Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.12.2014, Az. 2 B 75/14

2. Senat | REWIS RS 2014, 519

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Keine nachteilige Bewertung bei zulässigem Prozessverhalten; disziplinargerichtliche Bewertung kinderpornographischer Bilder als schwerer sexueller Missbrauch


Leitsatz

1. Zulässiges Prozessverhalten - hier Nichterscheinen in der mündlichen Verhandlung - kann grundsätzlich nicht zu Lasten des Beamten gewertet werden.

2. Die disziplinargerichtliche Bewertung kinderpornographischer Dateien als Abbildung schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern i.S.d. § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt eine entsprechende rechtliche Einordnung im Strafurteil nicht voraus.

Gründe

1

Die allein auf die [X.]ehauptung von Verfahrensfehlern gestützte [X.]eschwerde des [X.]n ist unbegründet (§ 69 [X.]. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

2

1. Der 1977 geborene [X.] stand bis zu seiner vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit im [X.] als Polizeimeister im Dienst der Klägerin. Noch vor der Zurruhesetzung verurteilte ihn das Amtsgericht wegen Verbreitens in Tateinheit mit [X.]esitz von kinderpornographischen Schriften zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen. Nach den tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil hat der [X.] Ende 2005 über das Computerprogramm [X.] auf seinen Rechner geladen und anderen Programmnutzern zur Verfügung gestellt.

3

Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht dem [X.]n das Ruhegehalt aberkannt, die hiergegen gerichtete [X.]erufung blieb erfolglos. In den Entscheidungsgründen hat das Oberverwaltungsgericht dabei den hilfsweise gestellten Antrag, ein psychiatrisches Fachgutachten zum [X.]eweis dafür einzuholen, dass der [X.] zum Tatzeitpunkt in seiner Schuldfähigkeit eingeschränkt war, als unzulässig abgelehnt.

4

2. Die geltend gemachten Verfahrensmängel der angegriffenen Entscheidung liegen nicht vor.

5

a) Die Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht zu beanstanden.

6

Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht (§ 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 2, § 165 ZPO) hat der [X.]evollmächtigte des [X.]n den Hilfsantrag auf Einholung eines psychiatrischen Fachgutachtens gestellt, „zum [X.]eweis dafür, dass der [X.]eamte zum Zeitpunkt der Tat in seiner Schuld eingeschränkt war“. Diesen Antrag hat das Oberverwaltungsgericht ohne zu beanstandenden Rechtsfehler als [X.]eweisermittlungsantrag qualifiziert (vgl. [X.], Urteil vom 15. Dezember 2011 - 3 [X.] - NStZ 2012, 280 Rn. 6; hierzu auch [X.], [X.]eschluss vom 30. Mai 2014 - [X.] 10 [X.] 34.14 - juris Rn. 7).

7

Der Antrag ist nicht auf die Ermittlung einer Tatsache gerichtet, die von einem medizinischen Sachverständigen hätte festgestellt werden können. Dieser wäre vielmehr alleine in der Lage gewesen, Auskunft zum Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung und deren möglicher Auswirkungen zu geben. Der Antrag ist daher nicht auf die Erhebung von Tatsachen gerichtet, sondern auf deren rechtliche [X.]ewertung. Ihm kommt damit in rechtlicher Hinsicht nur die [X.]edeutung zu, weitere - nicht benannte - Sachverhaltserforschungen durch das Gericht anzuregen, die Grundlage für die begehrten Schlussfolgerungen sein könnten.

8

b) Das Oberverwaltungsgericht hat mit dem Unterlassen weiterer Ermittlungen zum Vorliegen einer psychischen Erkrankung des [X.]n im Tatzeitpunkt auch nicht gegen die ihm von Amts wegen obliegende Aufklärungspflicht (§ 65 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 1 [X.]DG) verstoßen.

9

Allerdings ist die vom Oberverwaltungsgericht hierfür gegebene [X.]egründung in Teilen rechtsfehlerhaft. Die Annahme, aus dem Nichterscheinen des [X.]n im Termin zur mündlichen Verhandlung könne ein Argument für das Unterlassen weiterer Aufklärungsmaßnahmen über seinen Gesundheitszustand im Tatzeitpunkt entnommen werden, trifft nicht zu.

