Bundespatentgericht, Beschluss vom 16.08.2021, Az. 28 W (pat) 502/21

28. Senat | REWIS RS 2021, 3284

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Tenor

In der Beschwerdesache

hat der 28. Senat ([X.]) des [X.] am 16. August 2021 durch [X.], den Richter [X.] und die Richterin k. A. Berner

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 10 des [X.] vom 18. November 2020 aufgehoben.

2. Der Antrag, die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Zur Eintragung als Wortmarke am 5. Juni 2020 angemeldet ist das Zeichen „[X.]“ für folgende Waren und Dienstleistungen:

2

Klasse 9:

3

Software für Biofeedbackgeräte und Bioresonanzgeräte zur Erzeugung von Mikroströmen, elektromagnetischen Impulsen, Biophotonen und bioenergetischen Informationen für analytische und therapeutische Zwecke sowie für den Stressabbau und die Steigerung des Wohlbefindens; Computerbetriebssoftware für Biofeedbackgeräte und Bioresonanzgeräte zur Erzeugung von Mikroströmen, elektromagnetischen Impulsen, Biophotonen und bioenergetischen Informationen für analytische und therapeutische Zwecke sowie für den Stressabbau und die Steigerung des Wohlbefindens;

4

Klasse 10:

5

Biofeedbackgeräte und Bioresonanzgeräte zur Erzeugung von Mikroströmen, elektromagnetischen Impulsen, Biophotonen und bioenergetischen Informationen für analytische und therapeutische Zwecke sowie für den Stressabbau und die Steigerung des Wohlbefindens;

6

Klasse 35:

7

Vermarktung von ärztlichen Apparaten, Instrumenten und Artikeln, nämlich Biofeedbackgeräten und Bioresonanzgeräten für analytische und therapeutische Zwecke sowie für den Stressabbau und die Steigerung des Wohlbefindens, durch Dienstleistungen von [X.]; Veranstaltung von Ausstellungen für kommerzielle oder Werbezwecke für Dritte; Dienstleistungen von Großhandelsgeschäften in Bezug auf Biofeedbackgeräte und Bioresonanzgeräte für analytische und therapeutische Zwecke sowie für den Stressabbau und die Steigerung des Wohlbefindens; Dienstleistungen von Einzelhandelsgeschäften in Bezug auf Biofeedbackgeräte und Bioresonanzgeräte für analytische und therapeutische Zwecke sowie für den Stressabbau und die Steigerung des Wohlbefindens;

8

Klasse 37:

9

Reparatur oder Wartung von medizinischen Apparaten, Instrumenten und Artikeln, nämlich Biofeedbackgeräten und Bioresonanzgeräten für analytische und therapeutische Zwecke sowie für den Stressabbau und die Steigerung des Wohlbefindens.

Das [X.], Markenstelle für Klasse 10, hat nach Einreichung von Bemerkungen eines [X.] gemäß § 37 Abs. 6 [X.] und nach Beanstandung vom 17. September 2020 die Anmeldung mit Beschluss vom 18. November 2020 gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.] zurückgewiesen, weil die Eintragung des Wortes „[X.]“ gegen die guten Sitten verstoße. Denn es werde von einem beachtlichen Teil der inländischen [X.] der beanspruchten Waren und Dienstleistungen als politisch anstößig empfunden. Der Begriff „[X.]“ werde ausschließlich als Spitzname der Romanfigur „[X.]“ gebraucht, welcher als Hauptdarsteller in dem [X.] Propagandafilm „[X.]“ auftrete. Dieser Film sei untrennbar mit der verbotenen Organisation „[X.]“ verbunden. Es müsse aufgrund dieser ausschließlichen Verwendung des Begriffs davon ausgegangen werden, dass ein erheblicher Teil des inländischen Verkehrs das Wortzeichen als unmittelbaren Hinweis auf die verbotene Organisation wahrnehme, in ihm einen Bezug zu deren Überzeugungen und Handlungen sehe und ihn daher als grobe politische Verletzung der freiheitlich [X.] Grundordnung empfinden werde. Für den Begriff „[X.]“ lasse sich lediglich die erwähnte Bedeutung ermitteln, so dass er selbst in Alleinstellung nur in einem politisch anstößigen Sinne verstanden werden könne. Daran änderten auch die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nichts.

