Verwaltungsgericht Halle, Urteil vom 08.05.2018, Az. 4 A 111/16

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Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Gewährung subsidiären Schutzes.

2

Er wurde nach seinen Angaben am 02. August 1995 in {A.} in der Region {B.} als somalischer Staatsangehöriger geboren und stellte am 16. April 2014 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 25. Januar 2016 gab er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, sein Vater sei als Taxifahrer in einen Unfall verwickelt gewesen, bei dem vier Menschen ums Leben gekommen seien. Sein Vater sei lediglich verletzt worden. Nach dessen Entlassung aus dem Krankenhaus seien sein Vater und er auf dem Rückweg von der Apotheke von zwei Männern niedergeschossen worden. Sie beide hätten viele Schüsse abbekommen. Sein Vater habe den Angriff nicht überlebt. Er selbst sei ohnmächtig und ebenso wie sein Vater später ins Krankenhaus gebracht worden, in dem er eineinhalb Monate verbracht habe. Die Angreifer seien Familienangehörige der Opfer des Autounfalls gewesen, die dem Clan der Majerten angehörten und Rache haben nehmen wollen. Als die Männer erfahren hätten, dass er noch am Leben sei, hätten sie seine Mutter zu Hause besucht und auf der Straße nach ihm gefragt. Seine Mutter habe ihm erzählt, dass er Gesprächsthema auf der Straße sei und verschwinden müsse. Sie habe eine Mitfahrgelegenheit organisiert und er sei sodann am 02. Februar 2013 nachts aus dem Krankenhaus mit einem mit Schrott beladenen LKW nach {C.} in Äthiopien geflüchtet. Seine übrige Familie habe man in Ruhe gelassen, nur auf ihn als Ältesten der Familie habe man es abgesehen gehabt. An die Polizei habe er sich nicht gewandt, da das Gebiet den Majerten gehöre und auch die meisten Polizisten zu diesem Stamm gehörten. So sei nach der Schießerei auch nicht ermittelt worden, weshalb sein Vater umgebracht worden sei. Wegen seiner Zugehörigkeit zur Minderheit der Madhibaan habe er ebenfalls Probleme gehabt. Man werde als Nichts gesehen. Die Kinder könnten nicht zur Schule gehen, man werde diskriminiert und die Mädchen hätten große Probleme, würden z.B. beschimpft.

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Mit Bescheid vom 16. Februar 2016 lehnte das Bundesamt die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Gewährung subsidiären Schutzes ab und stellte zugleich das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Somalias fest. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, das Vorbringen des Klägers zu seinen Fluchtgründen sei nicht glaubhaft. Sein Sachvortrag sei detail- und emotionslos und lasse nicht darauf schließe, selbst Erlebtes wiederzugeben. In protokollartigem Stil habe er über angebliche Ereignisse referiert, die ihrer Art nach in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zu seinen Schilderungen stünden. Hinsichtlich seines Reisewegs habe er diverse Daten, Zeiträume und Wertungen angegeben, die sich nachvollziehen ließen, da sie vermutlich auf einer tatsächlich absolvierten Reise beruhten. Dagegen sei er hinsichtlich seiner Verfolgung in einen betont distanzierten Erzählstil verfallen, der auf Vorhaltungen durch das Springen zwischen verschiedenen Erklärungsmotiven ergänzt worden sei. Es dränge sich der Eindruck auf, dass die Racheverfolgung infolge eines Verkehrsunfalls durch das Auffangmotiv der Clanrivalität abgesichert werden solle. Nicht nachvollziehbar sei, weshalb scheinbar alle Opfer Familienangehörige hätten, die zur Rache entschlossen gewesen seien. Unklar sei auch, woher die Verfolger um die Identität des Klägers und seines Vaters gewusst haben sollten. Es sei nicht glaubhaft, dass ihm die Verfolger zu Hause aufgelauert hätten, obwohl er doch im Krankenhaus gewesen sei. Ebenso sei nicht nachvollziehbar, dass er keinen Schutz bei der Polizei gesucht habe und dass außer ihm niemand in der Familie Probleme bekommen haben solle, während gleichzeitig sein ganzer Clan diskriminiert worden sein solle.

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Der Kläger hat am 21. März 2016 entsprechend der dem Bescheid beigefügten Rechtsmittelbelehrung beim Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben, das sich mit Beschluss vom 07. April 2016 (8 A 135/16 MD) für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das erkennende Gericht verwiesen hat.

