Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.11.2017, Az. AK 54/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 2768

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ECLI:DE:BGH:2017:081117BAK54.17.0

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

AK 54/17
vom
8. November 2017
in dem Ermittlungsverfahren
gegen

wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
u.a.

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der General-staatsanwaltschaft München sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 8.
November 2017 gemäß §§
121, 122 StPO beschlossen:

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesge-richtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemei-nen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:
I.
Der Beschuldigte wurde am 8.
April 2017 festgenommen und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst auf Grund Haftbe-fehls der Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts Nürnberg vom 9.
Januar 2017 und sodann auf Grund Haftbefehls der Ermittlungsrichterin des Oberlandesge-richts München vom 12.
Mai 2017.
Gegenstand des aktuell vollzogenen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Be-schuldigte habe als Heranwachsender

sich an einer Vereinigung im Ausland, deren Zwecke oder deren Tätig-keit darauf gerichtet seien, Mord (§
211 StGB) oder Totschlag (§
212 StGB) oder Völkermord (§
6 VStGB) oder Verbrechen gegen
die 1
2
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-
Menschlichkeit (§
7 VStGB) oder Kriegsverbrechen (§§
8, 9,
10, 11, 12 VStGB) zu begehen, als Mitglied beteiligt und

durch dieselbe Handlung eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er eine andere Person unterwiesen habe oder sich habe unterweisen lassen in der Herstellung von oder im Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoffen, Spreng-
oder Brandvorrichtungen, Kern-brenn-
oder sonstigen radioaktiven Stoffen, Stoffen, die Gift enthalten oder hervorbringen können, anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, zur Ausführung der Tat erforderlichen besonderen Vorrichtungen oder in sonstigen Fertigkeiten, die der Begehung einer schweren staatsgefähr-denden Gewalttat dienen,
strafbar gemäß §
89a Abs.
1, 2 Nr.
1, §
129a Abs.
1 Nr.
1, §
129b Satz
1,
2, §
52 StGB.
Der Beschuldigte sei am 4./5.
September 2016 von Deutschland aus in das syrische Bürgerkriegsgebiet gereist und habe sich dort der außereuropäi-schen terroristischen Vereinigung "Jabhat Fath al-Sham" angeschlossen. Er habe sich einer mehrwöchigen Kampfausbildung unterzogen sowie anschlie-ßend von Ende Oktober bis Anfang November 2016 für die Vereinigung Wach-dienste ausgeübt und sich an Kampfhandlungen in Aleppo beteiligt. Außerdem habe er sich Anfang Oktober 2016 erfolglos darum bemüht, von seiner Familie Geldmittel für den Kauf einer Kriegswaffe und sonstiger militärischer Ausrüs-tung zu erlangen.
Gegen diesen Haftbefehl legte der Beschuldigte Beschwerde ein, die der 9.
Strafsenat des Oberlandesgerichts München mit Beschluss vom 27.
Juni 2017 verwarf.
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-
II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl vom 12.
Mai 2017 vorge-worfenen Tat dringend verdächtig.
a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Gesche-hen auszugehen:
aa) Die "Jabhat Fath al-Sham"
Die "Jabhat Fath al-Sham" ("Front zur Eroberung Großsyriens") ist iden-tisch mit der Vereinigung "Jabhat al-Nusra", die Ende 2011 von Abu Muhamm-ad al-Jawlani und anderen syrischen Mitgliedern der seinerzeitigen Organisati-on "Islamischer Staat im Irak" (ISI) im Auftrag deren Anführers Abu Bakr al-Baghdadi in Syrien gegründet wurde und als Ableger der irakischen Organisati-on im Nachbarland operieren sollte. Die Gründung wurde im Januar 2012 in einem im Internet veröffentlichten Video bekannt gegeben. Zwischen den bei-den Gruppierungen kam es im April 2013 zum Bruch, als al-Baghdadi die Ver-einigung der Teilorganisationen ISI und Jabhat al-Nusra im neu ausgerufenen "Islamischen Staat im
Irak und Großsyrien" (ISIG) verkündete. Muhammad al-Jawlani wies dies als Anführer der Jabhat al-Nusra zurück, betonte die Eigen-ständigkeit seiner Gruppierung und legte den Treueeid auf den Emir der Kern-al-Qaida, Ayman al-Zawahiri, ab; sie fungierte danach als Regionalorganisation von al-Qaida in Syrien. In der Folge kam es zu bewaffneten Auseinanderset-zungen zwischen der Jabhat al-Nusra und dem ISIG.
Gemäß einer Videoverlautbarung von Muhammad al-Jawlani vom 28.
Juli 2016 benannte sich die Jabhat al-Nusra um in Jabhat Fath al-Sham 6
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und löste sich einvernehmlich von der Kern-al-Qaida. Im Januar 2017 ging die Jabhat Fath al-Sham wiederum in dem al-Quaida-nahen Bündnis "Hai'a Tahrir al-Sham" (Vereinigung zur Befreiung Großsyriens) auf, dessen militärische Führung Muhammad al-Jawlani übernahm.
Ziel der Jabhat Fath al-Sham war der Sturz des Assad-Regimes in Syri-en, das sie durch einen islamischen Staat auf der Grundlage ihrer eigenen In-terpretation der Sharia ersetzen wollte. Darüber hinaus erstrebte sie die "Be-freiung" des historischen Großsyrien, das heißt Syriens einschließlich von Tei-len der südlichen Türkei, des Libanon, Jordaniens, Israels und der palästinen-sischen Gebiete. Diese Ziele verfolgte die Vereinigung mittels militärischer Ope-rationen, aber auch durch Sprengstoffanschläge, Selbstmordattentate, Entfüh-rungen, gezielte Tötungen von Angehörigen des syrischen Militär-
und Sicher-heitsapparats und nicht am Konflikt beteiligten Zivilisten. Insgesamt werden der Gruppierung mehr als 2.000 Anschläge zugerechnet, bei denen mindestens 10.000 Menschen getötet wurden.
Die Jabhat Fath al-Sham war militärisch-hierarchisch organisiert. Dem Anführer Muhammad al-Jawlani war ein aus fünf bis sechs Personen gebildeter Shura-Rat zugeordnet. Unterhalb dieser Führungsebene standen die Komman-deure der kämpfenden Einheiten, die ihrerseits in die vor Ort agierenden Kampfgruppen untergliedert waren. Ihre militärische Ausbildung erhielten die Kämpfer in einem verzweigten Netz von Trainingslagern. Daneben gab es Hin-weise auf sogenannte "Sharia-Komitees" in den von der Organisation kontrol-lierten Gebieten, die religiöse Angelegenheiten regelten und den Aufbau eines eigenen Justiz-
und Verwaltungssystems vorantrieben. Für ihre Öffentlichkeits-arbeit bediente sie sich einer eigenen Medienstelle, über die sie im Internet Verlautbarungen, Operationsberichte und Anschlagsvideos verbreitete. Darüber 12
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hinaus unterhielt sie ein Netzwerk von "Korrespondenten" in Syrien, die ihre Berichte über Twitter-Kanäle veröffentlichten.
bb) Die
Tathandlungen des Beschuldigten
Der Beschuldigte reiste am 4.
September 2016 aus Deutschland aus und gelangte am 5.
September 2016 über die Türkei unter Inanspruchnahme von Schleuserdiensten in das syrische Bürgerkriegsgebiet, wo er sich der
Jabhat Fath al-Sham anschloss. Er gliederte sich in die Organisation ein und identifizierte sich mit der Ideologie, den Zielen und der Tätigkeit der Vereini-gung.
In der Folge durchlief der Beschuldigte ein mehrwöchiges zweistufiges paramilitärisches Training, während dessen er unter anderem an Schusswaffen ausgebildet wurde, um sich an bewaffneten Kämpfen gegen das Assad-Re-gime in Aleppo zu beteiligen. Im Anschluss daran nahm er für die Jabhat Fath al-Sham von Ende Oktober bis Anfang November 2016 Wachdienste wahr und -
wie beabsichtigt -
an bewaffneten Kampfeinsätzen in Aleppo teil.
Darüber hinaus bemühte sich der Beschuldigte am 9./10. Oktober 2016 mehrfach über den Messengerdienst "WhatsApp" erfolglos darum, von seiner Mutter Geldmittel zu erlangen, um sich
davon militärische Ausrüstungsgegen-stände einschließlich einer Kriegswaffe zu kaufen. Weiterhin rief er jedenfalls am 7.
Oktober 2016 auf seinem Instagram-Account andere ausreisewillige Kämpfer zur "Hijra" in das syrische Bürgerkriegsgebiet auf; in einer Telegram-Chatnachricht vom 29.
Oktober 2016 gab er seinem Kommunikationspartner Rat zu im Rahmen der Ausreise benötigten Geldmitteln und kündigte an, ihn zu diesem Zweck an eine andere Person zu vermitteln.
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7
-

