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Einstellung der künstlichen Ernährung
1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Freising vom 29.06.2015, Aktenzeichen XVII 157/12, wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- € festgesetzt.
I.
Die Betroffene erstellte am 25.01.1998 eine christliche Patientenverfügung, in der u.a. geregelt ist, dass lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben sollen, wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist, dass keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht. Hinsichtlich des genauen Wortlauts der Patientenverfügung wird auf diese (Blatt 5 d.A.) Bezug genommen.
Im Jahr 2008 erlitt die Betroffene einen Schlaganfall. Seither befindet sie sich in einem wachkomatösen Zustand (ICD-10:F03). Auf das psychiatrische Gutachten des Sachverständigen Dr. med. L. vom 17.05.2012 (Blatt 12/16 d.A.) wird verwiesen. Mit Beschluss vom 30.05.2012 ordnete das Amtsgericht Freising eine Betreuung mit umfassendem Aufgabenkreis an. Als alleinvertretungsberechtige Betreuer wurden der Sohn der Betroffenen G.R. und der Ehemann der Betroffenen F.R. bestellt.
Mit Schriftsatz vom 16.09.2014 (Blatt 42/45 d.A.) beantragten die vom Sohn der Betroffenen beauftragten Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen unter Berufung auf deren Patientenverfügung eine Therapiezieländerung dahingehend gerichtlich zu genehmigen, das Sterben der Patientin an ihrer Erkrankung zuzulassen und die Zufuhr von Nahrung und Flüssigkeit einzustellen.
Der Ehemann der Betroffenen lehnt dies ab.
Das Betreuungsgericht erholte ein Sachverständigengutachten des Klinikums der Universität R.. Die Gutachter Dr. med. R. und Prof. Dr. med. H. kamen in ihrem schriftlichen Gutachten vom 24.11.2014 (Blatt 66/79 d.A.) u.a. zu dem Ergebnis, dass nach derzeitigem medizinisch-wissenschaftlichen Stand eine Verbesserung des seit Jahren konstanten Befundes der schwersten Hirnschädigung als äußerst unwahrscheinlich anzusehen ist .
Das Betreuungsamt Freising nahm mit Schreiben vom 17.10.2014 (Blatt 51/52 d.A.) und der Verfahrenspfleger mit Schreiben vom 10.12.2014 (Blatt 81/82 d.A.) Stellung.
Der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen Rechtsanwalt P. nahm zu dem Gutachten mit Schriftsatz vom 16.12.2014 Stellung und wiederholte den Antrag auf gerichtliche Genehmigung gemäß § 1904 BGB. Dem Schriftsatz (Blatt 83/86 d.A.) war eine Stellungnahme von Frau Prof. Dr. B. vom 14.12.2014 beigefügt.
Der Betreuungsrichter hörte die Betroffene am 26.02.2015 im Beisein der beiden Betreuer, der Verfahrensbevollmächtigten des Ehemannes der Betroffenen Rechtsanwältin S., des Rechtsanwalts P.,des Verfahrenspflegers Rechtsanwalt A. und der Frau B. von der Hospizgruppe an (Blatt 97/98 d.A.). Rechtsanwältin S. nahm für den Ehemann der Betroffenen mit Schriftsatz vom 22.06.2015 (Blatt 109/121 d.A.) Stellung und trat dem Antrag des Sohnes der Betroffenen entgegen.
Mit Beschluss vom 29.06.2015 (Blatt 122/125 d.A.) lehnte das Amtsgericht den Antrag des Betreuers G.R. auf Genehmigung der Einstellung der Zufuhr von Flüssigkeit und Nahrung ab. Gegen diesen ihm am 02.07.2015 zugestellten Beschluss legte der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen mit Schriftsatz vom 08.07.2015, bei Gericht eingegangen am 10.07.2015, (Blatt 127/131 d.A.) Beschwerde ein.