Das Oberverwaltungsgericht hat in der [X.] das persönliche Erscheinen des [X.]n zum Verhandlungstermin nicht angeordnet und darauf hingewiesen, dass im Falle seines Ausbleibens ohne ihn verhandelt und entschieden werden könne. Auch wenn das Anschreiben den Zusatz enthielt, das persönliche Erscheinen des [X.]n sei erwünscht, stand ihm die Teilnahme an der Verhandlung daher frei. Zulässiges Prozessverhalten - wie hier der Verzicht auf eine persönliche Teilnahme an der mündlichen Verhandlung - kann jedoch grundsätzlich nicht zu Lasten des [X.]n gewertet werden (Urteil vom 28. Februar 2013 - [X.] 2 C 62.11 - NVwZ-RR 2013, 693 Rn. 51 f.).

[X.]esondere Umstände, aus denen sich vorliegend etwas anderes ergeben könnte, sind nicht ersichtlich. Soweit das Oberverwaltungsgericht darauf verwiesen hat, der [X.] habe sich im Strafverfahren nicht auf eine verminderte Schuldfähigkeit berufen, folgt hieraus nichts anderes. Vielmehr lagen die ärztlichen [X.]escheinigungen, die Anknüpfungspunkt des Vorbringens im [X.]erufungsverfahren waren, damals noch nicht vor. Der Vortrag, hieraus ergäben sich Anhaltspunkte für eine verminderte Schuldfähigkeit, konnte daher auch noch nicht erfolgen. Auch die Annahme, der [X.]efundbericht der [X.] vom 11. Mai 2011 beruhe auf einer unterlassenen Angabe der begangenen Straftat, ist ungewiss. Entsprechendes gilt für die Frage, ob sich hieraus ggf. Einschränkungen des [X.] für den Gesundheitszustand im davor liegenden Tatzeitpunkt ergeben könnten.

Unabhängig hiervon ist die Annahme des [X.], es seien keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer erheblichen Gesundheitsstörung im Zeitpunkt der Tatbegehung ersichtlich, im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das Oberverwaltungsgericht war daher nicht verpflichtet, weitere Aufklärungsmaßnahmen hierzu anzustellen.

[X.]ereits im Urteil des Verwaltungsgerichts ([X.]) war ausgeführt worden, Anhaltspunkte für eine körperliche oder psychische [X.]eeinträchtigung des [X.]n im Zeitpunkt des Dienstvergehens gebe es nicht. Vielmehr sei auch in der Stellungnahme des sozialmedizinischen Dienstes vom 21. August 2007 alleine auf [X.]eeinträchtigungen im Zuge des anhängigen Gerichts- und Disziplinarverfahrens verwiesen worden. Dagegen gerichtete Angriffe enthält die [X.]erufungsbegründung nicht. Vielmehr wird hierauf [X.]ezug genommen um zu belegen, dass der Vorfall den [X.]n erheblich gesundheitlich in Mitleidenschaft gezogen habe ([X.]erufungsbegründung vom 14. April 2011, [X.]). Neue Hinweise auf eine möglicherweise verminderte Schuldfähigkeit schon im Zeitpunkt der Tatbegehung konnten sich daher nur aus den nachfolgend vorgelegten ärztlichen [X.]escheinigungen ergeben.

Die Stellungnahme der [X.] vom 11. Mai 2011 trifft - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - indes keine Aussagen zum Gesundheitszustand des [X.]n in diesem Zeitpunkt. Der einzige [X.]ezugspunkt zu vor der Straftat liegenden Zeiträumen liegt in der im Rahmen der Anamnese festgehaltenen Aussage, der [X.] habe seit 1998 Schwierigkeiten mit Vorgesetzten hinsichtlich Fragen des [X.] gehabt. Anhaltspunkte für eine seelische Störung im Sinne des § 20 StG[X.] ergeben sich hieraus nicht. Entsprechendes gilt für das sozialmedizinische Gutachten vom 21. Mai 2008. Dieses befasst sich mit der Frage, ob der [X.] aktuell noch dienstfähig ist; es trifft aber keine Aussagen, denen Hinweise auf eine mögliche Erkrankung im Tatzeitpunkt entnommen werden könnten.