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Er trägt zur Begründung seiner Klage vor, sein Vater habe einen weißen Kleinwagen des in Somalia verbreiteten Typs "Markd 2" gefahren, in dem nach den somalischen Verhältnissen sechs Personen Platz gefunden hätten. Auf einer Fahrt von {A.} nach {D.} sei es außerhalb der Stadt zu einem Unfall gekommen, bei dem drei Passagiere ums Leben gekommen und weitere verletzt worden seien. Alle Unfallopfer seien ebenso wie sein Vater ins öffentliche Krankenhaus nach {A.} gebracht worden. Als die Verwandten der Verstorbenen im Krankenhaus erfahren hätten, dass sein Vater den Wagen gefahren habe und noch am Leben sei, hätten sie ihn für den Tod ihrer Angehörigen verantwortlich gemacht. Etwa fünf Tage später hätten Familienangehörige der Verstorbenen ihn und seinen Vater niedergeschossen. Er habe zahlreiche Schussverletzungen erlitten, die noch heute sichtbar seien. Zwar sei er zu diesem Zeitpunkt erst 17 Jahre alt gewesen, habe aber nach somalischer Einschätzung als erwachsen gegolten und sei als ältester Sohn Zielscheibe der Rache der Familienangehörigen der Opfer des Verkehrsunfalls geworden. Als diese erfahren hätten, dass er den Angriff überlebt habe, hätten sie ihm weiter nach dem Leben getrachtet und sich in der Nähe von Orten aufgehalten, an denen er üblicherweise verkehrte. Entgegen der Ausführungen im angegriffenen Bescheid seien seine Schilderungen schlüssig und widerspruchsfrei. Unklar sei, woher der Entscheider, der ihn nicht angehört habe, die Erkenntnis habe, sein Sachvortrag in der Anhörung sei emotionslos und distanziert und er habe in protokollartigem Stil referiert. Dazu fänden sich keine Angaben im Anhörungsprotokoll, das auch kein Wortprotokoll sei. Soweit das Bundesamt Aufklärungsbedarf hinsichtlich der Frage gesehen habe, woher die Angreifer von seiner Identität und der seines Vaters gewusst hätten, hätte dies nachgefragt werden können. Da sich in einer somalischen Kleinstadt Informationen sehr schnell verbreiteten, sei ihm nicht bewusst gewesen, dass er dazu hätte ausführen sollen. Im Übrigen zeugten die Ausführungen im angegriffenen Bescheid von mangelnder Kenntnis der Verhältnisse in Somalia. Da er vorverfolgt ausgereist sei, spreche eine Vermutung für eine erneute Verfolgung im Falle der Rückkehr. Die Verfolgung knüpfe an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der Clanzugehörigkeit sowie der Zugehörigkeit zur Familie seines Vaters an. Ihm stehe auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, weil es ihm aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse nicht möglich sein werde, in einem anderen Teil Somalias ohne Unterstützung seiner Familie seine Existenz zu sichern. Er habe deshalb Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling, jedenfalls aber als subsidiär Schutzberechtigter. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass in Somalia ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrsche und in seiner Person ein gefahrerhöhendes Merkmal wegen seiner Zugehörigkeit zur Minderheit der Madhibaan vorliege. Denn Angehörige von Minderheiten drohe in erhöhtem Maße, angegriffen, entführt und/oder vergewaltigt zu werden.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte zu verpflichten, ihm unter Aufhebung der entgegenstehenden Regelungen des Bescheids des Bundesamts vom 16. Februar 2016 die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat mit dem Hilfsantrag Erfolg und bleibt im Übrigen erfolglos.

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Der Kläger hat in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes. Der dies ablehnende Bescheid des Bundesamts vom 16. Februar 2016 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO) (dazu 1.). Dagegen hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (dazu 2.).

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1. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

13

Nach den §§ 4 Abs. 3, 3c AsylG kann die die Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Dabei beinhaltet „erwiesenermaßen" keine Übertragung der Beweislast auf den Antragsteller, sondern bedeutet lediglich, dass es dem Antragsteller obliegt, die allgemein bekannten oder in seiner Sphäre liegenden Tatsachen und Fakten aufzuzeigen, aus denen sich die Schutzunwilligkeit der genannten Akteure ergibt.