Das Amtsgericht Freising hat der Beschwerde mit Beschluss vom 10.07.2015 nicht abgeholfen und die Akte dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Auf den Hinweis der Beschwerdekammer vom 24.07.2015 (Blatt 136 d.A.) nahm der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen mit Schriftsatz vom 19.08.2015 (Blatt 137/141 d.A.) Stellung und benannte darin Zeugen zu den Behandlungswünschen der Betroffenen. Die Verfahrensbevollmächtigte des Ehemannes der Betroffenen beantragte mit Schriftsatz vom 20.08.2015 (Blatt 142/143 d.A.) Zurückweisung der Beschwerde. Eine weitere Stellungnahme erfolgte darüber hinaus mit Schriftsatz vom 08.10.2015 (Blatt 152/156 d.A.). Der Verfahrenspfleger gab am 21.08.2015 eine schriftliche Stellungnahme ab (Blatt 144 d.A.). Am 16.10.2015 führte die Beschwerdekammer eine Anhörung durch. Angehört wurden die beiden Betreuer, die geladenen Zeugen R.F., E.O., D.R., C.S., A.W. und F.K., sowie die mitgebrachten Zeugen E.F. und F.S.. Auf das Sitzungsprotokoll (Blatt 158/179 d.A.) wird verwiesen. Die Verfahrensbevollmächtigte des Ehemannes der Betroffenen nahm mit Schriftsatz vom 12.11.2015 (Blatt 181/186) zur Beweisaufnahme Stellung.
II.
Die für die Betroffene gemäß § 303 Abs. 4 FamFG durch den Betreuer G.R. eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Die Voraussetzungen für eine gerichtliche Entscheidung nach § 1904 Abs. 2, 3 BGB liegen vor. Bei einer Entfernung der Magensonde und der damit verbundenen Einstellung der Zufuhr von Flüssigkeit und Nahrung verstirbt die Betroffene. Zwischen den beiden Betreuern besteht Uneinigkeit darüber, was der Wille der Betroffenen ist.
Das Erstgericht hat gem. § 298 Abs. 1 S.1 FamFG die Betroffene angehört, gem. § 298 Abs. 2 FamFG die beiden Betreuer und den Verfahrenspfleger angehört, gem. § 298 Abs. 3 FamFG einen Verfahrenspfleger bestellt und gem. § 298 Abs. 4 FamFG ein Sachverständigengutachten eingeholt und damit die Verfahrensvorschriften beachtet.
Auch nach der in der Beschwerdeinstanz zusätzlich durchgeführten Beweisaufnahme konnte sich die Beschwerdekammer keine ausreichende Überzeugung bilden, dass es dem Willen der Betroffenen entspricht, die künstliche Ernährung in der gegenwärtigen Lage einzustellen.
1. Aus der vorliegenden christlichen Patientenverfügung vom 25.01.1998 (Blatt 5 d.A.) ergibt sich nicht eindeutig ein entsprechender Wille der Betroffenen. Abgesehen davon, dass diese Patientenverfügung vor 17 Jahren verfasst wurde, ist ihr Text eher allgemein gehalten. Die Betroffene äußert darin den Wunsch, dass lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist, dass keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, oder dass auf Grund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt. Behandlung und Pflege sollen in diesen Fällen auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist. Sie möchte in Würde und Frieden sterben können, nach Möglichkeit in ihrer vertrauten Umgebung. Aktive Sterbehilfe lehne sie ab. Sie bitte um menschliche und seelsorgerliche Begleitung.
Zur Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte medizinische Maßnahmen äußert sie sich nicht, insbesondere nicht zu einer künstlichen Ernährung über eine Sonde. Des Weiteren wünschte die Betroffene, dass lebensverlängernde Maßnahmen in den genannten Fällen unterbleiben sollen. Was geschehen soll, wenn derartige Maßnahmen über einen langen Zeitraum durchgeführt wurden, ist dagegen nicht kundgetan. Insoweit ist insbesondere die ausdrückliche Ablehnung von aktiver Sterbehilfe von Bedeutung. Mittlerweile sind nach der Rechtsprechung des BGH ( BGH, 12. Zivilsenat, Beschluss vom 17.03.2003, NJW 2003, 1588 ff.; BGH, 2. Strafsenat, Urteil vom 25.06.2010, NJW 2010, 2963 ff.) alle Handlungen, die mit einer Beendigung einer ärztlichen Behandlung im Zusammenhang stehen, in einem normativ-wertenden Oberbegriff des Behandlungsabbruchs zusammenzufassen, der neben objektiven Handlungselementen auch die subjektive Zielsetzung des Handelnden umfasst, eine bereits begonnene medizinische Behandlungsmaßnahme gemäß dem Willen des Patienten insgesamt zu beenden. Vor diesen Entscheidungen, insbesondere zum Zeitpunkt der Erstellung der Patientenverfügung 1998, wurde ein Behandlungsabbruch durch Entfernen einer Magensonde jedoch vielfach als aktive Sterbehilfe gewertet. Dies entspricht auch der Lehrmeinung der katholischen Kirche. Es ist daher naheliegend, dass die Betroffene als praktizierende Katholikin diesen Begriff ebenso verstanden hat. Auf Grundlage der vorliegenden Patientenverfügung ist daher der beantragte Behandlungsabbruch nicht zu genehmigen.
