Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2019, Az. 5 StR 399/19

5. Strafsenat | REWIS RS 2019, 3663

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2019:120919B5STR399.19.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
BESCHLUSS

5
StR 399/19
vom
12. September 2019
in der Strafsache
gegen

wegen
versuchten Mordes
u.a.

-
2
-
Der 5. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
und
des
Beschwerdeführers am
12. September
2019
gemäß § 349 Abs.
2 und 4
StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-richts Neuruppin
vom 10. April
2019, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist,
mit den Feststellungen aufgehoben; [X.] hiervon bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das [X.] hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen we-gen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und we-gen Bedrohung in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

1
-
3
-
I.

1. Nach den Feststellungen des [X.] war der Angeklagte seit [X.] 2017 mit der Zeugin [X.]

liiert, die ab dem Jahreswechsel 2017/2018 überwiegend bei ihm wohnte. Die Zeugin war seit vielen Jahren mit dem später Geschädigten S.

K.

eng befreundet und stellte
ihm in der [X.] ihrer Ab-wesenheit ihre Wohnung zur Verfügung. Auch der Angeklagte lernte so den Zeugen K.

kennen. Beide kamen zunächst gut miteinander aus und absol-vierten einen gemeinsamen Montageeinsatz in [X.]. Zwischen beiden ergaben sich nicht näher aufklärbare finanzielle Verflechtungen, die zumindest ein wechselseitiges Sich-Aushelfen mit Geld und den Verkauf einer [X.] zum Gegenstand hatten.

Ende Mai 2018 kühlte sich das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und der Zeugin [X.]

einerseits sowie
andererseits
dem Zeugen K.

merklich ab. Gegenüber dem Zeugen K.

schlug es schließlich in Verachtung und Feindseligkeit um. Grund hierfür war, dass der Angeklagte vom Zeugen 200 bis 500
Euro forderte, die dieser nicht bezahlte. Unabhängig von der objektiven Berechtigung dieser Forderung, lebte der Angeklagte jedenfalls in der Vorstellung, der Zeuge K.

schulde ihm noch dieses Geld. Zudem nahm der Angeklagte an, der Zeuge habe eine
sexuelle Beziehung zur Zeugin [X.]

, zumal da er nach wie vor deren Wohnung nutzte. Der Angeklagte wurde zunehmend eifersüchtig und fand sich in seinem Verdacht bestätigt, als er in der Wohnung der Zeugin ein benutztes Kondom entdeckte. Als der Zeuge [X.], den Kontakt mit dem Angeklagten zu meiden und eine Nachfrage wegen des Geldes unbeantwortet zu lassen, gelangte der Angeklagte zur Auffassung, 2
3
-
4
-
sich, sich dies auf keinen Fall gefallen zu lassen, sondern seine Interessen mit Nachdruck durchzusetzen.
Der Angeklagte bedrohte den Zeugen zwischen dem 21. Juni und 2.
Juli
2018 mit acht, teilweise im Minutenabstand gesendeten
Textnachrichten, damit dieser die finanziellen Forderungen doch noch erfülle. Der Zeuge [X.] auf die [X.] nicht und leistete
insbesondere nicht die vom Ange-klagten beanspruchte Zahlung. Der Angeklagte kam resignierend zu der [X.], dass es ihm mit dieser Methode nicht gelingen werde, den
Zeugen zur Zahlung zu bringen; er nahm von weiteren Drohungen Abstand. An seiner Wut wegen der unerledigten finanziellen Forderungen und der vermuteten sexuellen Beziehung zwischen dem Zeugen und der Zeugin [X.]

änderte sich nichts.

Am 1. September 2018 sah der unter dem Einfluss von Alkohol und Be-täubungsmitteln stehende Angeklagte, der mit dem Fahrrad unterwegs war, wie der Zeuge K.

einkaufen ging und rief im d.

, du Rattenassi!zu. Der Zeuge, der nun einen Angriff des Angeklagten befürchtete, ging be-schleunigten Schrittes zum Einkaufsmarkt. Spätestens in diesem Moment ver-dichtete sich die bei dem Angeklagten ohnehin bestehende Wut auf den [X.] und seine latente Bereitschaft, dem Zeugen sein vermeintliches Fehlverhal-ten heimzuzahlen, zu dem Entschluss eines handgreiflichen Angriffs. Der [X.] klappte ein mitgeführtes Messer auf, fuhr hinter dem Zeugen her
und stach
ihm
mit bedingtem Tötungsvorsatz von hinten knapp unterhalb der Nieren in
den Rücken. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war dabei durch das Zusammenwirken einer Impulskontrollstörung mit dem Alkohol-
und [X.] nicht ausschließbar erheblich vermindert. Das Messer blieb stecken und der Zeuge ging durch die Wucht des Stiches zu Boden. Der vom Fahrrad gestiegene Angeklagte ging zu dem am Boden liegenden Zeugen. Als dieser sich plötzlich erhob und wegrannte, folgte ihm der Angeklagte zu Fuß, 4
5
-
5
-
konnte ihn aber nicht einholen, weshalb er schließlich von der weiteren Verfol-gung Abstand nahm. Durch den Stich kam es zu einer Verletzung des Dick-darms, die ohne die alsbald durchgeführte Notoperation konkret lebensgefähr-lich gewesen wäre.

