Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.01.2017, Az. 1 AZR 772/14

1. Senat | REWIS RS 2017, 16888

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Gegenstand

Entlohnungsgrundsätze - Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung


Leitsatz

Führt ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber ohne Beteiligung des Betriebsrats Maßnahmen durch, die eine Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze bewirken, können davon betroffene Arbeitnehmer nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze verlangen. Die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung trägt allerdings keinen Anspruch auf eine Vergütung, wenn diese Entlohnungsgrundsätze bereits mitbestimmungswidrig eingeführt wurden.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 5. August 2014 - 7 [X.] - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zahlung von [X.] für das [X.].

2

Der [X.]läger war zunächst bei der [X.] beschäftigt. [X.] schloss deren Insolvenzverwalter mit dem [X.]läger - wie mit der Mehrzahl der Beschäftigten - einen neuen Arbeitsvertrag. Dieser regelt [X.]. ein monatliches Bruttoentgelt sowie eine ergebnisabhängige Sonderzahlung. Weiter ist im Arbeitsvertrag vereinbart:

        

3. [X.]    

        

Das [X.] 2008 berechnet sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst einschließlich Nachtzuschläge der letzten 3 Monate vor dem Monat November 2008. Für die Zahlung gilt folgende Staffelung:

                 

nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit

25 % eines Monatsverdienstes

        
                 

nach 12 Monaten Betriebszugehörigkeit

35 % eines Monatsverdienstes

        
                 

nach 24 Monaten Betriebszugehörigkeit

45 % eines Monatsverdienstes

        
                 

nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit

55 % eines Monatsverdienstes

        
        

Für das Rumpfgeschäftsjahr 2008 beträgt die Auszahlung 50 % des errechneten Betrages.

        

Ab 2009 wird das [X.] in voller Höhe nach vorstehenden Berechnungsgrundlagen bezahlt.

        

Die Auszahlung des [X.]s erfolgt mit der [X.]. Der Arbeitgeber behält sich vor, diese Leistung im Fall der wirtschaftlichen Notlage zu widerrufen.“

3

Das Arbeitsverhältnis des [X.]lägers ging in der Folgezeit auf die nicht tarifgebundene Beklagte, bei der ein Betriebsrat gebildet ist, über. Diese teilte dem [X.]läger mit Schreiben vom 12. November 2012 mit, sie widerrufe „das [X.] für das [X.] aufgrund wirtschaftlicher Notlage“. Der Widerruf erfolgte gegenüber allen Arbeitnehmern, deren Arbeitsvertrag eine Widerrufsklausel vorsieht. Die Arbeitsverträge der übrigen Arbeitnehmer enthalten entweder keine Regelung zur Gewährung eines [X.]s oder keinen Widerrufsvorbehalt. Zum Zeitpunkt des Widerrufs stand die Beklagte kurz vor einer Insolvenz, die nur durch den Einstieg eines Investors abgewendet werden konnte. Dieser hatte sein finanzielles Engagement vom Widerruf des [X.]s abhängig gemacht.

4

Mit der [X.]lage hat der [X.]läger die Zahlung eines [X.]s für das [X.] geltend gemacht. Der Widerrufsvorbehalt in Nr. 3 Abs. 4 des Arbeitsvertrags sei unwirksam. Er verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot nach §§ 307, 308 Nr. 4 BGB. Es sei nicht erkennbar, in welchen Fällen eine wirtschaftliche Notlage vorliege. Diese habe auch nicht bestanden. Jedenfalls entspreche die Ausübung des Widerrufs nicht billigem Ermessen. Zudem sei der Widerruf nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung unbeachtlich. Die Beklagte habe die Entlohnungsgrundsätze geändert, weil der Widerruf nicht gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern erfolgt sei. Hierbei habe der Betriebsrat beteiligt werden müssen.

5

Der [X.]läger hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.607,58 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2012 zu zahlen.

6

Die Beklagte hat [X.]lageabweisung beantragt.

7

Das Arbeitsgericht hat der [X.]lage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das [X.] sie abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der [X.]läger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des [X.] ist unbegründet. Das [X.] hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

9

I. Der Kläger hat keinen Anspruch nach Nr. 3 Abs. 4 Satz 1 des Arbeitsvertrags auf Zahlung eines [X.]. Die Beklagte war nach Satz 2 der Vereinbarung berechtigt, die arbeitsvertragliche Zusage eines [X.] einseitig zu widerrufen. Die [X.] hält einer Inhaltskontrolle stand. Der Widerruf entsprach billigem Ermessen.

