Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.08.2013, Az. 4 StR 308/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 3455

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 308/13

vom
14.
August
2013
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 14.
August
2013
gemäß §
349 Abs.

4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts

Schwurgericht

Bielefeld vom 8.
Februar 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zu-rückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
1.
Der Angeklagte war seit Ende Februar 2012 als Leiharbeiter bei einem in der Fleischverarbeitung tätigen Unternehmen
in R.

im Schichtdienst beschäftigt. Zusammen mit mehreren, vorwiegend osteuropä-1
2
-
3
-
ischen Arbeitnehmern, zu
denen auch der Geschädigte

S.

sowie der Zeuge

T.

gehörten, lebte er in einer von seinem Arbeitge-ber gestellten Unterkunft, in der jeder der Arbeitnehmer [X.] bewohnte und sich mit den anderen die Benutzung der Gemeinschaftsräume wie Küche und Badezimmer teilte. Nachdem der Angeklagte am 16.
Juni 2012 bis 9.00
Uhr morgens gearbeitet, danach geschlafen und im Anschluss Einkäufe
erledigt hatte, trank er nach seiner Rückkehr gegen 17.00
Uhr zunächst mit einem an-deren Mitbewohner Wodka und Bier und spielte daraufhin mit dem Geschädig-ten S.

und anderen Männern bis etwa 4.00
Uhr nachts in der [X.] Karten. In Gegenwart des [X.]

, der in die Küche gekommen war, entwickelte sich zwischen dem Angeklagten und dem Geschä-digten S.

eine zunächst nur verbale Auseinandersetzung, dann aber eine Prügelei, bei der beide auf dem Boden der Küche zu liegen kamen und mit Fäusten auf Gesicht und Oberkörper des jeweils anderen einschlugen. Wer mit der Auseinandersetzung begonnen hatte, konnte das [X.] nicht sicher feststellen. Auf Initiative des [X.]

, der den Geschädigten vom Körper des Angeklagten heruntergezogen hatte, erklärten beide den Streit für beendet. Während der Geschädigte im Begriff war, sich wieder auf seinen Stuhl am Küchentisch zu setzen, öffnete der Angeklagte die Schublade des Küchen-tischs, entnahm ihr mit der rechten Hand ein Messer mit einer 15
cm langen Klinge, drehte sich um und stach dem Geschädigten, ihm von Angesicht zu [X.] gegenüberstehend, zweimal schnell hintereinander in die linke Seite des mit einem T-Shirt bekleideten Oberkörpers, wobei er billigend in Kauf nahm, diesen zu töten. Anschließend warf er das Messer in die noch offen ste-hende Schublade. Der Geschädigte blieb noch einen Augenblick stehen, bevor er auf dem Boden zusammensackte. Während der Zeuge T.

versuch-te, mit einem Küchentuch die Blutungen zu stoppen, setzte sich der Angeklagte auf einen Stuhl im hinteren Teil der Küche und begann sich eine Zigarette zu -
4
-
drehen. Vom [X.]

zur Hilfe aufgefordert, antwortete
er, er [X.] sich erst eine Zigarette drehen, denn er käme jetzt ins Gefängnis. Bis zum späteren Eintreffen der Polizei blieb der Angeklagte auf seinem Stuhl sitzen. Der lebensgefährlich verletzte Geschädigte konnte durch eine Notoperation ge-rettet werden.
2.
Das [X.] hat angenommen, dass der Angeklagte mit beding-tem Tötungsvorsatz auf den Geschädigten eingestochen habe, ohne durch Notwehr gemäß §
32 StGB gerechtfertigt
gewesen
zu sein. Einen strafbefreien-den Rücktritt hat es mit der Begründung verneint, dass ein beendeter Versuch im Sinne von §
24 Abs.
1 Satz
1 Fall
2 StGB gegeben sei und der Angeklagte keine Rettungsbemühungen entfaltet habe. Ein beendeter Versuch sei anzu-nehmen, weil nicht festzustellen sei, dass sich der Angeklagte über die Folgen seiner Tat überhaupt irgendwelche Vorstellungen gemacht habe. Ein realer Ge-sichtspunkt, an den die Annahme anknüpfen könnte, der Angeklagte habe ge-glaubt, der mit Tötungsvorsatz geführte Stich sei nicht tödlich, bestehe nicht. Dass der Geschädigte nach
den Stichverletzungen nicht unmittelbar [X.], vielmehr
zunächst noch einen kleinen Augenblick stehen ge-blieben sei, sei ohne Bedeutung, da der tödliche Erfolg nicht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der todesverursachenden Handlung
stehen [X.], sondern auch, etwa durch Verbluten, erst einige [X.] später eintreten könne. Schließlich habe sich der Angeklagte zu keinem [X.]punkt zu seinen [X.] Vorstellungen geäußert. Wenn sich aber Erwägungen des Angeklag-ten, die zugefügten Verletzungen seien nicht tödlich gewesen, nicht feststellen ließen, könne allenfalls festgestellt werden, dass sich der Angeklagte überhaupt keine Vorstellung darüber gemacht habe, ob der Geschädigte sterben könne oder nicht. Der Zweifelsgrundsatz, der auch auf das Vorliegen der [X.], erlaube es nicht, zugunsten des [X.]
-
5
-
ten [X.] zu unterstellen, für die es

