Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 17.08.2020, Az. 6 Kart 10/19 (OWi)

6. Kartellsenat | REWIS RS 2020, 5249

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Tenor

Der Einspruch der Nebenbetroffenen vom 15. Januar 2016 gegen den Bußgeldbescheid des Bundeskartellamtes vom 23. Dezember 2015 (Az.: B 10 - 47111 - Kh - 50/14) wird verworfen.

Die Nebenbetroffene trägt auch die Kosten des gerichtlichen Verfahrens einschließlich der Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens sowie ihre notwendigen Auslagen.

Angewendete Vorschrift: § 74 Abs. 2 OWiG

Entscheidungsgründe

Der Einspruch der Nebenbetroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Bundeskartellamts vom 23. Dezember 2015, durch den gegen sie eine Geldbuße in Höhe von 5,25 Mio. € verhängt wurde, ist gemäß § 74 Abs. 2 OWiG zu verwerfen, weil die gesetzlichen Vertreter der Nebenbetroffenen, die Geschäftsführer A. S. und B. S., deren persönliches Erscheinen zur Hauptverhandlung angeordnet worden war, im Termin am 17. August 2020 ohne Entschuldigung nicht erschienen sind.

Die Nebenbetroffene hat den Einspruch nicht wirksam mit Schriftsatz vom 31. Juli 2020 zurückgenommen, so dass der Senat weiter durch Urteil über den Einspruch zu entscheiden hatte. Die Einspruchsrücknahme ist eine Prozesshandlung, die die Bestandskraft des Bußgeldbescheids herbeiführt. Mit einer wirksamen Einspruchsrücknahme entfiele die Befugnis des Senats, den Einspruch in der Sache zu prüfen.

Die Wirksamkeit der Rücknahme des Einspruchs richtet sich nach den §§ 71 OWiG, 411 Abs. 3 Satz 2, 303 StPO. Danach konnte die Rücknahme des Einspruchs der Nebenbetroffenen in der hier gegebenen verfahrensrechtlichen Situation nur mit der Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf erfolgen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihre Zustimmung nicht erteilt.

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 9. Juli 2019 (KRB 37/19, BeckRS 2019, 17415) das Urteil des 4. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. Februar 2018 (V-4 Kart 3/17 OWi), durch das gegen die Nebenbetroffene eine Geldbuße in Höhe von 30 Mio. € festgesetzt worden war, mit den Feststellungen aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an den erkennenden Senat zurückverwiesen. Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass der 4. Kartellsenat nicht die Urteilsabsetzungsfrist gemäß § 275 StPO eingehalten habe.

Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 18. Februar 2020 beantragt hatte, aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden, hatte die Entscheidung des Senats über den Einspruch aufgrund mündlicher Verhandlung im Sinne von § 303 Satz 1 StPO stattzufinden (vgl. § 72 OWiG). In diesem Fall bedarf die Rücknahme des Einspruchs der Zustimmung des Gegners, also der Generalstaatsanwaltschaft, „nach Beginn der Hauptverhandlung“.

Das ist hier der Fall. Dabei ist nicht auf den Beginn des ersten Hauptverhandlungstages des erkennenden Senats, sondern auf den Beginn der ersten Hauptverhandlung vor dem 4. Kartellsenat als der ersten Hauptverhandlung überhaupt in diesem Verfahren abzustellen. Mit der Aufhebung des Urteils des 4. Kartellsenats lebt das Recht zur zustimmungsfreien Einspruchsrücknahme nicht wieder auf. Dieses Ergebnis entspricht nicht nur dem Wortlaut des § 303 StPO, sondern auch der inzwischen nahezu einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Literatur zum Neubeginn einer Hauptverhandlung nach Aussetzung sowie nach Aufhebung und Zurückverweisung eines Rechtsmittels. Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.

Der Bundesgerichtshof hat für den Fall der Aussetzung und Fortsetzung der Hauptverhandlung eines Berufungsgerichts entschieden, dass eine Rücknahme des Rechtsmittels der Berufung nur mit Zustimmung des Gegners möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 1970, 5 StR 602/69, NJW 1970, 1512). Dieser auch heute noch vertretenen Wertung (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 1. Februar 2018, 1 OLG 181 SsBs 87/16, BeckRS 2018, 47239) hat sich die Rechtsprechung für den Fall angeschlossen, dass ein Berufungsurteil unter Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht aufgehoben worden ist. Auch in diesem Fall kann die Berufung nicht mehr ohne Zustimmung des Gegners zurückgenommen werden (vgl. BayObLG, Urteil vom 3. Juli 1973, RReg. 2 St 61/73, NJW 1973, 2308; BayObLG, Beschluss vom 30. Oktober 1984, RReg. 2 St 244/84, NJW 1985, 754; OLG Stuttgart, Beschluss vom 6. Februar 1990, 3 Ss 562/89, juris). Dieses Ergebnis wird in der Literatur einstimmig geteilt (vgl. Maur, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl. 2019, § 411 Rn. 24; Jesse, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2014, § 303 Rn. 4; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 303 Rn. 2; Cirener, in: BeckOK, StPO, 37. Edition, 1. Juli 2020, § 303 Rn. 2; Frisch, in: Systematischer Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2016, § 303 Rn. 6; Allgayer, in: Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl. 2016, § 303 Rn. 4; Rautenberg/Reichenbach, in: Heidelberger Kommentar, StPO, 6. Aufl. 2019, § 303 Rn. 4).

Zur Begründung wird zu Recht darauf verwiesen, dass ein etwaiges Interesse des Rechtsmittelgegners an der Fortführung des Verfahrens – und damit mittelbar an der Realisierung der materiellen Gerechtigkeit – weder durch die Aussetzung noch durch die Aufhebung und Zurückverweisung entfällt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 1970, 5 StR 602/69, NJW 1970, 1512). Nicht anders zu beurteilen ist die hier gegebene Verfahrenssituation nach Aufhebung des Urteils des 4. Kartellsenats durch den Bundesgerichtshof. In allen Fällen geht es darum, dass die Hauptverhandlung nach Ablauf einer längeren Zeit neu „beginnen“ muss, wobei in der Sache kein sachlicher Unterschied zwischen dem Fall der Aufhebung und Zurückverweisung einer Berufungsentscheidung durch das Revisionsgericht und dem Fall der Aufhebung und Zurückverweisung der erstinstanzlichen Entscheidung des 4. Kartellsenats durch das Rechtsbeschwerdegericht besteht.

Die Entbehrlichkeit der Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft folgt nicht aus dem Rechtsgedanken des § 74 Abs. 2 OWiG. Bei dem von § 74 Abs. 2 OWiG geregelten Fall handelt es sich um eine Prozesssituation, die mit derjenigen der Einspruchsrücknahme nicht vergleichbar ist. Die Anforderungen an die Einspruchsrücknahme können grundsätzlich nicht an den Konsequenzen eines davon losgelösten anderweitigen Prozessverhaltens der Nebenbetroffenen gemessen werden.

Der Einspruch ist nach § 74 Abs. 2 OWiG zu verwerfen. Diese Norm ist auch auf eine Nebenbetroffene anzuwenden. Die Voraussetzungen der Norm sind gegeben. Rechtsfolge ist die Einspruchsverwerfung. Es kann offen bleiben, ob der Einspruch entsprechend dem Wortlaut der Norm zwingend oder – für den Fall, dass eine Verwerfung aufgrund des Zusammenspiels mit den Regelungen der § 46 Abs. 1 OWiG, §§ 444 Abs. 2 Satz 1, 427 Abs. 2 Satz 2 StPO im Ermessen des Senats stehen sollte – bei sachgerechter Ausübung dieses Ermessens zu verwerfen ist.

§ 74 Abs. 2 OWiG findet auf Kartellbußgeldverfahren und auch im Verhältnis zur Nebenbetroffenen als juristischer Person Anwendung (dazu unter aa)). Ihre Anwendung wird insbesondere nicht durch § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 444 StPO ausgeschlossen (dazu unter bb)). Die Verwerfung des Einspruchs ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Bundesgerichtshof das Urteil des 4. Kartellsenats aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen hat (dazu unter cc)). Die hiergegen von Generalstaatsanwaltschaft und Bundeskartellamt vorgetragenen Argumente überzeugen nicht (dazu unter dd)).

(1) § 74 Abs. 2 OWiG findet nach seinem Wortlaut, der Gesetzessystematik sowie nach seinem Sinn und Zweck – Vereinfachung des Verfahrens und eine „dringend gebotene“ Entlastung der Gerichte (vgl. Begründung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze vom 26. Januar 1998: BT-Drucksache 13, 5418, S. 1; BGH, Beschluss vom 18. Juli 2012, 4 StR 603/11, NStZ 2013, 486, Rn. 12, 15) – auch in Kartellbußgeldverfahren als Verfahren, die sich nach dem OWiG richten, Anwendung. Eine Sonderregelung im GWB, die die Anwendbarkeit der Norm ausschließen würde, besteht nicht.

