Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.11.2007, Az. 1 StR 275/07

1. Strafsenat | REWIS RS 2007, 1037

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[X.]/07 vom 7. November 2007 in der Strafsache gegen wegen [X.] - 2 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 7. November 2007 beschlos-sen: Die Revision des Angeklagten Dr. [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 15. November 2006 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tra-gen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen [X.] in zwei Fäl-len zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen hatte sich der Angeklagte - meist in Zusammenarbeit mit dem Mitangeklagten [X.]- in den Jahren 1995 und 1996 insge-samt 132 total gefälschte —[X.] der [X.] ([X.]) mit einem Nennwert von jeweils 1 Milliarde [X.] Lire verschafft und - überwiegend mit dem vergeblichen Versuch, sie zu belei-hen - in den Verkehr gebracht (§ 146 Abs. 1 Nr. 3, § 151 Nr. 1 StGB). 1 Der Beschwerdeführer erhebt verschiedene Verfahrensrügen und die Sachrüge. Diesen bleibt aus den vom [X.] in seiner [X.] vom 20. August 2007 dargelegten Gründen der Erfolg versagt (§ 349 Abs. 2 StPO). 2 - 3 - Der näheren Erörterung bedarf nur die Beanstandung, die [X.] sei zu Unrecht in Abwesenheit des Angeklagten fortgeführt und zu Ende gebracht worden (Verstoß gegen § 338 Nr. 5 i.V.m. § 230 Abs. 1, § 231 StPO). 3 a) Der Rüge liegt Folgendes zugrunde: 4 Die Hauptverhandlung hatte am 9. Februar 2005 begonnen und bis zum 33. Verhandlungstag am 6. Juli 2006 mit den Angeklagten stattgefunden. Der Angeklagte [X.]hatte Gelegenheit, sich zu seinen persönlichen Verhält-nissen und zur Sache zu äußern. Am 34. Verhandlungstag, dem 27. Juli 2006, erschien der Angeklagte [X.]nicht. Er war in [X.] verhaftet [X.]. Die [X.] setzte die Hauptverhandlung an diesem, sowie an den folgenden acht Verhandlungstagen bis zur Urteilsfindung am 15. November 2006 gemäß § 231 Abs. 2 StPO ohne den Angeklagten [X.]- ab dem 22. August 2006 auch ohne den Mitangeklagten [X.], der dies mit der [X.] allerdings nicht beanstandet hat - fort. 5 [X.], die bei der Fluggesellschaft [X.]arbeitet, hatte für sie beide sowie für ihre gemeinsame Tochter Freiflüge von [X.] nach [X.] gebucht, mit Reiseantritt am 14. Juli 2006 und Rückflug nach einer Woche (19./20. Juli 2006). Für den 21./22. Juli 2006 war zusammen mit Freunden eine Fahrt zum Opernbesuch ([X.]) in [X.] angesetzt. 6 Bei der Ausreisekontrolle auf dem Flughafen [X.] wurde der [X.] am 14. Juli 2006 um 20.45 Uhr festgenommen, da er in [X.] - wegen [X.] - zur Fahndung ausgeschrieben war. Mit haftrichterlicher Verfü-gung vom 17. Juli 2006 - 17.00 Uhr - wurde er in Untersuchungshaft genom-men. 7 - 4 - Der Haftanordnung in [X.] liegt der Vorwurf zugrunde, [X.]habe zusammen mit seinem —Komplizenfi

[X.] , nach [X.] am 27./28. April 2002 auf dessen Namen bei der [X.]. , am 29. April 2002 einen von weiteren —Komplizenfi gefälschten Scheck über 6,8 Millionen US-$ eingereicht und zusammen mit [X.]die Auszahlung von 800.000,-- [X.], erreicht, um die die [X.]nk geschädigt ist, darunter ein vom [X.] [X.] quittierter [X.]rbezug in Höhe von 530.000,-- [X.]. Bei der anschließenden Flucht des [X.] und beim Wegschaffen von [X.], einem Rolls Royce im Wert von 230.000,-- [X.], soll [X.]

