Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.09.2012, Az. 5 AZR 627/11

5. Senat | REWIS RS 2012, 3048

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Annahmeverzugsvergütung - Wahrung der zweiten Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist durch Erhebung einer Bestandsschutzklage - Beendigung des Annahmeverzugs


Leitsatz

Ein Arbeitnehmer macht mit Erhebung einer Bestandsschutzklage (Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage) die von deren Ausgang abhängigen Vergütungsansprüche "gerichtlich geltend" und wahrt damit die zweite Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist.

Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 11. März 2011 - 18 [X.] 1170/10 - aufgehoben.

2. Die [X.]che wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs.

2

Der 1960 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit Januar 2006 als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrags vom 15. Dezember 2006 gelten für das Arbeitsverhältnis die tariflichen Bestimmungen der Industrie der Steine und Erden im [X.]. § 8 des Rahmentarifvertrags für die Arbeitnehmer der Industrie der Steine und Erden im [X.] vom 27. April 2005 (im Folgenden: [X.]) lautet:

        

„1.     

Ansprüche aus Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit, auf Zahlung von Zuschlägen jeder Art verfallen, wenn sie nicht innerhalb von vier Wochen nach Fälligkeit bei dem Arbeitgeber geltend gemacht werden.

        

2.    

Alle sonstigen beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich erhoben werden.

        

3.    

Werden die Ansprüche abgelehnt, so verfallen sie, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung gerichtlich geltend gemacht werden.“

3

Das Arbeitsverhältnis der Parteien war bis zum 31. Januar 2008 befristet.

4

Am 27. Februar 2008 unterzeichnete der Kläger ein mit „Empfangsbestätigung - Ausgleichsquittung“ überschriebenes Dokument, welches auszugsweise folgenden Inhalt hat:

        

„Anläßlich Ihres [X.] zum 31.01.2008 übersenden wir Ihnen die nachfolgend aufgeführten Arbeitspapiere:

        

1.    

Lohnsteuerbescheinigung 2007 und 2008 und Lohnsteuerkarte 2008

        

2.    

Meldebescheinigung zur Sozialversicherung - Abmeldung

        

3.    

Lohnabrechnung Januar/Februar 2008

        

Bitte bestätigen Sie durch Ihre Unterschrift die Richtigkeit der letzten Gehaltsabrechnung, den Empfang der o.g. Arbeitspapiere und, dass aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung keinerlei weitere Ansprüche gegen das Unternehmen bestehen.“

5

Im [X.]raum 6. Februar bis 12. April 2008 bezog der Kläger Arbeitslosengeld iHv. 2.660,46 Euro.

6

Der Kläger erhob [X.]. Mit Schreiben vom 11. März 2008 bot die Beklagte den Prozessbevollmächtigen des [X.] dessen [X.] an. Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 17. März 2008 nahm der Kläger dieses Angebot an. In der [X.] vom 25. März bis zum 11. April 2008 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Am 13. April 2008 nahm der Kläger die Arbeit wieder auf. Die Beklagte vergütete im Rahmen der [X.] nur die vom Kläger geleisteten Arbeitsstunden mit einem Stundenlohn von 10,78 Euro brutto ohne Zuschläge und Sonderzahlungen. Entgeltfortzahlung an Feiertagen und Urlaubsentgelt erhielt der Kläger nicht. Insgesamt zahlte die Beklagte für die [X.] bis zum 30. September 2008 10.780,00 Euro brutto.

7

Das [X.] stellte mit Urteil vom 12. August 2008 fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der Befristung beendet wurde. Das den Parteien am 29. August 2008 zugestellte Urteil wurde rechtskräftig. Ab 1. Oktober 2008 wickelten die Parteien das Arbeitsverhältnis wieder vertragsgemäß ab.

