Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.04.2020, Az. 5 StR 20/19

5. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1827

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Divergenzvorlage an den Großen Senat in Strafsachen: Erfordernis eines rechtlichen Hinweises auf mögliche Einziehung des Wertes von Taterträgen


Tenor

Dem [X.] wird folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist der Angeklagte nach § 265 Abs. 1 oder nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auf die obligatorische Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) hinzuweisen, wenn die ihr zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen bereits in der Anklageschrift enthalten sind?

Gründe

I.

1

Der Senat hat über die Revision des Angeklagten zu entscheiden, der wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und gegen den damit einhergehend eine Einziehungsentscheidung getroffen worden ist.

2

1. Der Senat möchte die Revision verwerfen. Daran sieht er sich hinsichtlich der auf Verletzung des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO gestützten Verfahrensrüge wegen eines weder in der Anklageschrift noch innerhalb oder außerhalb der Hauptverhandlung erteilten rechtlichen Hinweises auf eine in Betracht kommende Einziehung des Wertes von [X.] aufgrund entgegenstehender Rechtsprechung des [X.] (Beschluss vom 6. Dezember 2018 - 1 [X.], [X.], 747) gehindert. Im Übrigen hält er die Sachrüge - aus den Gründen des Beschlusses betreffend die Revision des Mitangeklagten ([X.], Beschluss vom 3. April 2019 - 5 StR 20/19) - und die weitere Verfahrensrüge für unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

3

a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4

Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten in ihrer Anklageschrift vom25. Juni 2014 unter anderem zur Last gelegt, im Zusammenhang mit der Veräußerung zweier Grundstücke seine Dienstpflichten verletzt zu haben. Er habe sich unter Hinweis auf seine Amtsstellung für den Verkauf der Grundstücke an die gemäß der [X.] eigens zum Zwecke deren Verwertung durch den Mitangeklagten gegründete [X.] eingesetzt. Dieser seien die Erlöse aus dem Weiterverkauf der Grundstücke in der Folge zugeflossen. Seine Einflussnahme auf die Erwerbergesellschaft sei ihm dabei durch seinen als Strohmann eingesetzten Stiefsohn gesichert worden, der die an ihn ausgekehrten Ausschüttungen im „Hinblick auf die verkauften Grundstücke“ nach Abzug einer Vergütung an die Ehefrau des Angeklagten weitergeleitet habe. Die Ehefrau habe ihrerseits Gelder auf das Firmenkonto des Angeklagten transferiert.

5

Weder in der vom [X.] unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage, noch im Eröffnungsbeschluss oder in der Hauptverhandlung ist der Angeklagte darauf hingewiesen worden, dass auf dieser Grundlage gegen ihn eine Einziehung des Wertes von [X.] in Betracht kommt. Die Vorsitzende hat lediglich nach § 243 Abs. 4 StPO im Hinblick auf den Mitangeklagten mitgeteilt, dass bezüglich diesem „eine Vermögensabschöpfung im Raum stehe“; mit dessen Verteidiger hatte außerhalb der Hauptverhandlung eine Erörterung nach §§ 202a, 212 StPO stattgefunden.

6

Das [X.] hat gegen den Angeklagten auf der Grundlage der im [X.] mitgeteilten Feststellungen (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Juni 2019 - 5 StR 20/19, [X.], 748) die Einziehung des Wertes von [X.] in Höhe von 68.300 Euro angeordnet, ohne zuvor auf diese Maßnahme hingewiesen zu haben.

7

b) Entgegen der Auffassung des [X.] ist die Rüge nicht bereits unzulässig erhoben, weil die Revision die Verlesung des [X.] nicht vorträgt. Dessen bedurfte es schon deswegen nicht, da selbst ein im Rahmen der Erörterung mit dem Mitangeklagten erfolgter Hinweis nicht genügen würde, um einen förmlichen Hinweis an den Angeklagten zu ersetzen. Tatsächlich haben bezüglich des Angeklagten keine Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO stattgefunden, weshalb der Inhalt des Vermerks sich nicht an den Beschwerdeführer richtete und er damit durch dessen Verlesung nicht auf die Möglichkeit einer ihn betreffenden Einziehung hingewiesen werden konnte.