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Haftbefehl vom 12.
Mai 2017 und den auf die Haftbeschwerde ergangenen Beschluss vom 27.
Juni 2017 ver-wiesen.
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der außereuropäi-schen terroristischen Vereinigung "Jabhat Fath al-Sham" aus den "Strukturer-kenntnissen", die der Generalbundesanwalt zu dieser Organisation für das vor-liegende Verfahren in der gleichnamigen Sachakte zusammengetragen hat, insbesondere dem Gutachten des islamwissenschaftlichen Sachverständigen Dr.
S.

vom 11.
Dezember 2014
sowie -
vor allem die jüngeren Entwick-lungen betreffend -
dem Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungs-schutz vom 13.
Oktober 2016, der Behördenerklärung des Bundesnachrichten-dienstes vom 6.
Februar 2017 und dem Auswertebericht des Bundeskriminal-amts
("Zwischenstand März 2017").
Hinsichtlich der Beweislage zu den Tathandlungen des -
bislang zur
Sache schweigenden -
Beschuldigten nimmt der Senat zunächst Bezug auf die diesbezüglichen Ausführungen im Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 27.
Juni 2017 (S.
6
ff.).
Die weiteren kriminalpolizeilichen Ermittlungen haben den dringenden Tatverdacht noch verfestigt. So hat der Zeuge

Ö.

ausgesagt, der Beschuldigte habe ihm nach seiner Ausreise über den Messengerdienst "WhatsApp" mitgeteilt, dass er für die Terrorvereinigung "al-Nusra" kämpfe. Der Zeuge

K.