(2) § 74 Abs. 2 OWiG gilt auch für die Nebenbetroffene als juristische Person. § 74 Abs. 2 OWiG regelt nach seinem Wortlaut die Verwerfung des Einspruchs eines „Betroffenen“, der ohne genügende Entschuldigung zur Hauptverhandlung nicht erscheint, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war. Mit dem Begriff des „Betroffenen“ meint das Gesetz grundsätzlich die wegen einer Ordnungswidrigkeit verfolgte natürliche Person (vgl. Seitz/Bauer, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 66 Rn. 5). In diesem Fall ordnet § 74 Abs. 2 OWiG aus Gründen der Verfahrensökonomie zwingend die Verwerfung des Einspruchs an, ohne dass dem Gericht bei dieser Entscheidung ein Ermessen zustünde (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2012, 4 StR 603/11, NStZ 2013, 486, Rn. 12, 15; Seitz/Bauer, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 74 Rn. 19). Dies gilt sogar für den Fall, dass durch die Einspruchsverwerfung aufgrund verschuldeten Ausbleibens des Betroffenen ein teilrechtskräftiger, dem Bußgeldbescheid günstigerer oder ungünstigerer Schuldspruch entfällt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2012, 4 StR 603/11, NStZ 2013, 486, Rn. 12 ff., 21 f.).

Die Norm verhält sich ihrem Wortlaut nach nicht zu dem Fall der ohne genügende Entschuldigung nicht erschienenen Nebenbeteiligten. Nebenbeteiligte sind die natürlichen und juristischen Personen sowie Personenvereinigungen, in deren Rechte der Bußgeldbescheid durch Anordnung der Einziehung oder – wie hier im selbständigen Verfahren nach § 30 Abs. 4 OWiG – durch Festsetzung einer Geldbuße unmittelbar eingreift. Sie sind selbst nicht Betroffene (vgl. Kurz, in: Karlsruher Kommentar,OWiG, 5. Aufl. 2018, § 66 Rn. 7).

Dennoch findet § 74 Abs. 2 OWiG grundsätzlich auch auf Nebenbeteiligte und damit vorliegend die Nebenbetroffene Anwendung. Die Nebenbeteiligte hat gemäß §§ 88 Abs. 3, 87 Abs. 2 Satz 1 OWiG vom Erlass des Bußgeldbescheides an die Befugnisse eines Betroffenen, soweit das Gesetz nicht etwas anderes bestimmt (vgl. Kurz, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 66 Rn. 7; Rogall, in: Karlsruher Kommentar, 5. Aufl. 22018, § 30 Rn. 238; Gürtler, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 88 Rn. 5; Habetha/Ulrich, in: Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl. 2020, § 88 Rn. 6; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., Stand: Oktober 2019, § 88 Rn. 13). Insoweit besteht auch kein Unterschied zwischen einer Beteiligung der juristischen Person in einem einheitlichen oder in einem selbständigen Verfahren (vgl. Habetha/Ulrich, in: Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl. 2020, § 88 Rn. 8).

Die Rechtsstellung der Nebenbetroffenen ist damit derjenigen eines Betroffenen angeglichen. Daraus wird zu Recht die Schlussfolgerung gezogen, dass für die Nebenbetroffene genauso wie für einen Betroffenen die allgemeinen Vorschriften des Ordnungswidrigkeitenrechts gelten, wozu insbesondere die Möglichkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG zählt (vgl. PfzOLG Zweibrücken, Beschluss vom 14. Dezember 1994, 1 Ss 264/94, NStZ 1995, 293; OLG Stuttgart, Beschluss vom 16. April 2007, 2 Ss 120/07, BeckRS 2007, 6827; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 20. Dezember 2010, 1 SsBs 29/09, BeckRS 2011, 1214; Gürtler, in: Göhler, 17. Aufl. 2017, § 88 Rn. 8, § 87 Rn. 27; Rogall, in: Karlsruher Kommentar, 5. Aufl. 2018, § 30 Rn. 238; Meyberg, in: BeckOK, OWiG, 27. Edition 1. Juli 2020, § 29a Rn. 108; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., Stand Oktober 2019, § 88 Rn. 22). Dies gilt auch im selbständigen Verfahren (vgl. PfzOLG Zweibrücken, Beschluss vom 14. Dezember 1994, 1 Ss 264/94, NStZ 1995, 293; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., Stand Oktober 2019, § 88 Rn. 22).

Dem schließt sich der Senat an.

Für eine grundsätzliche Anwendbarkeit der Norm spricht zunächst die Verweisung in § 88 Abs. 3 OWiG auf § 87 Abs. 2 Satz 1 OWiG.

Es ist auch kein sachlicher Grund ersichtlich, warum in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren für die Nebenbetroffene Kernvorschriften des Ordnungswidrigkeiten(verfahrens-)rechts trotz der Verweisung in § 88 Abs. 3 OWiG auf § 87 Abs. 2 Satz 1 OWiG nicht gelten sollten. Regelmäßig werden zahlreiche weitere Regeln des Bußgeldverfahrens (§§ 67 ff. OWiG) auf eine Nebenbetroffene angewandt, obwohl das Gesetz nur auf den „Betroffenen“ abstellt. So kann nach § 67 Abs. 1 OWiG auch die Nebenbetroffene selbständig gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einlegen, obwohl die Norm nur von dem „Betroffenen“ spricht (vgl. Gürtler, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 88 Rn. 6). Entsprechend erfolgt auch die Belehrung des Bundeskartellamtes in den Bußgeldbescheiden. § 72 Abs. 1 OWiG, der für eine Entscheidung im Beschlussverfahren eine Zustimmung des „Betroffenen und der Staatsanwaltschaft“ verlangt, wird ebenfalls für den Fall angewandt, dass eine Nebenbetroffene keine Einwände gegen eine Entscheidung im Beschlussweg hat. Ähnliches gilt für § 77a Abs. 4 OWiG, der für die Durchführung einer vereinfachten Beweisaufnahme die Zustimmung des „Betroffenen“ verlangt. Unter den gleichen Voraussetzungen wie der Betroffene kann die Nebenbetroffene selbständig gegen das Urteil Rechtsbeschwerde einlegen, § 88 Abs. 3 OWiG i.V.m. §§ 87 Abs. 2 Satz 1, 79, 80 OWiG (vgl. Gürtler, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 88 Rn. 13; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., Stand Oktober 2019, § 88 Rn. 26).

Aus § 46 OWiG i.V.m. § 444 StPO folgt nichts anderes. Hierbei handelt es sich nicht um eine § 74 Abs. 2 OWiG ausschließende Spezialnorm.

Nach überwiegender und zutreffender Ansicht im Schrifttum findet § 444 StPO über § 46 OWiG für die Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen/Personenvereinigungen (im Folgenden: Verbände) ergänzend bzw. sinngemäß Anwendung (vgl. Rogall, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 30 Rn. 227, 236 ff.; Gürtler, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 88 Rn. 8, 4; Kudlich/Schuhr, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 3. Aufl. 2018, § 444 Rn. 1; Inhofer, in: BeckOK, StPO, 37. Edition, Stand 1. Juli 2020, § 444 Rn. 1; Schmidt, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl. 2019, § 444 Rn. 19; Scheinfeld/Langlitz, in: Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl. 2019, § 444 Rn. 2). Weder aus § 444 StPO noch aus den Normen, auf die diese Vorschrift verweist, geht hervor, dass im Fall eines (selbständigen) Bußgeldverfahrens gegen einen Verband die allgemeinen Vorschriften des Ordnungswidrigkeitenrechts ausgeschlossen sein sollen.

So folgt aus § 444 Abs. 2 Satz 1 StPO, dass im Fall des unentschuldigten Ausbleibens des Vertreters des Verbandes ohne diesen verhandelt werden kann. Da die Norm als bloße Kann-Bestimmung ausgestaltet ist, schließt sie eine Entscheidung nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht aus.

Zudem kann als weitere Alternative zu einer Hauptverhandlung in Abwesenheit nach § 444 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 427 Abs. 2 StPO auch die Vorführung des Vertreters angeordnet werden. Hintergrund dieser Regelung ist, dass eine Verwerfung eines Einspruchs einer Nebenbetroffenen im selbständigen Einziehungsverfahren nach §§ 444 Abs. 3, 435 StPO nicht vorkommen kann, weil schon kein verwerfungsfähiger Bescheid vorliegt. Vielmehr gelten in diesem Fall die Regeln über die Anklage sinngemäß (§ 435 Abs. 3 StPO, Verweis auf §§ 201 ff. StPO). § 435 Abs. 3 Satz 2 StPO nimmt die sinngemäße Anwendung der Strafbefehlsregeln gerade aus. § 435 Abs. 2 StPO verweist nicht auf § 432 StPO.

