Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2011, Az. StB 11/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3289

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
___________
StB 11/11
vom
16. September 2011
in dem Strafverfahren
gegen

wegen
Verschleppung

-
2
-
Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] sowie des Beschwerdeführers und seiner Verteidiger am 16. Sep-tember 2011 gemäß § 304 Abs. 5 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Angeschuldigten wird der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des [X.] vom 30. Januar 2006 (1 [X.] 12/2006) aufgehoben.

Der Angeschuldigte ist in dieser
Sache freizulassen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staats-kasse.

Gründe:
Auf der Grundlage des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.]-gerichtshofs vom 30. Januar 2006 (1 [X.] 12/2006) und des hierauf am 9. [X.] 2006 vom [X.] ausgestellten [X.] Haftbefehls (Art. 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Euro-päischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten 2002/584[X.] [AblEG L 190 vom 18. Juli 2002], geändert durch [X.] des Rates 2009/299[X.] vom 26. Februar 2009 [AblEG L 81/24 vom 27.
März 2009]; im Folgenden: Rahmenbeschluss) wurde der Angeschuldigte am 17. September 2010 in [X.] festgenommen und von dort am 1
-
3
-
19.
August 2011 an die [X.] ausgeliefert. Seitdem be-findet er sich ununterbrochen in [X.] Untersuchungshaft.

Gegenstand des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe am 14. Mai 2003 als Mitar-beiter des [X.] zusammen mit weiteren Personen in [X.]/[X.] den Exilmongolen

D.

in seine [X.], ihn in gefesseltem und zeitweise durch Spritzen betäubtem Zustand im Pkw über [X.] nach [X.] geschafft und ihn dort schließlich am 18. Mai 2003, wiederum betäubt, in ein Flugzeug nach [X.]/[X.] verbracht. Dies habe dem Zweck gedient, gegen D.

in der [X.] ein Strafverfah-ren wegen Beteiligung an der Ermordung des damaligen [X.] Innen-ministers Zorig Sanjasuuren am 2. Oktober 1998 in [X.] zu eröffnen und durchzuführen. Bei seiner Ankunft in der [X.] am 19. Mai 2003 sei D.

,

wie von den [X.] bezweckt, in Untersuchungshaft genommen worden; in der Folge habe man ihn auch mehrfach (vergeblich) gefoltert, um von ihm ein Geständnis zu erzwingen. Die Strafverfolgungsbehörden hätten das Verfahren in der Folge zwar eingestellt, aber D.

trotz seines schlechten [X.] zur Verbüßung noch nicht erledigter Restfreiheitsstrafen in Haft behalten.

Der [X.] hat wegen dieses Tatgeschehens, das er
-
wie der Ermittlungsrichter des [X.] -
rechtlich als Verschlep-pung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 234a Abs. 1, § 224 Abs.
1 Nr. 2, 3, 4 StGB) bewertet, am 1. August 2011 Anklage gegen den [X.] zum Kammergericht [X.] erhoben. Nach seiner Ansicht -
der Haftbefehl verhält sich hierzu nicht -
dienten
die Verbringung des Angeschuldig-ten in die [X.] und die Einleitung eines Strafverfahrens gegen ihn lediglich 2
3
-
4
-
dem Machterhalt der damaligen [X.] Regierungspartei [X.]. Sie habe ohne Einlösung ihres [X.], den Mord an Sanjasuuren auf-zuklären, um ihre Wiederwahl zu fürchten gehabt, weshalb sich ihre [X.] entschlossen hätten, D.

ungeachtet fehlender Hinweise auf seine [X.] zu einem Geständnis zu zwingen. Dieser Hintergründe sei sich auch der Angeschuldigte bewusst gewesen.

1. Die gegen den Haftbefehl gerichtete Beschwerde des Angeschuldig-ten ist zulässig. Der Beschwerdeführer hat jedenfalls in seinem Schreiben an den [X.] vom 12. September 2011 klargestellt, dass er die Aufhebung des Haftbefehls und nicht lediglich die abweichende rechtliche Würdigung des ihm zu Grunde liegenden Sachverhalts erstrebt.