14

Gemäß §§ 4 Abs. 3, 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer subsidiärer Schutz nicht gewährt, wenn in einem Teil seines Herkunftslandes keine Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht oder er Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (interner Schutz).

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Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht, wenn dem Ausländer ein solcher aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dieser Prüfungsmaßstab folgt aus dem Tatbestandsmerkmal „…tatsächlich Gefahr liefe …“ in Art. 2 Buchstabe f der Richtlinie 2011/95/EU (vormals Art. 2 Buchstabe e der Richtlinie 2004/83/EG). Der darin enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser stellt bei einer Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – BVerwG 10 C 5.09 – Juris Rn.18 ff., Urteil vom 17. November 2011 – BVerwG 10 C 13/10 – Juris Rn 20, jeweils mit Verweis auf EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – Nr. 37201/06, Saadi/Italien – NVwZ 2008, 1330).

16

Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für die Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für einen ernsthaften Schaden gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit eines ernsthaften Schadens nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falls die „reale Möglichkeit“ eines ernsthaften Schadens, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für einen ernsthaften Schaden besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnenen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert. Auch gilt: Je unabwendbarer ein drohender ernsthafter Schaden erscheint, desto unmittelbarer steht er bevor. Je schwerer der befürchtete Schaden ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht.

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Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit – wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt – eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss.

18

Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG vorliegt. Die Tatsache, dass ein Ausländer bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden (Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – BVerwG 10 C 5.09 – Juris Rn. 23 zu Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG).

19

Es obliegt dem Asylbewerber, die Gründe für das Verlassen seiner Heimat schlüssig darzulegen. Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung ein ernsthafter Schaden droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinem persönlichen Schicksal eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann (BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 1989 – BVerwG 9 B 405.89 – Juris Rn. 8; OVG Münster, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A – Juris Rn. 33).

20

Bei Anwendung dieser Maßstäbe ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Somalia ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.

21

Die Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist an der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK zu orientieren (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – BVerwG 10 C 15.12 – Juris Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.). Diese Norm bestimmt, dass niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Eine Behandlung ist unmenschlich, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives psychisches oder physisches Leid verursacht hat. Erniedrigend ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 (M.S.S./Belgien und Griechenland) – NVwZ 2011, 413 Rn. 220). In beiden Fällen muss die Behandlung ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie in einigen Fällen auch vom Geschlecht, dem Alter und dem Gesundheitszustand der betroffenen Person ab (EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 (M.S.S./ Belgien und Griechenland) – NVwZ 2011, 413 Rn. 219, und vom 28. Juni 2011 – 8319/07 u.a. (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich) – NVwZ 2012, 681, Rn. 213). Die Befürchtung, Opfer gezielter krimineller Gewalt einschließlich eines Tötungsdelikts zu werden, fällt unter § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, wenn die Gefahr entsprechend ernst ist und ausreichender Schutz nicht erlangt werden kann (VGH Mannheim, Urteil vom 06. März 2012 – A 11 S 3070/11 – Juris Rn. 30).

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Der Kläger hat glaubhaft dargetan, vor seiner Ausreise aus Somalia bereits einen ernsthaften Schaden erlitten zu haben bzw. von einem solchen bedroht gewesen zu sein. Es streitet deshalb die Vermutung für ihn, dass sich die früheren Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden (Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU). Stichhaltige Gründe, die dagegen sprechen, dass der Kläger erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, liegen nicht vor.

23

Sein Vorbringen vor dem Bundesamt, das er im Klageverfahren und in der mündlichen Verhandlung vertieft hat, ist schlüssig und widerspruchsfrei. Er hat insofern plausibel dargelegt, dass er von Dritten (nichtstaatlichen Akteuren im Sinne von §§ 4 Abs. 3, 3c Nr. 3 AsylG), die dem im Gebiet um {A.} ansässigen Mehrheitsclan der Majerten angehörten und ihm nach dem Leben trachteten, angegriffen und durch Schüsse verletzt worden sei. Bei den Angreifern habe es sich um Familienangehörige von Personen gehandelt, die bei einem Verkehrsunfall, an dem sein Vater als Taxifahrer beteiligt gewesen sei und dessen Verursachung man ihm zugeschrieben habe, ums Leben gekommen seien. Die Angreifer hätten Rache an seinem Vater und an ihm als ältestem Sohn der Familie nehmen wollen, nachdem sie im Krankenhaus nach der Einlieferung der Unfallopfer und seines Vaters erfahren hatten, dass sein Vater das Fahrzeug geführt und den Unfall überlebt habe. Sein Vater sei bei dem Angriff erschossen worden. Er selbst sei nach mehrmonatiger Behandlung im Krankenhaus von dort geflohen, nachdem ihm seine Mutter berichtet habe, dass sich die Angreifer nach ihm erkundigten und weiter auf Rache sannen.

