10. Senat | REWIS RS 2021, 9545
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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Schätzung und Sachverständigengutachten
NV: Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Schätzung der Besteuerungsgrundlage zulässig ist, ist wie die Bestimmung der maßgeblichen Schätzungskriterien eine rechtliche Beurteilung. Diese obliegt dem FG, so dass hierzu die Einholung eines Sachverständigengutachtens regelmäßig nicht in Betracht kommen dürfte.
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 30.01.2020 - 4 K 4198/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
I.
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb im Streitjahr 2010 ein Taxiunternehmen mit 30 Taxen. Den Gewinn für diesen Gewerbebetrieb ermittelte der Kläger durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1, § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Für das Streitjahr ermittelte der Kläger Umsatzerlöse in Höhe von 1.298.763,41 €. Den Gewerbeertrag gab er mit 38.333 € an. Im Rahmen einer u.a. das Streitjahr betreffenden Außenprüfung stellte der Prüfer des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --[X.]--) fest, dass die beim Kläger angestellten Fahrer keine Schichtzettel geführt hätten. Stattdessen hätten sie eine vom Kläger selbst entworfene Excel-Tabelle ausgefüllt. Diese habe keine Angaben für die Gesamtkilometer laut Tachometer zum Schichtanfang und -ende ausgewiesen. Die Werte seien zusammenfassend für einen Zeitraum von 15 Tagen nachgetragen worden. Auch habe die Tabelle vorgesehen, dass nur die Arbeitszeit, nicht jedoch Schichtanfang und -ende einzutragen gewesen seien. Es seien, wenn überhaupt, nur volle Stunden angegeben worden. Außerdem seien pauschale Kürzungen vorgenommen worden. Handschriftliche [X.] seien nicht vollständig für alle Fahrer vorhanden gewesen. Aufzeichnungen über die Art der Zahlung habe die Tabelle nicht ausgewiesen. [X.] könnten nicht tageweise zugeordnet werden.
Der Prüfer des [X.] sah die Buchführung nicht als ordnungsgemäß an und führte eine Vergleichsrechnung der Erlöse mit den [X.] sowie einen Chi-Quadrat-Test durch, die beide Auffälligkeiten auswiesen. Der Prüfer erhöhte deshalb den Gewinn für das Taxiunternehmen durch eine pauschale [X.] in Höhe von 50.000 €. Das [X.] erließ entsprechend geänderte Bescheide.
Einsprüche und Klage blieben erfolglos. Auch das Finanzgericht ([X.]) war der Ansicht, dass der Kläger seine Pflichten zur Einzelaufzeichnung im Streitjahr verletzt habe. Nach seiner Überzeugung sei der deshalb vorliegende Verstoß gegen die formellen Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung so gewichtig gewesen, dass von einer sachlichen Richtigkeit der Buchführung des [X.] im Streitjahr nicht ausgegangen werden könne. Die pauschale [X.] von 50.000 € zum Gewinn des [X.] aus dem Taxiunternehmen sei nicht zu beanstanden. Angesichts der vom Kläger erklärten Umsatzerlöse sei ein solcher pauschaler Sicherheitszuschlag wirtschaftlich vernünftig. Ausgehend von der Untersuchung der [X.] und [X.] GmbH zur Wirtschaftlichkeit des Taxigewerbes in [X.] für das [X.] sei unter Berücksichtigung der dort genannten Durchschnittswerte und eines pauschalen Abschlags von 20 % von einem Jahresumsatz pro Taxi im Streitjahr von 42.738 €, bei einem Mehrfahrzeugbetrieb von 48.172 € auszugehen. Diese Beträge lägen im Bereich der [X.]. Entsprechendes ergebe sich auch unter Berücksichtigung der sog. Tischvorlage des [X.] aus dem Erörterungstermin. Deren gemittelte Werte für die [X.] und 2011 führten ebenfalls zu einem Gesamtumsatz, der etwas über 70.000 € über dem vom Kläger erklärten Umsatz liege.
Der Kläger begehrt die Revisionszulassung wegen Verfahrensmängeln. Das [X.] sei den Beweisanträgen des [X.] nicht nachgegangen, habe die Grundsätze der Schätzung verletzt und seine Entscheidung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen.
Das [X.] tritt der Beschwerde entgegen.
II.
[X.], sie entspricht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.] jedenfalls unbegründet. Es liegt keiner der vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel vor, auf dem die Entscheidung des [X.] beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O).