Im Übrigen gelten andere Normen, auf die § 444 StPO verweist, nicht im Bußgeldverfahren. So ist es einhellige Meinung, dass die Regeln über das Rechtsmittelverfahren gemäß §§ 444 Abs. 2 Satz 2, 431 StPO – insbesondere § 431 Abs. 3 StPO – hier nicht anzuwenden sind, vielmehr die Bestimmungen der §§ 79 ff. OWiG, §§ 83 ff. GWB greifen (vgl. Gürtler, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 88 Rn. 13; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., Stand: Oktober 2019, § 88 Rn. 26).

Dies verdeutlicht, dass die sich aus § 444 StPO ergebenden Rechtsfolgen nur ergänzend zu den Bestimmungen des OWiG und des GWB angewandt werden können, jedenfalls aber nicht den Normen dieser Gesetze vorgehen.

Nur das macht auch und gerade im Fall von § 74 Abs. 2 OWiG Sinn. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn im Rahmen eines einheitlichen Verfahrens der Einspruch eines unentschuldigt nicht erschienen Betroffenen verworfen werden müsste, aber das Verfahren gegen die Nebenbetroffene, bei der das persönliche Erscheinen des gesetzlichen Vertreters angeordnet worden ist und der ebenfalls nicht erscheint, weitergeführt werden müsste. Oftmals sind gesetzliche Vertreter und Betroffene personenidentisch. Bei einem einheitlichen Verfahren würde dies auch dem aus §§ 444 StPO, 30 Abs. 4 Satz 1 OWiG folgenden Grundsatz widersprechen, dass die Entscheidung über die Verbandsgeldbuße als Sanktion einheitlich mit der Entscheidung über die Strafe/Geldbuße für die beschuldigte natürliche Person/den Betroffenen ergehen soll (zu diesem Grundsatz: vgl. Schmidt, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl. 2019, § 444 Rn. 1; Scheinfeld/Langlitz, Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl. 2019, § 444 Rn. 6; Kudlich/Schur, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO; 3. Aufl. 2019, § 444 Rn. 2; Gürtler, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 30 Rn. 28; Meyberg, in: BeckOK, OWiG, 27. Edition, 1. Juli 2020, § 30 Rn. 136; Rogall, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl. 2018, Rn. 162 f. jeweils m.w.N.). Dass wiederum aber ein Verband in einem einheitlichen Verfahren im Hinblick auf § 74 Abs. 2 OWiG anders behandelt werden soll als ein Verband in einem selbständigen Verfahren, ist ebenfalls nicht begründbar.

Aufgrund des Nebeneinanders von § 74 Abs. 2 OWiG und § 444 StPO, der im Fall des Ausbleibens der Nebenbetroffenen weitere Alternativen vorsieht, wird im Schrifttum vertreten, dass die Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG erfolgen „kann“ (vgl. Gürtler, in: OWiG, 17. Aufl. 2017, § 88 Rn. 8, § 87 Rn. 27; Rogall, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 30 Rn. 239; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., Stand: Oktober 2019, § 88 Rn. 22). Das bedeutet, dass danach die Entscheidung im Ermessen des Gerichts stehen soll.

Ob dieser Auffassung zu folgen ist oder ob eine Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG zwingend zu erfolgen hat, braucht durch den Senat nicht entschieden zu werden. Wesentlich für die von dem Senat zu treffende Entscheidung ist allein, dass § 74 Abs. 2 OWiG nicht ausgeschlossen ist.

Schließlich steht der Umstand, dass der Bundesgerichtshof das Urteil des 4. Kartellsenats aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen hat, einer Verwerfung des Einspruchs nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2012, 4 StR 603/11, NJW 2013, 323, Rn. 12 ff.; OLG Bamberg, Beschluss vom 24. Oktober 2012, 3 Ss OWi 1425/12, BeckRS 2012, 24387; OLG Celle, Beschluss vom 14. November 2011, 311 SsBs 152/11, NZV 2012, 44, 45; Seitz/Bauer, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 74 Rn. 24; Hettenbach, in: BeckOK, OWiG, 27. Edition, 1. Juli 2020, § 74 Rn. 28; Senge, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl. 2018, OWiG, § 74 Rn. 20, jeweils m.w.N.).

Der Wortlaut von § 74 Abs. 2 OWiG weist keine entsprechenden Einschränkungen auf. In den Gesetzgebungsmaterialien werden Einschränkungen in der Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG ebenfalls nicht erörtert. Vielmehr hat der Gesetzgeber aus der Kann-Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG a.F. bewusst eine zwingende Regelung gemacht (BT-Drucksache 13, 5418, S. 9). Mit der Neufassung wollte der Gesetzgeber eine Vereinfachung des Verfahrens und damit eine Entlastung der Gerichte erreichen, die nach der Zielsetzung des Gesetzesentwurfes „dringend geboten” erschien (BT-Drucksache 13, 5418 S. 1). Eine einschränkende Auslegung des § 74 Abs. 2 OWiG würde dieser Zielrichtung zuwiderlaufen. Die bis dahin weit verbreitete Übung vieler Amtsrichter, etwa in Verkehrsordnungswidrigkeiten, regelmäßig das persönliche Erscheinen des Betroffenen anzuordnen, mit der Folge, dass bei Nichterscheinen ein Einspruch verwerfen werden konnte, sollte aus Vereinfachungsgründen gesetzlich normiert werden. An dem Regelungskonzept „Verpflichtung zum Erscheinen – bei unentschuldigtem Fernbleiben Verwerfung des Einspruchs“ sollte nichts geändert werden.

Die bei vergleichbaren Verfahrenskonstellationen geltenden strafprozessualen Regelungen gebieten keine abweichende Beurteilung. § 74 Abs. 2 OWiG enthält keine dem § 329 Abs. 1 Satz 4 StPO bzw. dem zum Zeitpunkt der Änderung des § 74 Abs. 2 OWiG im Jahr 1998 geltenden wortgleichen § 329 Abs. 1 Satz 2 StPO vergleichbare Regelung, wonach eine Verwerfung der Berufung nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht unzulässig ist. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 74 Abs. 2 OWiG für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren unterschiedliche Regelungen treffen wollte (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 1985, 1 StR 506/85, NStZ 1987, 564 zu § 74 Abs. 2 OWiG a.F.). Die entgegenstehenden Vorschriften des Strafverfahrensrechts (§§ 329 Abs. 1 Satz 4, 412 StPO) finden im gerichtlichen Bußgeldverfahren demnach auch keine entsprechende Anwendung (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 14. November 2011, 311 SsBs 152/11, NZV 2012, 44, 45; Senge, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl. 2018, OWiG, § 74 Rn. 20).

Aber selbst wenn man § 329 Abs. 1 Satz 4 StPO direkt oder dessen Rechtsgedanken auf Bußgeldverfahren anwenden wollte, was aus den dargestellten Gründen unzutreffend wäre, führte dies im konkreten Fall zu keinem anderen Ergebnis. So greift § 329 Abs. 1 Satz 4 StPO nach seinem Sinn und Zweck nur, wenn das Revisionsgericht zur Sache entschieden hat, es etwa andere Straftatbestände angenommen oder eine unzureichende Beweisaufnahme gesehen hat, z.B. Entlastungszeugen nicht gehört worden waren (BGH, Beschluss vom 10. August 1977, 3 StR 240/77, Rn. 11). Hier hat der Bundesgerichtshof aber das Urteil des 4. Kartellsenats allein deshalb aufgehoben, weil die Urteilsabsetzungsfrist nicht eingehalten worden war. Eine Entscheidung in der Sache ist nicht erfolgt, so dass die Ausnahmebestimmung des § 329 Abs. 1 Satz 4 StPO nicht greift.

Soweit Generalstaatsanwaltschaft und Bundeskartellamt meinen, § 74 Abs. 2 OWiG sei aus grundsätzlichen Erwägungen auf Kartellbußgeldverfahren nicht anzuwenden, dies gelte jedenfalls bei (Kartell-) Bußgeldverfahren gegen Verbände, ist dem nicht zu folgen.

(1) Die von der Generalstaatsanwaltschaft und dem Bundeskartellamt angeführte besondere Komplexität und der Umfang von Kartellbußgeldverfahren sprechen nicht gegen die Anwendbarkeit von § 74 Abs. 2 OWiG in diesen Verfahren.

Der Wortlaut der Norm lässt keine Differenzierung nach komplexen und weniger komplexen Verfahren zu. Auch ist nicht jedes Kartellbußgeldverfahren – wie etwa das Bußgeldverfahren der Landeskartellbehörde Nordrhein-Westfalen 2015 gegen Schornsteinfeger im Kölner Bereich – von besonderer Komplexität. Zudem können auch Bußgeldverfahren aus zahlreichen anderen Rechtsgebieten, z.B. des Energiewirtschaftsrechts (vgl. § 95 EnWG) oder des Außenwirtschaftsrechts (vgl. §§ 81 f. AWV), oftmals komplex sein. Ein klarer Wille des Gesetzgebers zu einer im Wortlaut der Norm nicht angelegten Einschränkung des Anwendungsbereiches des § 74 Abs. 2 OWiG ist nicht erkennbar. Völlig unklar wäre zudem, nach welchen Kriterien die Komplexität beurteilt werden sollte (Anzahl der Betroffenen und Nebenbetroffenen, Aktenumfang, Tatschwere, rechtliche Komplexität der Tatvorwürfe, Höhe einer drohenden Geldbuße usw.).