[X.] unterstützt haben. Er besorgte - so der Vorwurf - [X.]

dazu diverse gefälschte [X.] Reisepapiere lautend auf den Namen Ha. . 8 Der dringende Tatverdacht beruhte vor allem auf den Angaben des seit November 2005 in [X.] verhafteten Mittäters [X.] , der den Angeklagten in Vernehmungen vom 2. und 3. Februar 2006 —massiv belastetefi. Gestützt wurde der Haftbefehl insbesondere auf den Haftgrund der Fluchtgefahr, da —der Angeklagte über keinen festen Wohnsitz in [X.] verfügt, obwohl er angibt, dass sich sein Lebensmittelpunkt seit 25 Jahren bei seiner Freundin und den zwei gemeinsamen Kindern in [X.] befindet, weshalb die ernsthafte Gefahr bestehe, er könnte sich - im Falle einer Freilassung - den Strafverfolgungsbehörden nicht mehr zur Verfügung halten, zumal dem mehr-fach vorbestraften Angeschuldigten eine empfindliche Strafe droht und fraglich ist, ob dafür der bedingte Strafvollzug gewährt würdefi. 9 Die Dauer der Untersuchungshaft wurde in der haftrichterlichen Verfü-gung —einstweilenfi auf einen Monat begrenzt - —wobei der Staatsanwaltschaft offen steht, ein Gesuch um Verlängerung der Untersuchungshaft zu [X.] -, da — [X.] schon im November 2005 verhaftet wurde, der [X.] - 5 - digte bereits im [X.] 2003 mehrere Wochen in Untersuchungshaft verbracht [X.] und —die Staatsanwaltschaft [X.]-Sihl dem Angeschuldigten eine Vorla-dung für einen mit dem Verteidiger abgesprochenen [X.] am 18. August 2006 zugestellt hat, woraus der Schluss gezogen werden muss, dass sie davon ausging, der Angeschuldigte werde sich zur Verfügung haltenfi. Über die Verhaftung des Angeklagten [X.] informierte der [X.] die [X.] erst am Nachmittag des 24. Juli 2006. An einer früheren Unterrichtung, etwa während eines Telefongesprächs am 21. Juli 2006 mit dem Berichterstatter der [X.] in [X.] wegen einer in [X.] für den 28. Juli 2006 anberaumten kommissarischen Zeugenvernehmung, sah sich der Verteidiger mangels Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht gehin-dert, da —ich um die Verletzung des § 203 StGB fürchtete und die Verhaftung in anderer Sache als etwaige Belastungstatsache nicht ausschließen [X.] Die [X.] erreichte den Verteidiger am 24. Juli 2006 um 16.25 Uhr. 11 Sofort von der [X.] eingeleitete Bemühungen, den Angeklagten zur Fortsetzung der Hauptverhandlung mit ihm aus [X.] nach [X.] überstellt zu bekommen, scheiterten. Schon am 25. Juli 2006 erhielt der Be-richterstatter per E-Mail von der [X.] Staatsanwältin Sch. fol-genden Bescheid: 12 —Ich habe [X.] mit [X.][der sachbearbeitende Staatsanwalt] besprochen, es ist so, dass wir den Angeschuldigten [X.] nicht an [X.] ausliefern können und ihn auch nicht für die Verhandlung —[X.] können. Herr [X.] war lange [X.] ausgeschrieben und konnte erst gerade jetzt verhaftet werden. Da [X.] [X.] Staatsangehöriger ist, besteht Fluchtgefahr. Diese wird dadurch vergrößert, dass [X.] mit [X.] empfindlichen, wahrscheinlich mehrjährigen Freiheitsstrafe zu [X.] hat. Ihre Verhandlung vom 27. Juli 2006 muss daher in Abwesen-heit des Angeschuldigten erfolgen. - 6 - Es tut [X.] leid, Ihnen keinen besseren Bescheid geben zu könnenfi. Am 23. August 2006 teilte Staatsanwalt [X.]von der Staatsanwalt-schaft [X.]-Sihl dem Berichterstatter fernmündlich mit, dass die Untersu-chungshaft bis mindestens 12. September 2006 fortdauern werde. Eine [X.] habe bislang nicht gefertigt werden können, da die [X.] zur Last gelegten Taten insbesondere - —mafiös geprägtefi - Bezüge nach [X.] und [X.] aufwiesen und deshalb die Ermittlungen umfangreich und schwierig [X.]. Mit einem Beginn des Hauptverfahrens sei im Verlauf des Jahres 2006 [X.] nicht mehr zu rechnen. Am 18. September 2006 ergänzte Staatsanwalt [X.] dies dahingehend, dass die Haft nunmehr mindestens bis zum [X.] andauere. Mit einem Abschluss des Verfahrens in [X.] kön-ne in absehbarer [X.] eher nicht gerechnet werden. [X.] könne allenfalls davon ausgegangen werden, dass am Ende des Jahres 2006 eine Anklageschrift gegen [X.] vorliege. 