Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 16.02.2021, Az. 9 AS 1/21

9. Senat | REWIS RS 2021, 8703

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Gegenstand

Insolvenz - geldwerte Urlaubsansprüche - Rangzuordnung


Leitsatz

Nimmt der starke vorläufige Insolvenzverwalter oder der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Arbeitsleistung in Anspruch, sind die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Urlaubsvergütung und auf Abgeltung des Urlaubs uneingeschränkt als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 Satz 2 InsO) bzw. als Neumasseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO) zu berichtigen, wenn der Urlaub innerhalb dieses Zeitraums gewährt wird bzw. das Arbeitsverhältnis endet. An der im Urteil vom 21. November 2006 (- 9 AZR 97/06 -) vertretenen, entgegenstehenden Auffassung hält der Senat nicht fest.

Tenor

Der [X.] hält an seiner im Urteil vom 21. November 2006 (- 9 [X.] -) vertretenen Auffassung, wonach im Anwendungsbereich des § 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.] nur der auf die Dauer der nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit tatsächlich entgegengenommenen Arbeitsleistung entfallende „anteilige“ Geldwert des Urlaubs eine Neumasseverbindlichkeit darstellt, nicht fest.

Gründe

1

I. Der Sechste [X.] des [X.] hat gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG angefragt, ob der [X.] des [X.] an seiner Rechtsauffassung zum insolvenzrechtlichen Rang von Urlaubsabgeltungsansprüchen im Anwendungsbereich des § 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.] festhält (Teilurteil vom 10. September 2020 - 6 [X.] (A) -). Er möchte die Auffassung vertreten, dass bei Insolvenz des Arbeitgebers im Falle der Masseunzulänglichkeit oder der vorläufigen starken Insolvenzverwaltung der Anspruch des Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung vollständig als (Neu)Masseverbindlichkeit zu berichtigen ist, falls der (starke vorläufige) Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.] oder nach § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] in Anspruch genommen hat. Der Sechste [X.] sieht sich hieran jedoch wegen der zu § 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.] ergangenen Rechtsprechung des [X.] gehindert ([X.] 10. September 2020 - 6 [X.] (A) - Rn. 50).

2

II. Der [X.] hat bisher angenommen, der Insolvenzverwalter habe, wenn er den Arbeitnehmer nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zur Arbeitsleistung heranziehe, noch offene Urlaubsansprüche nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 [X.] durch Freistellung von der Arbeitspflicht ohne jede Einschränkung zu erfüllen. § 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.] sei jedoch dahingehend auszulegen, dass - abweichend von der Konzeption des gesetzlichen Urlaubsrechts - die Ansprüche auf Urlaubsentgelt und Urlaubsabgeltung als mit dem Urlaub verbundene Geldansprüche (nur) in dem Umfang als [X.] zu berichtigen seien, der rechnerisch auf den Zeitraum des aktiven Beschäftigungsverhältnisses nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit im Verhältnis zum Urlaubsjahr entfällt. Maßgeblich für die quotale Zuordnung der „geldwerten Urlaubsansprüche“ sei das Verhältnis der möglichen Arbeitstage im Jahr zu den vom Arbeitnehmer nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit geleisteten Arbeitstagen ([X.] 21. November 2006 - 9 [X.] - Rn. 17, 22 ff., 27, [X.]E 120, 232).

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III. An dieser Rechtsprechung hält der [X.] nicht fest. Nimmt der starke vorläufige Insolvenzverwalter oder der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Arbeitsleistung in Anspruch, sind die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Urlaubsvergütung und auf Abgeltung des Urlaubs uneingeschränkt als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 Satz 2 [X.]) bzw. als [X.]en (§ 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.]) zu berichtigen, wenn der Urlaub innerhalb dieses Zeitraums gewährt wird bzw. unmittelbar im [X.] hieran das Arbeitsverhältnis endet.