Hiergegen wendet sich die Anmelderin mit ihrer Beschwerde. Ein Verstoß gegen die guten Sitten liege nur dann vor, wenn die Marke geeignet sei, das Empfinden eines beachtlichen Teils der beteiligten Verkehrskreise in unerträglicher Weise zu verletzen, wobei eine Orientierung allein an ethischen Moralvorstellungen ausscheide und insbesondere keine Geschmackszensur stattfinden dürfe. Letztlich komme es weder auf eine übertrieben laxe noch auf eine besonders feinfühlig und empfindsame Sichtweise an. Vielmehr müsse bei der Beurteilung auf die Kriterien vernünftiger Menschen mit durchschnittlicher Empfindlichkeits- und Toleranzschwelle abgestellt werden. Hierbei könnten etwaige Sittenverstöße nur gewürdigt werden, wenn sie von der Marke selbst ausgingen, so dass diese schlicht unerträglich für das Publikum sei. Bei der Bezeichnung „[X.]“ handele es sich um den Spitznamen einer fiktiven Figur aus dem Propagandafilm „[X.]
– Ein Film vom Opfergeist der [X.] Jugend“, was jedoch nicht dazu führe, dass das Zeichen den Charakter und die Gesinnung der Figur oder des Werkes teile. Das Kennzeichen selbst sei neutral und beziehe sich weder unmittelbar auf die Aussagen und Gedanken des Films, noch könne es das politische Empfinden eines erheblichen Teils der inländischen Durchschnittsverbraucher unerträglich verletzen, da schon zweifelhaft sei, ob ein erheblicher Teil des Publikums die Verbindung zu dem Propagandafilm überhaupt herstelle. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass es sich um einen Vorbehaltsfilm handele, der nicht allgemein vertrieben werde, sondern grundsätzlich nur mit entsprechender historischer Einordnung zu Schulungszwecken gezeigt werde und im Weiten beinahe unbekannt sein dürfte.

Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

1. den Beschluss des [X.]; Markenstelle für Klasse 10, vom 18. November 2020 aufzuheben und

2. ihr die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten des [X.] und des [X.] Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Anmelderin hat in der Sache Erfolg. Der Eintragung des angemeldeten [X.] als Marke steht das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.] nicht entgegen.

1. Abweichend von der Auffassung der Markenstelle ist nicht erkennbar, dass die angemeldete Marke gegen die guten Sitten verstößt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie das Empfinden eines beachtlichen Teils der beteiligten Verkehrskreise zu verletzen geeignet ist, indem sie sittlich, politisch oder religiös anstößig wirkt oder eine grobe Geschmacksverletzung enthält. Maßgeblich ist hierbei die Sichtweise des angesprochenen Publikums in seiner Gesamtheit, wobei es weder auf eine übertrieben laxe noch auf eine besonders feinfühlige Meinung des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers ankommt (vgl. [X.] (pat) 140/01 – [X.]; [X.]/Hacker/Thiering, [X.], 13. Auflage, § 8, Rdn. 942). Bei der Annahme einer gesellschaftlichen Anstößigkeit ist Zurückhaltung geboten, denn es ist zu berücksichtigen, dass im Eintragungsverfahren nur solche Verstöße gewürdigt werden können, die von der Marke selbst ausgehen. Wenn Anmeldezeichen verfassungswidriges Gedankengut, wie NS-Symbole, oder gesellschaftlich diffamierende bzw. rassistische Äußerungen enthalten, ist der Tatbestand des § 8 Abs. 2 Nr. 5 [X.] erfüllt. Gleiches gilt, wenn sie das politische Empfinden eines erheblichen Teils der inländischen Durchschnittsverbraucher in unerträglicher Weise verletzen. Hiervon kann allerdings nicht bei allen Hinweiszeichen ausgegangen werden, die in einem solchen Zusammenhang denkbar sind (vgl. [X.]/Hacker/Thiering, a. a. [X.], § 8, Rdn. 962).