13 Die [X.] des [X.] beschloss am 27. Juli 2006, die Hauptverhandlung gemäß § 231 Abs. 2 StPO ohne den Angeklagten fortzu-setzen. Daran hielt sie in der Folgezeit fest, auch nach einer am 4. Oktober 2006 zu Protokoll erhobenen und am 7. November 2006 ergänzten Gegenvor-stellung des Verteidigers des Angeklagten mit Beschluss vom 7. November 2006. 14 Das Fernbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung gegen ihn sei - so die [X.] - eigenmächtig. Er habe, als er sich spätestens am 14. Juli 2006 in die [X.] begab, gewusst, dass gegen ihn in [X.] wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen Betrugs und anderer Delikte er-mittelt werde. Bei deren Gewicht liege es auf der Hand, dass er als in [X.] [X.] verhaftet werden würde, wenn sein Aufenthalt in 15 - 7 - [X.] den dortigen Strafverfolgungsbehörden bekannt werden sollte. Der Angeklagte habe aber selbst dafür gesorgt, dass sein Aufenthalt in [X.] [X.] werde, als er versucht habe, vom [X.]er Flughafen aus nach [X.] auszureisen. Dadurch habe er sichergestellt, dass er vor der Ausreise einer Passkontrolle unterzogen werden würde, was dann zu seiner Festnahme ge-führt habe. Daraus ergebe sich, dass die Ursache des Fernbleibens des Ange-klagten ausschließlich im alleinigen Verantwortungsbereich des Angeklagten liegt. Die [X.] brauche deshalb nicht zu entscheiden, ob der [X.] [X.] mit diesem Verhalten seine Festnahme mit dem Ziel provoziert hat, im vorliegenden Verfahren die Aussetzung der seit 18 Monaten andauern-den Hauptverhandlung zu erzwingen. b) Die Bewertung der [X.], der Angeklagte sei bei der Fortset-zung der Hauptverhandlung - eigenmächtig - ausgeblieben (§ 231 Abs. 2 StPO) ist nach freibeweislicher (BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 24; [X.], 418) Überprüfung nicht erschüttert worden und deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. 16 Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Hauptverhandlung nicht statt (§ 230 Abs. 1 StPO); der erschienene Angeklagte darf sich aus der Hauptverhandlung nicht entfernen (§ 231 Abs. 1 Satz 1 StPO). Dies dient der Gewährleistung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in jeder Phase der Hauptverhandlung. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs, ist der Ange-klagte im Gegenzug zur Teilnahme an der Hauptverhandlung grundsätzlich verpflichtet und kann dazu auch gezwungen werden (§ 230 Abs. 2, § 231 Abs. 1 Satz 2, § 112 StPO; ein in Untersuchungshaft befindlicher Angeklagter muss vorgeführt werden, auch wenn er lieber —in Ruhe Mittagessen möchtefi, [X.], 446). Ein Angeklagter, der sich der Hauptverhandlung ent-17 - 8 - zieht, hat zwar im Grunde seinen Anspruch auf Gehör verwirkt (zur Verwirkung vgl. [X.] in [X.]/[X.], GG 50. Lfg. Art. 103 Abs. 1 Rdn. 18, 83). Wegen der besonderen Bedeutung des Rechts auf Gehör als Vorausset-zung für ein faires rechtsstaatliches Verfahren trägt die Strafprozessordnung diesem Gedanken der Verwirkung allerdings nur unter den Voraussetzungen des § 231 Abs. 2 StPO sowie des - hier nicht in Frage stehenden - § 231a StPO (und bei Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung wegen Unge-bühr - § 177 [X.] -) Rechnung. Gemäß § 231 Abs. 2 StPO kann die Hauptverhandlung in Abwesenheit eines Angeklagten zu Ende geführt werden, wenn er sich aus dieser entfernt oder zu einem Fortsetzungstermin nicht erscheint, sofern er über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. Über den bloßen Wortlaut hinaus muss der Angeklagte dabei seine Pflicht zum Verbleiben oder Wiedererscheinen eigenmächtig ver-letzt haben, denn bei genügender Entschuldigung kann sein