24

Der Kläger hat seine Fluchtgründe – anders als das Bundesamt meint – detailliert und stimmig dargetan. Einzelne Abweichungen zwischen seinem Vortrag vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung, die lediglich das Randgeschehen betreffen (etwa Dauer seines Krankenhausaufenthalts, Zahl der Opfer des Verkehrsunfalls), stehen der Glaubhaftigkeit nicht entgegen. Denn nur im Kerngeschehen ist inhaltliche Konstanz zu erwarten; im Randgeschehen hingegen können Widersprüche oder Veränderungen in der Aussage sogar für deren Glaubhaftigkeit sprechen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 08. Dezember 2005 – 4 Ws 163/05 – Juris Rn. 11). Seine Schilderungen werden zudem durch die an seinem Körper sichtbaren Spuren gestützt. Ausweislich der in Kopie vorgelegten ärztlichen Stellungnahme der Frau Dipl.-Med. {E.} vom 04. April 2016 weist der Körper des Klägers vom Schulterblatt bis zum Oberschenkel zahlreiche, teils lange, teils runde Narben auf, von denen der Kläger bereits bei seiner Vorstellung am 11. September 2014 – weit vor seiner Anhörung vor dem Bundesamt – angegeben hatte, dass diese von Schussverletzungen herrührten. Dass die übrigen Familienmitglieder des Klägers, namentlich seine jüngeren Brüder, die zum damaligen Zeitpunkt zwischen 7 und 12 Jahren alt gewesen seien, sowie seine Schwestern, seine Mutter und seine Frau, nach seinem Vortrag keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen sind, und nur er als mit damals 17 Jahren ältester Sohn der Familie neben seinem Vater Zielscheibe des Racheakts gewesen ist, steht der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens ebenfalls nicht entgegen. Denn Frauen, Kinder und alte Personen dürfen nach somalischer Kultur nicht Ziel von Rachemorden sein und prinzipiell nicht angetastet werden (ACCORD, Clans in Somalia, 12/2009, S. 25). Es erscheint vor dem Hintergrund, dass bei dem Verkehrsunfall seines Vaters mehrere Personen ums Leben gekommen sind, auch plausibel, dass die Blutrache nicht allein am Vater des Klägers geübt werden sollte, sondern auch an ihm als (nach somalischen Verhältnissen) bereits erwachsenem Sohn. Schließlich ist auch nachvollziehbar, dass der der Minderheit der Madhibaan angehörende Kläger keinen Schutz bei der Polizei gesucht hat. Somalia war zum damaligen Zeitpunkt ohne effektive Staatsgewalt; staatliche Strukturen fehlten weitgehend und Polizei und Justiz funktionierten kaum (Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 12. Juni 2013 – Stand: Februar 2013, S. 6 f.). Auch heute noch sind die vorhanden staatlichen Strukturen sehr schwach und es können wesentliche Staatsfunktionen von ihnen nicht ausgeübt werden (AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 07. März 2018 – Stand: Januar 2018, S. 5). Zudem sind Polizei und Justiz teils bestechlich und gehen vielfach Vergehen gegenüber Minderheiten-Angehörigen nicht nach (SEM – Schweizerische Eidgenossenschaft, Staatssekretariat für Migration, Focus Somalia, Clans und Minderheiten, 31. Mai 2017, S. 41), so dass Verbrechen gegen Minderheitsclans unter absoluter Straflosigkeit verübt werden können (Schweizer Flüchtlingshilfe, Somalia, Update: Aktuelle Entwicklungen (Januar 2009 bis Juli 2010) vom 04. August 2010, S. 17).

25

Vor diesem Hintergrund kann der Kläger auch keinen Schutz gemäß den §§ 4 Abs. 3, 3d AsylG in Anspruch nehmen.