1. Nr. 3 Abs. 4 Satz 2 des Arbeitsvertrags, worin sich der Arbeitgeber vorbehalten hat, die Zahlung eines [X.] im Fall der wirtschaftlichen Notlage zu widerrufen, ist wirksam.

a) Bei der [X.] handelt es sich nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des [X.]s um eine Allgemeine Geschäftsbedingung iSd. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB.

b) Der Widerrufsvorbehalt unterliegt als eine von Rechtsvorschriften abweichende Bestimmung der uneingeschränkten Inhaltskontrolle, § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB (vgl. [X.] 11. Oktober 2006 - 5 [X.] 721/05 - Rn. 18 mwN). Einseitige Leistungsbestimmungsrechte, die dem Verwender das Recht einräumen, die Hauptleistungspflichten einzuschränken, zu verändern, auszugestalten oder zu modifizieren, unterliegen der Inhaltskontrolle. Sie weichen von dem allgemeinen Grundsatz pacta sunt servanda ab ([X.] 12. Januar 2005 - 5 [X.] 364/04 - zu [X.] 4 a der Gründe, [X.]E 113, 140).

c) Der Widerrufsvorbehalt ist nicht aus formellen Gründen unwirksam.

aa) Ein Widerrufsvorbehalt muss den formellen Anforderungen von § 308 Nr. 4 BGB gerecht werden. Bei den [X.] muss zumindest die Richtung angegeben werden, aus der der Widerruf möglich sein soll, zB wirtschaftliche Gründe, Leistung oder Verhalten des Arbeitnehmers ([X.] 21. März 2013 - 5 [X.] 651/10 - Rn. 16 mwN; 12. Januar 2005 - 5 [X.] 364/04 - zu [X.] 5 b der Gründe, [X.]E 113, 140). Dabei ist zu beachten, dass der Verwender vorgibt, was ihn zum Widerruf berechtigen soll.

bb) Diesem Transparenzgebot wird die [X.] gerecht. Der Grad der wirtschaftlichen Störung, die einen Widerruf ermöglichen soll, wird darin konkretisiert. Die Klausel stellt ausdrücklich klar, dass der Arbeitnehmer im Fall der wirtschaftlichen Notlage mit dem Widerruf der zugesagten Zahlung eines [X.] rechnen muss. Angesichts der Vielzahl der möglichen wirtschaftlichen Entwicklungen ist es nicht erforderlich, die „wirtschaftliche Notlage“ näher zu konkretisieren, etwa durch die Angabe eines [X.]raums, in dem Verluste vorliegen müssen, wie es die Revision beispielhaft meint. Der Anwendungsfall ist schon auf Ausnahmesituationen beschränkt und damit klar genug umrissen.

d) Die [X.] ist auch materiell wirksam.

aa) Die Wirksamkeit des [X.] richtet sich nach § 308 Nr. 4 BGB als der gegenüber § 307 BGB spezielleren Norm. Deren Wertungen sind im Rahmen des § 308 Nr. 4 BGB heranzuziehen. Außerdem sind nach § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen ([X.] 11. Oktober 2006 - 5 [X.] 721/05 - Rn. 19 mwN).

bb) Die Vereinbarung eines Widerrufsrechts ist nach § 308 Nr. 4 BGB zumutbar, wenn der Widerruf nicht grundlos erfolgen soll, sondern wegen der unsicheren Entwicklung der Verhältnisse als Instrument der Anpassung notwendig ist ([X.] 12. Januar 2005 - 5 [X.] 364/04 - zu [X.] 4 c der Gründe, [X.]E 113, 140). Die gebotene Interessenabwägung muss zu einer Zumutbarkeit der Klausel für den Arbeitnehmer führen. Das richtet sich in Anlehnung an § 307 BGB insbesondere nach der Art und Höhe der Leistung, die widerrufen werden soll, nach der Höhe des verbleibenden Verdienstes und der Stellung des Arbeitnehmers im Unternehmen. Unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte muss der [X.] den Widerruf typischerweise rechtfertigen. Auch wenn der Arbeitgeber im Grundsatz ein anerkennenswertes Interesse daran hat, bestimmte Leistungen, insbesondere „Zusatzleistungen“ flexibel auszugestalten, darf das Wirtschaftsrisiko des Unternehmers nicht auf den Arbeitnehmer verlagert werden. Eingriffe in den Kernbereich des Arbeitsvertrags sind nach der Wertung des § 307 Abs. 2 BGB nicht zulässig ([X.] 11. Oktober 2006 - 5 [X.] 721/05 - Rn. 21 f.).

cc) Dem wird Nr. 3 Abs. 4 Satz 2 des Arbeitsvertrags gerecht.