4

1. Gemäß § 108 Abs. 1 [X.] bestehen Arbeitsverhältnisse zu Lasten der Masse im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. § 108 Abs. 1 [X.] schließt ein Erfüllungswahlrecht nach § 103 [X.] aus ([X.] 22. Februar 2018 - 6 [X.] 868/16 - Rn. 13, [X.]E 162, 58 [X.]/[X.] 8. Aufl. [X.] § 108 Rn. 13; Breitenbücher in Graf-Schlicker [X.] 5. Aufl. § 108 Abs. 1 [X.] Rn. 1 f.). Der Insolvenzverwalter tritt infolgedessen auch hinsichtlich der Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers in die Rechte und Pflichten des Schuldners ein (vgl. [X.]/[X.] 21. Aufl. [X.] § 1 Rn. 36). Sie sind - unabhängig davon, ob sie aus dem laufenden Urlaubsjahr oder den Vorjahren stammen - vom Insolvenzverwalter gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 [X.] als Masseverbindlichkeiten zu erfüllen ([X.]/[X.] 21. Aufl. [X.] Einführung Rn. 45).

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2. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 208 Abs. 1 [X.]) führt zu einer Neuordnung der insolvenzrechtlichen Rangfolge der Masseverbindlichkeiten ([X.] 22. Februar 2018 - 6 [X.] 868/16 - Rn. 13, [X.]E 162, 58; 23. März 2017 - 6 [X.] 264/16 - Rn. 23, 37, [X.]E 158, 376). § 209 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 [X.] präzisieren und konkretisieren für Arbeitsverhältnisse die Abgrenzung zwischen Alt- und [X.]en(vgl. hierzu im Einzelnen [X.] 22. Februar 2018 - 6 [X.] 868/16 - Rn. 13, [X.]E 162, 58). Gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.] gelten als [X.]en iSd. § 209 Abs. 1 Nr. 2 [X.] die Verbindlichkeiten aus einem Arbeitsverhältnis, soweit der Insolvenzverwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen, dh. den Arbeitnehmer zur Arbeit herangezogen hat.

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3. Gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 iVm. Abs. 2 Satz 1 [X.] stehen Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis im Rang einer Masseverbindlichkeit, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist (sog. „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 iVm. § 22 Abs. 1 Satz 1 [X.]), für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat. Über die Fiktion des § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] werden die Ansprüche des zur Arbeitsleistung herangezogenen Arbeitnehmers so behandelt, als ob der starke vorläufige Verwalter das Arbeitsverhältnis selbst durch Neuabschluss begründet hätte, und deshalb als Masseverbindlichkeit eingeordnet.

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4. Im Ausgangsverfahren der Anfrage ist allein § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] von Bedeutung. Jedoch sind mit den Argumenten des Sechsten [X.]s Reichweite und Inhalt der in § 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.] und § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] vorgesehenen Rangzuordnung als [X.]en bzw. Masseverbindlichkeiten gleichlaufend auszulegen (vgl. [X.] 10. September 2020 - 6 [X.] (A) - Rn. 53 f.). Die (nur) quotale Einordnung des Anspruchs auf Urlaubsvergütung und auf Urlaubsabgeltung als (Neu)Masseverbindlichkeit hat danach keine insolvenzrechtliche Grundlage, wenn nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit oder während der vorläufigen Insolvenzverwaltung die Arbeitsleistung nach § 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.] oder nach § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] in Anspruch genommen und Urlaub während dieses Zeitraums gewährt wird bzw. unmittelbar im [X.] an diesen Zeitraum das Arbeitsverhältnis endet. Der [X.] schließt sich der vom Sechsten [X.] vertretenen Auffassung an.

