Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.09.2019, Az. 1 StR 235/19

1. Strafsenat | REWIS RS 2019, 3423

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Schlussvortrag durch einen bereits als Zeugen vernommenen Staatsanwalt


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.]. vom 11. Januar 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 51 Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.

2

Das Rechtsmittel hat mit der auf §§ 337, 22 Nr. 5 analog, § 258 Abs. 1 [X.] gestützten Verfahrensrüge, der in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommene [X.] der Staatsanwaltschaft habe unzulässigerweise umfassend den [X.] gehalten und die abschließende Beweiswürdigung vorgenommen, Erfolg. Eines [X.] auf die weitere Verfahrensrüge und die Sachrüge bedarf es daher nicht.

I.

3

Der genannten Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4

Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten - sexueller Missbrauch von Kindern und schwerer sexueller Missbrauch von Kindern an den Söhnen seiner damaligen Lebensgefährtin, den Zeugen [X.].     und [X.]- nicht eingeräumt. Seine Überzeugung von den die Strafbarkeit des Angeklagten begründenden Tatsachen hat das [X.] maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten, der Zeugen [X.].     und [X.], gestützt. Diese haben den Sachverhalt in der Hauptverhandlung im Wesentlichen wie von der [X.] festgestellt geschildert. Zu den Aussagen der Zeugen im Ermittlungsverfahren hat die [X.] polizeiliche Vernehmungsniederschriften verlesen und den die damaligen staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen durchführenden Staatsanwalt (GrL) S.         als Zeugen vernommen.

5

Da Staatsanwalt (GrL) S.         im vorliegenden Verfahren mit der Sitzungsvertretung betraut war, wurde die Staatsanwaltschaft während dessen Zeugenaussage vor der [X.] durch Oberstaatsanwalt V.  vertreten; danach übernahm wiederum Staatsanwalt (GrL) S.         die Vertretung der Staatsanwaltschaft und hielt auch für diese den [X.].

6

Die Revision rügt das Halten des [X.] durch Staatsanwalt (GrL) S.        nach dessen Vernehmung als Zeuge als verfahrensfehlerhaft und macht dabei geltend, Staatsanwalt (GrL) S.         habe im [X.] unzulässigerweise auch seine eigene Zeugenaussage gewürdigt.

II.

7

Die Revision rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass Staatsanwalt (GrL) S.         umfassend den [X.] gehalten und in diesem Rahmen das Beweisergebnis gewürdigt hat, obwohl er zuvor von der [X.] als Zeuge zur staatsanwaltschaftlichen Vernehmung der Zeugen [X.].     und [X.]vernommen worden war; die beanstandete Verfahrensweise verletzt § 22 Nr. 5 analog, § 258 Abs. 1 [X.] (§ 337 Abs. 2 [X.]).

8

1. Die Rüge ist zulässig erhoben. Das [X.] entspricht insbesondere den Anforderungen, die nach der Rechtsprechung an eine Verfahrensrüge zu stellen sind (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Februar 2018 - 4 StR 550/17 mwN; [X.], [X.], 8. Aufl., § 344 Rn. 38 f. mwN; [X.][X.], [X.], 26. Aufl., § 344 Rn. 78 mwN); der Angeklagte hat sämtliche Verfahrenstatsachen vorgetragen, die erforderlich sind, um das Revisionsgericht in die Lage zu versetzen, allein anhand des Rügevorbringens das Vorliegen des behaupteten Verfahrensfehlers festzustellen.

9

2. Die Rüge ist auch begründet. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft war mit der Stellung des Staatsanwalts im Strafverfahren unvereinbar und deshalb unzulässig.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] ist ein Staatsanwalt, der in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen worden ist, insoweit an der weiteren Wahrnehmung der Aufgaben als [X.] der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung gehindert, als zwischen dem Gegenstand seiner Zeugenaussage und der nachfolgenden Mitwirkung an der Hauptverhandlung ein unlösbarer Zusammenhang besteht ([X.], Beschlüsse vom 31. Juli 2018 - 1 StR 382/17 Rn. 12 und vom 14. Februar 2018 - 4 StR 550/17; Urteile vom 19. Oktober 1982 - 5 StR 408/82 Rn. 6 und vom 13. Juli 1966 - 2 [X.] Rn. 20, [X.]St 21, 85, 89 f.). Nimmt der Staatsanwalt im Rahmen der weiteren Sitzungsvertretung eine Würdigung seiner eigenen Zeugenaussage vor oder bezieht sich seine Mitwirkung auf einen Gegenstand, der mit seiner Aussage in einem untrennbaren Zusammenhang steht und einer gesonderten Bewertung nicht zugänglich ist, liegt ein relativer Revisionsgrund nach § 337 [X.] vor (Beschlüsse vom 31. Juli 2018 - 1 StR 382/17 Rn. 12 und vom 14. Februar 2018 - 4 StR 550/17; Urteil vom 3. Mai 1960 - 1 StR 155/60 Rn. 7, [X.]St 14, 265), der zur Aufhebung des Urteils führt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil hierauf beruht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 31. Juli 2018 - 1 StR 382/17 Rn. 12 und vom 14. Februar 2018 - 4 StR 550/17; Urteile vom 15. April 1987 - 2 [X.] Rn. 24, [X.]St 34, 352 und vom 3. Mai 1960 - 1 StR 155/60 Rn. 7, [X.]St 14, 265).

b) Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsprechung war Staatsanwalt (GrL) S.         vorliegend aus Rechtsgründen gehindert, den [X.] umfassend zu halten und das Beweisergebnis zu würdigen, soweit dieses mit den durch seine eigene Aussage eingeführten Aussagen der Zeugen [X.].     und [X.]in Zusammenhang stand.

aa) Die Aussage von Staatsanwalt (GrL) S.         vor der [X.] war ausweislich der Urteilsgründe (z.B. [X.]) gerade nicht darauf beschränkt, über Fragen der Verfahrensgestaltung oder sonstige Umstände Auskunft zu geben, die in keinem unlösbaren Zusammenhang mit dem maßgeblichen Tatgeschehen stehen und daher Gegenstand einer gesonderten Betrachtung und Würdigung sein können. Vielmehr betraf die Zeugenaussage von Staatsanwalt (GrL) S.         in der Hauptverhandlung den Inhalt von Angaben, die die maßgeblichen Belastungszeugen in früheren Vernehmungen zu den hier verfahrensgegenständlichen Taten des Angeklagten gemacht hatten. Diese Angaben der Zeugen [X.].     und [X.]waren ausweislich der Urteilsgründe für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussagen, die unter anderem auf eine [X.]analyse gestützt war, wesentlich und damit für die Überzeugungsbildung des [X.]s von Bedeutung.

bb) Staatsanwalt (GrL) S.         hätte somit zwar auch nach seiner Zeugenvernehmung weiter als [X.] am Verfahren teilnehmen können, er hätte aber im weiteren Verlauf der Verhandlung und vor allem im [X.] zum Ergebnis der Beweisaufnahme insoweit nicht Stellung nehmen dürfen, als er dabei auch seine eigene Aussage zu würdigen hatte (vgl. [X.], Urteil vom 21. Dezember 1988 - 2 [X.] Rn. 6; Beschluss vom 7. Dezember 2000 - 3 StR 382/00 Rn. 3).

Dass Staatsanwalt (GrL) S.        , wie sich aus dem von der Staatsanwaltschaft unwidersprochenen Revisionsvortrag zum Verfahrensgeschehen ergibt, umfassend den [X.] gehalten und dabei die in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise erörtert und bewertet, mithin auch zumindest konkludent die eigene Aussage gewürdigt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 31. Juli 2018 - 1 StR 382/17 Rn. 10), ist damit verfahrensfehlerhaft im Sinne des § 337 [X.].

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Verurteilung des Angeklagten auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler beruht. Für den [X.] waren die Angaben der Zeugen [X.].     und [X.]und deren Glaubhaftigkeit von ausschlaggebender Bedeutung. Dass die Ausführungen des Staatsanwalts (GrL) S.         zur Beweiswürdigung - auch diejenigen, die die Aussagen des Zeugen [X.].     und [X.]betrafen, die Gegenstand seiner eigenen Aussage waren - Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts gehabt haben, ist jedenfalls nicht auszuschließen, nachdem sich das [X.] im Rahmen seiner Würdigung eingehend mit der [X.] der Aussagen der beiden Zeugen auseinander gesetzt und dabei auch die Angaben der Zeugen in den staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen herangezogen hat ([X.] f., 14 ff., 25, 27 ff.), die allein durch die Aussage des [X.]s der Staatsanwaltschaft in die Hauptverhandlung eingeführt und von diesem im [X.] gewürdigt wurden.

Raum     

        

     Jäger     

        

Bellay

        

Rin[X.] Dr. Hohoff
ist im Urlaub und deshalb
an der Unterschriftsleistung
gehindert.

        

[X.]     

        
        

Raum   

                          

Meta

1 StR 235/19

19.09.2019

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Weiden, 11. Januar 2019, Az: 14 Js 7728/17 jug JK 3 KLs

§ 22 Nr 5 StPO, § 258 Abs 1 StPO, § 337 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.09.2019, Az. 1 StR 235/19 (REWIS RS 2019, 3423)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 3423

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 382/17 (Bundesgerichtshof)

Relativer Revisionsgrund in Strafsachen: Weitere Sitzungsvertretung durch einen als Zeugen vernommenen Staatsanwalt


4 StR 550/17 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Grenzen der Mitwirkung eines als Zeuge vernommenen Staatsanwalts


5 StR 546/13 (Bundesgerichtshof)

Beweiswürdigung im Strafverfahren: Glaubwürdigkeit eines Zeugen bei wechselndem Aussageverhalten


4 StR 550/17 (Bundesgerichtshof)


2 WD 26/09 und 2 WDB 3/09, 2 WD 26/09, 2 WDB 3/09 (Bundesverwaltungsgericht)

Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit eines erkennenden Richters; Besetzungsrüge; "unfaire" richterliche Verhandlungsführung; ununterbrochene Anwesenheit eines Sitzungsvertreters der …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 StR 382/17

4 StR 550/17

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.