wie hier

keine konkreten [X.] gäbe.
II.
1.
Da das Rechtsmittel des Angeklagten bereits mit der Sachrüge in vol-lem Umfang Erfolg hat, bedarf es einer eingehenden Erörterung
der erhobenen Verfahrensrüge nicht. Der [X.] merkt gleichwohl an, dass die Zurückweisung des Beweisantrags auf Einholung eines rechtsmedizinischen Sachverständi-gengutachtens als völlig ungeeignet im Sinne von §
244 Abs.
3 Satz
2 Fall
4 StPO rechtlichen Bedenken
begegnet. Zu der Beweisfrage

Verletzungen und Spurenbilder beim Angeklagten sollten belegen, dass er im Rahmen der [X.] mit dem Geschädigten von diesem mit dem linken Arm ge-würgt worden sei

hätte sich ein Sachverständiger nach Lage des Falles
voraussichtlich gutachterlich äußern können. Damit ist das benannte [X.] aber nicht völlig ungeeignet. Denn die völlige Ungeeignetheit eines Be-weismittels liegt nur dann vor, wenn
der Tatrichter ohne Rücksicht auf das [X.] gewonnene Beweisergebnis feststellen kann, dass sich mit dem angebote-nen Beweismittel
das in dem Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nach sicherer Lebenserfahrung nicht wird
erzielen lassen; ein geminderter, geringer oder nur zweifelhafter Beweiswert reicht nicht aus ([X.], Beschluss vom 24.
August 2007

2
StR
322/07, [X.], 116; Beschluss vom 6.
März 2008

5
StR
617/07, [X.], 351, 352).
2.
Das angefochtene Urteil
weist einen
durchgreifenden sachlich-rechtlichen Mangel
auf, weil die Erwägungen, mit denen das [X.] zur Annahme eines beendeten Versuchs gelangt ist und daran anknüpfend einen 4
5
-
6
-
strafbefreienden Rücktritt verneint hat, an einem Erörterungsmangel leiden und deshalb revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhalten.
a)
Zwar ist das [X.] im Ansatz
zutreffend davon ausgegangen, dass ein beendeter Versuch, von dem nur unter den erschwerten Vorausset-zungen des §
24 Abs.
1 Satz
1 Fall
2, Satz
2 StGB zurückgetreten werden kann, nach der Rechtsprechung des [X.] auch dann vorliegt, wenn sich der Täter im Augenblick des Verzichts auf eine mögliche [X.] der Tat keine Vorstellung von den Folgen seines bisherigen Verhaltens macht ([X.], Urteil vom 3.
Juni 2008

1
StR
59/08, [X.], 264 Tz.
9; [X.] vom 3.
Februar 1999

2
StR
540/98, [X.], 299; Urteil vom 10.
Februar 1999

3
StR
618/98, [X.], 300, 301; Beschluss vom 12.
April 1995

2
StR
105/95, [X.] bei [X.] 1995,
878, 879; Urteil
vom 2.
November 1994

2
StR
449/94, [X.]St 40, 304, 306; [X.]/[X.]/
Schuhr, §
24 Rn.
37). Als innere Tatsache muss diese gedankliche Indifferenz des [X.] gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumin-dest in Kauf genommenen Konsequenzen
aber positiv festgestellt werden;
hier-zu bedarf es einer zusammenfassenden Würdigung aller maßgeblichen objekti-ven Umstände ([X.]surteil vom 13.
März 2008

4
StR
610/07, Tz.
13 mwN).
b)
Diesen Anforderungen werden die Darlegungen in den Urteilsgründen nicht gerecht. Zwar trifft es zu, dass der [X.] nicht dazu nötigt, (innere) Tatsachen zugunsten des Angeklagten zu unterstellen, für die es keine [X.] gibt ([X.]sbeschluss vom 22.
Mai 2013