8

c) Der Senat hält die Verfahrensrüge des Angeklagten für unbegründet.

9

aa) Der gerügte Verstoß liegt nicht vor, da der für die Anordnung der Einziehung des Wertes von [X.] nach §§ 73, 73c StGB besonders vorgesehene Umstand, dass der Angeklagte durch eine rechtswidrige Tat etwas erlangt hat (vgl. dazu [X.], [X.] 2020, 6, 11), sich anders als von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO vorausgesetzt nicht „erst in der Verhandlung“ ergeben hat. Mit der in der Anklageschrift erfolgten Bezeichnung des als Gegenleistung für die Diensthandlung erlangten Vorteils, wonach der Angeklagte aufgrund seiner Einflussnahme auf den Firmenmantel Verfügungsgewalt über die realisierten [X.] erlangt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Oktober 2018 - 5 [X.], [X.] 2019, 195, 198), waren diesem die tatsächlichen Voraussetzungen einer Einziehung bereits mit Zustellung der Anklage bekannt, so dass er auch seine Verteidigung hierauf einrichten konnte; eines darüber hinausgehenden rechtlichen Hinweises auf eine in Betracht kommende Einziehungsanordnung bedurfte es daher nicht. Die vom [X.] getroffenen Feststellungen weichen auch nicht in relevanter Art und Weise ab.

bb) Zu diesem Ergebnis vermag der Senat unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des [X.] ([X.], Beschluss vom 6. Dezember 2018 - 1 [X.], [X.], 747) nicht zu gelangen. Denn ein Ausschluss des Beruhens der Entscheidung auf einem etwaigen Rechtsverstoß kommt nicht in Betracht (vgl. dazu aber [X.], Beschluss vom 10. Oktober 2019 - 1 [X.], NStZ-RR 2020, 25, 27).

(1) Ein Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler, wenn nicht auszuschließen ist, dass sich dieser auf jenes ausgewirkt hat (vgl. [X.], NStZ 2015, 489, 493). Im Bereich des § 265 StPO reicht für diese nicht ausschließbare Möglichkeit einer Urteilsauswirkung des Fehlers nach ständiger Rechtsprechung bereits die Möglichkeit, dass sich der Angeklagte hätte erfolgreicher verteidigen können (vgl. [X.]/[X.], 63. Aufl., § 265 Rn. 48 mwN; [X.] aaO, 489).

(2) Hieran gemessen kann der Senat das Beruhen nicht ausschließen. Insofern hat auch der 1. Strafsenat selbst bei einem geständigen Angeklagten das Beruhen der Einziehungsentscheidung auf dem Rechtsfehler nicht auszuschließen vermocht, da „die Vorschriften der §§ 73 Abs. 1, 73c Satz 1 StGB neben der Begehung der rechtswidrigen Tat weitere Voraussetzungen für die Abschöpfung“ enthalten (vgl. [X.], Beschluss vom 26. April 2019 - 1 StR 471/18, NJW 2019, 2486, 2487).

Eben solche waren dem Angeklagten vorliegend in Form der Erlangung seiner Verfügungsgewalt über die zunächst bei der [X.] eingetretenen Veräußerungsgewinne (vgl. zur Einziehung des Vorteils beim Mitangeklagten [X.], Beschluss vom 3. April 2019 - 5 StR 20/19) zwar durch die Anklage bekannt. Allein dieses evidente Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen einer Maßnahme sagt im Anwendungsbereich des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO nichts darüber aus, ob sich die Verletzung der Hinweispflicht auf das Urteil ausgewirkt hat (vgl. dazu [X.], Urteil vom 14. Februar 1995 - 1 StR 725/94, [X.], 10; Beschluss vom 19. Oktober 2017 - 3 [X.]/17, [X.], 159; aA [X.], Beschluss vom 10. Oktober 2019 - 1 [X.], NStZ-RR 2020, 25, 27). Denn hierzu müsste zur Überzeugung des Senats weiter feststehen, dass der den Tatvorwurf bestreitende Angeklagte sich auch bei ergangenem Hinweis nicht anders als geschehen hätte verteidigen können (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Juli 2019 - 1 StR 363/18, [X.], 47, 48). So liegt es hier aber gerade nicht, wenn er - unter Zugrundelegung der Rechtsprechung, von welcher der Senat abweichen möchte - unabhängig vom Vorliegen neuer Tatsachen und deren Evidenz auf die Möglichkeit der Einziehung hinzuweisen ist. Denn in diesem Fall kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte sich bei Erteilung eines förmlichen Hinweises schon deshalb erfolgreicher verteidigt hätte, weil er bis zu diesem Zeitpunkt nicht mit einer Einziehungsanordnung zu rechnen brauchte; es liegt dann vielmehr nahe, dass er ohne den Rechtsfehler auf die Entscheidung (etwa bei der Überzeugungsbildung hinsichtlich des Wertes des [X.]) hätte Einfluss nehmen können.