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a) Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis gelten als (Neu)Masseverbindlichkeiten, soweit der vorläufige „starke“ Insolvenzverwalter (§ 55 Abs. 2 Satz 2 [X.]) bzw. der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.]) die Gegenleistung in Anspruch genommen hat. Der Begriff „soweit“ bedingt in beiden Bestimmungen bezogen auf Arbeitsverhältnisse keine Einschränkung in dem Sinne, dass nur Ansprüche der Arbeitnehmer erfasst werden sollen, welche unmittelbar auf einer tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung beruhen, sondern grenzt die Heranziehung der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung zu deren Freistellung ab (vgl. [X.] 10. September 2020 - 6 [X.] (A) - Rn. 42 f.). Die Entscheidung, die Arbeitsleistung in Anspruch zu nehmen, hat zur Folge, dass im Gegenzug unabhängig von ihrem Entstehungsgrund alle Verpflichtungen aus dem nach § 108 Abs. 1 Satz 1 [X.] fortbestehenden Arbeitsverhältnis vom Insolvenzverwalter zu erfüllen sind; in der Konstellation des § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] als Masseverbindlichkeiten, in der des § 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.] als [X.]en. Die [X.] nimmt hiervon nicht zugunsten der Masse einzelne [X.] aus. Im Arbeitsverhältnis sind deshalb bei der Vergütung der Arbeitsleistung auch entgeltfortzahlungspflichtige „unproduktive“ Ausfallzeiten (zB aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit oder Urlaub) zu berücksichtigen (vgl. zu § 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.] [X.] 10. September 2020 - 6 [X.] (A) - Rn. 51; 23. März 2017 - 6 [X.] 264/16 - Rn. 39, [X.]E 158, 376; 8. Mai 2014 - 6 [X.] 246/12 - Rn. 25; zu § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] [X.] 10. September 2020 - 6 [X.] (A) - Rn. 42). Sie sind Teil des arbeitsvertraglichen [X.] ([X.] 6. September 2018 - 6 [X.] 367/17 - Rn. 21, [X.]E 163, 271). Dies gilt auch für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 [X.] als einer dem Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis auf gesetzlicher Grundlage zustehenden Geldleistung (vgl. [X.] 10. September 2020 - 6 [X.] (A) - Rn. 43).

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b) Weder § 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.] noch § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] sehen die (nur) anteilige Zuordnung der „geldwerten Urlaubsansprüche“ als Masse- bzw. [X.]en vor (vgl. [X.] 10. September 2020 - 6 [X.] (A) - Rn. 53 f.). Wird die Arbeitsleitung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit oder während der vorläufigen starken Insolvenzverwaltung in Anspruch genommen, sind die offenen Urlaubsansprüche - unabhängig davon, ob sie aus dem laufenden Urlaubsjahr oder den Vorjahren resultieren - entweder durch die Gewährung des Urlaubs in [X.], dh. Freistellung von der Arbeitspflicht und Zahlung von Urlaubsentgelt als (Neu)Masseverbindlichkeit zu erfüllen, oder im gleichen Rang abzugelten, falls das Arbeitsverhältnis unmittelbar im [X.] an die Inanspruchnahme der Arbeitsleistung beendet wird (vgl. [X.] 10. September 2020 - 6 [X.] (A) - Rn. 45).

5. Auch das gesetzliche Urlaubsrecht steht einer (nur) quotalen Rangzuordnung der „geldwerten Urlaubsansprüche“ (vgl. [X.] 21. November 2006 - 9 [X.] - Rn. 24, [X.]E 120, 232) als (Neu)Masseverbindlichkeit iSv. § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] bzw. § 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.] entgegen. § 1 [X.] lässt in richtlinienkonformer Auslegung im bestehenden Arbeitsverhältnis eine Aufspaltung des Anspruchs auf bezahlten Erholungsurlaub in einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht und die mit dem Urlaub verbundenen Geldansprüche nicht zu. Der [X.] hat seine entgegenstehende frühere Rechtsprechung, auf der die Entscheidung des [X.]s vom 21. November 2006 (- 9 [X.] - Rn. 17, 22 ff., aaO) basierte, im Hinblick auf die Auslegung der Richtlinie 2003/88/[X.] durch den [X.] modifiziert (st. Rspr. seit [X.] 10. Februar 2015 - 9 [X.] 455/13 - Rn. 23 f., [X.]E 150, 355; vgl. zuletzt [X.] 20. August 2019 - 9 [X.] 468/18 - Rn. 11 ; 30. Januar 2019 - 5 [X.] 43/18 - Rn. 44, [X.]E 165, 205).