2. Die Kammer konnte sich auch nicht ausreichend davon überzeugen, dass die Einstellung der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen entspricht. a) Maßgebend sind nach § 1901 Abs. 3 S. 1,2 BGB die - auch früher geäußerten - Wünsche des Betroffenen, sofern sie sich feststellen lassen, nicht durch entgegenstehende Bekundungen widerrufen sind und dem Wohl des Betreuten nicht zuwider laufen. Das Wohl des Betreuten ist dabei nicht nur objektiv, sondern - im Grundsatz sogar vorrangig - subjektiv zu verstehen; denn „zum Wohl des Betreuten gehört auch die Möglichkeit, sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen und Wünschen zu gestalten“ (§ 1901 Abs. 2 S. 2 BGB). Allerdings kommt die Berücksichtigung eines solchen (individuell) mutmaßlichen Willens nur hilfsweise in Betracht, wenn und soweit nämlich eine in einem einwilligungsfähigen Zustand getroffene „antizipative“ Willensbekundung des Betroffenen nicht zu ermitteln ist. Liegt eine solche Willensäußerung, etwa - wie hier - in Form einer sog. „Patientenverfügung“ vor, bindet sie als Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts, aber auch der Selbstverantwortung des Betroffenen den Betreuer. Die Willensbekundung des Betroffenen für oder gegen bestimmte medizinische Maßnahmen darf deshalb vom Betreuer nicht durch einen „Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen“ des Betroffenen korrigiert werden, es sei denn, dass der Betroffene sich von seiner früheren Verfügung mit erkennbarem Widerrufswillen distanziert oder die Sachlage sich nachträglich so erheblich geändert hat, dass die frühere selbstverantwortlich getroffene Entscheidung die aktuelle Sachlage nicht umfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 17.03.2003, Az.: XII ZB 2/03, NJW 2003, 1588 ff., recherchiert unter juris, Rn. 44).
Nachdem die Betroffene ausdrücklich eine aktive Sterbehilfe ablehnte und nach Auffassung der Kammer die seitens des Betreuers beantragte Einstellung von Nahrung und Flüssigkeit in der derzeitigen Situation nach dem Wertesystem der Betroffenen eine solche darstellt, kommt ein Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen der Betroffenen schon nicht in Betracht.
b) Doch selbst bei Abstellen auf den mutmaßlichen Willen der Betroffenen wäre keine andere Entscheidung veranlasst.
An die Voraussetzungen für die Annahme eines mutmaßlichen Einverständnisses sind strenge Anforderungen zu stellen. Hierbei kommt es vor allem auf frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Patienten, seine religiöse Überzeugung, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen an (vgl. BGH, 1. Strafsenat, Urteil vom 13.09.1994, NJW 1995, 204 ff.). Lassen sich auch bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung konkrete Umstände für die Feststellung des individuellen mutmaßlichen Willens nicht finden, so kann und muss auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen. Dabei ist jedoch Zurückhaltung geboten. Im Zweifel hat der Schutz menschlichen Lebens Vorrang (vgl. BGH a.a.O.).