(3) [X.] ist schließlich auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Angeklagte im Rahmen der Erfüllung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO von Vorgesprächen erfahren hat, in denen gegenüber dem Verteidiger des Mitangeklagten die Möglichkeit einer Einziehung thematisiert wurde. Der Inhalt dieser Mitteilung betraf ihn nicht.

2. Der beabsichtigten Entscheidung steht damit in entscheidungserheblicher Weise Rechtsprechung des [X.] entgegen (Beschluss vom 6. Dezember 2018 - 1 [X.], [X.], 747). Dieser vermag sich der Senat aus den Gründen des [X.]es nicht anzuschließen (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Juni 2019 - 5 StR 20/19, [X.], 748, 750 f.). Er hat deshalb mit dem vorgenannten Beschluss bei dem 1. Strafsenat des [X.] angefragt, ob er an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung festhält und bei den übrigen Strafsenaten, ob der beabsichtigten Entscheidung Rechtsprechung entgegensteht und ob gegebenenfalls an dieser festgehalten wird.

Der 1. Strafsenat hat am 10. Oktober 2019 (1 [X.], NStZ-RR 2020, 25) beschlossen, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält. Die übrigen Senate haben mitgeteilt, dass dortige Rechtsprechung der beabsichtigen Entscheidung nicht entgegensteht. Der 2. Strafsenat hat - in Übereinstimmung mit der Ansicht des anfragenden Senats - überdies mitgeteilt, dass § 265 StPO nach seiner Rechtsauffassung keine allgemeine Hinweispflicht in Fällen einer Einziehung statuiere, ein solcher in bestimmten Fallgestaltungen (etwa bei der Problematik der Mitverfügungsgewalt von mehreren Tatbeteiligten) aber unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs geboten sein könne (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Januar 2020 - 2 [X.]). Der 4. Strafsenat hat demgegenüber ergänzend erwähnt, dass er im Hinblick auf die Auslegung des [X.] „erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände“ im Sinne des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO der Rechtsauffassung des [X.] zuneige (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Januar 2020 - 4 ARs 15/19).

Aufgrund der bestehenden Divergenz legt der Senat die streitige Rechtsfrage dem [X.] vor (§ 132 Abs. 2 GVG).

II.

Der Senat hält die Rechtsfrage darüber hinaus aufgrund der überwiegend zur alten Rechtslage ergangenen und in sich nicht einheitlichen Rechtsprechung zu einem rechtlichen Hinweis bei der in Betracht kommenden Anordnung von Maßnahmen bzw. der Verhängung von [X.] und Nebenfolgen auch für eine solche von grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 4 GVG).

1. Eine Rechtsfrage ist von grundsätzlicher Bedeutung, wenn sie sich über den vorgelegten Einzelfall hinaus jederzeit wieder stellen kann und ihre Beantwortung deshalb für die Rechtsanwendung richtungsweisend ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. Mai 1993 - [X.], [X.]St 39, 221, 225; vom15. Juli 2016 - [X.], [X.]St 61, 221, 229; vom 8. Mai 2017 - [X.], [X.]St 62, 164, 168; vom 24. Juli 2017 - [X.], [X.]St 62, 247, 253).