2. Das [X.] hat jede Textnachricht als eine Tat der Bedrohung angesehen und bei dem mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Messerstich das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe angenommen. Motiv des Ange-klagten sei seine Wut auf den Zeugen wegen der Nichterfüllung der finanziellen Forderungen und des vermuteten Verhältnisses mit der Zeugin [X.]

gewesen. Die Tat stehe in einem krassen Missverhältnis hierzu, [X.] sei allenfalls eine Körperverletzung wie ein Schlag auf die Nase. An der Motivlage ändere sich auch nichts dadurch, dass die tatsächliche Begehung der Tat durch die beim Angeklagten bestehende Impulskontrollstörung maßgeb-lich begünstigt worden sei. Denn ob und inwieweit sich der Angeklagte letztlich zwischen Begehung und [X.] der Tat frei habe entscheiden [X.], habe keine Auswirkungen auf die Gefühle und Motive, die ihn
dazu
veran-lasst hätten, die Möglichkeit der Tatbegehung überhaupt in Erwägung zu zie-hen.

II.

1. Das [X.] hat die Annahme des [X.] der niedrigen Beweggründe nicht tragfähig begründet.

a) Ein Beweggrund
ist dann niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Die Beurteilung der Fr

ist und

in deutlich 6
7
8
-
6
-
weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag

als verachtenswert [X.], hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des [X.] maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des [X.] und seiner Persönlichkeit zu erfolgen. Bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache kommt es [X.] an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (st. Rspr., vgl. nur [X.], Urteil vom 28. November 2018

5 StR 379/18, [X.], 206 mwN).
Wut oder Verärgerung sind als niedrig
einzustu-fen, wenn sie unter Berücksichtigung der Beziehung zwischen Täter und Opfer eines beachtlichen Grundes entbehren
(vgl. MüKo-StGB/[X.], 3. Aufl., § 211 Rn. 73 mwN).
Entscheidungserheblich sind demnach die Gründe, die den Täter in Wut oder Verzweiflung versetzt oder ihn zur Tötung aus Hass oder Ei-fersucht gebracht haben. [X.] ist eine Gesamtbetrachtung, die sowohl die näheren Umstände der Tat sowie deren Entstehungsgeschichte als auch die Persönlichkeit des [X.] und dessen Beziehung zum Opfer einschließt (MüKo-StGB/[X.], aaO,
Rn. 100 mwN).

In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die [X.], die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung ins Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmä-ßige
oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherr-schen und willensmäßig steuern kann. Dies ist nicht der Fall, wenn der Täter außer Stande ist, sich von seinen gefühlsmäßigen und triebhaften Regungen freizumachen
([X.], Beschluss vom 22. März 2017

2 [X.], [X.], 527).
9
10
-
7
-
b) Nach diesen Maßstäben sind die Ausführungen des [X.] zum Mordmerkmal der niedrigen
Beweggründe lückenhaft, denn es mangelt an der gebotenen Gesamtwürdigung.

aa) Die [X.] hat nicht näher geprüft, ob die Wut des Angeklagten auf sein Opfer ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruht, sondern sogleich auf das Missverhältnis zwischen Tat und Anlass abgestellt. Damit hat sie die
gebotene Prüfung wesentlich verkürzt. Insbesondere bleibt unberücksichtigt, dass der Zeuge dem Angeklagten

jedenfalls aus dessen Sicht

seit geraumer [X.] eine nicht unerhebliche Summe Geld schuldete
und sich verschiedenen Rückzahlungsansinnen entzogen hatte. Auch hat das [X.] nicht in
den Blick genommen, dass die Eifersucht des Angeklagten, der die Zeugin [X.]

bei sich wohnen ließ, aus seiner Sicht nicht jeden vernünftigen Grundes ent-behrte. Ob all dies geeignet ist, die Beweggründe
des Angeklagten als auf einer niedrigen Gesinnung
beruhend anzusehen, bedarf umfassender tatgerichtlicher
Bewertung.
bb) Die erforderliche neue Gesamtbetrachtung bei der Prüfung niedriger Beweggründe wird dazu Anlass geben, auch die subjektive Seite des [X.] genauer als bislang in den Blick zu nehmen.
2. Der aufgezeigte Rechtsfehler
führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes und des an sich rechtsfehlerfrei getroffenen tatein-heitlichen Schuldspruchs wegen gefährlicher Körperverletzung.

11
12
13
-
8
-
3. Nicht bestehen bleiben können auch die Schuldsprüche wegen Be-drohung in acht Fällen. Zum einen hat der [X.] zutreffend [X.] hingewiesen, dass die konkurrenzrechtliche Bewertung bei denjenigen Textnachrichten zweifelhaft ist, die binnen weniger Minuten an einem Tag ver-sandt wurden. Zum anderen liegt nach den Feststellungen des [X.] nahe, dass es sich ohnehin lediglich um eine Tat der (fehlgeschlagenen) ver-suchten Nötigung handelt, hinter der die [X.] zurücktreten würden (vgl. [X.], Beschluss vom 11.
März 2014

5 StR 20/14 mwN).

4. Um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zur Motiv-lage des Angeklagten zu ermöglichen, können lediglich die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrecht erhalten bleiben.
Insoweit bleibt die Revision des Angeklagten aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] erfolglos.

Mutzbauer
[X.]

Berger

Mosbacher

Köhler

14
15

Meta

5 StR 399/19

12.09.2019

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2019, Az. 5 StR 399/19 (REWIS RS 2019, 3663)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 3663

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 StR 399/19 (Bundesgerichtshof)

Gesamtbetrachtung bei niedrigen Beweggründen


5 StR 97/06 (Bundesgerichtshof)


5 StR 236/19 (Bundesgerichtshof)

Mordmerkmale der Grausamkeit und des niedrigen Beweggrundes bei Tötung im Rahmen einer Dreiecksbeziehung


4 StR 180/10 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen versuchten Mordes: Gefühlsregungen als niedrige Beweggründe; Rücktritt vom Tötungsversuch


1 StR 260/18 (Bundesgerichtshof)

Tötung aus niedrigen Beweggründen bei „exklusivem Besitzanspruch“


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

5 StR 379/18

2 StR 656/13

5 StR 20/14

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.