a) Der Entscheidung des [X.]s vom 21. November 2006 (- 9 [X.] - [X.]E 120, 232) lag das Verständnis zugrunde, dass zwischen der Befreiung von der Arbeitspflicht und der Fortzahlung der vertraglichen Vergütung zu trennen sei. Danach handelte es sich bei dem Urlaubsanspruch um einen durch das [X.] begründeten Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, von den durch den Arbeitsvertrag entstehenden Arbeitspflichten befreit zu werden, ohne dass die Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgelts aus § 611 BGB (nunmehr § 611a Abs. 2 BGB) berührt wird (st. Rspr. vgl. [X.] 24. März 2009 - 9 [X.] 983/07 - Rn. 33, [X.]E 130, 119; 11. Juli 2006 - 9 [X.] 535/05 - Rn. 20; 25. Oktober 1994 - 9 [X.] 339/93 - zu 2 der Gründe, [X.]E 78, 153). Der Urlaubsanspruch war danach kein einheitlicher Anspruch, der sich aus den Merkmalen „Freistellung“ und „Entgelt“ zusammensetzte. Sein Inhalt wurde als reiner Freistellungsanspruch verstanden, der allein die Befreiung von der Arbeitspflicht für die Dauer der Urlaubszeit zum Gegenstand hatte. Demgegenüber wurde der Anspruch auf Urlaubsentgelt als der für die Dauer der Freistellung aufrechterhaltene Entgeltanspruch des Arbeitnehmers nach § 611 BGB angesehen (vgl. [X.] 14. August 2007 - 9 [X.] 934/06 - Rn. 15; 18. September 2001 - 9 [X.] 571/00 - Rn. 17). Die Vorschrift des § 1 [X.] auf „bezahlten Erholungsurlaub“ begründete somit keinen besonderen Urlaubsentgeltanspruch unter Wegfall des [X.], sondern stellte sicher, dass der dem Arbeitnehmer zustehende Entgeltanspruch trotz Nichtleistung der Arbeit während der Urlaubszeit von der Urlaubsgewährung unberührt blieb ([X.] 8. März 1984 - 6 [X.] 442/83 - zu 2 b der Gründe, [X.]E 45, 199). Unter Zugrundelegung dieses „Trennungsprinzips“ wäre eine unterschiedliche insolvenzrechtliche Behandlung von Freistellungs- und Entgeltanspruch möglicherweise nicht ausgeschlossen.

b) Der [X.] hat die strikte Trennung von der Befreiung von der Arbeitspflicht und der Fortzahlung der vertraglichen Vergütung aufgegeben (vgl. [X.] 22. Januar 2019 - 9 [X.] 45/16 - Rn. 21, [X.]E 165, 90; 10. Februar 2015 - 9 [X.] 455/13 - Rn. 21, [X.]E 150, 355).

aa) Das [X.] begründet mit dem Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht nur einen Freistellungsanspruch, sondern auch einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Bezahlung (st. Rspr. seit [X.] 10. Februar 2015 - 9 [X.] 455/13 - Rn. 23 f., [X.]E 150, 355; vgl. zuletzt [X.] 20. August 2019 - 9 [X.] 468/18 - Rn. 11 ; 30. Januar 2019 - 5 [X.] 43/18 - Rn. 44, [X.]E 165, 205). § 1 [X.] entspricht insoweit Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/[X.], der den Anspruch auf Freistellung und den Anspruch auf Zahlung des [X.] als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs behandelt ([X.] 22. Januar 2019 - 9 [X.] 149/17 - Rn. 23; 10. Februar 2015 - 9 [X.] 455/13 - Rn. 21, [X.]E 150, 355). Die mit der Freistellung verknüpfte Verpflichtung zur Zahlung von Urlaubsvergütung ist integraler Bestandteil des Anspruchs auf bezahlten Urlaub ([X.] 20. August 2019 - 9 [X.] 468/18 - Rn. 11). Dies gilt auch, wenn der starke vorläufige Insolvenzverwalter (§ 55 Abs. 2 Satz 2 [X.]) oder der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Arbeitsleistung in Anspruch nimmt (§ 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.]).