hat bekundet, der Beschuldigte habe ihm vor der Abrei-se offenbart gehabt, dass er beabsichtige, sich an den bewaffneten Auseinan-dersetzungen in Syrien zu beteiligen; auf Grund vom Beschuldigten zuvor für die "Jabhat al-Nusra" geäußerter Sympathien sei ihm -
dem Zeugen -
klar ge-wesen, dass jener einen Anschluss an diese terroristische Vereinigung anstre-18
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be. Ebenfalls erhärtet wird der dringende Tatverdacht durch die Auswertung der vom Beschuldigten über den Messengerdienst "Telegram" geführten Kommuni-kation. So bestätigte er etwa einem unbekannten Kommunikationspartner am 9.
November 2016, drei Tage in Aleppo gewesen zu sein. Auf Telegram-Profil-bildern ist der Beschuldigte in Militärkleidung mit einer Kalaschnikow zu erken-nen. Auch die Ermittlungsergebnisse zum Onlinedienst "Instagram" belegen den dem Beschuldigten angelasteten Sachverhalt. Sein ehemaliges dortiges Profil weist darauf hin, dass er Angehöriger der "Jabhat Fath al-Sham" war; zudem ergibt sich aus den Ermittlungen, dass er über "Instagram" andere zur Ausreise in das syrische Bürgerkriegsgebiet aufforderte. Bezüglich der weiteren Ermittlungen nach der Entscheidung über die Haftbeschwerde verweist der Se-nat ergänzend auf den "2.
Sachstandsbericht" der Kriminalpolizei Nürnberg vom 8.
September 2017.
Soweit die Verteidigung im Haftbeschwerdeverfahren geltend gemacht hat, die im Haftbefehl verwerteten WhatsApp-Chatnachrichten an die Familie des Beschuldigten stammten nicht von ihm, sondern seien durch Dritte gefertigt und versandt worden, vermag dies unter den gegebenen Umständen den drin-genden Tatverdacht nicht zu entkräften. Ungeachtet dessen, dass kein Anhalt dafür besteht, dass der Account des Beschuldigten ohne sein Wissen zu Falschmeldungen missbraucht worden wäre, wird -
in Anbetracht der Beweisla-ge im Übrigen -
nach derzeitigem Sachstand in der Hauptverhandlung zu klären sein, inwieweit sich der zuständige Strafsenat des Oberlandesgerichts Mün-chen von der Authentizität der Chatnachrichten zu überzeugen vermag.
Entgegen der im Haftprüfungsverfahren geäußerten Auffassung der Ver-teidigung entkräftet auch die -
nach Aktenlage dem Beschuldigten zuzurech-nende -
Telegram-Chatnachricht vom 5.
Oktober 2016, er sei "in der nähe von jizr (Stadt Jisr al-Shughur) bei junud al sham", nicht den dringenden Tatver-22
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9
-
dacht hinsichtlich einer Mitgliedschaft in der Jabhat Fath al-Sham. Denn zum einen ist eine solche Bekundung, soweit ersichtlich, vereinzelt geblieben. Zum anderen könnte der Inhalt der Nachricht im Sinne einer Ortsangabe zu verste-hen sein. Schließlich deutet eine WhatsApp-Chatnachricht des Beschuldigten vom 29.
Oktober 2016 darauf hin, dass jihadistische Gruppierungen, so auch die Junud al-Sham, vereint unter dem Dach bzw. dem Kommando der Jabhat Fath al-Sham an bewaffneten Konflikten teilnahmen.
c) In rechtlicher Hinsicht folgt aus alledem, dass sich der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§
89a Abs.
1, 2 Nr.
1, §
129a Abs.
1 Nr.
1, §
129b Abs.
1 Satz
1, §§
52, 53 StGB) strafbar gemacht hat.
aa) Indem sich der Beschuldigte der außereuropäischen terroristischen Vereinigung "Jabath Fath al-Sham" anschloss und sich auf verschiedene Wei-se, unter anderem als Kämpfer, für diese betätigte, beteiligte er sich an ihr als Mitglied.
(1) Soweit er sich dabei im Umgang mit Schusswaffen sowie in sonstigen
zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat dienlichen Fertig-keiten unterweisen ließ, verwirklichte er -
idealkonkurrierend mit dieser mit-gliedschaftlichen Beteiligung (§
129a Abs.
1 Nr.
1, §
129b Abs.
1 Satz
1 StGB) -
den Straftatbestand des §
89a Abs.
1,
2 Nr.