2. Das Rechtsmittel hat auch Erfolg.

Der angefochtene Haftbefehl ist aufzuheben, denn der Ermittlungsrichter des [X.] war für dessen Erlass nicht zuständig. Das dem [X.] vorgeworfene Tatgeschehen unterliegt nicht der Strafgerichtsbarkeit des [X.] nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG. Nach dem gegenwärtigem Stand der Untersuchung ist es entgegen der Annahme des [X.] und des [X.]s rechtlich nicht (auch) als Ver-schleppung im Sinne von § 234a Abs. 1 StGB, § 74a Abs. 1 Nr. 5 GVG zu [X.].

a) Allerdings geht die Auffassung des Beschwerdeführers fehl, die [X.] des Angeschuldigten unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Ver-schleppung treffe bereits auf ein Verfahrenshindernis unter dem Gesichtspunkt des auslieferungsrechtlichen
Grundsatzes der Spezialität. Zur Begründung be-4
5
6
7
-
5
-
zieht sich der [X.] auf die Ausführungen in der Nichtabhilfeentscheidung des [X.] vom 25. August 2011 und macht sich diese zu eigen. Zwar trifft es zu, dass (auch) die Sachverhaltsdarstellung im [X.] Haftbefehl des [X.]s vom 9. Februar 2006 nicht erkennen lässt, dass das Opfer, wie es
§ 234a Abs. 1 StGB verlangt, der Gefahr einer Verfolgung aus politischen Gründen ausgesetzt wurde. Indes dient die von Art. 8 Abs. 1 Buchst. e des Rahmenbeschlusses
geforderte Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, schon nach ihrem Wortlaut nicht [X.], dem ersuchten Staat die Subsumtion eines Sachverhalts unter einen be-stimmten, im ersuchenden Staat geltenden Straftatbestand zu ermöglichen. Vielmehr grenzt sie den dem Ersuchen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt von anderen ab
(Art. 27 Abs.
2 Rahmenbeschluss) und schafft die Grundlage für die Prüfung des ersuchenden Staates, ob die Tat auch nach den seinen Rechtsvorschriften strafbar ist (Art. 4 Nr. 1 Rahmenbeschluss).

Nach den allgemeinen Regeln des (vertraglosen) [X.] könnte der ersuchte Staat die Auslieferung eines Verfolgten allerdings ohne weiteres mit der Bedingung verknüpfen, dass der ersuchende Staat die Tat nur unter einem bestimmten rechtlichen Aspekt verfolgt (vgl. [X.]/
[X.]/[X.]/Hackner,
[X.], 4. Aufl., § 72
IRG Rn. 5). Darauf, ob im Auslieferungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der [X.] Union Art. 4 des Rahmenbeschlusses einer solchen Bedin-gung entgegenstünde, kommt es indes nicht an, denn
entsprechende Vorbe-halte werden weder aus den die Auslieferung bewilligenden Entscheidungen des City of Westminster Magistrates´
Court vom 18. Februar 2011 und des High Court of Justice vom 29.
Juli 2011 ersichtlich noch aus sonstigen, von den [X.] Behörden im Zusammenhang mit der Überstellung des [X.] abgegebenen Erklärungen.
8
-
6
-
b) Jedoch ist der Angeschuldigte einer Verschleppung nicht dringend verdächtig. Der [X.] hält (nur) seine Verurteilung wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung (§ 239 Abs. 3 Nr. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StGB) für wahrscheinlich.