2. Die Entscheidung geht über die Hinweispflicht nach § 265 StPO bei [X.] nach §§ 73, 73c StGB hinaus. Sie betrifft die verfahrensrechtlichen Maßgaben der Hinweispflicht nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO in der Fassung des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 ([X.] I S. 3202, 3210) im Hinblick auf sämtliche dort aufgezählten Rechtsfolgeentscheidungen und ist deshalb richtungsweisend für eine Vielzahl vergleichbarer Fälle. Sie ist somit für die Rechtsanwendung von zukunftsweisender Bedeutung.

Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist sie erforderlich, da zu vermeiden ist, dass in einer derart praxisrelevanten und für die Verteidigungsrechte des Angeklagten maßgeblichen Verfahrensfrage zukünftig unterschiedliche Entscheidungen ergehen. Dies gilt umso mehr, als die bisherige Rechtsprechung zu den verfahrensrechtlichen Maßgaben eines Hinweises nach § 265 Abs. 2 StPO und dort insbesondere die Anordnung von [X.] betreffend nicht durchweg einheitlich ist.

a) Der 3. Strafsenat hat im Fall der Anordnung eines Berufsverbots eine Auslegung von § 265 Abs. 2 StPO a.F., wonach unter in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen solche tatsächlicher Art zu verstehen seien, verworfen, weil „dann der Angeklagte mit einer ihn belastenden Entscheidung des erkennenden Richters überrascht werden könnte, mit der er nach dem Inhalt des [X.] nicht zu rechnen braucht.“ ([X.], Urteil vom27. September 1951 - 3 StR 596/51, [X.]St 2, 85, 87) Dennoch hat er eine die Hinweispflicht auslösende neue Tatsache darin erblickt, dass „der Angeklagte seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit zu einem seinen Berufsaufgaben zuwiderlaufenden Zweck ausgenützt hat“ ([X.] aaO), womit er neben der abweichenden rechtlichen Würdigung auch auf das Hervortreten einer nachträglichen Tatsache abgestellt hat.

Der 1. Strafsenat hat diese Rechtsprechung in seinem Urteil vom 12. März 1963 im Zusammenhang mit der Entziehung der Fahrerlaubnis dahingehend verallgemeinert, dass ein rechtlicher Hinweis auf eine nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung in Betracht kommende Maßregel erforderlich sei, wenn der Eröffnungsbeschluss die ihm zur Last gelegte Tat nicht als Voraussetzung für die Entziehung gekennzeichnet habe (1 StR 54/63, [X.]St 18, 288, 289). Seiner Ansicht nach kann es für die Ausübung der Verteidigungsrechte des Angeklagten „keinen Unterschied ausmachen, ob in der Hauptverhandlung neue Tatsachen hinzutreten, die erst die Anordnung der Sicherungsmaßnahme ermöglichen, oder ob das Gericht bei gleichbleibendem Sachverhalt infolge anderer Beurteilung entgegen dem Eröffnungsbeschluss die Maßnahme in Erwägung zieht“ ([X.] aaO).

Im Wesentlichen auf diese beiden Entscheidungen stützt sich die Auffassung, der zufolge das Tatgericht - nach ständiger Rechtsprechung - unabhängig von einer eingetretenen Veränderung der Sachlage verpflichtet ist, den Angeklagten gemäß § 265 Abs. 2 StPO förmlich auf die mögliche Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung hinzuweisen (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 1. August 2017 - 4 StR 178/17; Urteil vom 21. Mai 1963 - 1 [X.], NJW 1964, 459; LR-StPO/[X.], 26. Aufl., § 265 Rn. 46, 72; [X.]/[X.], aaO, § 265 Rn. 20; vgl. auch [X.], Beschluss vom10. Oktober 2019 - 1 [X.], NStZ-RR 2020, 25, 26). Der Vielzahl der Entscheidungen lässt sich hingegen nicht entnehmen, ob die Anknüpfungstatsachen der [X.] bereits in der Anklageschrift benannt waren und es deshalb allein auf die abweichende rechtliche Würdigung ankam (vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 30. März 1988 - 3 [X.]; [X.]R StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 2; vom 8. Januar 1991 - 1 StR 683/90; [X.]R StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 3; vom 4. Juni 2002 - 3 [X.], [X.], 271; [X.] April 2003 - 5 [X.]; vom 23. Oktober 2008 - 3 [X.], [X.], 227; vom 8. Januar 2009 - 4 StR 568/08, [X.], 468; vom28. Januar 2010 - 5 [X.], [X.], 215).