1 StGB. Da nach den Ermittlungs-ergebnissen alles darauf hindeutet, dass sich die Kampfhandlungen, zu denen der Beschuldigte schon während seines paramilitärischen Trainings fest ent-schlossen war, (auch) gegen das Assad-Regime richten sollten, besteht kein Zweifel an der hinreichenden Konkretisierung der schweren staatsgefährden-24
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-
den Gewalttat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 6.
April 2017 -
3
StR 326/16, NJW 2017, 2928, 2929
f.).
Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, wie es konkurrenzrechtlich zu bewerten ist, wenn der die schwere staatsgefährdende Gewalttat Vorberei-tende diese später tatsächlich begeht und sich dadurch nach anderen Strafvor-schriften, beispielsweise wegen Tötungsdelikten, strafbar macht. Einerseits könnte auf allgemeine Grundsätze zum Verhältnis von Beteiligungsversuch im Vorfeld der Tat (§
30 StGB), Versuch (§§
22
ff. StGB) und Vollendung zurück-gegriffen werden, so dass die Vorbereitungstat nach §
89a StGB als weniger intensive Deliktsverwirklichung gegenüber der -
zunächst nur geplanten, dann aber -
ausgeführten Gewalttat wegen Subsidiarität zurückträte (so MüKo-StGB/Schäfer, 3.
Aufl., §
89a Rn.
76 mwN; zu den für §
30 StGB geltenden rechtlichen Maßstäben s. BGH, Urteil vom 15.
Mai 1992 -
3
StR 419/91, BGHR StGB §
30 Abs.
1 Satz
1 Konkurrenzen
3; Beschluss vom 14.
April 2010 -
2
StR 87/10, StraFo 2010, 296; MüKoStGB/Joecks, 3.
Aufl., §
30 Rn.
73); anderer-seits könnte gegen die Annahme von Gesetzeseinheit eingewandt werden, dass die auf die Gewalttat selbst anzuwendenden Strafvorschriften regelmäßig andere Rechtsgüter schützen (so S/S-Sternberg-Lieben, StGB, 29.
Aufl., §
89a Rn.
24). Eine derartige Fallkonstellation ist hier allerdings nicht zu beurteilen; die Teilnahme des Beschuldigten an den Kampfhandlungen in Syrien lässt sich anhand der Ermittlungsergebnisse bislang nicht in dem Sinne näher bestim-men, dass sie sich unter eine andere Strafnorm subsumieren ließe.
(2) Soweit sich der Beschuldigte nach Aktenlage über das Sichunter-weisenlassen im Sinne von §
89a Abs.
1, 2 Nr.
1 StGB hinaus als Mitglied für die Jabhat Fath al-Sham betätigte, etwa indem er sich um Geldmittel für den Kauf von militärischer Ausrüstung bemühte oder zugunsten der Vereinigung zur Ausreise in das syrische Bürgerkriegsgebiet aufrief, erfüllt dieses Verhalten ne-27
28
-
11
-
ben §
129a Abs.
1 Nr.
1, §
129b Abs.
1 Satz
1 StGB keinen weiteren Straftat-bestand. Diese Betätigungsakte werden durch das Organisationsdelikt ver-klammert und treten in ihrer Gesamtheit als materiellrechtlich eigenständige Tat (§
53 StGB) zu den auch gegen ein anderes Strafgesetz verstoßenden Beteili-gungshandlungen hinzu (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9.
Juli 2015 -
3
StR 537/14, BGHSt
60, 308, 311
f., 319
f.; vom 20.
Dezember 2016 -
3
StR 355/16, BGHR StGB §
129a Konkurrenzen 6).
Die verbleibende tatbestandliche Handlungseinheit, in welche die an-sonsten straflosen Betätigungsakte fallen, ist ebenfalls Gegenstand der Haft-prüfung, weil sich der vollzogene und vorgelegte Haftbefehl vom 12.
Mai 2017 in tatsächlicher Hinsicht auf einzelne dieser Handlungen bezieht (zu den recht-lichen Maßstäben s. BGH, Beschlüsse vom 28. Juli 2016 -
AK 41/16, juris Rn.
8
f.; vom 11.
Januar 2017 -
AK 67/16, juris Rn.
22). So sind darin insbe-sondere auch die Bemühungen
um Geldmittel angeführt.
bb) Deutsches Strafrecht ist gemäß §
129b Abs.
1 Satz
2 Variante
2, 4 StGB und §
89a Abs.
3 Satz
2 Variante
1 StGB anwendbar (zum Strafanwen-dungsrecht in den Fällen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer außereu-ropäischen terroristischen Vereinigung s. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 6.
Oktober 2016 -
AK 52/16, juris Rn.
33
ff.).
cc) Die nach §
129b Abs.
1 Satz
2, 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern der Jabhat Fath al-Sham -
als Nachfolgerin der Jabhat al-Nusra -
liegt in der Fassung vom 26.
November 2015 vor. Die gemäß §
89a Abs.
3 Satz
2, Abs.
4 Satz