1. Der vom Kläger gerügte Verstoß des [X.] gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) dahingehend, dass es kein fall- und sachbezogenes Sachverständigengutachten eingeholt habe, sondern stattdessen den pauschalen Sicherheitszuschlag des [X.] von 50.000 € ausgehend von der Untersuchung der [X.] und [X.] GmbH auf Schlüssigkeit prüfe, ist nicht gegeben.
Die Ablehnung eines solchen Sachverständigengutachtens stellt unabhängig von der Frage, ob es schon ausreicht, wenn dieses schriftsätzlich vor der mündlichen Verhandlung beantragt worden ist, keinen Verfahrensmangel dar.
a) Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zulässig ist, ebenso wie die Bestimmung der maßgeblichen [X.] eine rechtliche Beurteilung erfordert, die in erster Linie dem [X.] obliegt und weder regelmäßig noch in bestimmten Einzelfällen durch ein Sachverständigengutachten vorbereitet werden muss (vgl. nur Senatsbeschluss vom 14.05.2013 - X B 176/12, [X.], 1445, Rz 28, m.w.N.).
Welche Schätzungsmethode das [X.] gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 162 der Abgabenordnung ([X.]) aufgrund seiner eigenen Schätzungsbefugnis wählt, ist grundsätzlich Sache des [X.], soweit diese Methode geeignet ist, ein schlüssiges, wirtschaftlich sinnvolles und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 08.08.2019 - X B 117/18, [X.], 1219, Rz 22).
Es ist gerechtfertigt, bei einer Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen, insbesondere bei einer nicht ordnungsgemäßen Buchführung wie hier, einen Sicherheitszuschlag vorzunehmen (Urteil des [X.] --BFH-- vom 15.04.2015 - VIII R 49/12, Rz 19, m.w.N.). Der Sicherheitszuschlag lässt sich dabei als eine griffweise Schätzung, die in einem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten oder nicht erklärten Einnahmen stehen muss, charakterisieren (vgl. nur Senatsurteil vom 20.03.2017 - X R 11/16, [X.], 272, [X.], 992, Rz 51, m.w.N.).
b) In der Beanstandung der gewählten Schätzungsmethode liegt damit die Rüge einer falschen Rechtsanwendung durch das [X.], nicht aber die Rüge eines Verstoßes gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht. Hinzu kommt, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht. Die Ermessensfreiheit findet indes dort ihre Grenzen, wo sich die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen mangels eigener Sachkunde des Gerichts aufdrängen musste (so schon BFH-Urteil vom 04.03.1993 - IV R 33/92, [X.] 1993, 739, Rz 23, m.w.N.). Auch die Plausibilität eines [X.] kann aufgrund eigener Sachkunde des Gerichts, gestützt auf allgemeine Branchenuntersuchungen, dargelegt werden.
c) Das [X.] hat sich ausweislich der Urteilsgründe ausführlich nicht nur mit den Anforderungen an die Einzelaufzeichnung von Umsätzen von Taxiunternehmen anhand von [X.] und der damit verbundenen formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung befasst. Es hat auch erläutert, wieso es unter Berücksichtigung der notwendigen Begründungstiefe das anhand einer griffweisen Schätzung gefundene Schätzungsergebnis des [X.] für so überzeugend hält, dass es dieses im Rahmen seiner eigenen Schätzungsbefugnis übernommen hat. Unter Bezugnahme auf die Untersuchung der [X.] und [X.] GmbH zur Wirtschaftlichkeit des Taxigewerbes in [X.] aus dem [X.] für das [X.] hat es den durchschnittlichen Umsatz für ein Taxiunternehmen mit 30 Taxen berechnet und das Ergebnis anhand der Zahlen aus der Tischvorlage zum Erörterungstermin verprobt, auf deren Grundlage das [X.] wiederum den Wert für das Streitjahr rechnerisch mittelt. Auch hat das [X.] aufgezeigt, warum es davon überzeugt ist, dass sich das Taxiunternehmen des [X.] von einem Durchschnittsunternehmen nicht unterscheidet.
d) Wenn der Kläger darauf verweist, dass die vom [X.] ermittelten Werte Umsatzzahlen seien und deshalb meint, sie könnten einen pauschalen Gewinnzuschlag in Höhe von 50.000 € nicht plausibilisieren, verkennt er, dass mangels substantiierten Vortrags nicht ohne weiteres davon auszugehen ist, dass der aufgrund der formell nicht ordnungsgemäßen Buchführung zu schätzende Mehrumsatz mit weiteren Betriebsausgaben verbunden sein muss.