Die angehörten Zeugen R.F., E.F., C.S., A.W., E.O. und D.R. sowie der Betreuer G.R. haben im Rahmen der Anhörung bekundet, dass die Betroffene immer wieder gesagt habe, dass sie nicht künstlich ernährt werden wolle. Dies insbesondere im Hinblick auf die künstlich ernährte, im Pflegeheim befindliche Tante A. und den ebenfalls im Pflegeheim über mehrere Jahre im Wachkoma liegenden Nachbarn H.H.. Allerdings geht aus den von den Zeugen bekundeten Äußerungen der Betroffenen hervor, dass sie durch die Patientenverfügung vermeiden wollte, überhaupt in eine derartige Situation zu gelangen. Gegenüber keinem der angehörten Zeugen hat die Betroffene ihre Auffassung zu einem Abbruch schon bestehender Maßnahmen geäußert und ob dies in ihren Augen eine aktive Sterbehilfe darstellen würde. Bei der Erforschung des mutmaßlichen Willens der Betroffenen ist auch zu berücksichtigen, dass ihre heutige Situation mit der damaligen Situation der Tante A. und des Nachbarn H. insoweit nicht vergleichbar ist, als die Betroffene nicht im Pflegeheim, sondern zu Hause gepflegt wird und ihr Ehemann und Betreuer F.R. sich umfassend um sie kümmert. Die Betroffene kommt laut den glaubwürdigen Angaben des Betreuers F.R. zwei Mal am Tag aus dem Bett und wird im Rollstuhl auch ins Freie gefahren. Das gehe dann auch ohne Sauerstoffzufuhr. Nur wenn sie im Bett liege, werde Sauerstoff benötigt. Am 04.10.2015 war die Betroffene mit ihrem Ehemann zusammen zur Segnung der Ehepaare im Freisinger Dom von 09.00 bis 12.30 Uhr. Sie brauchte in dieser Zeit keine Sauerstoffzufuhr.
Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Betroffene in ihrer Patientenverfügung den Wunsch geäußert hat, möglichst in ihrer vertrauten Umgebung zu verbleiben und um menschliche Begleitung gebeten hat. Bei einer Einstellung von Flüssigkeit und Ernährung wird sowohl von dem Sachverständigen Dr. med. R. in seinem Gutachten vom 24.11.2014, als auch von Prof. Dr. B. in deren Stellungnahme zu dem Gutachten vom 14.12.2014 eine palliativmedizinische Betreuung auf einer Palliativstation empfohlen. Der Ehemann und Betreuer F.R. hat darüber hinaus glaubhaft erklärt, nicht in der Lage zu sein, bei einer Entfernung der Magensonde den Sterbeprozess der Betroffenen zu begleiten. Unstreitig hat sich der Ehemann in den vergangenen acht Jahren zusammen mit dem Pflegedienst nahezu ausschließlich um die Betroffene gekümmert und ist daraus eine besondere Bindung entstanden. Ein Sterben ohne Begleitung durch den Ehemann dürfte dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen zuwiderlaufen. In ihrer Patientenverfügung verlangt die Betroffene, neben dem Wunsch dass lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben sollen, auch eine Behandlung und Pflege, die auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet ist. Dies kann jedenfalls so verstanden werden, dass kein weiteres zusätzliches Leid erlebt oder empfunden werden will. Bei einer Einstellung der Zufuhr von Flüssigkeit und Nahrung kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass dies für die Betroffene mit Missempfindungen verbunden ist. Der Sachverständige Dr. R. hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 24.11.2014 (Blatt 66/79 d.A.) überzeugend ausgeführt, dass die Betroffene sich derzeit nicht in einem unmittelbaren Sterbeprozess befinde. Bei ihr dürften daher nicht automatisch die selben Reaktionen auf Entzug von Flüssigkeit und Nahrung angenommen werden, wie sie bei sterbenden Menschen auftreten. Eine Behauptung, die Beendigung der Ernährung sei immer, wie auch im konkreten Fall, eine Option des friedlichen und symptomarmen Sterbens, könne nicht uneingeschränkt als zutreffend bezeichnet werden. Es sei stets die individuelle Lebenssituation zu Grunde zu legen. Bei Frau R. könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich bei der Beendigung von Ernährung- und/oder Flüssigkeitszufuhr ein Hunger- und Durstgefühl einstellen würde. Daraus ergebe sich unabdingbar auch, dass im Falle einer Beendigung der Ernährung dies