8

Mit der am 9. Oktober 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger Vergütung wegen Annahmeverzugs für die [X.] vom 1. Februar bis zum 30. September 2008 geltend gemacht. Für die Monate Februar bis April 2008 hat er den sich aus der Abrechnung für Januar 2008 ergebenden Gesamtbruttobetrag von 2.086,68 Euro zugrunde gelegt, wobei in diesem Betrag auch ein „Ausgleich Urlaub“ enthalten war. Für die [X.] vom 13. April bis zum 30. September 2008 hat er Vergütung für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden sowie Zuschläge für [X.] iHv. 75 % und für [X.] iHv. 15 % beansprucht. Auf die Gesamtsumme hat der Kläger die bezogene Bruttovergütung und das Netto-Arbeitslosengeld angerechnet.

9

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.231,89 Euro brutto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 28. Juli 2009 abzüglich 2.660,46 Euro netto zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Alle Ansprüche seien verfallen. Den Ansprüchen des [X.] stehe zudem die unterzeichnete Ausgleichsquittung entgegen. Die verspätete Arbeitsaufnahme im Rahmen des [X.]sverhältnisses gehe zulasten des [X.]. Das Gehalt für April mache der Kläger doppelt geltend. Auch lege der Kläger einen unzutreffenden Monatslohn zugrunde und berechne die Zuschläge falsch.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist begründet. Die Vergütungsansprüche des [X.] sind nicht verfallen. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. In welcher Höhe dem Kläger noch Ansprüche zustehen, kann der [X.] nicht entscheiden. Es bedarf hierzu weiterer tatsächlicher Feststellungen. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur neuen Verhandlung und Entscheidung (§ 563 Abs. 1 ZPO).

I. Die Vergütungsansprüche des [X.] sind nicht gemäß § 8 Ziff. 3 [X.] verfallen. Vielmehr ist § 8 Ziff. 3 [X.] verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass mit Erhebung einer Bestandsschutzklage (Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage) die davon abhängigen Ansprüche wegen Annahmeverzugs im Sinne der tariflichen Ausschlussfrist gerichtlich geltend gemacht sind.

1. Mit einer Bestandsschutzklage wahrt der Arbeitnehmer, ohne dass es einer bezifferten Geltendmachung bedarf, die erste Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist für alle vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprüche. Mit einer solchen Klage erstrebt der Arbeitnehmer nicht nur die Erhaltung seines Arbeitsplatzes, sondern bezweckt darüber hinaus, sich die Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs zu erhalten. Die Ansprüche müssen weder ausdrücklich bezeichnet noch beziffert werden(für die Kündigungsschutzklage ständige Rechtsprechung seit [X.] 10. April 1963 - 4 [X.] - [X.]E 14, 156).

2. Zugleich macht der Arbeitnehmer mit einer Bestandsschutzklage die vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprüche im Sinne der zweiten Stufe einer tarifvertraglich geregelten Ausschlussfrist „gerichtlich geltend“.

a) Nach bisheriger Rechtsprechung des [X.] war für die Wahrung der zweiten Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist regelmäßig die Erhebung einer bezifferten Klage erforderlich ([X.] 3. November 1961 - 1 [X.] - [X.] 1962, 155; 26. April 2006 - 5 [X.] - Rn. 20, [X.]E 118, 60; 17. November 2009 - 9 [X.] -). Die Frist für diese Klage wurde mit Zugang des [X.] beim Arbeitnehmer in Gang gesetzt, ohne dass es einer ausdrücklichen Ablehnungserklärung bedurfte ([X.] 17. November 2009 - 9 [X.] - Rn. 36; 26. April 2006 - 5 [X.] - Rn. 18, aaO).