4
StR
170/13; [X.], Ur-teil
vom 3.
Juni 2008

1
StR
59/08, [X.], 264, Tz.
14). Auch kann in [X.], in denen sich aus den objektiven Umständen kein Hinweis auf das konkrete Vorstellungsbild des [X.] im [X.]punkt des Abbruchs der Tötungshandlung ergibt, die Annahme gerechtfertigt sein, dass bei ihm die der Tatbegehung zu 6
7
-
7
-
Grunde liegende [X.] fortbestanden hat oder ihm die Folgen gleichgültig sind ([X.]sbeschluss vom 22.
Mai 2013
aaO).
aa)
Im vorliegenden Fall gab es jedoch (weitere) konkrete Umstände unmittelbar nach der Tat, die Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Ange-klagten zuließen, vom [X.] im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdi-gung aber keine Berücksichtigung gefunden haben:
Nach den Feststellungen lagen die beiden Messerstichverletzungen in der Bauchregion, wobei der zweite Stich nur oberflächlich war und im subkuta-nen Gewebe endete (UA S.
8). Dem Angeklagten war auch bewusst, dass eine rettungsbereite Person in Gestalt des [X.]

anwesend war, der unmittelbar nach der Tat
Maßnahmen ergriff, um die Blutung zu stoppen, und den Notarzt sowie die Polizei alarmieren ließ. Bei dieser Sachlage wäre zu [X.] gewesen, ob aus Sicht des Angeklagten Grund für die Annahme bestand, die mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Stiche würden tatsächlich keine
lebensbedrohlichen Folgen haben.
bb)
Schon mit Blick auf diesen Erörterungsmangel erweist sich die Erwä-gung des [X.], aus dem Umstand, dass keine Feststellungen zum [X.] des Angeklagten zum Erfolgseintritt getroffen werden konnten, sei auf ein Fehlen derartiger Vorstellungen zu schließen, als nicht tragfähig. Die Erwägung ist im Übrigen auch für sich genommen in dieser allgemeinen Form rechtlich bedenklich. Denn die (positive) Feststellung, dass sich der Täter keine Gedanken über den Erfolgseintritt gemacht hat, darf mit dem Fall, dass zu die-sen Gedanken keine Feststellungen getroffen werden können, nicht gleichge-setzt werden, da es in dem letztgenannten Fall noch Raum für die Anwendung 8
9
10
-
8
-
des [X.]es gibt ([X.]sbeschluss aaO; [X.]/[X.]/Schuhr, §
24 Rn.
37).
III.
1.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird der neue Tatrichter

sofern er wieder entsprechende Feststellungen zu treffen vermag

auch zu erwägen haben, ob der Äußerung des Angeklagten auf die Aufforderung des [X.]

, ihm zu helfen, er müsse sich jetzt erst eine Zigarette drehen, da er jetzt nämlich ins Gefängnis müsse, ein Hinweis auf ein indifferentes Vorstellungsbild oder eine Gleichgültigkeit gegenüber
einem möglichen Todeseintritt entnommen werden kann.
2.
Ergänzend bemerkt der [X.]:
a)
Auch die Ausführungen des [X.] zur uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt sind rechtlich bedenklich.
Zwar hat
sich die Strafkammer insoweit sachverständig beraten lassen, die beim Angeklagten etwa zwei Stunden nach der Tat entnommene Blutprobe mit einer Blutalkoholkonzentration ([X.]) von 2,09

findet indes in diesem Zu-sammenhang in den Urteilsgründen keine
Berücksichtigung; die aus diesem Umstand zu ziehenden Folgerungen bleiben unerörtert.
Ob sich der Sachver-ständige zu diesem Wert geäußert und eine Rückrechnung vorgenommen hat, wird im Urteil ebenfalls nicht mitgeteilt. Angesichts der aus der Blutprobe fol-genden Tatzeit-[X.] von etwa 2,69

war dies hier aber unerlässlich.
11
12
13
14
-
9
-
Die Erwägung des [X.], für die uneingeschränkt erhalten ge-bliebene Schuldfähigkeit spreche auch das exakte Erinnerungsvermögen des Angeklagten an den [X.], erweist sich vor dem
Hintergrund der [X.], dass die Strafkammer dessen Einlassung in wesentlichen Teilen nicht gefolgt ist, als kaum tragfähig.
b)
Bei der Prüfung eines sonstigen minder schweren Falles des [X.] im Sinne von §
213 Fall
2 StGB ist das Vorliegen eines vertypten [X.]

hier §
23 Abs.
2 StGB

regelmäßig von Bedeutung; er bedarf daher der ausdrücklichen Erörterung
[X.], StGB, 60.
Aufl.,
§
213 Rn.
14).
Sost-Scheible Cierniak

Franke

Mutzbauer Bender

15
16

Meta

4 StR 308/13

14.08.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.08.2013, Az. 4 StR 308/13 (REWIS RS 2013, 3455)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3455

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 308/13

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