b) Demgegenüber hat der 4. Strafsenat in seinem Beschluss [X.] Mai 1980 ausgeführt, es genüge anders als in Fällen des Absatzes 1 für die Hinweispflicht des § 265 Abs. 2 StPO aF nicht, dass die Straferhöhung oder Maßregel allein aufgrund einer anderen rechtlichen Beurteilung des dem Angeklagten durch die zugelassene Anklage bekannt gewordenen Sachverhalts vom Gericht in Erwägung gezogen wird (4 [X.], [X.]St 29, 274, 279). Bereits in seinem Urteil vom 7. September 1962 (4 [X.], [X.]St 18, 66, 67 f.) hatte [X.] Strafsenat entschieden, dass ein Hinweis auf die Zulässigkeit der Polizeiaufsicht deshalb nicht erforderlich sei. Denn diese hänge allein von der Wertung des Gerichts ab und verlange keine besondere Feststellung der Gefährlichkeit des [X.], mithin keine weiteren tatsächlichen Voraussetzungen als die Erfüllung des Tatbestandes des § 248 StGB aF.

c) Andererseits hat der 1. Strafsenat nunmehr für eine von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO in der Fassung des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 ([X.] I S. 3202, 3210) erfasste [X.] nach § 375 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 45 Abs. 2 StGB eine nachträgliche Tatsache darin gesehen, dass „der Angeklagte zur Zeit des Urteils als Landtagsabgeordneter tätig war“ ([X.], Beschluss vom 24. Juli 2019 - 1 StR 363/18, [X.], 47) und eine Verletzung der Hinweispflicht angenommen. Die einzige, neben die Verwirklichung des Tatbestandes tretende Voraussetzung zur Verhängung der [X.] besteht nach § 45 Abs. 2 StGB aber in der tatgerichtlichen Ermessensausübung. In seinem Antwortbeschluss hat der 1. Strafsenat dementsprechend auch ausgeführt, dass „die Verteidigung gegen den Hauptvorwurf mit der Verteidigung gegen die [X.] oder -folgen identisch ist, es also deshalb keines Hinweises bedarf, weil kein weiteres faktisches Verteidigungsvorbringen möglich ist“ ([X.], Beschluss vom10. Oktober 2019 - 1 [X.], NStZ-RR 2020, 25, 27).

III.

Zur Begründung der Vorlage nimmt der Senat auf die Ausführungen im [X.] Bezug. Lediglich zu den im Antwortbeschluss des [X.] (vom 10. Oktober 2019 - 1 [X.], NStZ-RR 2020, 25) angesprochenen zusätzlichen Gesichtspunkten wird ergänzend Folgendes angemerkt:

1. Aus dem Wortlaut des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO lässt sich für die Auffassung des [X.] auch eingedenk der sonstigen Auslegungsmethoden kein Anhalt herleiten (vgl. dazu [X.], Beschlüsse vom 8. Mai 1980 - 4 [X.], [X.]St 29, 274, 279; vom 18. Juni 2019 - 5 StR 20/19, [X.], 748, 749; [X.], [X.] 2020, 51, 54).

a) Für die Auslegung von Gesetzen maßgebend ist der in der Norm zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (vgl. [X.] 11, 126, 130 f.; 133, 168, 205). Zwar zieht der Wortlaut im Strafprozessrecht keine starre Auslegungsgrenze (vgl. [X.] 118, 212, 243). Eine an teleologischen Gesichtspunkten ausgerichtete Norminterpretation gelangt aber dann an ihre Grenzen, wenn sie den Wortlaut des [X.] und vom Gesetzgeber dabei auch nicht ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt wird (vgl. [X.] 118, 212, 243; 122, 248, 283).