b) An dieser Rechtsprechung kann nach dem Beschluss des [X.] vom 1. Dezember 2010 (- 1 BvR 1682/07 - [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 196 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 197) nicht festgehalten werden. Das [X.] hat entschieden, dass der Arbeitnehmer in seinem Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt werde, wenn das tarifliche Erfordernis einer gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen, die vom Ausgang einer Bestandsstreitigkeit abhängen, nach den bisherigen Grundsätzen des [X.] ausgelegt und angewandt werde. Dem Arbeitnehmer werde insoweit eine übersteigerte Obliegenheit zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche wegen Annahmeverzugs auferlegt. Die Art der Geltendmachung der Ansprüche auf Vergütung wegen Annahmeverzugs müsse dem Arbeitnehmer möglich und zumutbar sein. Das sei nicht der Fall, wenn er gezwungen werde, Ansprüche wegen Annahmeverzugs einzuklagen, bevor die Bestandsstreitigkeit rechtskräftig abgeschlossen sei. Damit erhöhe sich sein Kostenrisiko im Rechtsstreit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses.

c) [X.] Ausschlussfristen, die eine rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung vorsehen, sind verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die vom Erfolg einer Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen Ansprüche bereits mit der Klage in der Bestandsstreitigkeit gerichtlich geltend gemacht sind.

aa) Die verfassungskonforme Auslegung von Rechtsnormen gebietet, die Wertentscheidungen der Verfassung zu beachten und die Grundrechte der Beteiligten möglichst weitgehend in praktischer Konkordanz zur Geltung zu bringen ([X.] 21. Dezember 2010 - 1 [X.] - Rn. 16, GRUR 2011, 223; 15. Oktober 1996 - 1 [X.], 1 [X.] - [X.]E 95, 64; 30. März 1993 - 1 BvR 1045/89, 1 BvR 1381/90, 1 [X.] - [X.]E 88, 145; [X.] 6. April 2011 - 7 [X.] - Rn. 27 f., [X.] § 14 Nr. 82 = EzA TzBfG § 14 Nr. 77; [X.] AöR 125, 177). Ist eine Norm verfassungskonform auslegbar, ist für die Annahme ihrer Unwirksamkeit mit ggf. nachfolgender ergänzender Tarifauslegung kein Raum mehr.

bb) Die durch eine undifferenzierte tarifliche Regelung veranlasste verfassungswidrige Obliegenheit zur gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche wegen Annahmeverzugs wird vermieden, wenn in der Erhebung der Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage die gerichtliche Geltendmachung der vom Ausgang dieser Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen Ansprüche liegt.

cc) Der Wortlaut des Tarifvertrags steht dieser verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Bereits zur Auslegung der zweiten Stufe einer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelten Ausschlussfrist (vgl. [X.] 19. Mai 2010 - 5 [X.] - Rn. 31, [X.] § 310 Nr. 13 = EzA [X.] 2002 § 310 Nr. 10; 19. März 2008 - 5 [X.] - Rn. 22, [X.]E 126, 198) hat der [X.] entschieden, dass der Wortsinn eines „Einklagens“ bzw. einer „gerichtlichen Geltendmachung“ der vom Ausgang der Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen Ansprüche nicht zwingend verlange, dass gerade der Streitgegenstand „Vergütung“ zum Inhalt des arbeitsgerichtlichen Verfahrens gemacht werden müsse (vgl. [X.] 19. Mai 2010 - 5 [X.] - Rn. 31, aaO; 19. März 2008 - 5 [X.] - Rn. 22, aaO). Eine an einen engen prozessualen Begriff des Streitgegenstands anknüpfende weitere Klage verlange eine solche Klausel nicht. Hinzu kommt, dass bei der verfassungskonformen Auslegung dem Wortsinn nur eine eingrenzende Funktion zukommt. Der Umstand, dass die Tarifvertragsparteien die Formulierung in Kenntnis der bisherigen Rechtsprechung des [X.] verwandt haben, steht der nunmehr verfassungsrechtlich gebotenen Neuinterpretation nicht entgegen.

