [X.] angemeldeten Abgabenverbindlichkeiten enthalten.
Mit Bescheid vom 4. Oktober 2007 nahm das [X.] den Kläger --neben seinem Mitgeschäftsführer und der später berufenen [X.] gemäß § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung ([X.]) in Höhe von 80 % der rückständigen Umsatzsteuer 2003 in Haftung. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren, das zunächst zu einer Verböserung führte, erging im Klageverfahren ein erneuter Änderungsbescheid, mit dem die Haftungssumme auf 27.496,62 € (80 % von [X.] € nebst Säumniszuschlägen --[X.] in Höhe von 406,20 € --80 % von 1/2 der angefallenen [X.]) festgesetzt wurde.
Das Finanzgericht ([X.]) hat der Klage stattgegeben und den Haftungsbescheid aufgehoben. Der Kläger habe zwar den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 69 i.V.m. § 34 [X.] dadurch verwirklicht, dass er grob fahrlässig nicht für die fristgerechte Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 2003 der GmbH zum 28. Februar 2005 sowie für die Entrichtung des sich daraus ergebenden Steuerbetrags zum Zeitpunkt seiner fiktiven Fälligkeit zum 28. März 2005 gesorgt habe. Wörtlich führt das [X.] aus: "Bei sachgerechter Vorgehensweise des Beklagten bei der Vornahme von Verrechnungen i.S. von § 225 [X.] wäre aber die streitgegenständliche, fiktiv bereits am 28. März 2005 fällige Umsatzsteuerschuld in Höhe von 27 090,42 [X.] spätestens mit dem Eingang der Umsatzsteuervoranmeldung für das 3. Quartal 2006 beim Beklagten am 10. Oktober 2006 und der anteiligen Umbuchung des daraus resultierenden Erstattungsbetrags in Höhe von 76 706,81 [X.], also noch innerhalb des hier relevanten [X.] (28. Februar 2005 bis 30. November 2006) vollständig getilgt gewesen. Denn der Beklagte hätte in diesem Fall das Erstattungsguthaben gemäß der gesetzlichen Anordnung in § 225 Abs. 2 [X.] z.B. nicht - wie hinsichtlich eines [X.] geschehen - auf die rückständige Umsatzsteuer 2004, sondern vorrangig auf die (ältere) Umsatzsteuerschuld 2003 verrechnen müssen. Auf eine solche gesetzeskonforme Vorgehensweise des Beklagten durfte der Kläger vertrauen (...). Dieser Umstand führt dazu, dass die Haftung des Klägers für die Umsatzsteuer 2003 zu verneinen ist, denn es ist aufgrund der Handhabung von [X.] zwischen dem Beklagten und der GmbH in den Jahren 2003 ff. davon auszugehen, dass die GmbH bei pflichtgemäß pünktlicher Abgabe einer inhaltlich zutreffenden Umsatzsteuererklärung 2003 (...), also noch innerhalb des hier relevanten [X.], beim Beklagten einen Antrag auf Verrechnung der Guthaben aus den Umsatzsteuervoranmeldungen 1. bis 3. Quartal 2006 mit der (fiktiv) rückständigen Umsatzsteuer 2003 gestellt hätte und dieser vom Beklagten positiv beschieden worden wäre (...)."
Das [X.] rügt die Verletzung von Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Entscheidung sei rechtswidrig, da ihr die Annahme eines zweifachen hypothetischen Geschehensablaufs zugrunde liege. Zum einen unterstelle das [X.] die Abgabe einer inhaltlich zutreffenden und fristgerechten Umsatzsteuererklärung für 2003, zum anderen, dass der Kläger spätestens am 30. November 2006 einen Verrechnungsantrag mit Guthaben aus den Umsatzsteuervoranmeldungen 2006 gestellt hätte. Mit dieser Argumentation wäre jeder Haftungsinanspruchnahme nach § 69 [X.] der Boden entzogen, da dann jedem Haftungsschuldner --hypothetisch-- ein pflichtgemäßes Verhalten zu unterstellen wäre.
Das [X.] beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das [X.]-Urteil unter Hinweis darauf, dass nach den Feststellungen des [X.] tatsächlich genügend Guthaben zur Verrechnung und Tilgung aller Steuerschulden der GmbH zur Verfügung gestanden und auch der vom [X.] prognostizierte Verrechnungsantrag später gestellt worden sei. Ergänzend beruft er sich auf einen Umsatzsteuer-Vergütungsanspruch für das 4. Quartal 2006, bei dessen vorrangiger Verrechnung ebenfalls die Steuerschuld aus 2003 getilgt worden wäre.
II. Die Revision ist begründet. Das [X.] verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Da die Entscheidung auch nicht im Ergebnis zutreffend ist (§ 126 Abs. 4 [X.]O) ist das [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.
1. Nach den vom Kläger nicht in Frage gestellten Feststellungen des [X.] hat er durch nicht fristgerechte Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 2003 und demzufolge nicht fristgerechter Entrichtung des sich daraus ergebenden Steuerbetrags den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 69 i.V.m. § 34 [X.] verwirklicht. Es kann nicht zweifelhaft sein und bedarf daher keiner näheren Begründung, dass der eingetretene Steuerschaden durch die Pflichtverletzungen des [X.] verursacht worden ist.