aa) Der Tatbestand der Verschleppung (§ 234a
Abs. 1 StGB) setzt vo-raus, dass der Täter das Opfer -
mit zumindest bedingtem Vorsatz -
der Gefahr aussetzt, aus politischen Gründen verfolgt zu werden und hierbei im [X.] zu rechtsstaatlichen Grundsätzen durch Gewalt-
und Willkürmaßnah-men die näher bezeichneten Nachteile zu erleiden. Danach müssen dem Opfer Nachteile also deshalb drohen, weil die Gefahr besteht, dass es vom fremden Staat aus politischen Gründen mit Maßnahmen überzogen wird, mag der [X.] neben politischen auch andere Gründe für eine Verfolgung des Opfers haben ([X.]/[X.], § 234a Rn. 27, 32; [X.], StGB, 58.
Aufl., § 234a Rn. 8 f.). Die Verbringung des Opfers in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des [X.] Strafgesetzbuchs zum Zwecke der Straf-verfolgung erfüllt den Tatbestand daher
grundsätzlich auch dann nicht, wenn ohne das Vorliegen derartiger politischer Gründe die Gefahr besteht, der [X.] werde dabei zu Mitteln greifen, die aus rechtsstaatlicher Sicht zu missbilligen sind und das Opfer an Leib oder Leben gefährden.

Politische Verfolgungsmaßnahmen sind nach der Rechtsprechung des [X.] (Urteil vom 2. Februar 1960 -
3 StR 53/59, BGHSt 14, 104, 106 f.) solche, die entweder gesetzlich nicht erlaubt sind oder deren Rechts-grundlage mit rechtsstaatlichen Grundsätzen in Widerspruch steht. [X.] gilt für Maßnahmen, die unter dem Deckmantel geschehen, kriminel-les Unrecht nach Strafgesetzen, wie sie auch in einem Rechtsstaat gelten, sühnen zu wollen, in Wahrheit aber, jedenfalls vornehmlich, auf anderen Grün-9
10
11
-
7
-
den beruhen (etwa
wegen
der Rasse, der Religion, der Weltanschauung,
der politischen Überzeugung oder der systemkritischen Haltung des Opfers). [X.] erfasst der Tatbestand Akte, die dem Zweck dienen, den Bestand und die Sicherheit eines totalitären Regimes zu erhalten und seine Entwicklung durch Zwangsmaßnahmen gegen die
Einwohner zu fördern, auch wenn sie formell im Rahmen des positiven Rechts vorgenommen werden. Nicht auf politischen Gründen beruht demgegenüber eine mit rechtsstaatlichen Grundsätzen über-einstimmende Ordnungsmaßnahme zum Zwecke des [X.].

[X.]) Nach diesen Maßstäben, an denen der [X.] festhält, hat der Be-schuldigte den Geschädigten nicht der Gefahr politischer Verfolgung ausge-setzt. In den dem [X.] vorliegenden Ermittlungsakten finden sich keine hinrei-chenden Belege dafür, dass die [X.] Behörden den Beschuldigten willkürlich und ohne das Bestehen tatsächlicher Verdachtsmomente mit einem Strafverfahren wegen der Beteiligung an dem Tötungsdelikt überzogen haben, weil die von der [X.] getragene Regierung unter öffentlichem Druck stand, für den Mord an Sanjasuuren
einen Täter zu "präsentieren".

Der [X.] hält es bereits für zweifelhaft, ob der Nachweis gelingt, die Frage der Aufklärung der Mordtat habe im Vorfeld der [X.] Parla-mentswahlen am 27. Juni 2004 eine entscheidende Rolle gespielt und der [X.] schließlich erhebliche Verluste zugefügt. Die beigebrachte Abhandlung aus "[X.]"
über die Entwicklung der [X.] geht jedenfalls davon aus, dass es der [X.] vor dieser Wahl insgesamt nicht gelungen ist, den Bürgern ihre Leistungen und ihre künftige Rolle verständlich genug darzulegen; der Mord an Sanjasuuren
findet keine Erwähnung. Den Urheber des Pressebe-richts ""
vermag der [X.] ebenso wenig zu überprüfen wie die Tragfähigkeit der darin getroffe-12
13
-
8
-
nen Aussagen. Er gibt nach der gewählten Formulierung die Meinung des [X.] wieder, der Mord werde absichtlich verschleiert ("man bekommt [X.] den Eindruck"); eine sachliche Berichterstattung über die Stimmung in der Wählerschaft enthält er nicht. Die Veröffentlichung des Internationalen [X.] der Parlamentarier bedauert lediglich, dass sich das mongolische Parlament unter Verweis auf die Unabhängigkeit der Justiz der Sache nicht annimmt. Eine politikwissenschaftlichen Anforderungen genügende Analyse der Stimmung in der [X.] Bevölkerung vor den Parlamentswahlen und des [X.] am 27. Juni 2004, die allein Grundlage einer Verurteilung sein könnte, ist nicht vorhanden.