dd) Die verfassungskonforme Auslegung des Merkmals „gerichtliche Geltendmachung“ berücksichtigt in angemessener Weise den Zweck einer zweistufigen Ausschlussfrist. Ausschlussfristen bezwecken, dem Schuldner zeitnah Gewissheit darüber zu verschaffen, mit welchen Ansprüchen er noch zu rechnen hat. Zulasten des Arbeitnehmers wirkende Ausschlussfristen sollen den Arbeitgeber vor der Verfolgung unzumutbarer Ansprüche bewahren, das sind regelmäßig solche, mit deren Geltendmachung er nicht rechnet und auch nicht zu rechnen braucht (so schon [X.] 27. Februar 1940 - [X.] 162/39 - [X.]). Erhebt der Arbeitnehmer Bestandsschutzklage, kann der Arbeitgeber an der Ernstlichkeit der Geltendmachung der hiervon abhängigen Vergütungsansprüche nicht wirklich zweifeln. Schon mit der Erhebung einer Bestandsschutzklage kann sich der Arbeitgeber auf die vom Ausgang dieser Streitigkeit abhängigen Forderungen einstellen, Beweise sichern und vorsorglich Rücklagen bilden. Ihm muss bewusst sein, dass ggf. auch über die Höhe der zu zahlenden Vergütung noch Streit entstehen kann und nicht selten auch entsteht. Dass die Ansprüche nicht in einer den Anforderungen des § 253 Abs. 2 ZPO entsprechenden Bestimmtheit geltend gemacht werden, ist - wie bei der Wahrung der ersten Stufe der Ausschlussfrist für Ansprüche, die vom Ausgang der Bestandsschutzstreitigkeit abhängen - aus verfassungsrechtlichen Gründen hinzunehmen. Überdies ist zu berücksichtigen, dass durch den Zwang zur vorzeitigen Erhebung der Klage auch der Arbeitgeber unnötigen Kostenrisiken ausgesetzt würde.

ee) Entgegen der Auffassung der [X.] ist, um den Vorgaben des [X.] zu entsprechen, nicht auf eine Kostenbelastung des Arbeitnehmers im Einzelfall abzustellen. Maßgeblich ist nicht der Umfang der wirtschaftlichen Belastung, die den Arbeitnehmer durch den Rechtsstreit trifft, sondern der Gesichtspunkt der Risikoerweiterung. Kann der Arbeitnehmer nicht das Obsiegen in der Bestandsschutzstreitigkeit abwarten, wird ihm ein prozessuales Risiko aufgebürdet, das die Durchsetzung des gesetzlichen Bestandschutzes beeinträchtigen kann. Die Frage der Wirksamkeit und der Einhaltung der tariflichen Ausschlussfrist von einer einzelfallbezogenen Prüfung der Kostenbelastung abhängig zu machen, führte zudem zu größter Rechtsunsicherheit. Es kann deshalb nicht darauf ankommen, ob der Arbeitnehmer rechtsschutzversichert ist, Prozesskostenhilfe beanspruchen kann, ob er die - im Misserfolgsfall - unnötigen Kosten der Zahlungsklage aus eigenen Mitteln unproblematisch aufbringen oder sie durch eine strategisch günstige Antragstellung vermeiden könnte. Das Kostenrecht gilt für alle Parteien gleichermaßen, seine gesetzlichen Wertungen sind zwingend. Das erfordert zugunsten des durchschnittlich kundigen Arbeitnehmers als Tarifnormunterworfenen, der mit den Möglichkeiten einer kostengünstigen Prozessführung nicht vertraut ist, eine einheitliche Auslegung des Tarifvertrags.

ff) Durch die verfassungskonforme Auslegung bleibt das tarifliche Erfordernis der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen, die nicht vom Ausgang einer Bestandsschutzstreitigkeit abhängig sind, erhalten. Im Übrigen wird die Entstehung einer Regelungslücke vermieden, die erst zu einer ergänzenden Auslegung berechtigen würde. Denn Voraussetzung einer ergänzenden Auslegung ist, dass entweder eine unbewusste Regelungslücke vorliegt oder nachträglich eine Regelung lückenhaft geworden ist. Hieran fehlt es bei verfassungskonformer Auslegung des Tarifvertrags.