2. Der Senat kann der Urteilsbegründung nicht klar entnehmen, woran das [X.] den Haftungsanspruch scheitern lässt. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger auf eine "gesetzeskonforme Vorgehensweise" des [X.] bezüglich einer Verrechnung der Steuerschuld 2003 mit Vergütungsansprüchen aus 2006 "vertrauen durfte", obwohl er die Abgabe der Steuererklärung 2003 --nach der vom [X.] getroffenen Feststellung-- pflichtwidrig unterlassen und damit die zutreffende (gegenüber der Schätzung des [X.] weit höhere) Festsetzung der Umsatzsteuer 2003 selbst verhindert hat.
Selbst wenn diese Ausführungen dahin interpretiert werden könnten, das [X.] habe bei der Prüfung der Kausalität der Pflichtverletzung ein rechtmäßiges Alternativverhalten des [X.] in Betracht gezogen, ließe sich damit seine Entscheidung nicht begründen. Ungeachtet der Frage, ob der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens dem Haftungsanspruch überhaupt entgegengehalten werden kann, wäre im Streitfall bei pflichtgemäßer Abgabe der Umsatzsteuererklärung 2003, der Steuerschaden nicht in gleicher Weise, sondern gerade nicht eingetreten. Es bestehen daher keine Zweifel an der Kausalität.
Im Hinblick auf die vom [X.] zitierten Senatsentscheidungen (vgl. nur Senatsurteil vom 2. August 1988 VII R 60/85, [X.] 1989, 150) ist auch nicht ausgeschlossen, dass der Entscheidung die --irrige-- Rechtsauffassung zugrunde lag, der Haftungsanspruch entfalle, wenn das [X.] den eingetretenen Steuerschaden durch eigenes pflichtwidriges Verhalten --im Streitfall durch die vermeintlich unzutreffende Verrechnung des [X.] (mit-)verschuldet hat.
Zum einen hat sich das [X.] nicht pflichtwidrig verhalten, als es den Erstattungsanspruch aus 2006 mit bereits fälligen Steuerschulden aus 2004 und 2006 verrechnet hat. Denn anders als das [X.] meint, hätte der [X.] aus der Umsatzsteuervoranmeldung für das 3. Quartal 2006 nicht in Anwendung der in § 225 Abs. 2 [X.] vorgegebenen Verrechnungsreihenfolge mit der "fiktiv fälligen" Umsatzsteuerschuld 2003 --ihre Aufrechenbarkeit i.S. des § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sei hier dahingestellt-- verrechnet werden müssen. Die in § 225 Abs. 2 [X.] angeordnete [X.] gilt nur für freiwillige Zahlungen des [X.]. Gegen welche Ansprüche die Aufrechnung erklärt wird, entscheidet gemäß § 226 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 396 Abs. 1 BGB der Aufrechnende, hier also das [X.] (vgl. Klein/Rüsken, [X.], 12. Aufl., § 225 Rz 8 und § 226 Rz 6). Demnach war das [X.] nicht gehindert, gegen die Erstattungsansprüche der GmbH aus 2006 mit bereits festgesetzten und fälligen --und damit aufrechenbaren-- Steuerforderungen aus 2004 und 2006 aufzurechnen.
Zum anderen sei angemerkt, dass es [X.] im Fall eines unterstellten Fehlverhaltens des [X.]-- an einer Rechtsgrundlage dafür fehlt, den Haftungsanspruch wegen Mitverschuldens der Verwaltung ganz oder teilweise entfallen zu lassen; allenfalls kann ein etwaiges Mitverschulden des [X.] im Rahmen der Ermessensprüfung Berücksichtigung finden und dies nur dann, wenn es gegenüber dem Verschulden des [X.] deutlich überwiegt (Senatsbeschluss vom 21. September 2009 VII B 85/09, [X.] 2010, 11, m.w.N.). Zu diesen Grundsätzen verhält sich das Urteil nicht.
3. Mit den Ausführungen des [X.] zur vermeintlich gebotenen Verrechnung mit einem angeblichen Vergütungsanspruch aus dem Umsatzsteuervoranmeldungszeitraum 4. Quartal 2006 macht er geltend, die [X.] sei geringer als vom [X.] geltend gemacht. Das angebliche Guthaben aus der Voranmeldung besteht aber nicht, weil das [X.] der Steueranmeldung nicht zugestimmt hat (§ 168 Satz 2 [X.]).
4. Da sonstige Mängel des angefochtenen [X.] vom Kläger nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich sind, erweist sich die Aufhebung des [X.] als rechtsfehlerhaft mit der Folge, dass das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen ist.
5. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.
Meta
23.04.2014
Urteil
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 11. September 2012, Az: 9 K 9162/10, Urteil
§ 69 AO, § 34 AO, § 225 AO, § 226 AO, § 396 Abs 1 BGB
Zitiervorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.04.2014, Az. VII R 29/13 (REWIS RS 2014, 6167)
Papierfundstellen: REWIS RS 2014, 6167
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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