Erscheinen auch sonst nicht erzwungen werden (vgl. § 230 Abs. 2 StPO). [X.] handelt der Angeklagte, der ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe wis-sentlich seiner Anwesenheitspflicht nicht genügt (BGHSt 37, 249, 255; BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 24). Nicht erforderlich ist die Feststellung - wie noch von der früheren Rechtsprechung gefordert (vgl. [X.], 421, 422) -, dass der Angeklagte versucht habe, im Sinne einer Boykottabsicht den —Gang der [X.] zu stören oder ihm —entgegenzutretenfi (vgl. BGHSt 37, 249, 254 f. m.w.N.). [X.] einem Fortsetzungstermin fern bleibt [X.] auch der Angeklagte, der sich schon vor dem angesetzten Termin wis-sentlich und ohne Rechtfertigungs- oder [X.], d.h. ohne Not, in eine Lage begibt, die für ihn vorhersehbar mit dem erheblichen Risiko [X.] ist, zum angesetzten Termin an der Teilnahme der Hauptverhandlung gehindert zu sein. Dem eigenmächtigen Ausbleiben im Sinne von § 231 Abs. 2 18 - 9 - StPO steht es deshalb gleich, dass sich der Angeklagte nach der Vernehmung zur Sache - vorher gilt § 231a StPO - in einen seine Verhandlungsfähigkeit aus-schließenden Zustand versetzt ([X.], 533, 535 m.w.N.). Dem ist die Situation vergleichbar, wenn ein Angeklagter während einer laufenden Haupt-verhandlung in [X.] im Ausland vorsätzlich eine Straftat von Gewicht begeht, bei deren Entdeckung er mit seiner Verhaftung rechnen muss. Anders als bei einer Inhaftierung in anderer Sache in [X.] (vgl. hierzu [X.], 295) steht dann ein Zugriff auf den Angeklagten nicht in der Macht der [X.] Strafverfolgungsorgane. Gelingt die Überstellung des [X.]n aus dem Ausland zur rechtzeitigen Fortsetzung der Hauptverhandlung in [X.] nicht, so dass das Verfahren gegen ihn ausgesetzt werden muss, dann hat der Angeklagte durch die Begehung der Straftat hierzu direkt vorsätz-lich die Ursache gesetzt. Darauf, dass sich das mit der vorsätzlichen Straftat bewusst eingegangene Risiko der Festnahme und in der Folge der Unmöglich-keit der Teilnahme des Angeklagten an der Fortsetzung der Hauptverhandlung in [X.] dann auch tatsächlich realisiert, muss sich der direkte Vorsatz nicht beziehen. Auch der Angeklagte, der darauf vertraut, seine ([X.] werde nicht entdeckt oder er könne rechtzeitig fliehen, setzt das [X.] wissentlich im Sinne von § 231 Abs. 2 StPO. Der Absicht der Verfahrens-sabotage bedarf es - wie oben ausgeführt - nicht. Nichts anderes kann gelten, wenn ein in [X.] vor Gericht stehender Angeklagter, der schon früher eine Straftat entsprechenden Gewichts im Ausland begangen hat, wegen der er - wie er weiß - auch mit seiner Verhaftung im [X.] rechnen muss, sich während des Laufs der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung ohne Not in jenes Land und dort in eine Situation mit hohem Verhaftungsrisiko begibt. So liegt der Fall hier. 19 - 10 - Am 19. Oktober 2001 war der Angeklagte wieder auf freien Fuß gekom-men. Die Vollstreckung der Reststrafe der aus den Verurteilungen des [X.] vom 10. November 1998 wegen Wertpapierfälschung (zwei Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe) und des [X.]s Mannheim we-gen [X.] (drei Jahre und vier Monate Freiheitsstrafe) gebildeten Ge-samtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten war für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt worden. Der - auch nach [X.] Recht vorbestrafte - Angeklagte hat dann im April 2002 zusammen mit seinem —Komplizenfi [X.] - so der Vorwurf - in [X.] eine schwerwiegende Betrugsstraftat mit Urkundenfälschung begangen. Er war deswegen im Jahre 2003 in [X.] auch schon verhaftet und etwa sechs Wochen lang in [X.] genommen worden. Zumindest in diesem Zusammenhang war er in [X.] erkennungsdienstlich behandelt, waren also Fingerabdrücke von ihm genommen worden. Sein mutmaßlicher Mittäter