(1) Die Vereinbarung eines [X.] für ein dem Arbeitnehmer zugesagtes [X.] bei wirtschaftlicher Notlage des Arbeitgebers ist zulässig, wenn durch dessen Wegfall das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im Arbeitsverhältnis nicht grundlegend berührt ist. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] der Fall, soweit der im [X.] stehende widerrufliche Teil des [X.] unter [X.] liegt. Sind darüber hinaus Zahlungen des Arbeitgebers widerruflich, die keine unmittelbare Gegenleistung für die Arbeitsleistung darstellen, erhöht sich der widerrufliche Teil der Arbeitsvergütung auf [X.] des [X.]. Dem Arbeitnehmer wird hier zu seinem Vorteil eine Leistung zusätzlich zum üblichen Entgelt gewährt. Der Arbeitgeber ist dann bis zur Grenze der Willkür frei, die Voraussetzungen des Anspruchs festzulegen und dementsprechend auch den Widerruf zu erklären ([X.] 12. Januar 2005 - 5 [X.] 364/04 - zu [X.] 4 c bb der Gründe, [X.]E 113, 140).

(2) Das jährliche [X.] iHv. [X.] eines Monatsentgelts beträgt nach den Feststellungen des [X.]s [X.] des Gesamtentgelts des [X.]. Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im Arbeitsverhältnis wird daher nicht grundlegend berührt. Dem Kläger verbleibt nach den Feststellungen des [X.]s auch nach Ausübung des Widerrufsrechts eine tarifliche Vergütungshöhe.

dd) Der Widerrufsvorbehalt ist auch nicht unwirksam, weil er keine [X.] bzw. Auslauffrist enthält. Für eine solche Frist gibt es keinen Ansatz im Gesetz. Die Einräumung einer Auslauffrist ist bei der [X.] in Betracht zu ziehen ([X.] 21. März 2012 - 5 [X.] 651/10 - Rn. 18 mwN).

2. Die Beklagte hat ihr Widerrufsrecht wirksam ausgeübt.

a) Neben der Inhaltskontrolle der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen [X.] steht die [X.] gemäß § 315 BGB. Die Erklärung des Widerrufs stellt eine Bestimmung der Leistung durch den Arbeitgeber nach § 315 Abs. 1 BGB dar. Der Widerruf muss im Einzelfall billigem Ermessen entsprechen ([X.] 21. März 2012 - 5 [X.] 651/10 - Rn. 22 mwN; 20. April 2011 - 5 [X.] 191/10 - Rn. 20, [X.]E 137, 383).

b) Die in Nr. 3 Abs. 4 Satz 2 des Arbeitsvertrags geregelten tatbestandlichen Voraussetzungen des Widerrufsrechts sind erfüllt.

aa) Die Beklagte befand sich zum [X.]punkt der Ausübung des Widerrufsrechts mit Schreiben vom 12. November 2012 in einer wirtschaftlichen Notlage. Sie war nach den Feststellungen des [X.]s in ihrer Existenz bedroht und stand am Rande einer Insolvenz, die nur mit Hilfe eines Investors abgewendet werden konnte.

bb) Es kann vorliegend dahinstehen, ob die Beklagte den Widerruf nach dem Inhalt ihres Schreibens vom 12. November 2012 nur auf die streitgegenständliche Zahlung des [X.] für das [X.] begrenzt hat. Eine nur eingeschränkte Ausübung des der [X.] nach Nr. 3 Abs. 4 Satz 2 des Arbeitsvertrags zustehenden Widerrufsrechts hätte auf die Wirksamkeit des Widerrufs für das [X.] keinen Einfluss.

c) Der Widerruf wahrt auch die Grenzen billigen Ermessens iSd. § 315 Abs. 1 BGB.

aa) Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Maßgebend ist der [X.]punkt, in dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hat. Ob die Entscheidung der Billigkeit entspricht, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle, § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB ([X.] 25. Februar 2015 - 1 [X.] 642/13 - Rn. 36, [X.]E 151, 35).

