Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.07.2013, Az. 2 StR 139/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2013, 4100

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Gegenstand

Abgrenzung zwischen Tötungsversuch und schwerer Körperverletzung: Anforderungen an Urteilsfeststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz bei Handeln in affektiver Erregung; sichtbare Narbe im Gesicht als dauernde erhebliche Entstellung


Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 27. Juni 2012 mit Ausnahme der Entscheidung über den [X.] mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und festgestellt, dass er verpflichtet ist, dem Nebenkläger alle aus der Tat vom 13. Dezember 2011 entstandenen materiellen und immateriellen Schäden, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen sind, zu ersetzen. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die vom [X.] vertreten wird, beanstandet mit der Sachrüge die Verneinung des Tötungsvorsatzes sowie die fehlende Erörterung einer Strafbarkeit des Angeklagten auch wegen schwerer Körperverletzung. Das Rechtsmittel ist begründet.

I.

2

1. Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

3

Der Angeklagte unterhielt bis August 2011 eine Beziehung zur Ehefrau des [X.]. Da er sich nicht damit abfinden konnte, dass diese sich von ihm getrennt hatte, suchte er weiterhin den Kontakt und wartete häufig mit seinem PKW in der Nähe ihrer Wohnung oder ihrer Arbeitsstelle.

4

Am 13. Dezember 2011 unternahm der Nebenkläger gemeinsam mit seiner Tochter eine Einkaufsfahrt. Unterwegs bemerkte er, dass ihm der Angeklagte in seinem Fahrzeug folgte. Er hielt deshalb an, um ihn zur Rede zu stellen. Der Angeklagte, der spätestens jetzt erkannte, dass sich die Ehefrau des [X.] nicht in dem PKW befand, setzte indes seine Fahrt fort.

5

[X.] tätigte nun den geplanten Einkauf. Nach seiner Rückkehr zum Parkplatz des [X.] bemerkte er den dort abgestellten PKW des Angeklagten. Er trat an dessen Fahrzeug heran, klopfte an die Fensterscheibe und fragte den Angeklagten, der in seinem Fahrzeug saß, warum er ihn verfolge. Der Angeklagte antwortete unverständlich und der Nebenkläger kehrte zu seinem Fahrzeug zurück. Beim Verlassen des Parkplatzes winkte der Angeklagte dem Nebenkläger nunmehr zu, weshalb dieser sein Fahrzeug anhielt, wiederum an den PKW des Angeklagten herantrat und fragte, was er von ihm wolle. Der Angeklagte antwortete unverständlich, wobei nur das Wort "Arschloch" zu verstehen war. [X.] wandte sich schließlich ab und ging ein paar Schritte in Richtung seines Fahrzeugs, wobei er dem Angeklagten den Rücken zukehrte. In diesem Moment stieg der Angeklagte schnell aus seinem Fahrzeug aus und ließ die fingerlange Klinge seines am Schlüsselbund befestigten Springmessers durch Knopfdruck hervor schnellen. Er packte mit einer Hand die linke Schulter des [X.], zog ihn zu sich herum und stach ihm wuchtig ca. vier bis fünf Zentimeter tief in den Bauch. [X.] schlug daraufhin auf den Angeklagten ein und drückte ihn gegen dessen Auto. Während des entstehenden [X.] versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger eine oberflächliche Stichwunde im Nackenbereich sowie einen tiefgehenden Stich im Bereich der linken Achselhöhle, der in den Brustkorb eindrang und dort einen konkret lebensgefährlichen Pneumothorax verursachte. Da die Tochter des [X.] laut nach ihrem Vater rief, ließ dieser den Angeklagten los und wandte sich seiner Tochter zu. In diesem Moment versetzte ihm der Angeklagte einen quer durch das Gesicht geführten mindestens acht Zentimeter langen Schnitt. Der Angeklagte handelte zumindest bei dem [X.] und dem Schnitt ins Gesicht aus Wut und dem Wunsch, den Nebenkläger für die vom ihm selbst gefühlte Unterlegenheit büßen zu lassen; nicht aber, um ihn zu töten.