26

Auf eine innerstaatliche Fluchtalternative kann der Kläger ebenfalls nicht verwiesen werden. Ungeachtet der Frage, ob er einen anderen Landesteil sicher erreichen könnte, kann von ihm nicht erwartet werden, sich dort niederzulassen.

27

Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen und die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia seit Jahrzehnten zum Land mit dem größten Bedarf an internationaler Nothilfe. Das Land ist also in hohem Grade von Hilfe abhängig. 43% der somalischen Bevölkerung leben in extremer Armut von weniger als einem US-Dollar pro Tag (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12. Januar 2018, S. 117). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist nicht gewährleistet. Es gibt keinen sozialen Wohnraum oder Sozialhilfe (AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 07. März 2018 – Stand: Januar 2018, S. 19). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist von Nahrungsmittelknappheit, von Kindersterblichkeit und Unterernährung betroffen. Rund 60% des Viehbestands wurde vernichtet, wobei die Viehzucht das Haupteinkommen großer Bevölkerungsteile darstellt. Die Versorgungslage ist durch geringe Ernteerträge und Trockenperioden anhaltend schlecht. Aufgrund der schwierigen Sicherheitslage und Einschränkungen durch die Aktivitäten diverser Milizen, ist es für humanitäre Organisationen eine Herausforderung, benachteiligte Bevölkerungsteile zu erreichen. Zu Beginn des Jahres 2017 hatte sich die humanitäre Lage in Somalia nochmals mit alarmierender Geschwindigkeit verschlechtert. Der somalische Präsident hat am 28. Februar 2017 den nationalen Notstand ausgerufen und um verstärkte Hilfe der internationalen Gemeinschaft gebeten. Am 02. Februar 2017 wurde für Somalia eine Alarm-Erklärung hinsichtlich einer bevorstehenden Hungersnot („pre-famine alert“) ausgegeben. Zuletzt hat am 05. Dezember 2017 die Regierung von Puntland den Notstand ausgerufen und um Nahrungsmittel- und Wasserlieferungen gebeten (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12. Januar 2018, S. 121 f.).

28

Aufgrund dieser humanitären Lage ist es für Somalier fast unmöglich, ohne ein familiäres Netzwerk ihre Grundbedürfnisse zu sichern. Dies gilt insbesondere für unfreiwillige Rückkehrer. Zwar zählen Unterstützung durch (Groß-) Familie und Clan weiterhin zu den wichtigsten Faktoren für Akzeptanz in der Gemeinschaft, Sicherheit und Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Unterkunft und Nahrung. Dabei gilt als allgemeine Regel, dass Somalier auch entfernte Verwandte, die aus einer anderen Gegend kommen unterstützen. Soweit Unterkunft und Nahrung betroffen sind, ist jedoch nicht der Clan, sondern die Familie der erste Ansprechpartner. Allerdings leistet die Groß- oder Kernfamilie in der Regel nur für einige Tage Unterstützung und kann nicht als langfristige Lösung für Lebensunterhalt oder Unterkunft angesehen werden. Nur wenn eine Person in einem Gebiet weder über enge Familienangehörige noch über andere Verwandte verfügt, kann der Clan um Hilfe gebeten werden. Allerdings wurde das Konzept der Clansolidarität in Süd-/Zentralsomalia angesichts der Dauer des dort herrschenden Konflikts überdehnt. Dementsprechend sehen sich viele Familien- und Clannetzwerke heute nicht mehr in der Lage, vertriebenen Verwandten zu helfen. Ohne familiäre Unterstützung laufen Rückkehrer daher Gefahr, sich in einem Lager für Binnenvertriebene wiederzufinden (vgl. EASO, Süd- und Zentralsomalia: Länderüberblick, August 2014, S. 126; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12. Januar 2018, S. 128 f.; UNHCR, Position on Returns to Southern and Central Somalia (Update I), Mai 2016, S. 9).

29

Angesichts dieser Situation kann vom Kläger vernünftigerweise nicht erwartet werden, sich an einem anderen Ort in Somalia niederzulassen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass er als Mitglied einer Minderheit auf ein Netzwerk abseits seiner Familie und Heimatregion zurückgreifen könnte, mittels dessen Hilfe er seine Existenzgrundlage zu sichern imstande wäre.

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2. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft liegen dagegen nicht vor.

31

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Ausländer dann internationaler Schutz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Form der Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a AsylG) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b AsylG).