[X.]. Einer Anrufung des Großen [X.]s gemäß § 45 ArbGG bedarf es nicht, denn alle [X.]e des [X.] sind gehindert, die frühere Auslegung zweistufiger tariflicher Ausschlussfristen aufrechtzuerhalten. Die Rechtsfrage, welche Anforderungen an die Wahrung der zweiten Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist für Ansprüche, die vom Ausgang einer Bestandschutzstreitigkeit abhängen, zu stellen sind, ist wegen des Beschlusses des [X.] vom 1. Dezember 2010 (- 1 BvR 1682/07 - [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 196 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 197) neu zu beantworten. Schon im Hinblick auf § 31 [X.]G entfällt die Vorlagepflicht, wenn das [X.] die entscheidungserhebliche Rechtsfrage abweichend von der bisherigen Rechtsprechung selbst entschieden hat (vgl. [X.] 21. März 2000 - 4 [X.] - zu [X.] 2 b aa der Gründe, [X.]St 46, 17; 26. Januar 1977 - 3 StR 527/76 - NJW 1977, 686; 17. März 2011 - [X.]/10 - Rn. 30, [X.]Z 189, 1). Nichts anderes gilt, wenn es den Fachgerichten aufgegeben hat, einen bestimmten rechtlichen Komplex insgesamt anhand der von ihm entwickelten Maßstäbe neu zu gestalten ([X.] 21. März 2000 - 4 [X.] - zu [X.] 2 b aa der Gründe, aaO; 5. August 1998 - 5 AR ([X.]) 1/97 - [X.]St 44, 171). Die rechtliche Grundlage der früheren Entscheidungen des [X.] ist durch den Beschluss des [X.] vom 1. Dezember 2010 (- 1 BvR 1682/07 - aaO) entfallen. Deshalb fehlt es an der für eine Anrufung des Großen [X.]s erforderlichen Identität der Rechtslage (vgl. [X.] 28. Juni 2012 - 6 [X.] - Rn. 81, [X.] 2012, 1029).

[X.]I. [X.] erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig.

1. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs iSd. §§ 615, 293 ff. [X.] lagen spätestens seit Erhebung der Befristungskontrollklage vor.

a) Gemäß § 293 [X.] kommt der Gläubiger in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung tatsächlich anbieten, § 294 [X.]. Streiten die Parteien über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, genügt gemäß § 295 [X.] ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers, weil der Arbeitgeber mit der Berufung auf das Ende des Arbeitsverhältnisses erklärt, er werde keine weitere Arbeitsleistung mehr annehmen. Dieses wörtliche Angebot kann darin liegen, dass der Arbeitnehmer gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses protestiert und/oder eine Bestandsschutzklage einreicht (vgl. [X.] 19. Mai 2010 - 5 [X.] - Rn. 13, [X.] § 310 Nr. 13 = EzA [X.] 2002 § 310 Nr. 10 ; [X.] 28. Oktober 1996 - [X.] ZR 14/96 - zu [X.] der Gründe, NJW-RR 1997, 537; 9. Oktober 2000 - [X.] [X.] - zu 1 der Gründe, [X.] § 615 Nr. 88 = EzA [X.] § 615 Nr. 100). Lediglich für den Fall einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung geht die Rechtsprechung des [X.] von der Anwendbarkeit des § 296 [X.] aus (zuletzt [X.] 22. Februar 2012 - 5 [X.] - Rn. 14 mwN, EzA [X.] 2002 § 615 Nr. 36).

Wann im Streitfall ein wörtliches Angebot in diesem weit verstandenen Sinn vorlag, muss das [X.] noch feststellen. Dabei wird es zu beachten haben, dass der Protest bereits vor Ablauf des befristeten Arbeitsverhältnisses bekundet worden sein könnte. Spätestens mit Zustellung der Befristungskontrollklage war das wörtliche Angebot jedenfalls gegeben.