1 StGB notwendige Er-mächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung des Beschuldigten wegen Vorberei-tung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat wurde am 13.
Oktober 2016 erteilt.
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-
12
-
2. Beim Beschuldigten ist der Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß §
112 Abs.
3 StPO, auch bei der gebotenen restriktiven Handhabung der Vor-schrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60.
Aufl., §
112 Rn.
37 mwN), gege-ben.
Das Oberlandesgericht München hat sich in dem auf die Haftbeschwer-de des Beschuldigten ergangenen Beschluss vom 27.
Juni 2017 eingehend mit dem Haftgrund der Schwerkriminalität befasst, dabei die hierfür geltenden rechtlichen Maßstäbe zutreffend wiedergegeben und die tatsächlichen Um-stände überzeugend dargelegt, auf Grund derer eine Flucht des Beschuldigten
-
wenn er auf freien Fuß entlassen würde -
nicht auszuschließen wäre. Der Se-nat schließt sich der Bewertung des Beschwerdegerichts an. Von besonderer Bedeutung ist dabei Folgendes:
Zwar kehrte der Beschuldigte am 8.
April 2017 freiwillig mit dem Flug-zeug nach Deutschland zurück und ließ hierüber durch einen seiner Verteidiger den kriminalpolizeilichen Sachbearbeiter informieren, was die Festnahme des Beschuldigten bei seiner Ankunft am Düsseldorfer Flughafen zur Folge hatte. Dies bietet jedoch keine hinreichende Gewähr dafür, dass er sich künftig dem Strafverfahren zuverlässig zur Verfügung stellt. Der Beschuldigte erwies sich in der Vergangenheit als charakterlich labil und einfach zu verleiten, was nicht zuletzt in den Tathandlungen aufscheint. Auch die Verteidigung charakterisiert ihn als "unselbständig, beinflussbar und leichtgläubig". Trotz einer intakten, ihm vertrauensvoll zugewandten familiären Umgebung und offenbar stabiler sozia-ler Verhältnisse verschwand der Beschuldigte mit nur drei bis vier Tagen Vor-lauf, um sich -
mit hoher Wahrscheinlichkeit -
von Unbekannten nach Syrien schleusen zu lassen und dort auf der Seite einer islamistischen Terrororganisa-tion an bewaffneten Kampfhandlungen teilzunehmen. Es spricht nichts dafür, 32
33
34
-
13
-
dass er sich zwischenzeitlich von seiner extremistisch-islamischen Einstellung gelöst hätte.
Auch im Zusammenhang mit seiner Rückkehr nach Deutschland verhielt sich der Beschuldigte nach Aktenlage wankelmütig: Zwischen dem Beschuldig-ten und seiner Mutter bestand wieder seit dem 18.
Februar 2017 Kontakt mit-tels ihrer -
später sichergestellten -
Mobiltelefone. Zunächst zeigte er sich un-beeindruckt von deren Ansinnen, ihn zu einer Rückreise zu bewegen. Am 10.
März 2017 war es der Mutter dann gelungen, ihn zu überzeugen; er erklär-te, "gerettet" werden zu wollen, obgleich er befürchtete, inhaftiert zu werden. Bis zum 19.
März 2017, nachdem sein Vater
in die Türkei gereist war, hatte der Beschuldigte es sich allerdings wieder anders überlegt. Am 21.
März 2017 war er dann -
offenbar wieder rückkehrwillig -
in der Türkei eingetroffen, wo er den Angaben seines Vaters zufolge in eine Art Polizeigewahrsam genommen wur-de.
Gewichtige Gründe, die gegen die Annahme von Fluchtgefahr sprechen und somit hier den Haftgrund der Schwerkriminalität als unverhältnismäßig er-scheinen ließen (s. hierzu BGH, Beschluss vom 23.
Dezember 2009
-
StB 51/09, BGHR StPO §
112 Abs.
3 Fluchtgefahr
2), liegen demnach nicht vor. Dass die die Fluchtgefahr begründenden Umstände nur noch geringeres Gewicht haben, hindert die Aufrechterhaltung des auf §
112 Abs.
3 StPO ge-stützten Haftbefehls nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 12.
November 2002
-
StB 17/02, BGHR StPO §
112 Abs.
3 Fluchtgefahr
1).
3. Eine -
bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des §
112 Abs.
3 StPO mögliche -
Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§
116 StPO) ist unter diesen Umständen nicht erfolgversprechend.