32

Eine Verfolgung wegen eines flüchtlingsrelevanten Merkmals, namentlich der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, hat der Kläger nicht zu befürchten.

33

Zwar dürfte den Clan der Madhibaan, dem der Kläger angehört, eine soziale Gruppe im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG darstellen.

34

Eine Gruppe gilt nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG insbesondere dann als eine „bestimmte soziale Gruppe", wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Zudem muss diese Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

35

Diese Voraussetzungen dürften auf die Clans in Somalia zutreffen.

36

Die somalische Nation ist in Sub-Gruppen (Clans) aufgeteilt. Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem. Durch die schwache Ausprägung bzw. Abwesenheit staatlicher Strukturen in einem großen Teil des von Somalis besiedelten Raums spielen die Clans auch heute wichtige politische, rechtliche und soziale Rollen. Die Clans sind in sich weiter hierarchisch aufgegliedert. Die ethnologische Literatur unter-scheidet zwischen verschiedenen Niveaus: Clanfamilie, Clan, Sub-Clan, Sub-Sub-Clan etc. Die Angehörigen eines Clans verfolgen ihre Abstammung auf einen gemeinsamen Vorfahren zurück, der 20 Generationen zurückliegen kann (SEM, Focus Somalia, Clans und Minderheiten, 31. Mai 2017, S. 8 f.). Da die Zugehörigkeit zu einem Clan durch die familiäre Abstammung bestimmt wird und deshalb etwa ein Aufstieg von einem Minderheiten- in einen Mehrheitsclan nicht möglich ist, weisen die Mitglieder der Clans angeborene Merkmale auf, die nicht verändert werden können (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a AsylG). Aufgrund der Bedeutsamkeit der Clanzugehörigkeit haben die Clans eine deutlich abgegrenzte Identität, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig wahrgenommen werden (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b AsylG) (VG Braunschweig, Urteil vom 07. April 2016 – 5 A 75715 – Juris Rn. 43).

37

Die vom Kläger geschilderten und weiter befürchteten Verfolgungshandlungen knüpf(t)en indes nicht an dessen Clanzugehörigkeit an. Sie betrafen ihn nicht in wegen seiner Zugehörigkeit zum Minderheitenclan der Madhibaan, sondern im Hinblick darauf, dass seinem Vater die Verursachung des Todes der Familienangehörigen der Täter zugeschrieben wurde und die Täter auf Rache sannen. Der Umstand, dass der Kläger einem Minderheitenclan angehört, begünstigte lediglich dessen Verfolgung, da Verbrechen gegen Minderheitsclans wegen der allgemeinen Gesetzlosigkeit in Süd- und Zentralsomalia unter absoluter Straflosigkeit verübt werden können (Schweizer Flüchtlingshilfe, Somalia, Update: Aktuelle Entwicklungen (Januar 2009 bis Juli 2010) vom 04. August 2010, S. 17). Die dem Mehrheitsclan der Majerten angehörenden Täter mochten daher in der Lage gewesen sein, unter erleichterten Bedingungen und unter Ausnutzung der Rechtsstaatlosigkeit in Somalia gegen den Kläger vorzugehen. Die Verfolgungsmaßnahmen waren aber nicht gegen ihn als Mitglied eines Minderheitenclans, sondern als ältesten Sohn der Familie seines Vaters, an der Rache geübt werden sollte, gerichtet.

38

Die Familie seines Vaters stellt indes keine bestimmte soziale Gruppe im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG dar. Zwar kann man davon ausgehen, dass eine Familie durch die alle Mitgliedern verbindende Verwandtschaft ein unveränderbares Merkmal teilt. Doch wird eine Familie nicht als von der übrigen Gesellschaft deutlich abgrenzbare Gruppe mit eigener (Gruppen-) Identität wahrgenommen (OVG SH, Urteil vom 14. Dezember 2006 – 1 LB 67/05 – Juris Rn. 43).

39

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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4 A 111/16

08.05.2018

Verwaltungsgericht Halle

Urteil

Zitier­vorschlag: Verwaltungsgericht Halle, Urteil vom 08.05.2018, Az. 4 A 111/16 (REWIS RS 2018, 9538)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 9538

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Referenzen
Wird zitiert von

23 B 18.30809

A 4 K 3531/18

Zitiert

10 C 13/10

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