Der Hinweis der Generalstaatsanwaltschaft auf die Gesetzesbegründung zu dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze vom 26. Januar 1998, mit dem § 74 Abs. 2 OWiG zur obligatorischen Verwerfungsnorm geändert wurde, hat angesichts der eindeutigen Gesetzesfassung in dem vorliegenden Zusammenhang keine Aussagekraft. Richtig ist, dass einleitend zur Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 13, 5418, S. 7) ausgeführt ist, das Bußgeldverfahren sei gedacht als „einfaches und schnelles Verfahren zur Ahndung von Gesetzesverstößen, die kein kriminelles Unrecht“ darstellten. Tatsächlich handelt es sich bei Kartellbußgeldverfahren oft nicht um einfache und schnelle, sondern um komplexe und umfangreiche Verfahren. Der Gesetzgeber hat aber in Kenntnis ihrer (regelmäßigen) Komplexität und ihres oftmals erheblichen Umfangs Kartellbußgeldverfahren dem Ordnungswidrigkeitenrecht unterstellt. Hätte er dies nicht gewollt oder hätte er die Geltung einzelner Normen des OWiG ausnehmen wollen, hätte dies einer gesonderten Regelung bedurft. Die bloße Komplexität spricht deshalb auch nicht gegen eine Anwendung der Norm auf Verbände. Ein Kartellbußgeldverfahren wird nicht notwendig dadurch komplexer, dass es sich gegen einen Verband richtet.

Zudem hat der Gesetzgeber bereits an anderer Stelle gezeigt, dass die mögliche Komplexität und sogar der Unrechtsgehalt einer Tat nicht gegen die Verwerfungsmöglichkeit eines Einspruchs sprechen. So sieht § 412 StPO im Strafbefehlsverfahren die zwingende Verwerfung des Einspruchs des Angeklagten vor, der unentschuldigt zur Hauptverhandlung nicht erscheint. Dabei ist es im Strafbefehlsverfahren möglich, bei Vergehen Geldstrafen bis zu 21,6 Mio. € (720 Tagessätze zu je 30.000 €) und sogar Freiheitsstrafen (auf Bewährung) zu verhängen. Auch hier können komplexe und schwerwiegende Taten aufzuklären sein, etwa in Korruptions-, Subventions- oder Submissionsbetrugssfällen, deren Strafen die Höhe der Geldbußen in Kartellbußgeldverfahren noch übersteigen können. Als Straftaten weisen solche Taten regelmäßig ohnehin einen höheren Unrechtsgehalt auf als Ordnungswidrigkeiten als bloßes Verwaltungsunrecht (vgl. dazu Gürtler/Seitz/Bauer, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, Einl. Rn. 1 ff.).

(2) Richtig ist, dass der Gesetzgeber durch die Umwandlung der Vorschrift des § 74 Abs. 2 OWiG in eine zwingende Regelung eine Vereinfachung des Verfahrens und damit eine Entlastung der Gerichte erreichen wollte (BT-Drucksache 13, 5418, S. 7, 9). Daraus folgt aber nichts, was gegen die Anwendbarkeit der Norm auf Kartellbußgeldverfahren und/oder Verbände spräche. Im Gegenteil entspricht die Möglichkeit der Anwendung von § 74 Abs. 2 OWiG auch auf Verbände dem Ziel der Entlastung der Gerichte. Alles andere würde diesem Ziel zuwiderlaufen.

Das Ziel der Entlastung der Gerichte wurde im Rahmen der Gesetzesänderung dadurch erreicht, dass das Verhältnis zwischen der Verpflichtung zum Erscheinen und Nichterscheinen gegenüber dem bis dahin geltenden Recht hinsichtlich des Betroffenen umgekehrt wurde (§ 73 Abs. 1 OWiG) und aus der Kann-Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG eine zwingende Regelung wurde. Daraus lässt sich kein Rückschluss für die Unanwendbarkeit der Norm auf Kartellbußgeldverfahren und/oder auf Verbände ziehen. In den Gesetzgebungsmaterialien werden Einschränkungen in der Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG nicht erörtert. Dem Gericht ist es vielmehr möglich, das persönliche Erscheinen des gesetzlichen Vertreters des Verbandes zur Aufklärung des Sachverhalts anzuordnen und damit dieselbe Situation herzustellen, die § 73 Abs. 1 OWiG für den Betroffenen unmittelbar regelt. Hätte der Gesetzgeber Kartellbußgeldsachen und/oder Verbände von der Geltung des § 74 Abs. 2 OWiG ausnehmen wollen, hätte es nahe gelegen, dies ausdrücklich zu regeln.

(3) Dafür, dass § 74 Abs. 2 OWiG auf Kartellbußgeldverfahren und/oder Verbände nicht anzuwenden und seine Anwendbarkeit über § 444 StPO ausgeschlossen wäre, spricht auch nicht der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft und der darin enthaltene Entwurf des Gesetzes zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten vom 16. Juni 2020 (im Folgenden: RegE-VerSanG).

Dies ist schon deshalb nicht der Fall, weil dieser Entwurf noch nicht Gesetz geworden ist und weil dieser keine Ordnungswidrigkeiten durch Unternehmen betrifft. Das neue Gesetz soll – so die einleitende Begründung für den Gesetzesentwurf und § 1 RegE-VerSanG – die Sanktionierung von Verbänden wegen „Straftaten“ regeln. Dementsprechend ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 RegE-VerSanG eine Verbandstat eine Straftat, durch die u.a. Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind. Dies wie auch sämtliche Folgeregelungen zeigen, dass sich der Gesetzesentwurf mit der Konstellation von (Kartell-)Ordnungswidrigkeiten nicht befasst.

Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber zuletzt im November 2016 Vorschlägen zur Einführung strafrechtlicher Sanktionen bei schweren Kartellverstößen mit der Folge, dass sich das Verfahren nicht mehr nach dem OWiG, sondern ausschließlich der StPO richten würde, eine Absage erteilt hat (vgl. Krauß, NZKart 2017, 179 f. zu den Ergebnissen der deutschen Justizministerkonferenz am 17. November 2016; Hombrecher, NZKart 2017, 143 ff. zu den Ergebnissen der der Justizministerkonferenz zuarbeitenden Arbeitsgruppe). Diese Einschätzung stützte sich auch auf Stellungnahmen und Praxisberichte des Bundeskartellamtes (vgl. Krauß, NZKart 2017, 179; Hombrecher, NZKart 2017, 143, 145). In diesem Zusammenhang wurde insbesondere auf das OWiG als die praktikablere Verfahrensordnung verwiesen. Die starren Regeln der StPO seien weniger geeignet, die im Regelfall umfangreichen Kartellverfahren zu betreiben. Verwiesen wurde auch auf den Vorteil, der mit den Lockerungen in § 77 OWiG, also einer weiteren Norm des allgemeinen Ordnungswidrigkeitenrechts, einhergeht (vgl. Hombrecher, NZKart 2017, 143, 146).

Soweit Generalstaatsanwaltschaft und Bundeskartellamt auf einzelne Normen des RegE-VerSanG verweisen und daraus Rückschlüsse zur fehlenden Anwendbarkeit von § 74 Abs. 2 OWiG ziehen wollen, greift diese Argumentation nicht durch.

So kann zwar – entsprechend der Regelung in § 444 Abs. 2 Satz 1 StPO – nach § 45 RegE-VerSanG unter den dort genannten Voraussetzungen die Hauptverhandlung auch ohne Anwesenheit des gesetzlichen Vertreters durchgeführt werden. Diese Regelung steht aber – wie schon § 444 Abs. 2 Satz 1 StPO – im Ermessen des Gerichts und erwähnt § 74 Abs. 2 OWiG sowie andere Normen des allgemeinen Ordnungswidrigkeitenrechts nicht. Im Übrigen ist § 45 RegE-VerSanG auf den Fall einer Anklageerhebung (vgl. §§ 24, 27 RegE-VerSanG) zugeschnitten, soll – in Abweichung von § 230 Abs. 1 StPO – eine Hauptverhandlung ohne gesetzlichen Vertreter ermöglichen.