6

[X.], der die Schwere seiner Verletzungen nicht bemerkt hatte, schlug nochmals hart auf den Angeklagten ein und entfernte sich. Er befand sich aufgrund seiner Verletzungen elf Tage in stationärer Behandlung und war anschließend rund drei Monate arbeitsunfähig. Die zickzackförmig verlaufende Schnittverletzung im Gesicht ist unter Verbleib einer deutlich sichtbaren, acht Zentimeter langen Narbe verheilt, die am linken Mundwinkel beginnt und bogenförmig nach unten zum Kieferwinkel verläuft.

7

2. Das [X.] hat den Schuldspruch auf § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gestützt. Es hat sich nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte auch nur mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte. Zwar sei das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes jedenfalls bei dem [X.] gegeben. In der Gesamtschau der Persönlichkeit des Angeklagten, seiner psychischen Verfassung im Tatzeitpunkt und seiner Motivation hat die [X.] keinen so starken Handlungsantrieb erkennen können, der den Rückschluss auf eine Bereitschaft des Angeklagten zur Inkaufnahme schwerster Folgen erlaube.

II.

8

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist begründet.

9

1. Die Beweiserwägungen, mit denen das [X.] einen bedingten Tötungsvorsatz abgelehnt hat, halten auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen [X.] rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Vor Annahme eines bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des [X.], seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind ([X.], Beschluss vom 1. Juni 2007 – 2 [X.]; Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (st. [X.].; vgl. [X.], Urteil vom 25. März 1999 – 1 StR 26/99, NJW 1999, 2533, 2534).

Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt.

b) Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht. Zwar ist die [X.] zutreffend davon ausgegangen, dass die in den Bauch und den Brustkorb des [X.] ausgeführten Messerstiche als jeweils äußerst gefährliche Gewalthandlung einen bedingten Tötungsvorsatz nahe legen. Die sich anschließende Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, im Rahmen derer die [X.] maßgeblich auf eine besondere Erregung des Angeklagten als Indiz gegen die Annahme des voluntativen Vorsatzelements abgestellt hat, bleibt indes lückenhaft, weil nicht mit konkreten Feststellungen belegt.

Zwar ist anerkannt, dass insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des [X.] ergebenden Besonderheiten darauf geschlossen werden kann, dass das – selbständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. [X.], Urteil vom 25. November 2010 – 3 [X.], [X.], 338 mwN; Urteil vom 17. Dezember 2009 – 4 [X.], [X.], 571, 572; Urteil vom 28. Januar 2010 – 3 [X.], [X.], 144). Das [X.] hat aber erkennbar nicht bedacht, dass es sich bei einem spontanen Handeln in affektiver Erregung um ein ambivalentes Beweisanzeichen handelt, das, je nachdem, wie das Tatgericht es im Einzelfall bewertet, rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen kann (vgl. [X.], Urteil vom 23. Juni 2009 – 1 [X.], [X.], 629, 630; Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13; vgl. auch Urteil vom 24. Februar 2010 – 2 [X.], [X.], 214, 215). Zwar ist eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, denselben Umstand nochmals in dem anderen [X.] zu erwägen und damit Gefahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. zu alledem [X.], Urteil vom 20. September 2012 – 3 [X.], [X.], 75, 76 f. mwN; [X.], Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13). Der Tatrichter ist indes nicht davon befreit, basierend auf konkreten Feststellungen zu den objektiven und subjektiven Umständen der Tat erkennen zu lassen, warum er einem ambivalenten [X.] überhaupt eine indizielle Bedeutung in eine Richtung zumisst.