2. Soweit der Kläger geltend macht, das [X.] habe seine Entscheidung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen, rügt er einen Verstoß des [X.] gegen den klaren Inhalt der Akten (§ 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O).
a) § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O verpflichtet das Gericht, den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen ([X.] vom 05.06.2020 - VIII B 38/19, [X.] 2020, 1267, Rz 3, m.w.N.). Das [X.] entscheidet unter Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten, wenn es seine Entscheidung maßgeblich auf in den Akten befindliche Unterlagen stützt, diese Unterlagen die durch das [X.] gezogenen Schlussfolgerungen aber nicht tragen (vgl. [X.] vom [X.] - II B 30, 32-34, 38/18, [X.], 5, [X.], 620, Leitsatz 1. und Rz 12). Eine Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O liegt dagegen nicht schon deshalb vor, wenn das [X.] eine unzutreffende Sachverhalts- oder Beweiswürdigung vornimmt.
b) Unabhängig davon, dass der Kläger lediglich pauschal rügt, das [X.] habe seine Entscheidung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen, zielt auch sein diesbezüglicher Vortrag allein darauf ab, dass das [X.] im Rahmen seiner Schätzung eine unzutreffende Sachverhaltswürdigung unter Zugrundelegung nicht relevanter Zahlen vorgenommen habe. Damit wendet sich der Kläger jedoch im [X.] allein gegen die materielle Richtigkeit der vom [X.] übernommenen Schätzung.
Macht der Kläger aber lediglich einen Rechtsfehler in Bezug auf die Höhe einer Schätzung geltend, läge lediglich ein "schlichter" [X.] vor, der nicht zur Revisionszulassung berechtigt. Dies betrifft auch den Fall einer nicht ausreichend tiefen Begründung eines [X.]. Denn anders als in einem bereits anhängigen Revisionsverfahren bedarf es für die Zulassung der Revision aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde eines qualifizierten Rechtsfehlers gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O.
c) Selbst für den Fall, dass der Kläger, der ausdrücklich Verfahrensfehler rügt, in Bezug auf die Schätzung auch diesen Revisionszulassungsgrund geltend machen wollte, läge er nicht vor. Denn ein solcher qualifizierter [X.] in Bezug auf die Höhe einer Schätzung kann nur vorliegen, wenn objektive Willkür zu bejahen ist. Dies ist erst der Fall, wenn das Schätzungsergebnis des [X.] wirtschaftlich unmöglich und damit schlechthin unvertretbar ist. Selbst ein Verstoß gegen Denkgesetze führt bei Schätzungen erst dann zur Zulassung der Revision wegen willkürlich falscher Rechtsanwendung, wenn sich das Ergebnis als offensichtlich realitätsfremd darstellt (Senatsbeschluss vom 21.07.2017 - X B 167/16, [X.] 2017, 1447, Rz 17, m.w.N.). Dies ist schon aufgrund der umfangreichen und differenzierten Begründung des [X.] zur Höhe des [X.] nicht gegeben.
Ohne Belang ist im Übrigen auch die Behauptung des [X.], das [X.] habe in Folgejahren die Art seiner Aufzeichnung akzeptiert bzw. die zeitlich später begonnene Nutzung von [X.] habe zu keinen Abweichungen zu den von ihm im Streitjahr erklärten Umsätzen geführt. In beiden Fällen betreffen die Behauptungen des [X.] nicht das Streitjahr und lassen auch nicht die vom [X.] festgestellte gravierende formelle Ordnungswidrigkeit der Buchführung entfallen. [X.] und [X.] waren gemäß § 162 Abs. 2 [X.] zur Schätzung berechtigt und verpflichtet.
3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.
4. Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O ab.
Meta
14.01.2021
Beschluss
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 30. Januar 2020, Az: 4 K 4198/16, Urteil
§ 4 Abs 1 EStG 2009, § 5 EStG 2009, § 162 Abs 2 AO, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 96 Abs 1 S 1 FGO, § 118 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 5 AO, EStG VZ 2010
Zitiervorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 14.01.2021, Az. X B 25/20 (REWIS RS 2021, 9545)
Papierfundstellen: REWIS RS 2021, 9545
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
Bezeichnung als wesentliche Betriebsgrundlage, Geldeinwurfautomaten als Kassen, Begründungspflicht eines (Un-)Sicherheitszuschlags
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Fehlende Begründungstiefe einer Schätzung kein qualifizierter Rechtsanwendungsfehler
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