unter adäquater palliativmedizinischer Symptomkontrolle erfolgen müsste. Wie dies allerdings gut bewerkstelligt werden könne, darüber gebe es keine validen Daten oder gar Empfehlungen. In der klinischen Praxis hätten sich bei Menschen in der Palliativphase, die bei Hungergefühl essen wollten, dies aber auf Grund ihrer Erkrankung nicht konnten, nicht selten angstlösende in Kombination mit sedierenden Maßnahmen als erforderlich gezeigt, um die Situation für das betroffene Individuum erträglich zu gestalten. Der Sachverständige betonte, dass die Beendigung von Ernährung nur eine mögliche Option darstelle, den Patientenwillen „Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen“ unter Wahrung der Würde von Frau R. umzusetzen. Man könne auch eine erneute Antibiotikatherapie unterlassen. Die vom Beschwerdeführer beauftragte Prof. Dr. B. kommt in ihrer Stellungnahme vom 14.12.2014 (nach Blatt 86 d.A.) zu dem Schluss, dass die Einstellung von Flüssigkeit und Ernährung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit einem leidvollen Tod verbunden sei. Ihren Ausführungen zufolge dauert der Sterbeprozess bei Einstellung der Gabe von Flüssigkeit und Ernährung in der Regel 14 Tage. Falls der Eindruck eines Leidens entstehe, könnten die Patienten mit leicht sedierenden Maßnahmen behandelt werden. Auch nach dieser Stellungnahme sind Missempfindungen der Betroffenen bei Entfernung der Magensonde jedenfalls nicht ausgeschlossen.
Nach alledem konnte die Kammer sich keine ausreichend gesicherte Überzeugung davon bilden, dass eine Entfernung der Magensonde zum jetzigen Zeitpunkt dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen entspricht. Dies vor dem Hintergrund, dass es einen gravierenden Unterschied darstellt, ob man eine medizinische Maßnahme nicht beginnt oder ob man sie unterbricht und beendet.
An dieser Einschätzung ändert auch nichts die Aussage der Zeugin F.K., die als Sprachheilpädagogin zuletzt mit der Betreuten sprechen konnte. Laut Frau K. sagte die Betroffene zu ihr spontan, dass sie sterben möchte. Zu dem Zeitpunkt dieser Äußerung waren indes die Voraussetzungen für ein Eingreifen der Patientenverfügung noch nicht gegeben. Die Betroffene hatte damals eine gute Prognose. Erst einige Tage später kam es dann zu dem Zwischenfall, der zu dem Wachkoma führte. Diese Äußerung der Betroffenen lässt auch keinen ausreichenden Schluss zu, wie sie sich in der nunmehr bestehenden konkreten Situation auch im Hinblick auf die Einstellung ihres Ehemannes entschieden hätte. Aus der persönlichen Anhörung des Ehemannes der Betroffenen und auch aus den Schriftsätzen seiner Verfahrensbevollmächtigten wird erkennbar, dass dieser sehr an seiner Ehefrau hängt und eine Einstellung der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr vehement ablehnt. Er hat allerdings im Rahmen der Anhörung durchaus glaubhaft angegeben, dass er bereit wäre, die Betroffene sterben zu lassen, jedoch nicht mittels Entfernung der Magensonde. So hat er hierzu angegeben, dass zwischenzeitlich die Blutdrucktabletten abgesetzt worden seien, die Ernährung auf 1.000 Kalorien reduziert worden sei und keine künstlichen Bewegungen der Arme und Beine zur Kreislaufanregung mehr erfolgen würden. Auch würden keine Antibiotika mehr verabreicht. Dies zeigt, dass auch der Ehemann der Betroffenen ihr Leben nicht unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten verlängern will.
3. Da aus den oben genannten Gründen die beantragte Genehmigung zur Einstellung der Zufuhr von Nahrung und Flüssigkeit nicht zu erteilen war, kann dahingestellt bleiben, ob vorliegend Art. 6 GG wie im Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten des Ehemannes der Betroffenen vom 12.11.2015 ausgeführt der Genehmigung entgegensteht. Allerdings dürfte das Grundrecht des Ehemannes aus Art. 6 GG hinter dem Grundrecht der Betroffenen aus Art. 2 GG auf Leben und Selbstbestimmung zurücktreten, wie für Art. 4 GG schon vom BGH (vgl. BGHZ 163,195,200; BGH NJW 2010, 2963 ff. Rnr. 18) entschieden wurde.