bb) Die Erfüllung des Urlaubsanspruchs (§ 362 Abs. 1 BGB) erfordert nicht nur die Freistellung des Arbeitnehmers durch eine entsprechende Freistellungserklärung des Arbeitgebers, sondern setzt zudem generell voraus, dass dem Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Urlaubs entweder das Urlaubsentgelt ausgezahlt wird oder ein Anspruch auf Vergütung aufgrund einer vorbehaltlosen [X.] sicher sein muss ([X.] 20. August 2019 - 9 [X.] 468/18 - Rn. 13 ). Anderenfalls wird er während des Urlaubs nicht in die Lage versetzt, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist ([X.] 13. Dezember 2018 - C-385/17 - [[X.]] Rn. 32 ff.; 29. November 2017 - [X.]/16 - [King] Rn. 35 mwN; 22. Mai 2014 - [X.]/12 - [[X.]] Rn. 17 mwN; 16. März 2006 - [X.]/04 - [[X.] ua.] Rn. 58; vgl. hierzu auch [X.] 17. Juni 2020 - 10 [X.] 210/19 (A) - Rn. 49 ff.; 20. August 2019 - 9 [X.] 468/18 - Rn. 12; 22. Oktober 2019 - 9 [X.] 98/19 - Rn. 29 ; 20. September 2016 - 9 [X.] 429/15 - Rn. 19 mwN). Dem stände es entgegen, wenn der Anspruch auf Urlaubsentgelt für Urlaub, der innerhalb des Zeitraums gewährt wird, in dem der Arbeitnehmer vom starken vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit vom Insolvenzverwalter zur Arbeitsleistung herangezogen wird, anders als das Entgelt für die in diesem Zeiträumen erbrachte Arbeitsleistung, nur anteilig als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 2 Satz 2 [X.]) bzw. [X.] (§ 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.]) zu berichtigen wäre. Der Arbeitnehmer wäre in unzumutbarer Weise in seiner Urlaubsgestaltung eingeschränkt, erhielte er für den [X.] das Entgelt nicht in gleicher Weise, wie für den Zeitraum geleisteter Arbeit (vgl. [X.] 20. August 2019 - 9 [X.] 468/18 - Rn. 13; 22. Januar 2019 - 9 [X.] 10/17 - Rn. 15; 10. Februar 2015 - 9 [X.] 455/13 - Rn. 23, [X.]E 150, 355). Er könnte deshalb veranlasst sein, seinen bezahlten Jahresurlaub nicht zu nehmen (vgl. [X.] 13. Dezember 2018 - C-385/17 - [[X.]] Rn. 44).

cc) Die vorgenannten Grundsätze gelten auch für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung gemäß § 7 Abs. 4 [X.], wenn das Arbeitsverhältnis in unmittelbarem [X.] an die Heranziehung zur Arbeitsleistung durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 55 Abs. 2 Satz 2 [X.]) bzw. nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit den Insolvenzverwalter (§ 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.]) endet. Der Arbeitnehmer, dessen Urlaub abzugelten ist, weil der Urlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses nicht vollständig genommen wurde, ist im Hinblick auf die zu zahlende Urlaubsabgeltung so zu stellen, als hätte er den Urlaubsanspruch während der Dauer seines Arbeitsverhältnisses ausgeübt (vgl. [X.] 11. November 2015 - [X.]/14 - [[X.]] Rn. 51). Maßgeblich sind insoweit grundsätzlich die Verhältnisse bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. [X.] 22. Oktober 2019 - 9 [X.] 98/19 - Rn. 29).

c) Die Ansprüche auf Urlaubsvergütung und Urlaubsabgeltung sind auch deshalb nicht im Sinne einer zeitabschnittsbezogenen Rangzuordnung teilbar, weil sie keine Gegenleistung für eine bestimmte Arbeitsleistung sind (vgl. [X.] 25. Januar 2018 - 6 [X.] 8/17 - Rn. 24, [X.]E 161, 368). Sie müssen, wie der Urlaubsanspruch als solcher, nicht im Verlauf des Arbeitsverhältnisses „ratierlich verdient“ werden.

aa) Der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub entsteht nach §§ 1, 3 Abs. 1, § 4 [X.], nicht für eine in einem bestimmten Zeitraum erbrachte Arbeitsleistung, sondern - als einheitlicher Anspruch - für das Kalenderjahr als Urlaubsjahr. Dies belegt § 7 Abs. 2 [X.], wonach der Urlaub, unabhängig davon, ob es sich um den nach Ablauf der Wartezeit jeweils am 1. Januar eines Kalenderjahres gemäß § 4 [X.] entstehenden Vollurlaubsanspruch, den nach § 5 Abs. 1 Buchst. a oder b [X.] entstehenden Teilurlaubsanspruch oder den gekürzten Vollurlaubsanspruch nach § 5 Abs. 1 Buchst. c [X.] handelt, möglichst zusammenhängend zu gewähren ist und eine Stückelung auf einzelne Tage grundsätzlich unzulässig ist (so bereits [X.] 21. November 2006 - 9 [X.] - Rn. 13., [X.]E 120, 232).