b) Nach dem Wortlaut von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO ist ein förmlicher Hinweis auf die in Betracht kommende Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer [X.] oder Nebenfolge dann zu erteilen, „wenn sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben“.

aa) Die Hinweispflicht nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO wird demgemäß („erst“) durch nachträgliche Umstände ausgelöst (vgl. BT-Drucks. 18/11277, [X.]; vgl. auch [X.], Beschluss vom 27. August 2019 - 5 StR 374/19); auf eine mögliche Änderung des Schuldspruchs im Verhältnis zur zugelassenen Anklage ist nach § 265 Abs. 1 StPO demgegenüber stets hinzuweisen. Versteht man mit dem 1. Strafsenat das Verhältnis der beiden Absätze zutreffend dahingehend, dass sie sich auf die unterschiedlichen Kategorien von Schuld- (§ 265 Abs. 1 StPO) und [X.] (§ 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO) beziehen, wird für die [X.] benannt. Dem wird der 1. Strafsenat jedoch selbst nicht gerecht, wenn er beide Konstellationen gleichbehandelt.

Zwar nimmt die Rechtsprechung bei [X.] wie bereits dargelegt eine Hinweispflicht auch bei im Verhältnis zur Anklage gleichbleibendem Sachverhalt und lediglich abweichender rechtlicher Würdigung an (vgl. [X.], Urteil vom 12. März 1963 - 1 StR 54/63, [X.]St 18, 288, 289; Beschluss vom 1. August 2017 - 4 StR 178/17, NStZ-RR 2018, 23; [X.]/[X.], aaO, § 265 Rn. 20 mwN). Dort kommt es aber immer nur auf die Gefährlichkeitsprognose im Zeitpunkt der Hauptverhandlung an, so dass der [X.] der Hinweispflicht eines „sich erst in der Verhandlung“ ergebenden „vom Strafgesetz besonders vorgesehenen Umstands“ (§ 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO) auch „erst“ dann eintritt. Demgegenüber wird mit der Einziehung (des Wertes) von [X.] (§§ 73, 73c StGB) lediglich ein durch das [X.] von [X.] entstandener quasi-bereicherungsrechtlicher Anspruch des Staates tituliert.

Diese Besonderheit der durch das Tatgericht vorzunehmenden Prognose spiegelt sich auch in der unterschiedlichen Rechtsnatur der Maßnahmen wider. Während [X.] als - zum Teil strafähnlich ausgestaltete - [X.] (vgl. [X.] 109, 133, 174; 128, 326, 374; [X.], NJW 2012, 1784, 1785; sowie zur strafähnlichen Ausgestaltung [X.], Urteil vom 9. März 2010- 1 [X.], NJW 2010, 1539, 1542; Beschluss vom 15. April 2008 - 5 [X.], [X.]St 52, 205, 210) ausgeformt sind, wird die Einziehung (des Wertes) von [X.] in ständiger Rechtsprechung als Maßnahme mit kondiktionsähnlichem Charakter angesehen (vgl. [X.], Urteil vom 15. Mai 2018- 1 [X.], NStZ-RR 2018, 241; Beschlüsse vom 6. Februar 2018 - 5 [X.], [X.], 366, 367; vom 22. März 2018 - 3 StR 42/18, [X.], 400; vom 23. Oktober 2018 - 5 [X.], [X.] 2019, 195, 196). Die Eingriffsintensität der Maßnahmen ist damit nicht deckungsgleich.

