Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.08.2021, Az. 4 StR 143/21

4. Strafsenat | REWIS RS 2021, 3488

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Revisionsbegründung in Strafsachen: Anforderungen an die Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht für zeugnisverweigerungsberechtigte Angehörige; Vortragspflicht für rügevernichtende Umstände


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 10. November 2020 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte in den Fällen [X.] bis 11. der Urteilsgründe verurteilt worden ist, und

b) im Gesamtstrafenausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten des „sexuellen Missbrauchs eines Kindes in sieben Fällen in Tateinheit mit einem sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen, des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in sechs Fällen in Tateinheit mit einem sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen, des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung und einem sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen, des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei weiteren Fällen in Tateinheit mit einem sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen und einem Beischlaf zwischen Verwandten, in einem dieser Fälle in Tateinheit mit einer vorsätzlichen Körperverletzung“, schuldig gesprochen und gegen ihn die Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verhängt.

2

Hiergegen richtet sich die mit mehreren Verfahrensbeanstandungen und der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

3

Die Revision rügt zu Recht, dass die achtjährige Tochter des Angeklagten in der Hauptverhandlung ohne vorherige Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO als Zeugin vernommen worden ist.

4

1. Die Rüge ist ordnungsgemäß erhoben. Entgegen der Auffassung des [X.] war der Beschwerdeführer nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht verpflichtet, sich in der Revisionsbegründung zum Ausschluss einer möglichen Heilung des Belehrungsverstoßes dazu zu verhalten, ob die Zeugin im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung noch einmal vernommen worden ist. In der Rechtsprechung des [X.] ist zwar anerkannt, dass ein Beschwerdeführer auch rügevernichtende Umstände vortragen muss. Dies gilt aber nur dann, wenn sich aus dem von der Revision selbst vorgetragenen oder aus Protokoll und Akteninhalt ersichtlichen Verfahrensablauf konkrete Anhaltspunkte für einen Sachverhalt ergeben, welcher der erhobenen Rüge die Grundlage entziehen kann (vgl. [X.], Beschlüsse vom 15. Januar 2014 ‒ 1 StR 302/13, [X.], 518 Rn. 8; vom 8. August 2007 ‒ 2 [X.], [X.], 717; vom 9. November 2006 ‒ 1 StR 388/06, [X.], 53, 54; vom 1. April 2004 ‒ 1 [X.], [X.]R StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Beweisantragsrecht 7; vom 29. Oktober 1997 ‒ 3 StR 481/97, [X.]R StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Abwesenheit 2; Urteil vom 28. November 1990 ‒ 3 StR 170/90, [X.]St 37, 245, 248; vgl. auch [X.], Beschluss vom 12. August 1999 ‒ 3 [X.], [X.], 49, 50 f.). Dafür, dass im vorliegenden Fall die Verletzung des Belehrungsgebots im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung geheilt worden sein könnte, geben die Verfahrensakten keinen Anhalt.

5

2. Nach der Vorschrift des § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO ist eine ‒ wie hier ‒ zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigte Person vor jeder Vernehmung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht zu belehren. Das Unterbleiben der gesetzlich vorgeschriebenen Belehrung vor der Vernehmung der Zeugin in der Hauptverhandlung vom 26. August 2020 wird durch das Sitzungsprotokoll bewiesen (§ 274 StPO). Ein Fall, in dem ausgeschlossen werden kann, dass sich der Verstoß gegen die [X.] auf das [X.] des Zeugen ausgewirkt hat, weil nach Aktenlage sicher feststeht, dass der Zeuge auch nach Belehrung ausgesagt hätte (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. Oktober 2019 ‒ 5 StR 291/19; vom 12. Januar 2011 ‒ 1 [X.]; vom 3. Mai 2006 ‒ 4 StR 40/06, [X.], 647, 648; Urteil vom 15. November 1994 ‒ 1 StR 461/94, [X.]St 40, 336, 339), liegt nicht vor, zumal sich den Verfahrensakten schon nicht entnehmen lässt, dass die Zeugin vor ihren beiden polizeilichen Vernehmungen am 17. Januar und 4. Februar 2020 jeweils ordnungsgemäß belehrt wurde.

6

Die Verletzung der [X.] aus § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO hat die Unverwertbarkeit der Aussage der Zeugin in der Hauptverhandlung zur Folge. Dies führt zur Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen [X.] 1. bis 11. der Urteilsgründe, in denen die tatrichterliche Überzeugung auf den Bekundungen der Zeugin in der Hauptverhandlung beruht.

VRin[X.] [X.] ist im
Urlaub und daher gehindert zu
unterschreiben.

        

Bender     

        

Quentin

Bender

                                   
        

     Bartel     

        

Maatsch     

        

Meta

4 StR 143/21

05.08.2021

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bielefeld, 10. November 2020, Az: 20 KLs 14/20

§ 52 Abs 1 Nr 3 StPO, § 52 Abs 3 S 1 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.08.2021, Az. 4 StR 143/21 (REWIS RS 2021, 3488)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3488


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 4 StR 143/21

Bundesgerichtshof, 4 StR 143/21, 05.08.2021.


Az. 20 KLs 14/20

Landgericht Bielefeld, 20 KLs 14/20, 10.11.2020.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

6 StR 326/20 (Bundesgerichtshof)

Strafverurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.: Beweisverwertungsverbot bei fehlerhafter Belehrung der Nebenklägerin über …


4 StR 181/11 (Bundesgerichtshof)

Revision im Strafverfahren: Zulässigkeit einer auf das Hauptverhandlungsprotokoll gestützten Rüge


4 StR 100/16 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und/oder Schutzbefohlenen: Beweisverwertungsverbot bei unterlassener Belehrung eines Zeugen über …


6 StR 340/21 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern: Beweisverwertung durch Bild-Ton-Aufzeichnung nach unterbliebener Zeugenbelehrung


4 StR 622/19 (Bundesgerichtshof)

Teileinstellung durch Gerichtsbeschluss bei mehreren Taten: Beseitigung des Verfahrenshindernisses


Referenzen
Wird zitiert von

5 StR 101/22

Zitiert

1 StR 302/13

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.