[X.]

war im November 2005 in [X.] festgenommen worden. Anfang Februar 2006 hatte dieser den Angeklagten [X.]den [X.] Ermitt-lungsbehörden gegenüber schwer belastet, wie dem Angeklagten Mitte des Jahres 2006 bekannt war. Zum einen hatte der Angeklagte engen Kontakt zu seinem [X.] Verteidiger im dortigen Verfahren. Zum anderen wurde dem in [X.] angeschuldigten Angeklagten in der Hafteinvernahme vom 16. Juli 2006 dies auch unwidersprochen vorgehalten: 20 —Nach Kenntnisnahme von [X.] s Verhaftung ließen Sie durch Ihren Anwalt ausrichten, dass vor Ende August bzw. September kein Einver-nahmetermin möglich wäre. Weshalb [X.] Darauf erklärte der Angeklagte: 21 —Ich sprach dem Herrn Sc. , dass ich ab dem 20. Juli 2006 zur Verfü-gung stehen würde.fi - 11 - Damit wird ersichtlich auf die Gespräche des [X.] Verteidigers des Angeklagten mit dem ermittelnden Staatsanwalt in [X.] in der [X.] angespielt. 22 Vor diesem Hintergrund musste der Angeklagte jedenfalls seit Juni 2006 damit rechnen und hat auch damit gerechnet, dass ihm nunmehr bei einer [X.] in die [X.] im Falle seiner Identifizierung die erneute Verhaftung droht. Dem steht nicht entgegen, dass sich der Angeklagte, wie er vorträgt, früher [X.] unbehelligt in [X.] aufhielt, auch um der Vernehmung eines Zeugen beizuwohnen, dass er immer wieder bei seiner Lebensgefährtin an de-ren Wohnsitz in [X.] weilte, dass er Flugreisen von [X.] aus antrat, im März 2005 und schließlich noch nach [X.] zum Besuch von [X.] Ende April/Anfang Mai 2006. 23 Einen Wohnsitz hatte der Angeklagte in [X.] nicht. Bei seiner Festnahme nannte er laut Verhaftungsrapport der Kantonspolizei [X.] vom 14. Juli 2006 als Heimatadresse vielmehr [X.].

