Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.04.2014, Az. 2 ARs 30/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 6662

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Gegenstand

Gerichtsstandsbestimmung: Taten während des 2. Weltkrieges; Amtsträgereigenschaft bei Mitgliedern von SS bzw. SD-Verbänden


Tenor

Die Untersuchung und Entscheidung der Sache wird gemäß §13a StPO dem

Landgericht München II

übertragen.

Gründe

I.

1

Die Zentrale Stelle der [X.] führt gegen den Betroffenen, einen [X.] Staatsangehörigen [X.] Herkunft, ein Vorermittlungsverfahren wegen der Beteiligung an Massenexekutionen im [X.] in den Jahren 1943/1944. Nach dem mitgeteilten Sachverhalt wurden diese vom „[X.]. des [X.]", einer dem Kommandeur der [X.] unterstellten [X.] Hilfspolizeieinheit, im Rahmen von [X.] und sogenannten „Pazifizierungsmaßnahmen", aber auch der organisierten [X.] durchgeführt. Der Betroffene war danach „Hundertschaftsführer" in dieser durchgehend von [X.]-Angehörigen befehligten und von [X.] Seite besoldeten und ausgerüsteten Einheit.

II.

2

Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandbestimmung durch den [X.] gemäß § 13a [X.] liegen vor, da es im Geltungsbereich der [X.] an einem zuständigen Gericht fehlt und [X.] Strafrecht nicht offenkundig unanwendbar ist (vgl. Scheuten in KK-[X.], 7. Aufl., § 13a Rn. 5 mwN).

3

1. Ein zuständiges Gericht in der [X.] ist nach gegenwärtiger Aktenlage nicht ermittelt. Im Hinblick auf den Aufenthalt des Betroffenen in einem Lager für „Displaced Persons" in [X.] vor seiner Ausreise in die [X.] käme allenfalls der Gerichtsstand des letzten Wohnsitzes (§ 8 Abs. 2 Alt. 2 [X.]) in Betracht. Ob sich der Betroffene dort im Sinne von § 7 Abs. 1 BGB niedergelassen hat, lässt sich indes nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Dezember 2008 - 2 [X.], [X.], 84).

4

2. Nach dem mitgeteilten Sachverhalt liegt nicht fern, dass auf die Taten nach damaligen Recht [X.] Strafrecht gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 [X.] Anwendung gefunden hätte (nachfolgend a). Zudem wäre nach heutigem Recht [X.] Strafrecht gemäß § 5 Nr. 13 StGB anwendbar (nachfolgend b), so dass § 2 Abs. 3 StGB - bei durchgängiger Geltung des [X.] Strafrechts - die heutige Anwendung des Tatzeitrechts nicht ausschließt.

5

a) Nach der durch die Verordnung über den Geltungsbereich des Strafrechts vom 6. Mai 1940 ([X.]) eingeführten Vorschrift des § 4 Abs. 3 Nr. 1 [X.] galt das [X.] Strafrecht auch für Straftaten, die ein Ausländer „als Träger eines [X.] staatlichen Amtes" im Ausland begeht.

6

aa) Dieser Vorschrift unterfällt der Betroffene schon nach ihrem Wortsinn. Nach der damaligen Begriffsbestimmung waren Amtsträger auch Personen, die, ohne Beamte zu sein, dazu bestellt waren, obrigkeitliche Aufgaben wahrzunehmen ([X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.] Strafrecht, 1. Band, [X.], vgl. auch [X.], 231, 233 mwN).

7

Dies liegt nach dem zu Unterstellung, Befehlsstruktur und Ausrüstung des „[X.]. des [X.]" mitgeteilten Sachverhalt nahe. Bei den beschriebenen „Pazifizierungen" bzw. Massentötungen von [X.] handelte es sich - nach damaliger Auffassung - um Aufgaben sicherheitspolizeilicher und damit aus der [X.] Staatsgewalt abgeleiteter Natur, die den (weltanschaulichen) Zwecken des [X.] dienten. Im Übrigen soll es nach dem mitgeteilten Sachverhalt auch eine Vereinbarung zwischen den [X.] Stellen und der [X.] der Einheit gegeben haben, deren Inhalt insoweit von Bedeutung sein könnte.

8

Der Betroffene war als Mitglied einer Einheit des Sicherheitsdienstes ([X.]) der [X.] auch nicht Soldat (vgl. § 18 Abs. 4, § 21 Abs. 2 Wehrgesetz vom 21. Mai 1935, [X.] I S. 609) oder Mitglied des [X.] (vgl. § 155 des Militärstrafgesetzbuches vom 10. Oktober 1940, [X.] I S. 1347). Zwar lassen sich einzelne Taten möglicherweise auch dem militärischen Tätigkeitsbereich zuordnen (etwa der Partisanenbekämpfung, vgl. hierzu und zu möglichen völkerrechtlichen Rechtfertigungsgründen [X.], Beschluss vom 25. Oktober 2010 - 1 StR 57/10, [X.]St 56, 11 Rn. 31 ff.); dies gilt aber insbesondere nicht für Massentötungen im Rahmen der staatlich angeordneten [X.] (vgl. insgesamt [X.], [X.] 2010, 132, 148 f.).