b) Das Angebot der [X.] beendete den Annahmeverzug nicht. Zur Beendigung des Annahmeverzugs muss der Arbeitgeber die Arbeitsleistung als Erfüllung des mit dem Arbeitnehmer geschlossenen Arbeitsvertrags annehmen. Nicht ausreichend ist hingegen, dass er dem Arbeitnehmer vorsorglich einen für die Dauer des [X.] befristeten neuen Arbeitsvertrag zu den bisherigen Bedingungen oder eine durch die rechtskräftige Feststellung der Wirksamkeit der Kündigung auflösend bedingte Fortsetzung des Vertrags anbietet. Der Arbeitgeber muss vielmehr bei der Annahme unmissverständlich klarstellen, dass er zu Unrecht gekündigt bzw. zu Unrecht auf der Wirksamkeit der Befristung beharrt habe (vgl. [X.] 24. September 2003 - 5 [X.] - zu I der Gründe, [X.]E 108, 27; 14. November 1985 - 2 [X.] - [X.]E 50, 164). Die Beklagte beschäftigte den Kläger erst wieder ab dem 1. Oktober 2008 zu den vertragsgemäßen Bedingungen.

c) Zweifel an der Leistungsfähigkeit und -willigkeit (§ 297 [X.]) des [X.] bestehen nicht. Zwar war der Kläger vom 25. März bis zum 11. April 2008 arbeitsunfähig krank und somit nicht leistungsfähig. Dies führt indes nur dazu, dass dem Kläger für diesen [X.]raum die Ansprüche nicht als Vergütung wegen Annahmeverzugs nach § 615 Satz 1 [X.], sondern gemäß § 3 Abs. 1 [X.] als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zustehen.

d) Der Kläger muss sich für die [X.] vom 11. bis zum 25. März 2008 nicht gemäß § 615 Satz 2 [X.] den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er in dieser [X.] bereits im Rahmen einer [X.] bei der [X.] hätte verdienen können. Geht es um eine Arbeitsmöglichkeit beim bisherigen Arbeitgeber, darf der Arbeitnehmer regelmäßig abwarten, ob ihm eine zumutbare Arbeit angeboten wird. Einer eigenen Initiative bedarf es nicht ([X.] 11. Januar 2006 - 5 [X.]/05 - Rn. 20, [X.]E 116, 359; 22. Februar 2000 - 9 [X.] - zu [X.] 2 bis 4 der Gründe, [X.] KSchG 1969 § 11 Nr. 2 = EzA [X.] § 615 Nr. 97). Fordert der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf, eine konkrete Tätigkeit zu verrichten, begründen kurzfristige Verzögerungen, die auf der Einschaltung eines Prozessbevollmächtigten und der Überprüfung der Zumutbarkeit der angebotenen [X.] in angemessener [X.] beruhen, noch kein Indiz für eine Böswilligkeit hinsichtlich des unterlassenen Zwischenerwerbs.

2. Die „Empfangsbestätigung - Ausgleichsquittung“ vom 27. Februar 2008 steht den Ansprüchen des [X.] nicht entgegen. Die im Präsens abgefasste Erklärung bezieht sich nur auf etwaige Ansprüche aus der [X.] bis zum Ablauf der Befristung am 31. Januar 2008 und nicht auf die streitgegenständlichen Ansprüche, die nach dem 31. Januar 2008 entstanden sind.

IV. Die Höhe der Ansprüche kann der [X.] mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht selbst berechnen. Das [X.] wird insoweit Folgendes zu beachten haben:

1. Für die [X.] vom 1. Februar bis zum 12. April 2008 steht dem Kläger zunächst die vertragliche bzw. tarifliche Vergütung zu. Wie hoch diese ist und für welche Arbeitsleistung die monatliche Vergütung geschuldet wird, bedarf der Aufklärung. Jedenfalls sind die für Januar 2008 abgerechneten [X.] insoweit nicht zu berücksichtigen. Soweit der Kläger für die [X.] bis zum 12. April 2008 Überstundenvergütung begehrt, ist § 4 Abs. 1a [X.] zu beachten.