Die Situation nach Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid ist hingegen eher mit der Situation eines Einspruchs gegen einen Strafbefehl vergleichbar. So spricht auch § 50 RegE-VerSanG dafür, dass der Gesetzgeber die Verwerfung eines Rechtsmittels im Fall des unentschuldigten Ausbleibens des Verbandes für eine angemessene Rechtsfolge hält und insoweit keinen Unterschied zu einer natürlichen Person bzw. einem Betroffenen machen möchte. § 50 RegE-VerSanG sieht die Möglichkeit des Erlasses eines Sanktionsbescheides in den dort genannten Fällen vor. Auf diesen sollen die Regelungen des Strafbefehls, insbesondere § 412 StPO, angewendet werden. Danach erfolgt – vergleichbar mit der hier gegebenen Situation – nach Einspruch und dem unentschuldigten Fernbleiben des Verbandes in der Hauptverhandlung eine Einspruchsverwerfung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO. Im Strafrecht soll also eine Einspruchsverwerfung bei Verbänden möglich werden. Hält der Gesetzgeber ein solches Vorgehen sogar bei Straftaten von Verbänden für richtig, spricht dies dafür, dass das bei Verbandsordnungswidrigkeiten, deren Unrechtsgehalt häufig geringer zu bewerten ist, erst recht der Fall ist, wenn insoweit mit § 74 Abs. 2 OWiG bereits eine Norm existiert.

(4) Das Argument, die Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG würde zu einer Durchbrechung von wesentlichen Prinzipien des Ordnungswidrigkeitenrechts führen, weil damit faktisch ein Verschlechterungsverbot eingeführt würde, das das europäische wie innerdeutsche (Kartell-) Bußgeldverfahren nicht kenne, überzeugt ebenfalls nicht. Dasselbe gilt für den Einwand, mit einer Verwerfung würde gegen das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit verstoßen.

Dieses Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse des Betroffenen bzw. der Nebenbetroffenen sowie der Allgemeinheit an einer inhaltlich möglichst gerechten Entscheidung einerseits sowie der Verfahrensökonomie andererseits, das bei der Anwendung von § 74 Abs. 2 OWiG auftreten kann, wird auch der Gesetzgeber bei Einführung des § 74 Abs. 2 OWiG im Blick gehabt haben (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2012, 4 StR 603/11, NStZ 2013, 486, 487). Gleichwohl hat er sich für die Einführung der Norm entschieden und sie zum Teil des Ordnungswidrigkeitenrechts gemacht.

Hier wie an anderen Stellen (vgl. etwa auch § 72 Abs. 3 Satz 3 OWiG) hat der Gesetzgeber der Verfahrensökonomie und Verfahrensbeschleunigung den Vorrang vor der materiellen Gerechtigkeit und der Möglichkeit einer Verböserung nach – gegebenenfalls langwieriger, kostspieliger und aufwendiger – Verhandlung gegeben. Gleiches gilt im Strafbefehlsverfahren. Dort kann sich nach Einlegung des Einspruchs herausstellen, dass die angeklagte Tat als schwerwiegender zu bewerten ist. Gleichwohl ist der Einspruch des unentschuldigt nicht erscheinenden Angeklagten gemäß § 412 StPO unter den weiteren Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 StPO zu verwerfen. Entsprechendes würde bei Inkrafttreten von § 50 RegE-VerSanG gelten.

(5) Soweit Generalstaatsanwaltschaft und Bundeskartellamt anführen, einer Anwendung von § 74 Abs. 2 OWiG stehe entgegen, dass es Betroffener und Nebenbetroffene durch unentschuldigtes Nichterscheinen in der Hand hätten, das – gegebenenfalls schon weit fortgeschrittene – Verfahren bei einem ihnen ungünstigen Verlauf in ihrem Sinne zu steuern, hat dies der Gesetzgeber mit Einführung von § 74 Abs. 2 OWiG in Kauf genommen.

Abgesehen davon, dass für die Verfahrensbeteiligten vor (geheimer) Urteilsberatung oftmals nicht absehbar sein wird, ob es zu einer reformatio in peius kommen wird, weshalb das „Missbrauchsrisiko“ als gering einzuschätzen ist, wurde die Norm des § 74 Abs. 2 OWiG bewusst anders konzipiert als etwa die §§ 412, 329 Abs. 1 StPO. Während § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO auf das Ausbleiben zu Beginn der Hauptverhandlung abstellt und § 329 Abs. 1 Satz 2 StPO nur besondere Fälle des Ausbleibens an weiteren Hauptverhandlungstagen für eine Verwerfung genügen lässt, hat sich der Gesetzgeber in § 74 Abs. 2 OWiG für eine andere, nämlich allgemein gehaltene Formulierung entschieden. Danach ist jedes unentschuldigte Ausbleiben des Betroffenen in einem Hauptverhandlungstermin ausreichend. Nach einhelliger und vom Wortlaut der Norm gedeckter Auffassung ist von § 74 Abs. 2 OWiG nicht nur das unentschuldigte Ausbleiben des Betroffenen zu Beginn der Hauptverhandlung, sondern auch das vorzeitige Entfernen aus einem Hauptverhandlungstermin sowie das Ausbleiben in einem Fortsetzungstermin umfasst (vgl. Seitz/Bauer, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 74 Rn. 28; Senge, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 74 Rn. 30; Hettenbach, in: BeckOK, OWiG, 27. Edition, 1. Juli 2020, § 74 Rn. 27 jeweils auch mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung). Denn Anknüpfungspunkt der Verwerfung des Einspruchs ohne sachliche Überprüfung der Beschuldigung ist die Verletzung der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung. Dieser Pflicht wird nicht schon durch eine Anwesenheit zu Beginn der Hauptverhandlung genügt, sondern sie beinhaltet die Anwesenheit des Betroffenen während des gesamten Termins und auch der Fortsetzungstermine, sofern der Richter das zur Aufklärung des Sachverhalts für erforderlich hält (vgl. Senge, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 74 Rn. 30).

Unabhängig davon ist dem Betroffenen und der Nebenbetroffenen auch dann die „Steuerungsmöglichkeit“ über das Verfahren genommen, wenn das Gericht die Anordnung des persönlichen Erscheinens aufhebt, weil die Anwesenheit zur Aufklärung des Sachverhalts nicht mehr erforderlich ist. Dies wird im Laufe bzw. gegen Ende einer langen Hauptverhandlung oftmals der Fall sein.

(6) Das Argument, dass bei Anwendung von § 74 Abs. 2 OWiG das Zustimmungserfordernis der Generalstaatsanwaltschaft für eine Rücknahme des Einspruchs nach Beginn der Hauptverhandlung umgangen werde, kann ebenfalls nicht dazu führen, § 74 Abs. 2 OWiG vorliegend nicht anzuwenden.

Der Senat verkennt nicht, dass das Zustimmungserfordernis der Generalstaatsanwaltschaft für die Rücknahme des Einspruchs nach Beginn der Hauptverhandlung (§ 303 StPO) einerseits und die gleichwohl bestehende Möglichkeit der Verwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG auch nach Beginn der Hauptverhandlung andererseits in einem Spannungsverhältnis stehen können. Allerdings würde hier die unterbleibende Anwendung von § 74 Abs. 2 OWiG einen Verstoß gegen eine vorhandene Norm darstellen. Dem Gesetzgeber war das Spannungsverhältnis zwischen dem Zustimmungserfordernis nach § 303 StPO nach Beginn der Hauptverhandlung und der Möglichkeit einer Verwerfung eines Rechtsmittels nach Beginn der Hauptverhandlung bekannt. Das zeigt die Sonderregelung in § 329 Abs. 5 Satz 2 StPO. Eine dieser Norm vergleichbare Regelung gab es bereits mit § 329 Abs. 2 StPO, der in der Zeit vom 1. April 1987 bis zum 24. Juli 2015 Geltung hatte. Hätte der Gesetzgeber einen Vorrang des Zustimmungserfordernisses vor der Verwerfungsmöglichkeit nach § 74 Abs. 2 OWiG manifestieren wollen, hätte er dies anlässlich der Änderung der Norm im Jahr 1998 umsetzen können. Allerdings war Ziel der Gesetzesänderung gerade die Verfahrensökonomie, hinter der Überlegungen zur materiellen Gerechtigkeit zurücktreten sollten.

(7) Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 77 OWiG (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018, KRB 60/17, Flüssiggas III, NZKart 2019, 155, 156) lässt sich ebenfalls nicht ableiten, dass § 74 Abs. 2 OWiG in Kartellbußgeldsachen bzw. auf Verbände keine Anwendung findet.

Zu § 74 Abs. 2 OWiG verhält sich die Entscheidung nicht. Dort ist auch nicht ausgeführt, dass zentrale Normen des Ordnungswidrigkeitenrechts in Kartellbußgeldverfahren keine Anwendung fänden. Vielmehr geht es in der Entscheidung darum, wie die Gerichte in Kartellbußgeldsachen angesichts ihrer Komplexität das von § 77 OWiG eingeräumte Aufklärungsermessen auszuüben und ihre Entscheidung bei der Ablehnung von Beweisanträgen zu begründen haben. Es geht damit um die Anwendung und Auslegung von § 77 OWiG bei komplexen Verfahren, auch und gerade zum Schutz der Betroffenen und Nebenbetroffenen. Hierbei sind zutreffend die Rechtsgedanken der §§ 245 Abs. 2 und § 244 Abs. 6 StPO von Relevanz. Dennoch hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass § 245 Abs. 2 StPO in Bußgeldsachen keine unmittelbare Anwendung findet.