bb) Danach lassen die Ausführungen des [X.]s keine Rechtsfehler erkennen. Entgegen der Auffassung der Revision ist es weder ermessensfehlerhaft noch verstößt es gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, dass die Beklagte den Arbeitnehmern, deren Vertrag keinen Widerruf vorsieht, das [X.] ausgezahlt hat. Bei Letzteren handelt es sich nicht um eine vergleichbare Gruppe von Arbeitnehmern. Der Ausspruch von Änderungskündigungen hätte angesichts der einzuhaltenden Kündigungsfristen ebenso wenig zu der erforderlichen schnellen wirtschaftlichen Entlastung der [X.] für das [X.] geführt wie Verhandlungen über eine Änderung arbeitsvertraglicher Bedingungen.

cc) Die Beklagte handelte - anders als der Kläger meint - auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil „andere Gläubiger“ keinen Beitrag zur Überwindung ihrer wirtschaftlichen Notlage geleistet hätten. Es ist bereits unklar, wie hierdurch zum Ende des Jahres 2012 eine Insolvenz hätte abgewendet werden können. Die Beklagte hat zudem in diesem Zusammenhang unwidersprochen vorgetragen, bereits zu Beginn und Mitte des Jahres 2012 hätten die Vergütungen nur aufgrund zweier privater Darlehen und eines Überbrückungsdarlehens erfolgen können, da von anderer Seite keine Liquidität zu erhalten gewesen sei. Von Juni bis September 2012 hat die Beklagte dann zur Sicherung ihrer Liquidität noch drei weitere Überbrückungsdarlehen benötigt. Angesichts dieser Situation war sie nicht verpflichtet, zunächst - mit ungewissem Ausgang - zu versuchen, andere Gläubiger zu einem Forderungsverzicht zu bewegen, bevor sie von ihrem vertraglichen Widerrufsrecht Gebrauch machte.

dd) Der mit Schreiben vom 12. November 2012 ausgesprochene Widerruf erfolgte schließlich vor dem vereinbarten Fälligkeitszeitpunkt. Eine Auslauffrist kam angesichts der nur einmal jährlich fälligen Zahlung und der unmittelbar drohenden Insolvenz der [X.] nicht in Betracht.

II. Der Kläger kann sein Begehren nicht mit Erfolg darauf stützen, die Beklagte habe beim Widerruf ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] verletzt. Diese ist auch nach den sich aus der Theorie der [X.] ergebenden Grundsätzen nicht verpflichtet, ein [X.] für das [X.] zu zahlen.

1. Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein Arbeitnehmer in Fortführung der Theorie der [X.] bei einer unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] vorgenommenen Änderung der im Betrieb geltenden [X.] eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten [X.] fordern. Die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über die Vergütung wird von Gesetzes wegen ergänzt durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nach den im Betrieb geltenden [X.]n zu vergüten ([X.] 5. Mai 2015 - 1 [X.] 435/13 - Rn. 13; 22. Juni 2010 - 1 [X.] 853/08 - Rn. 43 mwN, [X.]E 135, 13).

2. Danach kann der Kläger kein [X.] für das [X.] verlangen.

a) Entgegen der Auffassung des [X.]s und der [X.] folgt dies allerdings nicht bereits daraus, dass infolge des Widerrufs des [X.] kein Regelungsspielraum für eine Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] bestand.

aa) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] hat der Betriebsrat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von [X.]n und der Einführung und Anwendung von neuen [X.] sowie deren Änderung, mitzubestimmen. Die betriebliche Lohngestaltung betrifft die Festlegung abstrakter Kriterien zur Bemessung der Leistung des Arbeitgebers, die dieser zur Abgeltung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers oder sonst mit Rücksicht auf das Arbeitsverhältnis insgesamt erbringt. [X.] sind die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen. [X.] iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] sind die abstrakt-generellen Grundsätze zur Lohnfindung. Sie bestimmen das System, nach welchem das Arbeitsentgelt für die Belegschaft oder Teile der Belegschaft ermittelt oder bemessen werden soll. Sie sind die allgemeinen Vorgaben, aus denen sich die Vergütung der Arbeitnehmer des Betriebs in abstrakter Weise ergibt. Zu diesen zählt neben der Grundentscheidung für eine Vergütung nach [X.] oder nach Leistung die daraus folgende Ausgestaltung des Systems. Für das Beteiligungsrecht des Betriebsrats kommt es nicht darauf an, auf welcher rechtlichen Grundlage die Anwendung der bisherigen [X.] erfolgt ist, etwa auf der Basis bindender Tarifverträge, einer Betriebsvereinbarung, einzelvertraglicher Absprachen oder einer vom Arbeitgeber einseitig praktizierten Vergütungsordnung. Nach der Konzeption des § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] hängt das Mitbestimmungsrecht nicht vom Geltungsgrund der Entgeltleistung, sondern nur vom Vorliegen eines kollektiven Tatbestands ab. Die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts wird allerdings nicht vom Beteiligungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] erfasst ([X.] 5. Mai 2015 - 1 [X.] 435/13 - Rn. 15 mwN; 17. Mai 2011 - 1 [X.] 797/09 - Rn. 15 ff. mwN).