Die Markenstelle führt zutreffend aus, dass es sich bei dem Wort „[X.]“ um den Spitznamen einer fiktiven Figur aus dem Propagandafilm „[X.]“ (Untertitel: „Ein Film vom Opfergeist der [X.] Jugend“) handelt. Hieraus allein ergibt sich allerdings nicht, dass das Wort „[X.]“ das politische Empfinden in unerträglicher Weise verletzen würde. In diesem Zusammenhang weist die Beschwerdeführerin zutreffend darauf hin, dass die Verwendung eines Zeichens als Name einer fiktiven Roman- oder Filmfigur nicht zwangsläufig dazu führt, dass es den Charakter oder die Gesinnung der Figur oder des Werkes teilt. Das Wort „[X.]“ selbst hat von Hause aus einen neutralen Aussagegehalt und vermittelt kein [X.] Gedankengut. Zwar ergibt sich aus den [X.], dass es vorrangig im Zusammenhang mit dem Film „[X.]“ verwendet wird. Daraus kann allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass das in Rede stehende Zeichen als solches (ohne Voranstellung des Substantivs „Hitlerjunge“) regelmäßig mit dem Nationalsozialismus oder der [X.] im Allgemeinen bzw. mit [X.] im Besonderen in Verbindung gebracht wird. Zum einen weisen einige Rechercheergebnisse keinerlei Bezug zu dem besagten [X.] auf. So werden mit dem Zeichen u. a. ein Park in [X.] und die Produkte der Anmelderin benannt. Zum anderen ist davon auszugehen, dass ein erheblicher Teil der inländischen Verkehrskreise den Begriff „[X.]“ nicht mit dem besagten Film in Verbindung bringen wird. Er wurde 1933 gedreht und wegen seiner Propaganda für den Nationalsozialismus und insbesondere wegen seiner Werbung für die [X.] nach dem Ende des [X.] vom [X.] verboten. Heute liegen die Auswertungsrechte bei der [X.], die die Vorführung dieses [X.] nur im Rahmen spezieller Bildungsveranstaltungen ermöglicht (vgl. „https://de.wikipedia.org/wiki/Hitlerjunge_Quex“). Dies lässt darauf schließen, dass das Werk allenfalls vor 1930 geborenen Verkehrsteilnehmern umfassend bekannt ist. Ansonsten dürften jüngere Generationen eher selten – etwa im Rahmen des Geschichtsunterrichts oder im Zusammenhang mit den Nationalsozialismus behandelnden [X.] mit dem Film in Berührung gekommen sein.

Weiterhin gilt es zu berücksichtigen, dass die angemeldeten Waren und Dienstleistungen keinerlei sachlichen Bezug zu dem angesprochenen [X.] aufweisen. Sie betreffen fast ausschließlich [X.] und Bioresonanzgeräte, so dass das gegenständliche Zeichen eher wie ein technischer Fachbegriff wirkt. Assoziationen mit dem [X.] Quex werden auch nicht durch die Dienstleistung „Veranstaltung von Ausstellungen für kommerzielle oder Werbezwecke für Dritte“ hervorgerufen, die nicht ausdrücklich auf [X.] oder Bioresonanzgeräte verweist. Der den Inhalt der Ausstellungen konkretisierende Zusatz „für kommerzielle oder Werbezwecke“ macht deutlich, dass sie sich nicht mit dem Film „[X.]“ und schon gar nicht mit der Verbreitung [X.] Gedankenguts beschäftigen.

Der Beschwerde der Anmelderin war daher stattzugeben.

2. Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß § 71 Abs. 3 [X.] kam dagegen nicht in Betracht, da der angefochtene Beschluss keine schwerwiegenden Fehler aufweist, die es unbillig erscheinen ließen, die Beschwerdegebühr einzubehalten.

Meta

28 W (pat) 502/21

16.08.2021

Bundespatentgericht 28. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 16.08.2021, Az. 28 W (pat) 502/21 (REWIS RS 2021, 3284)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3284

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