Die Voraussetzungen von § 74 Abs. 2 OWiG sind erfüllt. Die dafür erforderlichen Tatsachen hat der Senat im Wege des Freibeweises auf Grundlage des Akteninhalts festgestellt. Die Ergebnisse wurden mit den Beteiligten in der Hauptverhandlung erörtert und damit zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht.

Das persönliche Erscheinen der gesetzlichen Vertreter der Nebenbetroffenen war angeordnet worden. Die Pflicht, zur Hauptverhandlung zu erscheinen, bestand für die Geschäftsführer A. S. und B. S. bis zum Schluss der Hauptverhandlung am 17. August 2020 fort.

Mit Beschluss vom 8. Juli 2020 hatte der Senat das persönliche Erscheinen aller Geschäftsführer der Nebenbetroffenen zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts angeordnet (§ 46 OWiG, §§ 444 Abs. 2 Satz 2, 427 Abs. 2 StPO). Auf Antrag der Verteidigung vom 31. Juli 2020 hat der Senat mit Beschluss vom 12. August 2020 die Anordnung des persönlichen Erscheinens bezüglich der Geschäftsführer C.-S., T und E aufgehoben. Diese hatten glaubhaft dargelegt, zur Sachverhaltsaufklärung keinen Beitrag leisten zu können. Dies deshalb, weil sie teilweise erst Jahre nach dem Tatgeschehen als Geschäftsführer bestellt worden waren und weil sie sämtlich nicht für die hier maßgeblichen Bereiche „Einkauf“ und „Vertrieb“, und damit insbesondere nicht für den Einkauf und Verkauf der Produkte, die Gegenstand der Absprachen waren, nämlich von „N.-Filterkaffee“ und „N. Ganze Bohne“, zuständig waren und nicht zuständig sind.

Die Anordnung zum persönlichen Erscheinen der Geschäftsführer A. S. und B. S. blieb allerdings weiter angeordnet. Ungeachtet des Umstandes, dass beide Geschäftsführer keinen Antrag auf Entbindung von dieser Pflicht gestellt hatten, war deren Erscheinen im Termin am 17. August 2020 weiter erforderlich. Eine Aufhebung des Anordnungsbeschlusses von Amts wegen kam nicht in Betracht.

A. S. ist der Gründer des Unternehmens und der bis heute maßgebliche Inhabergeschäftsführer. Von ihm wäre zu erwarten gewesen, dass er einen wesentlichen Aufklärungsbeitrag sowohl hinsichtlich der der Nebenbetroffenen vorgeworfenen Tat – zumindest vom Hörensagen – als auch hinsichtlich der Unternehmensstruktur, des Marktes, der Umsätze des Unternehmens der Nebenbetroffenen in der Vergangenheit bis heute sowie des tatbezogenen Umsatzes der Nebenbetroffenen hätte leisten können. Ebenfalls wäre zu erwarten gewesen, dass er über vergangene und bestehende Compliance-Maßnahmen in dem Unternehmen der Nebenbetroffenen hätte Angaben machen können. Mit Ausnahme des unmittelbaren Tatgeschehens wäre Entsprechendes auch von seinem Sohn B. S. zu erwarten gewesen. Er wurde zwar erst nach dem Tatgeschehen Geschäftsführer. Dennoch wäre von ihm als weiterem Inhabergeschäftsführer eine Kenntnis über alle übrigen maßgeblichen Umstände zu erwarten gewesen. Diese Schlussfolgerung war auch deshalb berechtigt, weil er sich vor dem 4. Kartellsenat mehrmals eingelassen hatte. Bei alldem handelt es sich um wesentliche Gesichtspunkte des aufzuklärenden Sachverhalts. Diese wären nicht nur für die Bewertung des Tatgeschehens, sondern auch für die Bußgeldzumessung von Relevanz gewesen. Hinzu kommt, dass sich der Senat – vor dem Hintergrund der Bedeutung der Sache – einen persönlichen Eindruck von den maßgeblichen Geschäftsführern und damit auch von dem Unternehmen der Nebenbetroffenen hatte verschaffen wollen.

Die Geschäftsführer A. S. und B. S. sind – ebenso wie die Nebenbetroffene als Unternehmen und auch die weiteren Geschäftsführer – zu sämtlichen in der Ladungsverfügung vom 8. Juli 2020 genannten Hauptverhandlungsterminen persönlich geladen worden. Ausweislich des Inhalts der in der Hauptverhandlung verlesenen Zustellungsurkunden vom 17. Juli 2020 (Bl. 1615 und 1616 d. GA) und des Weiteren Akteninhalts wurde ihnen wie auch allen anderen Geschäftsführern nicht nur die Ladungsverfügung nebst Zeugenplan und sämtlichen Zusätzen, sondern auch der Beschluss über die Anordnung des persönlichen Erscheinens vom 8. Juli 2020 zugestellt.

Die Zustellungen waren ordnungsgemäß im Sinne von § 74 Abs. 2 OWiG. Zustellungsmängel sind nicht ersichtlich. Die jeweiligen Ladungen und der Beschluss über die Anordnung des persönlichen Erscheinens wurden im Wege der Ersatzzustellung durch Übergabe an eine in den Geschäftsräumen arbeitende Person zugestellt (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 37 Abs. 1 StPO, § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).

Die Geschäftsführer A. S. und B. S. sind zur Hauptverhandlung nicht erschienen. Eine genügende Entschuldigung für ihr Ausbleiben liegt nicht vor. Damit ist auch das damit verbundene Ausbleiben der Nebenbetroffenen nicht entschuldigt.

Beide Geschäftsführer haben weder einen Entschuldigungsgrund durch die Verteidiger vortragen lassen, noch sind solche sonst ersichtlich oder dem Senat bekannt geworden. Der Verteidiger Dr. M. hat erklärt, Gründe für ihr Nichterscheinen hätten beide Geschäftsführer ihm gegenüber nicht angegeben. Damit ist ihr Ausbleiben unentschuldigt.

Das gilt infolgedessen entgegen der Annahme der Generalstaatsanwaltschaft auch für die Nebenbetroffene. Richtig ist, dass ein Verband dadurch zur Hauptverhandlung geladen wird, dass bei mehreren Vertretern – wie hier geschehen – alle Vertreter zur Hauptverhandlung zu laden sind (vgl. Gössel, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2009, § 444 Rn. 28; Scheinfeld/Langlitz, Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl. 2019, § 444 Rn. 22). Wenn insoweit die Auffassung vertreten wird, es liege ein Fall des entschuldigten Ausbleibens des Verbandes vor, wenn zwar ein Vertretungsorgan unentschuldigt ausbleibe, das Ausbleiben der anderen aber genügend entschuldigt sei (vgl. Gössel, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2009, § 444 Rn. 28; Scheinfeld/Langlitz, Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl. 2019, § 444 Rn. 22), kann dahinstehen, ob dem zu folgen ist.

Dieser Fall liegt hier nämlich nicht vor. Über die bloße Ladung hinausgehend, war das persönliche Erscheinen aller Geschäftsführer zur Hauptverhandlung zwecks Aufklärung des Sachverhalts angeordnet worden. Drei der Geschäftsführer haben glaubhaft gemacht, keine Angaben machen zu können, und sind daher von ihrer Erscheinenspflicht entbunden worden. Damit stand aber fest, dass die verbleibenden Geschäftsführer A. S. und B. S. weiter erscheinen mussten und die Nebenbetroffene nur auf diese Weise ihrer Pflicht zum Erscheinen und der Sachverhaltsaufklärung genügen konnte, während es auf die entbundenen Geschäftsführer nicht mehr ankam. Dementsprechend ist die Nebenbetroffene unentschuldigt im Sinne von § 74 Abs. 2 OWiG nicht erschienen.