bb) Ist der Arbeitgeber tarifgebunden, beschränkt sich die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] wegen § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.] auf den nicht tariflich geregelten, „freiwillig“ geleisteten übertariflichen Teil der Vergütung. Demgegenüber kann der nicht tarifgebundene Arbeitgeber - kollektivrechtlich - das gesamte Volumen der von ihm für die Vergütung der Arbeitnehmer bereitgestellten Mittel mitbestimmungsfrei festlegen und für die Zukunft ändern. Mangels [X.] leistet er sämtliche Vergütungsbestandteile „freiwillig“, weil er hierzu normativ, also gesetzlich oder tariflich, nicht verpflichtet ist. Solange er die Arbeitsleistung überhaupt vergütet, hat er die „freiwilligen“ Leistungen nicht gänzlich eingestellt. Bei einer Absenkung der Vergütung hat er daher - weil keine tarifliche Vergütungsordnung das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. [X.] ausschließt - die bisher geltenden [X.] auch bezüglich des verbleibenden Vergütungsvolumens zu beachten und im Falle ihrer Änderung die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen. Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber Teile der Vergütung den Arbeitnehmern individualvertraglich schuldet. Solche Ansprüche sind zwar nach dem Günstigkeitsprinzip im Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien zu beachten. Anders als gesetzliche oder tarifliche Regelungen stehen sie aber der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] nicht entgegen. Zudem lässt sich die Gesamtvergütung regelmäßig nicht in mehrere voneinander unabhängige Bestandteile - wie etwa Grundvergütung, Zulagen, Jahresleistungen sowie weitere Vergütungsbestandteile - aufspalten. Vielmehr bildet ihre Gesamtheit die Vergütungsordnung, bei deren Aufstellung und Veränderung der Betriebsrat mitzubestimmen hat. Die Vergütungsstruktur wird daher in der Regel geändert, wenn nur einer der mehreren Bestandteile, aus denen sich die Gesamtvergütung zusammensetzt, gestrichen, erhöht oder vermindert wird ([X.] 26. August 2008 - 1 [X.] 354/07 - Rn. 21 mwN, [X.]E 127, 297; 28. Februar 2006 - 1 [X.] - Rn. 22, [X.]E 117, 130). Dabei ist es für die betriebliche Vergütungsstruktur ohne Bedeutung, ob bestimmte Vergütungsbestandteile individualrechtlich widerruflich ausgestaltet sind oder nicht. Eine Änderung der [X.] liegt solange nicht vor, wie diese tatsächlich erbracht werden. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist daher erst gegeben, wenn sich in Ausübung bestehender Widerrufsrechte [X.] ändern. Die bloße Vereinbarung eines Widerrufsrechts für den Arbeitgeber unterfällt nicht dem Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] ([X.] 28. Februar 2006 - 1 [X.] - Rn. 25, aaO).

cc) Danach erweist sich die Begründung des [X.]s, infolge der vollständigen Einstellung der „widerruflichen Zulage“ habe kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] bestanden, da es an einem Spielraum für die Verteilung eines Zulagenvolumens gefehlt habe, als rechtsfehlerhaft. Das [X.] hat lediglich auf den Entgeltbestandteil „[X.]“ abgestellt und nicht geprüft, ob sich die bestehende Vergütungsstruktur bei der [X.] - bestehend aus der Gesamtheit aller Vergütungsbestandteile, zu denen ua. das monatliche Bruttoentgelt und die erfolgsabhängige Sonderleistung gehören - durch den nicht gegenüber allen Beschäftigten erfolgten Widerruf des [X.] geändert hat. Nur dann wäre die Maßnahme nicht mitbestimmungspflichtig gewesen.

b) Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der Kläger kann sich für seinen Anspruch nicht auf einen Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] stützen. Selbst wenn man zu seinen Gunsten von einem solchen ausgeht, ist die Klage unbegründet.

aa) Es erscheint aufgrund der bisherigen Feststellungen des [X.]s naheliegend, dass die nicht tarifgebundene Beklagte durch den Widerruf des [X.] die Vergütungsstruktur im Betrieb geändert hat und dieser Vorgang deshalb nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] mitbestimmungspflichtig war.