Auch aus der mit der [X.]eschwerde in [X.]ezug genommenen [X.]escheinigung von Dr. ... vom 28. Juni 1999 ergibt sich keine andere [X.]ewertung. Zwar war dort der Verdacht auf eine dissoziative Störung angesprochen worden. Anhaltspunkte dafür, dass sich dieser Verdacht nachfolgend erhärtet hätte und eine etwaige Störung im Zeitpunkt der Tatbegehung noch vorhanden gewesen sein könnte, sind den nachfolgenden Arztberichten indes nicht zu entnehmen. Dort war das Vorliegen einer chronischen psychischen Erkrankung vielmehr verneint worden (vgl. etwa den [X.]ericht Dr. ... vom 1. März 2007).

c) Nicht zu beanstanden ist schließlich auch die Annahme des [X.], dass es sich bei den [X.]ilddateien teilweise um Darstellungen von schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StG[X.] handelte.

Nach den tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil, die gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 [X.]DG im Disziplinarverfahren grundsätzlich bindend sind, enthielten die auf dem Rechner des [X.]n befindlichen Dateien Darstellungen von Mädchen und Jungen deutlich unter 14 Jahren, die mit Erwachsenen oder anderen Kindern sexuelle Handlungen einschließlich Vaginal-, Oral- und Handverkehr sowie das Einführen von Gegenständen in die [X.] zum Gegenstand hatten. Die Annahme des [X.], bei den Dateien handele es sich auch um Abbildungen von schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StG[X.], kann sich daher auf eine hinreichende Tatsachengrundlage stützen.

Dem steht entgegen der Ansicht der [X.]eschwerde nicht entgegen, dass der [X.] selbst nicht wegen entsprechender Straftaten verurteilt worden ist. Gegenstand des gegen den [X.]n geführten Strafverfahrens war nicht der sexuelle Missbrauch der auf den Dateien abgebildeten Kinder. Zur Last gelegt worden war ihm vielmehr nur der [X.]esitz und die Weitergabe der Dateien. Für die strafrechtliche [X.]eurteilung hierzu war die Einordnung der abgebildeten Missbrauchsfälle unter den Tatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StG[X.] nicht erforderlich.

3. [X.] beruht auf § 77 Abs. 1 [X.]. § 154 Abs. 2 VwGO.

Ein Streitwert für das [X.]eschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil sich die Höhe der Gerichtskosten streitwertunabhängig aus dem Gesetz ergibt (vgl. § 78 Satz 1 [X.]. Nr. 11 und 62 des als Anlage zu diesem Gesetz erlassenen Gebührenverzeichnisses).

Meta

2 B 75/14

10.12.2014

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 4. Juli 2014, Az: OVG 82 D 1.11, Urteil

§ 58 Abs 1 BDG, § 65 Abs 1 S 1 BDG, § 176a Abs 2 Nr 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.12.2014, Az. 2 B 75/14 (REWIS RS 2014, 519)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 519

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 B 59/17 (Bundesverwaltungsgericht)

Disziplinarrechtliche Bindungswirkung eines Strafurteils zum Besitz und zur Verbreitung kinderpornographischer Bilddateien


2 C 83/08 (Bundesverwaltungsgericht)

Bemessung der Disziplinarmaßnahme; Dienstvergehen des außerdienstlichen sexuellen Missbrauchs eines Kindes


2 C 13/10 (Bundesverwaltungsgericht)

Disziplinarmaßnahme bei kinderpornographischen Dateien im Besitz von Beamten; außerdienstliches Dienstvergehen


16a D 17.2126 (VGH München)

Entfernung eines Lehrers aus dem Dienst wegen außerdienstlichen Besitzes kinderpornographischer Bild- und Videodateien


16a D 09.3029 (VGH München)

Zur Rechtmäßigkeit der Aberkennung des Ruhegehalts eines Lehrers bei einer rechtskräftigen Verurteilung wegen des außerdienstlichen …


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.