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft darüber hinaus die Ansicht vertreten hat, ein unentschuldigtes Fernbleiben der Nebenbetroffenen liege nicht vor, weil sie von ihren Verteidigern, deren jeweilige Vollmacht ausdrücklich auf § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO verweise, ordnungsgemäß in der Sitzung vertreten werde, ist dem ebenfalls nicht zu folgen. Tatsächlich kann sich der Angeklagte nach § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vollmacht vertreten lassen. Diese im Rahmen des Strafbefehlsverfahrens geltende Norm findet aber im Ordnungswidrigkeitenverfahren keine Anwendung. § 71 Abs. 1 OWiG bestimmt, dass sich das Verfahren nach zulässigem Einspruch nur dann nach den Vorschriften der §§ 411 ff. StPO richtet, soweit das Ordnungswidrigkeitengesetz nichts anderes bestimmt. Solche Sonderregelungen liegen mit den §§ 73, 74 OWiG vor. Diese treten an die Stelle von § 411 Abs. 2 Satz 1 und § 412 StPO (vgl. Seitz/Bauer, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 71 Rn. 1, 24, § 74 Rn. 33; Senge, in Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 71 Rn. 3; Hettenbach, in: Beck-OK, OWiG, 27. Edition 1. Juli 2020, § 71 Rn. 4). Nach § 73 Abs. 3 OWiG kann sich der Betroffene abweichend von § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO nur dann durch einen schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten lassen, wenn das Gericht die Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen aufgehoben hat. Dies gilt entsprechend auch für die Nebenbetroffene bzw. ihre Vertreter. Die Verpflichtung vom persönlichen Erscheinen der Geschäftsführer A. S. und B. S. war indes nicht aufgehoben.

Alle Geschäftsführer sind mit der Ladung zum Termin über die Folgen ihres Ausbleibens in der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens belehrt worden. Die Belehrung in der Ladungsverfügung des Vorsitzenden beinhaltet sämtliche Gesichtspunkte, die von § 74 Abs. 3 OWiG genannt werden.

Rechtsfolge ist, dass der Einspruch der Nebenbetroffenen zu verwerfen war. Ob dies nach § 74 Abs. 2 OWiG zwingend zu erfolgen hatte oder ob dem Senat aufgrund des Nebeneinanders bzw. des Zusammenspiels dieser Norm mit § 46 OWiG i.V.m. §§ 444 Abs. 2 Satz 1, 427 Abs. 2 Satz 2 StPO ein Ermessen zustand, braucht nicht entschieden zu werden.

Die Ausübung eines etwaigen dem Senat zustehenden Ermessens führt ebenfalls zur Verwerfung des Einspruchs. Der Senat stützt sich bei der Ausübung seines Ermessens auf die dem Akteninhalt zu entnehmenden Tatsachen im Wege des Freibeweises. Diese Tatsachen wurden – auch auf Grundlage des Hinweisschreibens des Senatsvorsitzenden vom 12. August 2020 – mit den Beteiligten in der Hauptverhandlung umfassend erörtert.

Maßgeblich für die Entscheidung, welche der in Betracht kommenden Maßnahmen (Verwerfung des Einspruchs, Verhandlung ohne die Nebenbetroffene oder Vorführung ihrer Vertreter) zu ergreifen ist, muss eine Abwägung des mit Einführung von § 74 Abs. 2 OWiG verfolgten Ziels der Verfahrensökonomie einerseits und dem Bedürfnis nach Aufklärung des Sachverhaltes und materieller Gerechtigkeit andererseits sein. Allerdings ist hierbei wiederum zu berücksichtigen, dass es sich bei § 74 Abs. 2 OWiG – anders als bei den Regelungen in §§ 444 Abs. 2 Satz 1, 427 Abs. 2 Satz 2 StPO – grundsätzlich um eine Norm mit zwingendem Inhalt handelt, so dass das Bedürfnis nach Sachverhaltsaufklärung und materieller Gerechtigkeit überwiegen muss. Das ist hier nicht der Fall, so dass Gründe der Verfahrensökonomie vorrangig sind. Zum Zeitpunkt der Ermessensentscheidung am 17. August 2020 war absehbar, dass die vom Bundeskartellamt verhängte Geldbuße nicht völlig unangemessen war und gegen Prinzipien der materiellen Gerechtigkeit verstieß. Vor diesem Hintergrund und in Ansehung von § 74 Abs. 2 OWiG war eine erneute Aufklärung des Sachverhalts nicht geboten.

Dabei ist auf der einen Seite zu berücksichtigen, dass jedenfalls die Nebenbetroffene inzwischen den Schuldspruch aus dem Bußgeldbescheid und die Höhe des dort festgesetzten Bußgeldes akzeptiert. Das zeigt sich an dem Versuch, den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurückzunehmen und der dann folgenden Entscheidung, zur Hauptverhandlung nicht zu erscheinen. Soweit das Bundeskartellamt und die Generalstaatsanwaltschaft demgegenüber (auch) im Hinblick auf die vom Bundesgerichtshof insgesamt aufgehobene Entscheidung des 4. Kartellsenats das Ziel verfolgen, das vom Bundeskartellamt verhängte Bußgeld deutlich zu erhöhen, sieht der Senat dafür keinen Raum. Vielmehr sind keine Gründe ersichtlich, die die vom Bundeskartellamt mit 5,25 Mio. € festgesetzte Geldbuße als völlig außer Verhältnis zur Schwere der vorgeworfenen Tat oder sonst als unvertretbar milde erscheinen ließen.

Eine deutliche Erhöhung des vom Bundeskartellamt ursprünglich als angemessen erachteten Bußgeldes kommt – nach der derzeitigen Sach- und Rechtslage – nicht etwa deshalb in Betracht, weil die Tatvorwürfe möglicherweise deutlich schwerwiegender als zunächst angenommen wären. Seit Erlass des Bußgeldbescheides im Jahr 2015 haben sich die Tatvorwürfe nicht zu Ungunsten der Nebenbetroffenen geändert. Jedenfalls lässt sich der Akte Derartiges nicht entnehmen. Insbesondere weisen die aufgehobenen Feststellungen des 4. Kartellsenats keine wesentlichen Abweichungen hinsichtlich des Tatgeschehens auf, welches bereits vom Bundeskartellamt im Bußgeldbescheid festgestellt wurde. Solche vermochten auch die Mitarbeiter des Bundeskartellamts auf Nachfrage in der Hauptverhandlung nicht zu benennen. Allein die Einschätzung des Sitzungsvertreters des Bundeskartellamtes, der sowohl an der Hauptverhandlung vor dem 4. Kartellsenat als auch an der hiesigen Hauptverhandlung teilgenommen hatte, die Beweisaufnahme vor dem 4. Kartellsenat habe ergeben, dass die vorliegenden Tatvorwürfe nur „die Spitze des Eisbergs“ darstellten, weshalb auf jeden Fall eine höhere Buße erforderlich sei, ist nicht belastbar. Derartiges hat weder in dem aufgehobenen Urteil des 4. Kartellsenats noch in weiteren Stellungnahmen des Bundeskartellamts oder auf sonstige Weise in der Akte Niederschlag und erst recht keine Konkretisierung gefunden. Im Übrigen haben die aufgrund der Verhandlung vor dem 4. Kartellsenat getroffenen Feststellungen gerade keinen Bestand.

Der Senat verkennt nicht, dass das vom Bundeskartellamt auf Grundlage seiner Bußgeldleitlinien verhängte Bußgeld von 5,25 Mio. € am unteren Rand des gesetzlich eröffneten Bußgeldrahmens liegt. Der Bußgeldrahmen ist den §§ 4 Abs. 2, 17 Abs. 1 OWiG, 81 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 GWB in der Fassung vom 18. Dezember 2007 zu entnehmen. Der Nebenbetroffenen drohte danach ein Bußgeld in Höhe von 5 € bis zu zehn vom Hundert des im der Behördenentscheidung vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes. Aufgrund der Auskünfte der Nebenbetroffenen und den darauf gründenden Ausführungen des Bundeskartellamts im Bußgeldbescheid ist derzeit von einem Jahresumsatz des Konzerns der Nebenbetroffenen im maßgeblichen Jahr 2014 von 4,48 Mrd. € auszugehen. Daher konnte gegen die Nebenbetroffene ein Bußgeld in Höhe von 5 € bis zu 448 Mio. € festgesetzt werden. Gemessen daran ist ein Betrag von 5,25 Mio. € durchaus als niedrig anzusehen.

Der Umstand, dass der Senat nicht an die Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamtes gebunden ist und jegliche Mathematisierung im Rahmen der Straf- und Bußgeldzumessung zu unterbleiben hat (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2016, 1 StR 417/16, BeckRS 2016, 110128; BGH, Beschluss vom 18. November 2009, 2 StR 483/09, NStZ-RR 2010, 75; Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2019, Band 1, § 81 GWB, Rn. 220), führt aber nicht dazu, dass notwendig eine deutlich höhere Buße zu verhängen wäre. Für das gerichtliche Bußgeldverfahren gilt – ebenso wie für das Strafverfahren –, dass der Richter die Sanktion selbstständig innerhalb des vom Gesetz vorgegebenen Rahmens zu finden hat. Dabei hat er die schärfenden und mildernden Faktoren gegeneinander abzuwägen und anhand der gesetzlich vorgegebenen Bemessungskriterien gemäß § 17 Abs. 3 OWiG das Bußgeld festzusetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013, KRB 20/12, NZKart 2013, 195, Rn. 58).