35
36
37
-
14
-
4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhält-nis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§
120 Abs.
1 Satz
1 StPO).
5. Die Voraussetzungen des §
121 Abs.
1 StPO für die Fortdauer der
Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sind gegeben; der besondere Umfang der Ermittlungen und ihre Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft:
Die Sachakten umfassen mittlerweile 14 Bände. Die Ermittlungen gestal-teten sich bislang aufwendig. Die Ermittlungsbehörden hatten erhebliche Da-tenmengen auszuwerten. Allein die Erkenntnisse zu der über den Messenger-dienst "Telegram" geführten Kommunikation, die in den vier Bänden der Teilermittlungsakte
IV in der Form von -
zwischen dem 30.
Juni und dem 15.
September 2017 erstellten -
Auswertungsvermerken mit Anlagen niederge-legt sind, haben einen Umfang von mehr als 1.200
Blatt.
Im Hinblick auf die noch nicht hinreichend gesicherte Beweislage wurden Durchsuchungsmaßnahmen bei einer Mehrzahl von Kontaktpersonen des Be-schuldigten zeitgleich am 4.
August 2017 vollzogen. Erst anschließend konnten etliche der Personen als Zeugen vernommen werden. Bei den Durchsuchungen wurden weitere auszuwertende Daten gesichert. Darüber hinaus wurden -
am 25.
Juni 2017 angeordnete -
Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen durchgeführt, insbesondere auch Telegram-Chatverkehr überwacht. Ferner wurde ein Rechtshilfeersuchen in die Schweiz veranlasst, dessen Erledigung noch aussteht.
Nachdem die Kriminalpolizei Nürnberg unter dem 8.
September 2017 ei-nen ausführlichen "2.
Sachstandsbericht" gefertigt hatte, hat die Generalstaats-anwaltschaft München in der Haftprüfungsvorlage vom 28.
September 2017 38
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41
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15
-
angekündigt,
"in Kürze" Anklage zu erheben. Angesichts des bereits weit fort-geschrittenen Ermittlungsstandes wird sich die Generalstaatsanwaltschaft um eine zügige Umsetzung ihrer Ankündigung zu bemühen haben.
Becker Spaniol Berg

Meta

AK 54/17

08.11.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.11.2017, Az. AK 54/17 (REWIS RS 2017, 2768)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 2768

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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