Auch die Annahme, die [X.] Behörden hätten den Geschädig-ten willkürlich der Beteiligung an der Ermordung von Sanjasuuren
beschuldigt, erscheint dem [X.] nicht mit hinreichender Sicherheit erweislich. Die gewalt-same Verbringung des Geschädigten in die [X.] durch Kräfte des Ge-heimdienstes mag hierfür ein gewichtiges Indiz sein. Letztlich spricht hiergegen indes schon der tatsächliche Geschehensablauf; denn, wie die Anklage nun-mehr mitteilt, wurde das Strafverfahren gegen den Geschädigten wegen [X.] an Sanjasuuren bereits
im November 2003, also noch vor den [X.] Wahlen, mangels hinreichender Verdachtsmomente eingestellt. Zudem hätten die [X.] Behörden eine Auslieferung von D.

aus einem [X.] auf dem Wege der internationalen Rechtshilfe wegen der für [X.] Recht angedrohten Todesstrafe schwerlich erreichen können; eine Zusicherung, diese Strafe nicht zu verhängen, betrachtet die [X.] als Eingriff in die Unabhängigkeit ihrer Gerichte.

Soweit der Sonderberichterstatter
der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in seinem Bericht vom 20. Dezember 2005 über einen Be-14
15
-
9
-
such in der [X.] ausführt, die Vorwürfe gegen D.

seien offensichtlich konstruiert gewesen, bleibt offen, auf welcher tatsächlichen Grundlage er zu dieser Überzeugung kam. Zwar konnten die Ermittlungen keine konkreten Um-stände zu Tage fördern, die dafür sprechen, dass der Geschädigte an der Tat beteiligt war. Versuche, den Gang des [X.] Verfahrens aufzuklären, wurden (zu Recht, da kaum
erfolgversprechend) nicht unternommen; die Un-aufklärbarkeit kann indes nicht zu Lasten des Angeschuldigten gehen.

Im Übrigen hat der [X.] keinen Anlass, am Wahrheitsgehalt der Erklä-rung des [X.] der [X.] vom 26.
Januar 2004 zu zweifeln, wonach dort gegen den Geschädigten noch er-hebliche Restfreiheitsstrafen aus früheren Verurteilungen zu vollstrecken [X.]. Dies ist, wie die vorliegenden Vermerke über Gespräche mit dem mongoli-schen Botschafter ergeben, auch die Sicht des [X.]. Dass der

16
-
10
-
Geschädigte eine vorzeitige Entlassung durch Vorlage gefälschter Gesund-heitszeugnisse erreicht und sich danach ins Ausland abgesetzt hatte, hat er in dem aus der Haft geschmuggelten [X.] eingeräumt. Ob die mongo-lischen Behörden angesichts des Gesundheitszustands des Geschädigten [X.] 2003 von seiner Überführung in die Strafhaft hätten absehen müssen, bleibt offen für Spekulationen.

[X.]

Mayer

Meta

StB 11/11

16.09.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2011, Az. StB 11/11 (REWIS RS 2011, 3289)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3289

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

StB 11/11 (Bundesgerichtshof)

Auslieferung nach Deutschland wegen des Verdachts der Verschleppung: Beschreibung der Umstände der Begehung der Straftat …


StB 19/12 (Bundesgerichtshof)


AK 9/20 (Bundesgerichtshof)


10 C 11/12 (Bundesverwaltungsgericht)

Kindernachzug zu Ausländern; einheitlicher Streitgegenstand; Anhörungspflicht; ausländische Sorgerechtsentscheidung; Verstoß gegen den ordre public; Visumantrag


4 K 1605/20.A (Verwaltungsgericht Aachen)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.