bb) Erforderlich für einen vom Strafgesetz besonders vorgesehenen Umstand im Sinne des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO ist ein über die bloße Tatbestandserfüllung hinausgehendes Merkmal (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Mai 1980 - 4 [X.], [X.]St 29, 274, 279; [X.], [X.] 2020, 6, 11), worunter etwa auch das [X.] von [X.] im Rahmen der Einziehung fällt (vgl. [X.], Urteil vom 11. Juli 2019 - 1 StR 620/18, NJW 2019, 3012, 3014; Beschluss vom 10. Oktober 2019 - 1 [X.], NStZ-RR 2020, 25, 27). Eine lediglich abweichende rechtliche Beurteilung kann hierunter - auch wenn sie sich erst in der Hauptverhandlung herausbildet - demgegenüber nicht gefasst werden, da sie nicht „vom Strafgesetz besonders vorgesehen“ ist (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Mai 1980 - 4 [X.], [X.]St 29, 274, 279; vgl. für § 265 Abs. 3 StPO auch [X.], Beschluss vom 13. März 2018 - 4 StR 27/18, [X.], 558). Anderes kann bei Ermessensentscheidungen oder solchen im Bereich der Maßregeln der Besserung und Sicherung gelten, sofern deren Anordnung an eine in der Hauptverhandlung zu treffende Wahrscheinlichkeitsprognose geknüpft ist, die dann als derartiger Umstand verstanden werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 7. September 1962 - 4 [X.], [X.]St 18, 66, 67 f.; vgl. für die Verhängung einer [X.] nach § 375 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 45 Abs. 2 StGB aber auch [X.], Beschluss vom 24. Juli 2019 - 1 StR 363/18, [X.], 47).

So liegt es bei einer im Verhältnis zur Anklage abweichenden rechtlichen Beurteilung der Einziehung des Wertes von [X.] jedoch nicht. Auch der 1. Strafsenat geht hiervon aus, wenn er - in Übereinstimmung mit der Auffassung des vorlegenden Senats - das Hinzutreten weiterer tatsächlicher Voraussetzungen für maßgeblich erachtet und hervorhebt, die Einziehung setze mit dem [X.] von [X.] „mehr als die bloße Tatbestandserfüllung voraus“. Dieser tatsächliche Umstand kann jedoch, anders als beispielsweise die tatgerichtliche Feststellung der Gefährlichkeit des [X.], wie im zugrundeliegenden Sachverhalt bereits vor der Hauptverhandlung bekannt sein, etwa durch die zugelassene Anklage. Das „Mehr“ gegenüber der Tatbestandserfüllung ist in diesem Fall dann nicht „erst“ in der Hauptverhandlung hervorgetreten.

c) Der insoweit eindeutige Wortlaut führt zudem zu einer sinnvollen Anwendung des Gesetzes und steht einer anderweitigen Auslegung unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung entgegen (vgl. [X.] 8, 28, 33; 78, 20, 24; 133, 168, 205 f.).

aa) Der Gesetzgeber hat die Bezugspunkte der Hinweispflichten nach § 265 StPO durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 ([X.] I S. 3202, 3210) erweitert, weil seiner allein maßgeblichen Auffassung nach die Änderung der Sachlage, die Anordnung der Einziehung oder die Verhängung einer [X.] oder Nebenfolge für die Verteidigung in gleichem Maße bedeutsam sein können, wie in Konstellationen bereits zuvor bestehender Hinweispflichten (vgl. BT-Drucks. 18/11277, [X.]). Die Anwendungsvoraussetzungen des § 265 StPO in Form der die Hinweispflichten auslösenden verfahrensrechtlichen Maßgaben wollte er demgegenüber nicht ausdehnen (vgl. BT-Drucks., aaO; vgl. auch [X.], Beschluss vom 8. Mai 2018 - 5 StR 65/18, [X.], 239; [X.], [X.], 99, 101), was insbesondere auch darin zum Ausdruck kommt, dass er die Erweiterung in das bestehende System des § 265 StPO eingepasst hat.

bb) Dabei hat er die Hinweispflichten zwar ausnahmslos auf alle Maßnahmen erstreckt. Entgegen der Auffassung des [X.] kann dieser Gesetzgebungstechnik jedoch nicht entnommen werden, sämtliche dem Begriff des § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB zuzuordnenden Maßnahmen sollten identischen verfahrensrechtlichen Maßgaben folgen. Der Gesetzgeber hat vielmehr lediglich die zuvor umstrittene Frage, ob auf eine in Betracht kommende Einziehungsentscheidung hinzuweisen ist (vgl. dazu [X.], Urteil vom 8. Februar 1961 - 2 StR 622/60, [X.]St 16, 47, 48; LR-StPO/[X.], 26. Aufl., § 265 Rn. 72), entschieden. Angesichts allein dieses belastbaren gesetzgeberischen Willens liegt es daher nahe, dass es sich bei der Zusammenfassung der [X.] und der Einziehung unter den Oberbegriff der Maßnahme im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB lediglich um eine sprachliche Vereinfachung handelt, die dessen feststellbares Regelungsanliegen nicht relativieren darf (vgl. dazu [X.] 122, 248, 284; 133, 168, 206).