Dem werden die Ausführungen des [X.]s nicht gerecht, denn Auswirkungen der festgestellten besonderen Erregung auf das Willenselement des bedingten Vorsatzes werden nicht dargestellt und liegen auch nicht auf der Hand. Die [X.] hat insoweit lediglich ausgeführt, der Angeklagte sei wegen der Konkurrenzsituation zum Nebenkläger infolge der von ihm immer noch nicht überwundenen Liebesbeziehung "besonders erregt" gewesen; entsprechend habe er noch in der Hauptverhandlung seine ihn immer noch beherrschende, unerfüllte Liebe teils unter Tränen beklagt ([X.]). Inwiefern aber eine solche, ganz offenkundig dauerhaft bestehende besondere Erregung bei dem Angeklagten vorliegend überhaupt Schlüsse darauf zulässt, weshalb er trotz erkannter Lebensgefährlichkeit seines gezielt gesetzten [X.]s ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut haben konnte, der Nebenkläger würde nicht zu Tode kommen, lassen diese Erörterungen nicht erkennen. Dies erschließt sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe. Offen bleibt insbesondere schon der Grad seiner besonderen Erregung. In den Feststellungen findet sich insoweit einzig der Hinweis, der Angeklagte habe zumindest bei dem Stich in den Bauch und dem Schnitt ins Gesicht aus Wut und dem Wunsch, den Nebenkläger für die von ihm selbst gefühlte Unterlegenheit büßen zu lassen, gehandelt.

Auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht der Schuldspruch. Ein Rücktritt vom – möglicherweise – versuchten Tötungsdelikt kommt nach den bisherigen Feststellungen nicht in Betracht. Voraussetzung für eine dahin gehende Beurteilung wären insbesondere nähere Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten, die das [X.] – aus seiner Sicht konsequent – nicht getroffen hat.

2. Die Staatsanwaltschaft beanstandet darüber hinaus zu Recht, dass das [X.] den Sachverhalt nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft hat. Angesichts des Umstands, dass im Gesicht des [X.] eine deutlich sichtbare Narbe verblieben ist, die immerhin acht Zentimeter bemisst, musste sich das Gericht zur Erörterung der Frage gedrängt sehen, ob der Nebenkläger durch die Körperverletzung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB in erheblicher Weise dauernd entstellt wurde. Erheblich ist eine Entstellung zwar nur dann, wenn sie zumindest dem Gewicht der geringsten Fälle nach § 226 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB gleichkommt ([X.], Beschluss vom 2. Mai 2007 – 3 [X.], [X.]R StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 1). Dies kann jedoch im Einzelfall bei besonders großen oder markanten Narben der Fall sein ([X.], Urteil vom 28. Juni 2007 – 3 [X.], [X.]R StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2); insbesondere aber auch bei [X.] im Gesicht eines Opfers ([X.], Urteil vom 8. November 1966 – 1 [X.], NJW 1967, 297; Beschluss vom 11. Juli 2006 – 3 [X.], [X.], 686; vgl. auch [X.], Urteil vom 28. Juni 2007 – 3 [X.], [X.], 32). Ob die Qualifikation der Tat hier auf das äußere Verletzungsbild des [X.] zutrifft, kann anhand der Urteilsgründe nicht nachgeprüft werden. Das [X.] hat insoweit keine zur Charakterisierung der Narben ausreichenden Feststellungen getroffen. Auch eine Bezugnahme auf Lichtbilder gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zur Ergänzung der textlichen Tatsachenfeststellungen ist nicht erfolgt. Der neue Tatrichter wird daher diese Feststellungen nachzuholen und sodann rechtlich zu beurteilen haben, ob von einer dauernden und erheblichen Entstellung des [X.] auszugehen ist.

3. Die aufgezeigten Mängel zwingen zur Aufhebung der rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung, weil ein versuchtes Tötungsdelikt wie auch eine schwere Körperverletzung, jedenfalls soweit auch eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB vorliegt, hierzu in Tateinheit stünden.

Die Adhäsionsentscheidung ist von der Aufhebung auszunehmen (vgl. [X.], Urteil vom 28. November 2007 – 2 [X.], [X.]St 52, 96; Urteil vom 8. April 2009 – 5 StR 65/09; [X.], StPO 56. Aufl. § 406a Rn. 8).

Fischer                    Krehl                         Eschelbach

                Ott                         Zeng

Meta

2 StR 139/13

17.07.2013

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Koblenz, 27. Juni 2012, Az: 2040 Js 73583/11 - 3 Ks

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 212 StGB, § 224 Abs 1 Nr 5 StGB, § 226 Abs 1 Nr 1 StGB, § 226 Abs 1 Nr 2 StGB, § 226 Abs 1 Nr 3 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.07.2013, Az. 2 StR 139/13 (REWIS RS 2013, 4100)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4100

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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