9

bb) Soweit der Betroffene als Mitglied einer „ausländischen Hilfsmannschaft" der [X.] der Verordnung über die Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen für Angehörige der [X.] und für die Angehörigen der Polizeiverbände bei besonderem Einsatz vom 17. Oktober 1939 ([X.]- und PolGVO, [X.] [X.]) unterfallen sollte, stünde dies der Anwendung von § 4 Abs. 3 Nr. 1 [X.] nicht entgegen, auch wenn auf die Angehörigen dieser Einheiten das [X.] Strafrecht schon auf Grund einer entsprechenden Anwendung von § 1 Abs. 2 der Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegssonderstrafrechtsverordnung - K[X.]VO) vom 17. August 1938 ([X.] I S. 1455) anzuwenden war (vgl. [X.], [X.] einer „Elite" - [X.] Rechtsprechung am Beispiel der [X.]- und Polizeigerichtsbarkeit, 2001, S. 23 mwN; [X.] aaO). Denn dabei handelt es sich nach dem gesamten Regelungsgefüge nicht um eine abschließende Sonderregelung.

cc) Schließlich widerspricht eine solche Auslegung auch nicht dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 3 Nr. 1 [X.]. Die Einführung dieser Vorschrift beruhte zumindest auch auf dem Gedanken, dass das [X.] Recht die Auslandstat eines Ausländers auch dann verfolgen können soll, wenn dieser durch seine Stellung eine besondere Treuepflicht gegenüber dem [X.] Staat erlangt und dadurch Inländern nahesteht (vgl. [X.] aaO 481 f.; von [X.], Strafgesetzbuch für das [X.], 12. Aufl., 1942, § 4 [X.]. 9; von [X.], Das Kriegsstrafrecht, [X.] - Das neueste allgemeine Kriegsstrafrecht, 1942, S. 12). Das vom [X.] Gesetzgeber in diesem Zusammenhang nachdrücklich verfolgte Ziel, die „Autorität der [X.] Strafrechtspflege" ([X.] aaO 465) möglichst umfassend zu gewährleisten, spricht dafür, dass die Vorschrift auch auf Mitglieder der - erst nach ihrer Einführung gebildeten - „ausländischen Hilfsmannschaften" Anwendung gefunden hätte. Auch die im damaligen Schrifttum erwogene Beschränkung der Vorschrift auf echte und unechte Amtsdelikte (vgl. [X.] aaO 482; Schinnerer in [X.], Reichs-Strafgesetzbuch, 6. Aufl., 1944, [X.]. 2.B.1.a) steht diesem Auslegungsergebnis angesichts der klaren Zielvorstellung des [X.] nicht entgegen (aA [X.] aaO 147 mwN).

b) Nach heutigem Recht wäre der Betroffene als Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. [X.] anzusehen, so dass nach § 5 Nr. 13 StGB ebenfalls [X.] Strafrecht anzuwenden wäre.

Der Senat sieht keinen Anlass, staatlich organisierte Massentötungen, in denen staatliche Anordnungs- und Zwangsgewalt (vgl. BT-Drucks. 7/550 S. 209; [X.] in [X.], StGB, 12. Aufl., § 11 Rn. 42 f.) in denkbar schärfster Weise zum Ausdruck kommt, aus dem Anwendungsbereich des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. [X.] herauszunehmen. Auf Basis der bisherigen Erkenntnisse erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass die Voraussetzungen für eine Bestellung im Sinne dieser Vorschrift vorliegen (vgl. hierzu [X.], StGB, 61. Aufl. § 11 Rn. 20 mwN).

Der Senat ist mit der herrschenden Ansicht im Schrifttum (vgl. [X.] in [X.]/[X.], StGB, 28. Aufl., § 5 Rn. 20; [X.] in [X.], StGB, 12. Aufl., § 5 Rn. 198 f.; [X.]/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 5 Rn. 3; MüKoStGB/[X.], 2. Aufl., § 5 Rn. 36; [X.]W-StGB/Satzger, 2. Aufl., § 5 Rn. 26; aA etwa [X.], 4. Aufl., § 5 Rn. 17) schließlich nicht der Auffassung, dass § 5 Nr. 13 StGB nur echte oder unechte Amtsdelikte unterfallen. Vom Wortlaut der Vorschrift sind alle Taten umfasst, die der Täter in seiner Eigenschaft als Amtsträger begeht. Eine darüber hinausgehende Einschränkung auf Amtsdelikte lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen (vgl. BT-Drucks. 4/650 S. 112).

3. Der Senat hat daher die Untersuchung und Entscheidung der Sache gemäß § 13a [X.] dem [X.] übertragen.

[X.]                              Appl                              Schmitt

                    Krehl                                  Ott

Meta

2 ARs 30/14

01.04.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

§ 13a StPO, § 5 Nr 13 StGB, § 11 Abs 1 Nr 2 Buchst c StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.04.2014, Az. 2 ARs 30/14 (REWIS RS 2014, 6662)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6662

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