in D-

, ca. 40 km von [X.] entfernt (laut Homepage der [X.]). Bei seiner Hafteinvernahme am 16. Juli 2006 erklärte er ausdrücklich, dass er in [X.] keinen festen Wohnsitz hat. Dass der Angeklagte seinen [X.] Aufenthalt eben nicht - wie noch im Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 6. November 2007 behauptet - bei seiner Lebensgefährtin [X.]

und den zwei gemeinsamen Kindern in der [X.]. straße in [X.].

wählte, sondern diesen zwar nahe, aber in [X.] nahm, spricht nicht für sein Vertauen auf dauerhafte Freiheit in [X.]. Der Angeklagte wurde auch nicht unter der Anschrift seiner Lebensgefährtin unmittelbar zu dem über den [X.] Verteidiger in der zweiten [X.] vereinbarten [X.] am 18. August und 20. September 2006 zur Staatsanwaltschaft [X.] - 12 - [X.] geladen, sondern - mangels einer ladungsfähigen Anschrift des Ange-klagten in [X.] - nur über diese. Die Gespräche des [X.] Verteidigers am 22. und 27. Juni 2006 zur Vereinbarung der - hinausgeschobenen - [X.]e bewerteten die Ermittlungsbeamten in [X.], wie sich aus dem Vorhalt an den [X.] am 16. Juli 2006 ergibt, als Hinhaltetaktik, nachdem die Verhaftung des mutmaßlichen Mittäters [X.] bekannt geworden war. Die Fragen des Verteidigers an den ermittelnden Staatsanwalt nach einer beabsichtigten Verhaftung - auf die ein erfahrener [X.] niemals eine offene Antwort erwarten durfte - konnten in diesem [X.] nur kontraproduktiv wirken. Sie deuteten darauf hin, dass eine wirkliche Bereitschaft, sich dem Verfahren in [X.] freiwillig zu stellen, nicht besteht. 25 Vor diesem Hintergrund lag es für den - strafprozessual erfahrenen - [X.] sehr nahe, dass die [X.] Ermittlungsbehörden, nach der [X.] des [X.] , nun - ab der zweiten [X.] 2006 - ernsthaft versuchen würden, auch seiner - des [X.] - in [X.] hab-haft zu werden. Denn eine Auslieferung aus [X.] kam nicht in Betracht (Art. 16 Abs. 2 GG). 26 Beim Antritt der Flugreise nach [X.] am 14. Juli 2006 war dann in Anbetracht der damit verbundenen Sicherheitsüberprüfungen die Identifizierung des Angeklagten auf dem Flughafen [X.] sicher und - womit er rechnen musste und auch rechnete - dann auch seine Festnahme nahe liegend. Der Angeklagte wurde - von ihm deshalb auch nicht unerwartet - am 14. Juli 2006 um 20.45 Uhr bei der Ausreisekontrolle aufgrund seiner Ausschreibung in Ripol (Recherches informatisées de la police) nach [X.] in [X.] - 13 - Afis (Automated fingerprint identification System des [X.]ischen Bundes-amts für Polizei) als zur Festnahme ausgeschriebene Person erkannt, anhand seines Passes identifiziert, anschließend festgenommen und am 17. Juli 2006 in [X.] Untersuchungshaft genommen, in der er jedenfalls bis zur [X.] am 15. November 2006 ununterbrochen verblieb. Damit hat sich der Angeklagte eigenmächtig der Teilnahme an der Fort-setzung der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung in [X.] entzogen. Die Hauptverhandlung konnte in seiner Abwesenheit fort- und zu Ende geführt wer-den. Der Angeklagte hatte Gelegenheit gehabt, sich zu seinen persönlichen Verhältnissen und zur Sache zu äußern. Dass die Anwesenheit des [X.]n im weiteren Verfahren nicht erforderlich war, hat die [X.] ermes-sensfehlerfrei bejaht. 28 [X.]. § 230 Abs. 1, § 231 StPO ist deshalb jedenfalls unbegründet. 