(1) Die Beklagte hat durch den Widerruf nicht alle Vergütungsbestandteile in Wegfall gebracht. Sie hat nur die Zahlung des [X.] für das [X.] gegenüber denjenigen Arbeitnehmern eingestellt, mit denen ein vertraglicher Widerrufsvorbehalt vereinbart war.

(2) Der nicht gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern erfolgte Widerruf spricht dafür, dass keine gleichmäßige Absenkung des [X.] aller Arbeitnehmer eintrat, sondern sich die Verteilungsrelationen im Verhältnis zu den Arbeitnehmern, denen schon bisher kein [X.] gezahlt wurde, und jenen, bei denen einen Widerruf nicht erfolgte, änderte. Wird ein Vergütungsbestandteil bei einer Gruppe von Arbeitnehmern bei im Übrigen unveränderter Entgeltstruktur nicht mehr erbracht, verändert sich der relative Abstand der jeweiligen Gesamtvergütungen zueinander (vgl. [X.] 28. April 2009 - 1 [X.] - Rn. 32, [X.]E 131, 1). Hierbei hat der Betriebsrat mitzubestimmen.

bb) Die Klage ist allerdings auch dann unbegründet, wenn die Beklagte ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht beachtet hätte. Der Kläger stützt sein Begehren allein auf diejenigen Vergütungsgrundsätze, die sich aus den im [X.] mit dem Insolvenzverwalter der Rechtsvorgängerin vereinbarten Arbeitsverträgen ergeben sollen. Er hat nicht dargelegt, dass diese mitbestimmungsgemäß eingeführt wurden.

(1) Eine mitbestimmungsgemäße Einführung der [X.], die den [X.] in den im [X.] geschlossenen Arbeitsverträgen entsprechen, läge vor, wenn diesen ein bei der Rechtsvorgängerin gebildeter Betriebsrat zugestimmt hätte. Der im Jahre 2008 geschlossene Arbeitsvertrag des [X.], der unter Nr. 2 und Nr. 7 auf nicht näher bestimmte Betriebsvereinbarungen Bezug nimmt, legt die Existenz eines Betriebsrats nahe. Ob ein bestehender Betriebsrat der Einführung solcher [X.] zugestimmt hat, hat der Kläger nicht dargelegt. Er hat auch nicht vorgetragen, bei der Einführung habe kein Betriebsrat bestanden und die Rechtsvorgängerin der [X.] habe diese daher mitbestimmungsfrei einführen können. Weiterhin ist nicht ersichtlich, ob der bei der [X.] bestehende Betriebsrat diesen [X.]n zu einem späteren [X.]punkt zugestimmt hat.

(2) Die [X.] sind auch dann nicht als mitbestimmungsgemäß eingeführt anzusehen, wenn ein bei der Rechtsvorgängerin bestehender oder der bei der [X.] bestehende Betriebsrat diese ggf. geduldet hat. Die bloße Hinnahme eines mitbestimmungswidrigen Verhaltens eines Arbeitgebers durch den Betriebsrat reicht für eine Mitbestimmung nicht aus. Diese setzt eine auf die Zustimmung zu der Maßnahme gerichtete Beschlussfassung des Betriebsrats und deren Verlautbarung gegenüber dem Arbeitgeber voraus ([X.] 5. Mai 2015 - 1 [X.] 435/13 - Rn. 31; 18. März 2014 - 1 [X.] - Rn. 33, [X.]E 147, 313). Hierfür fehlt es an Anhaltspunkten.

III. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Treber    

        

    Ahrendt    

        

    Weber    

        

        

        

    D. Wege    

        

    [X.]    

                 

Meta

1 AZR 772/14

24.01.2017

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Kempten, 28. August 2013, Az: 1 Ca 837/13, Urteil

§ 611 Abs 1 BGB, § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.01.2017, Az. 1 AZR 772/14 (REWIS RS 2017, 16888)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 16888

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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