2. Nicht zu beanstanden ist, dass der Kläger seine Ansprüche für die [X.] ab dem 13. April 2008 auf der Grundlage der im Rahmen des [X.]sverhältnisses tatsächlich geleisteten Stunden berechnet.

3. Hinsichtlich der Zuschläge für Schicht-, Sonntags- und Nachtarbeit wird der Kläger die einzelnen [X.]räume, für die er Zuschläge verlangt, zu konkretisieren haben. Der Darlegungslast genügen weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber durch die bloße Bezugnahme auf die den Schriftsätzen als Anlagen beigefügten Stundenaufstellungen oder sonstigen Aufzeichnungen. Anlagen können lediglich zur Erläuterung des schriftsätzlichen Vortrags dienen, diesen aber nicht ersetzen ([X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] - [X.] 2012, 939; [X.] 2. Juli 2007 - [X.] [X.]/05 - Rn. 25 mwN, NJW 2008, 69; vgl. auch [X.] 30. Juni 1994 - 1 BvR 2112/93 - zu [X.]I 2 a der Gründe, NJW 1994, 2683). Die Darlegung der einzelnen [X.]räume, für die Zuschläge verlangt werden, hat vielmehr entsprechend § 130 Nr. 3 und Nr. 4 ZPO schriftsätzlich zu erfolgen. Beigefügte Anlagen können den schriftsätzlichen Vortrag erläutern oder belegen, verpflichten das Gericht aber nicht, sich die unstreitigen oder streitigen Arbeitszeiten aus den Anlagen selbst zusammenzusuchen. Dies gilt im Streitfall gerade auch deshalb, weil die Schlüssigkeit der geltend gemachten Ansprüche davon abhängt, an welchen Wochentagen und zu welchen konkreten Uhrzeiten die Arbeit geleistet wurde. Die Höhe der Zuschläge richtet sich sodann nach § 3 Ziff. IV [X.]. Hiernach ist für Arbeiten an Sonntagen in der Nacht ein Zuschlag von 75 % zu zahlen. Entgegen der Rechtsauffassung der [X.] gilt dies auch, wenn die Nachtarbeit am Sonntag zugleich Schichtarbeit ist. Während § 3 Ziff. [X.]. c und [X.]. d [X.] für Werktage ausdrücklich zwischen Nachtschichtarbeit und Nachtarbeit unterscheiden, findet sich eine solche Unterscheidung in § 3 Ziff. [X.]. e [X.] für [X.] gerade nicht.

4. Das [X.] wird ferner aufzuklären haben, auf welcher Grundlage dem Kläger eine [X.] für 2008 zustehen könnte.

        

    Müller-Glöge    

        

    Laux    

        

    Biebl    

        

        

        

    Mandrossa    

        

    [X.]    

                 

Meta

5 AZR 627/11

19.09.2012

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Hagen (Westfalen), 10. Juni 2010, Az: 4 Ca 2441/09, Urteil

§ 295 BGB, §§ 295ff BGB, § 615 BGB, § 1 Abs 1 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.09.2012, Az. 5 AZR 627/11 (REWIS RS 2012, 3048)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3048


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 18 Sa 1170/10

Landesarbeitsgericht Hamm, 18 Sa 1170/10, 11.03.2011.


Az. 5 AZR 627/11

Bundesarbeitsgericht, 5 AZR 627/11, 19.09.2012.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 AZR 628/11 (Bundesarbeitsgericht)

Zweistufige tarifliche Ausschlussfrist - Annahmeverzugsvergütung - vermögenswirksame Leistungen


5 AZR 924/11 (Bundesarbeitsgericht)

Zweistufige Ausschlussfrist - Annahmeverzugsvergütung - Krankengeld


18 Sa 1170/10 (Landesarbeitsgericht Hamm)


18 Sa 1794/10 (Landesarbeitsgericht Hamm)


5 AZR 385/20 (Bundesarbeitsgericht)

Schuldnerverzug - entschuldbarer Rechtsirrtum - Geltendmachung von Verzugszinsen durch Bestandsschutzklage


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.