29 Darauf, ob es der Angeklagte auf die Behinderung des Verfahrens, auf dessen Boykott abgesehen hatte, kommt es - wie oben dargelegt - nicht an. Allerdings spricht einiges dafür, dass es der Angeklagte unter geschickter In-szenierung der entsprechenden Rahmenbedingungen im Juni 2006 zur [X.] seiner wahren Absicht darauf angelegt hatte, mit einer provozierten Inhaftierung in [X.] eine Aussetzung der Hauptverhandlung gegen ihn in [X.] zu erreichen. Am 19. Juni 2006 waren die Flugscheine nach [X.]ng-kok ausgestellt worden, am 22. und 27. Juni 2006 fanden die Gespräche des [X.] Verteidigers mit dem Staatsanwalt in [X.] statt, die diesen hellhö-rig machen mussten und ihn - unter diesen Voraussetzungen - dann auch [X.] machen sollten. Vom 29. Juni 2006 datiert die Rechnung für die [X.] nach [X.]. Damals neigte sich das [X.]er Verfahren nach nahezu 30 - 14 - eineinhalb Jahren [X.] ihrem Ende entgegen. Der Angeklagte musste angesichts des Gewichts der Tatvorwürfe immer noch mit der [X.] zu einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe rechnen, trotz der über zehn Jahre zurückliegenden Tatzeit und der konventionswidrigen (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) Verfahrensverzögerung, die die [X.] bei der Strafzumessung dann auch angemessen berücksichtigte. Bereits die Anklageerhebung erfolgte - auch unter Berücksichtigung der Komplexität des Sachverhalts und des [X.] der internationalen Verflechtungen - schon spät am 18. Dezember 2000 (mit Anklageschrift vom 12. Dezember 2000). Die Hauptverhandlung konnte dann aber nach mehr als vier weiteren Jahren sogar erst am 9. Februar 2005 begonnen werden. Der Angeklagte hatte das nicht zu vertreten. Die Ursache lag vielmehr in der Überlastung der Wirtschaftsstrafkammern des [X.], die - wie dem Senat bekannt ist - überproportional unter Personalkür-zungen zu leiden hatten. Verfahren, in denen keine Untersuchungshaft vollzo-gen wird und in denen keine verfahrensabkürzende Absprache zustande kommt, können nicht mehr in angemessener [X.] begonnen und abgeschlossen werden. Daher hätte der Angeklagte nach einer Aussetzung des gegen ihn ge-richteten Verfahrens schon deshalb - ganz abgesehen von der Haft in [X.] - nicht mit einem baldigen Neubeginn der Hauptverhandlung in Stutt-gart und nicht mehr mit einem wirklich belastenden Ausgang dieses Verfahrens rechnen müssen. Demgegenüber war der Gegenstand des Verfahrens in [X.] vergleichsweise neu. In diesem Verfahren musste er auf jeden Fall noch mit ernsthafter Verfolgung rechnen, sei es in [X.] oder in [X.] (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Sich diesem - zunächst - auszuliefern, um - 15 - dem älteren [X.] Verfahren - scheinbar unfreiwillig und praktisch endgül-tig - zu entgehen, lag deshalb nahe. Im [X.] Verfahren hat der [X.], wie der Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz vom 15. Oktober 2007 [X.] hat, inzwischen seine Entlassung gegen Stellung einer Kaution erreicht. [X.]Boetticher Hebenstreit Elf [X.]

Meta

1 StR 275/07

07.11.2007

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.11.2007, Az. 1 StR 275/07 (REWIS RS 2007, 1037)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2007, 1037

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