III.
Die Beschwerdekammer hat gemäß § 298 Abs. 2 FamFG die sonstigen Beteiligten und Zeugen persönlich am 16.10.2015 angehört.
Die Betroffene ist vom Erstgericht am 26.02.2015 persönlich angehört worden. Von ihrer erneuten Anhörung durch die Beschwerdekammer waren keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten, da ausweislich des Protokolls vom 26.02.2015 (Blatt 97/98 d.A.), wie schon bei der Anhörung vom 30.05.2012 (Blatt 17 d.A.), die Betroffene nicht in der Lage war, ihren Willen kund zu tun und eine Verständigung mit ihr nicht möglich war. Sie reagierte weder auf Ansprache noch auf Berührung. Auch der Sachverständige Dr. R. hat in seinem Gutachten auf Seite 6 (Blatt 71 d.A.) ausgeführt, dass Frau R. auf Ansprache keinerlei Reaktionen zeigt und eine Kommunikation mit ihr nicht möglich ist.
Von einer Auferlegung der Kosten gemäß § 84 FamFG wurde abgesehen.
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache u.a. dann, wenn es zwar nicht um die Klärung einer für eine Vielzahl von Fällen bedeutsamen Rechtsfrage geht, aber die Auswirkung der Rechtssache auf die Allgemeinheit deren Interessen in besonderem Maße berühren, insbesondere auf Grund ihres Gewichts für die beteiligten Verkehrskreise (vgl. BGH, NJW 2003, 65; Keidel, FamFG, 16. Auflage, § 70, Rn. 21). Klärungsbedürftig ist insoweit die Frage: 1. Ob es für die Beurteilung des mutmaßlichen Willens des Betroffenen aufgrund von Äußerungen/Wünschen des Betroffenen vor Eintritt des Zustandes (wie z.B. Wachkoma) eine Rolle spielt, ob eine Entscheidung über den Behandlungsabbruch zeitlich nah zum Eintritt dieses Zustandes oder erst viele Jahre danach zu treffen ist; 2. Inwieweit es für den Grad der Überzeugung vom mutmaßlichen Willen des Betroffenen von Bedeutung ist, wenn zwei Betreuer, die zu den engsten Angehörigen des Betroffenen zählen, hinsichtlich dessen mutmaßlichen Willens uneins sind und welche Rolle dabei Art. 6 GG spielt.
Datenquelle d. amtl. Textes: Bayern.Recht
Meta
17.11.2015
Entscheidung
Sachgebiet: T
Zitiervorschlag: LG Landshut, Entscheidung vom 17.11.2015, Az. 64 T 1826/15 (REWIS RS 2015, 2240)
Papierfundstellen: REWIS RS 2015, 2240
Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.
Bundesgerichtshof, XII ZB 604/15, 08.02.2017.
LG Landshut, 64 T 1826/15, 08.02.2018.
LG Landshut, 64 T 1826/15, 17.11.2015.
Bundesgerichtshof, XII ZB 107/18, 14.11.2018.
LG Landshut, 64 T 1826/15, 08.02.2018.
LG Landshut, 64 T 1826/15, 17.11.2015.
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
Auslegung einer Patientenverfügung (lebensverlängernde Maßnahme)
XII ZB 604/15 (Bundesgerichtshof)
Betreuungssache: Voraussetzung der unmittelbaren Bindungswirkung einer Patientenverfügung; Vorliegen einer konkreten Behandlungsentscheidung des Betroffenen; Auslegung der …
XII ZB 604/15 (Bundesgerichtshof)
XII ZB 61/16 (Bundesgerichtshof)
Betreuungssache: Anforderungen an Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung im Zusammenhang mit dem Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen
XII ZB 202/13 (Bundesgerichtshof)
Betreuungssache: Voraussetzungen der Entbehrlichkeit einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung für den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen; Anforderungen an die …