bb) Nach den §§ 1, 3 Abs. 1 [X.] setzt der gesetzliche Urlaubsanspruch - dem Grunde nach - allein das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraus. Er steht nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat (vgl. [X.] 24. September 2019 - 9 [X.] 481/18 - Rn. 14, [X.]E 168, 70; 19. März 2019 - 9 [X.] 406/17 - Rn. 21 f., [X.]E 166,176). Abweichendes folgt nicht daraus, dass der Umfang des gesetzlichen Urlaubsanspruchs nach § 3 Abs. 1 [X.] anhand der im Kalenderjahr arbeitsvertraglich zu leistenden Arbeit zeitabschnittsbezogen zu berechnen ist, sofern sich aus den Vorgaben des Unionsrechts (vgl. zu Art. 7 der Richtlinie 2003/88/[X.] [X.] 13. Dezember 2018 - C-385/17 - [[X.]] Rn. 26; [X.] 4. Oktober 2018 - [X.]/17 - [[X.]] Rn. 27 f.; 8. November 2012 - [X.]/11 und [X.]/11 - [[X.]] Rn. 32 ff.; zu § 4 Nr. 1 und Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/[X.] [X.] 11. November 2015 - [X.]/14 - [[X.]] Rn. 35 f.; 22. April 2010 - [X.]/08 - [Zentralbetriebsrat der [X.]] Rn. 32 f.; 13. Juni 2013 - [X.]/12 - [[X.]] Rn. 30 f.) und spezielleren gesetzlicher Regelungen sowie nach Maßgabe von § 13 [X.] zulässigen kollektivrechtlichen oder vertraglichen Vereinbarungen nichts Abweichendes ergibt. Diese Berechnungsweise trägt allein dem [X.] des gesetzlichen Mindesturlaubs und der Intention des Gesetzgebers Rechnung, für alle Arbeitnehmer eine gleichwertige Urlaubsdauer zu sichern ([X.] 24. September 2019 - 9 [X.] 481/18 - Rn. 16 f., 32 ff., [X.]E 168, 70; 19. März 2019 - 9 [X.] 406/17 - Rn. 23 ff., [X.]E 166,176).

d) Einer (nur) quotalen Rangzuordnung der „geldwerten Urlaubsansprüche“ (vgl. [X.] 21. November 2006 - 9 [X.] - Rn. 24, [X.]E 120, 232) als (Neu)Masseverbindlichkeit iSv. § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] bzw. § 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.] steht auch entgegen, dass die Ansprüche auf Urlaubsvergütung und Urlaubsabgeltung, solange die Urlaubstage nicht zeitlich festgelegt sind bzw. das Arbeitsverhältnis nicht beendet ist, nicht „für“ einen bestimmten Zeitraum geschuldet sind. Sie können infolgedessen keinem bestimmten Zeitabschnitt vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugeordnet werden ([X.] 25. Januar 2018 - 6 [X.] 8/17 - Rn. 24, [X.]E 161, 368; 15. Februar 2005 - 9 [X.] 78/04 - zu [X.], [X.]E 113, 371; 18. November 2003 - 9 [X.] 95/03 - zu [X.] 2 b der Gründe, [X.]E 108, 357; 25. März 2003 - 9 [X.] 174/02 - zu [X.] der Gründe, [X.]E 105, 345).

aa) Der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub kann nach § 1 und § 7 Abs. 4 [X.], solange das Arbeitsverhältnis besteht, nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Diese Bestimmungen gewährleisten im Einklang mit Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/[X.] (vgl. hierzu [X.] 6. November 2018 - [X.]/16 und [X.]/16 - [X.] und [X.]] Rn. 42 bis 48), dass jeder Arbeitnehmer zum Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit in regelmäßigem Rhythmus eine gewisse Zeit der Erholung erhält und Urlaubsansprüche nicht über einen langen Zeitraum angesammelt oder allein durch Zahlung von Geld ersetzt werden. Die Vergütungskomponente des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub ist daher im bestehenden Arbeitsverhältnis fest mit dem Freistellungsanspruch verbunden. Sie darf aufgrund des sich aus § 7 Abs. 4 [X.], wie aus Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/[X.], ergebenden [X.] nicht isoliert erfüllt werden (vgl. [X.] 22. April 2010 - [X.]/08 - [Zentralbetriebsrat der [X.]] Rn. 31; [X.] 22. Januar 2019 - 9 [X.] 149/17 - Rn. 25).