2. Auch der Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren zwingt nicht zur Annahme einer allgemeinen Hinweispflicht in den Fällen einer Einziehung.

Mit der Norm des § 265 StPO hat der Gesetzgeber den Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren insoweit konkretisiert, als diesem im Hauptverfahren die Möglichkeit gegeben werden soll, sich mit den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen einer drohenden Verurteilung auseinanderzusetzen, die vom zugelassenen Anklagesatz abweichen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 18. Juni 2019 - 5 StR 20/19, [X.], 748, 751 mwN; vom 7. April 2020 - 6 StR 52/20). Eine Überraschung des Angeklagten, auf die er seine Verteidigung nicht hat einstellen können, stellt es demgemäß dar, wenn Änderungen des rechtlichen Gesichtspunkts oder der Sachlage den Schuldspruch bzw. wenn tatsächliche Änderungen die Rechtsfolgenentscheidung betreffen. Die Regelung stellt daher eine Ausformung des Rechts auf ein faires Verfahren dar.

Soweit Vorgänge während des Hauptverfahrens die Verteidigung des Angeklagten durch Abweichungen vom zugelassenen Anklagesatz gefährden können, ist ein Hinweis aus [X.] aber nur in den gesetzlich vorgeschriebenen Fällen erforderlich (vgl. dazu auch [X.], Beschlüsse vom 8. Mai 1980 - 4 [X.], [X.]St 29, 274, 278 f.; vom 7. April 2020 - 6 StR 52/20; aA [X.], [X.] 2020, 51, 57 f.), da die Strafprozessordnung insoweit eine konforme Ausgestaltung des Grundsatzes des fairen Verfahrens darstellt. Ist demnach eine Einziehungsmaßnahme bei Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen durch das Gericht zwingend auszusprechen und hatte der Angeklagte bereits durch die zugelassene Anklage die Möglichkeit, von deren Vorliegen Kenntnis zu nehmen, werden dessen Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Hinweispflichten durch Ausdehnung der normierten Auslösungstatbestände fällt allein in die Befugnis des Gesetzgebers.

[X.] am
Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer
ist wegen Eintritts in
den Ruhestand an der
Unterschriftsleistung gehindert.

        

Cirener     

        

Mosbacher

Cirener

                                   
        

     Köhler     

        

von Häfen     

        

Meta

5 StR 20/19

14.04.2020

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 18. Juni 2019, Az: 5 StR 20/19, Beschluss

§ 265 Abs 1 StPO, § 265 Abs 2 Nr 1 StPO, § 73 Abs 1 StGB, § 73c S 1 StGB, § 132 Abs 2 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.04.2020, Az. 5 StR 20/19 (REWIS RS 2020, 1827)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1827


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 5 StR 20/19

Bundesgerichtshof, 5 StR 20/19, 14.04.2020.

Bundesgerichtshof, 5 StR 20/19, 18.06.2019.


Az. GSSt 1/20

Bundesgerichtshof, GSSt 1/20, 22.10.2020.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

GSSt 1/20 (Bundesgerichtshof)

Hinweispflicht bei Einziehung von Taterträgen


5 StR 20/19 (Bundesgerichtshof)

Hinweispflicht auf Rechtsfolge einer obligatorischen Einziehung


1 ARs 14/19 (Bundesgerichtshof)

Divergierende Ansicht zweier BGH-Senate zur Hinweispflicht auf die Rechtsfolge einer obligatorischen Einziehung


1 StR 186/18 (Bundesgerichtshof)

Hinweispflicht bezüglich der möglichen Anordnung der Einziehung von Taterträgen


6 StR 276/23 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.