Gemessen daran hätte der Senat, wie in dem Hinweisschreiben des Vorsitzenden vom 12. August 2020 ausgeführt und in der Hauptverhandlung erörtert, diverse mildernde Faktoren berücksichtigen müssen.

So haben sich nach dem Tatvorwurf im Bußgeldbescheid Mitarbeiter der Nebenbetroffenen nur mit Mitarbeitern eines weiteren Unternehmens, der N, abgesprochen. Die Preisabsprachen sollen zudem im Grundsatz nur zwei Produkte aus dem viele tausend Produkte umfassenden Sortiment der Nebenbetroffenen, nämlich „N.-Filterkaffee“ und „N. Ganze Bohne“, betroffen haben. Es handelte sich mutmaßlich um Vertikalabsprachen, deren Unrechtsgehalt der Senat – jedenfalls im konkreten Fall – als weniger gravierend bewertet als den Unrechtsgehalt der hier im Rahmen des Gesamtkomplexes getroffenen Horizontalabsprachen.

Mildernd wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass Teile der vorgeworfenen Tat unter die Geltung eines milderen Gesetzes fielen. Bis zum 30. Juni 2005 musste die Nebenbetroffene nur mit einem Bußgeld in Höhe von 5 € und bis zu 500.000 € sowie darüber hinaus bis zur dreifachen Höhe des durch die Zuwiderhandlung erlangten Mehrerlöses rechnen (§ 17 Abs. 1 OWiG in der Fassung vom 13. Dezember 2001, § 81 Abs. 2 Satz 1 GWB in der Fassung vom 10. November 2001). Da Ermittlungen des Bundeskartellamtes zu einem Mehrerlös nicht vorliegen, lag damit in der Zeit von Ende Dezember 2004, dem Zeitpunkt des Beginns der Tat, bis zum 30. Juni 2005 die Bußgeldobergrenze bei 500.000 €.

Mildernd wäre weiter der lange zeitliche Abstand zwischen der Tat und einem zu erwartenden Sachurteil zu berücksichtigen gewesen. Mit zunehmend langem Abstand zur Tatbegehung besteht ein geringeres Bedürfnis, das ordnungswidrige Verhalten zu ahnden (vgl. BGH, Beschluss vom 4. November 2003, KRB 20/03, NZBau 2004, 286; Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2019, Band 1, § 81 GWB, Rn. 199). Hier betrug schon der Zeitraum zwischen Beendigung der Tat im Mai 2008 bis zum Erlass dieses Urteils am 17. August 2020 mehr als zwölf Jahre. Dieser Abstand hätte sich bei einer umfangreichen Hauptverhandlung nochmals verlängert.

Hinzu kommt die Belastung der Nebenbetroffenen durch die lange Verfahrensdauer, auch wenn insoweit in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren geringere Anforderungen an die Verfahrensbeschleunigung zu stellen sein mögen (vgl. Raum, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl. 2019, Band 1, § 81 GWB, Rn. 199) und es sich bei der Nebenbetroffenen „nur“ um eine juristische Person handelt. Zwischen dem Zeitpunkt der Durchsuchung bei der Nebenbetroffenen am 14. Januar 2010 und dem Erlass dieses Urteils liegen ebenfalls schon mehr als zehn Jahre.

Gegebenenfalls wäre – je nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme – noch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu berücksichtigen gewesen. Eine solche wäre bei einer Verfahrensdauer von mehr als zehn Jahren näher zu prüfen gewesen. Dies hätte unter Umständen sogar dazu führen können, dass ein Teil der Buße als vollstreckt anzusehen gewesen wäre.

Auch vor dem Hintergrund der gegen andere Nebenbetroffene verhängten Geldbußen erscheint das hier vom Bundeskartellamt verhängte Bußgeld nicht außer Verhältnis. Es entspricht – wobei der Senat nicht an die Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamts gebunden ist – aber jedenfalls der Höhe nach dem Betrag, den die Verfolgungsbehörde selbst seinerzeit für angemessen gehalten hat.

Insoweit fügt sich, wie in der Hauptverhandlung mit den Beteiligten erörtert, jedenfalls die Höhe des vom Bundeskartellamt verhängten Bußgeldes gegen die Nebenbetroffene in die Höhe der Bußgelder ein, die die Behörde gegen andere Verfahrensbeteiligte verhängt hat. Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung des Konzernumsatzes der Nebenbetroffenen im Jahr 2014 in Höhe von 4,48 Mrd. € und des tatbezogenen Umsatzes, der nach Auskunft der Nebenbetroffenen und den Ausführungen im Bußgeldbescheid 29,832 Mio. € betrug. Es handelt sich damit im Verhältnis zu den vom Bundeskartellamt jeweils ermittelten und seinen Entscheidungen zugrunde gelegten Konzernumsätzen und den tatbezogenen Umsätzen der übrigen an den Absprachen mit der N. beteiligten Unternehmen jeweils um die mit Abstand geringsten Umsätze.

So hatte die U. ausweislich des Akteninhalts nach Stellen eines Bonusantrags und diversen Kooperationsbeiträgen im Rahmen eines Settlements bei einem vom Bundeskartellamt angenommenen Konzernumsatz im Jahr 2013 von 42,255 Mrd. € und einem tatbezogenen Umsatz von 90,384 Mio. € eine Geldbuße in Höhe von 8,155 Mio. € zu tragen. Das Bundeskartellamt hat gegen die F. im Rahmen eines Settlements ein Bußgeld von 18,75 Mio. € bei einem Konzernumsatz im Jahr 2013 von 39,45 Mrd. € und einem tatbezogenen Umsatz von 99,1 Mio. € verhängt. Die Geldbuße der O. betrug im Rahmen eines Settlements 9,045 Mio. € bei einem vom Bundeskartellamt zugrunde gelegten Konzernumsatz im Jahr 2013/2014 von 63,035 Mrd. € und einem tatbezogenen Umsatz von 55,182 Mio. €. Die L. hatte schließlich bei einem vom Bundeskartellamt angenommenen Konzernumsatz im Jahr 2014 von 79,3 Mrd. € und einem tatbezogenen Umsatz von 42,133 Mio. € im Rahmen eines Settlements 8,499 Mio. € zu tragen.

Ferner ist noch die Verzinsungspflicht auf die Bußgeldsumme in Höhe von 5,25 Mio. € in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu berücksichtigen. Nach Verwerfung des Einspruchs hat die Nebenbetroffene Zinsen gemäß § 81 Abs. 6 GWB i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zu leisten. So fallen für den Zeitraum zwischen dem im Bußgeldbescheid festgesetzten Beginn der Verzinsungspflicht am 21. Januar 2016 und dem Erlass dieses Urteils am 17. August 2020 Zinsen in Höhe von rund einer Million € an.

Die Entscheidung, nicht zur Verhandlung zu erschienen, stellt zudem grundsätzlich ein legitimes Recht eines Betroffenen bzw. einer Nebenbeteiligten dar. Durch die vom Gesetzgeber vorgesehene Verzinsungspflicht in § 81 Abs. 6 GWB ist ausreichend sichergestellt, dass ein missbräuchliches, allein der Verzögerung dienendes Prozessverhalten vermieden bzw. sanktioniert wird.

Gegen eine ansonsten im Fall der Durchführung der Hauptverhandlung gegebenenfalls erforderliche zwangsweise Vorführung der beiden Geschäftsführer A. S. und B. S. sprechen schließlich deren Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 GG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemäß Art. 20 Abs. 3 GG. Angesichts der voraussichtlich sehr langen Verhandlungsdauer – der Senat hatte vorläufig 18 Verhandlungstage terminiert, der 4. Kartellsenat hatte bis zur Urteilsfindung 24 Verhandlungstage benötigt – ist ein derartiger Eingriff als potentiell erheblich anzusehen, auch wenn später gegebenenfalls eine Entbindung von weiterem Erscheinen hätte erfolgen können.

Das Urteil beruht nicht auf einer Verständigung (§ 257c StPO).

Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der weiteren von der Nebenbetroffenen zu tragenden Gerichtskosten aus § 109 Abs. 2 OWiG. Dies umfasst auch die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens gegen das Urteil des 4. Kartellsenats. Ihre weiteren Auslagen hat die Nebenbetroffene gemäß §§ 46 OWiG, 465 Abs. 2 Satz 3 StPO zu tragen.

Die Nebenbetroffene kann gegen dieses Urteil binnen einer Woche nach Zustellung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist nachsuchen (§ 74 Abs. 4 Satz 1 OWiG i.V.m. § 235 StPO).

       Dr. Egger                                                        Rubel                                                                      Spiecker

Meta

6 Kart 10/19 (OWi)

17.08.2020

Oberlandesgericht Düsseldorf 6. Kartellsenat

Urteil

Sachgebiet: Kart

Zitier­vorschlag: Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 17.08.2020, Az. 6 Kart 10/19 (OWi) (REWIS RS 2020, 5249)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 5249

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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