bb) Die Ansprüche auf Urlaubsentgelt und Urlaubsabgeltung können danach erst, wenn der Arbeitnehmer die Auszahlung des Geldbetrags verlangen kann, einem bestimmten Zeitabschnitt vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugeordnet werden. Die Zahlung des [X.] kann der Arbeitnehmer frühestens bei Antritt des Urlaubs für den [X.] verlangen. Der Anspruch ist nach § 11 Abs. 2 [X.], der arbeitsvertraglich nicht abdingbar ist ([X.] 20. August 2019 - 9 [X.] 468/18 - Rn. 22; 30. Januar 2019 - 5 [X.] 43/18 - Rn. 44), vorbehaltlich einer abweichenden tariflichen Regelung, grundsätzlich zu diesem Zeitpunkt fällig. Der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 [X.] als rein finanzielle Anspruch setzt - im Einklang mit Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/[X.] (vgl. hierzu [X.] 6. November 2018 - [X.]/16 und [X.]/16 - [X.] und [X.]] Rn. 42 bis 48) - voraus, dass das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer nicht den gesamten bezahlten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfällt die Arbeitspflicht und damit die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer durch Freistellung von der Arbeitspflicht Urlaub zu gewähren (vgl. [X.] 10. Februar 2015 - 9 [X.] 455/13 - Rn. 19, [X.]E 150, 355). Die Bindung des Anspruchs auf Bezahlung an den Freistellungsanspruch und seine zeitliche Begrenzung nach Maßgabe von § 7 Abs. 1 und Abs. 3 [X.] wird aufgelöst. Während der Freistellungsanspruch infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses untergeht, erhält § 7 Abs. 4 [X.] die Vergütungskomponente des Urlaubsanspruchs als [X.] selbstständig aufrecht. Der aus Freistellung von der Arbeitspflicht und Bezahlung zusammengesetzte Urlaubsanspruch wandelt sich in einen Anspruch auf Abgeltung des noch nicht erfüllten Urlaubs (vgl. [X.] 22. Januar 2019 - 9 [X.] 149/17 - Rn. 25) und wird gleichzeitig fällig ([X.] 22. Januar 2019 - 9 [X.] 149/17 - Rn. 37 mwN).

e) Auch Ansprüche auf Urlaubsvergütung und Urlaubsabgeltung, die auf Urlaub aus den Vorjahren beruhen, sind im Anwendungsbereich von § 209 Abs. 2 Nr. 3 [X.] oder nach § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] nicht im Sinne einer zeitabschnittsbezogenen Rangzuordnung teilbar. Solange der Urlaubsanspruch fortbesteht, weil er nach § 7 Abs. 3 Satz 2 oder Satz 4 [X.] übertragen wurde oder die Voraussetzungen seiner Befristung nach § 7 Abs. 3 [X.] nicht erfüllt sind und der Urlaubsanspruch durchsetzbar ist (vgl. hierzu [X.] 29. September 2020 - 9 [X.] 266/20 (A) -), gelten für die Ausübung des Urlaubsanspruchs dieselben urlaubsrechtlichen Grundsätze wie für den Urlaub aus dem laufenden Kalenderjahr.

        

    Kiel    

        

    [X.]    

        

    Weber    

        

        

        

    Lücke    

        

    Leitner    

                 

Meta

9 AS 1/21

16.02.2021

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend ArbG Potsdam, 6. März 2018, Az: 3 Ca 1881/17, Urteil

§ 1 BUrlG, § 3 BUrlG, § 4 BUrlG, § 5 Abs 1 BUrlG, § 7 Abs 4 BUrlG, § 11 Abs 2 BUrlG, § 21 Abs 2 S 1 Nr 2 Alt 1 InsO, § 22 Abs 1 S 1 InsO, § 55 Abs 1 Nr 2 Alt 2 InsO, § 55 Abs 2 S 2 InsO, § 103 InsO, § 108 Abs 1 InsO, § 209 Abs 1 Nr 2 InsO, § 209 Abs 2 Nr 3 InsO, Art 7 EGRL 88/2003

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 16.02.2021, Az. 9 AS 1/21 (REWIS RS 2021, 8703)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 8703

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