Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.05.2021, Az. IX B 73/20

9. Senat | REWIS RS 2021, 5935

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Gegenstand

(Teilweise inhaltsgleich mit BFH-Beschluss vom 12.05.2021 IX B 72/20 - Verfahrensmangel: Verstoß gegen den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan)


Leitsatz

1. NV: Für die Geschäftsverteilung ist der vom Präsidium beschlossene und in der vom Präsidenten bestimmten Geschäftsstelle des FG zur Einsichtnahme aufgelegte Geschäftsverteilungsplan (§ 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 GVG) maßgebend, nicht auf der Website des Gerichts veröffentlichte Pläne oder Übersichten.

2. NV: Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Geschäftsverteilungsplans bestehen nicht, wenn die nachträgliche ("unterjährige") Änderung des gerichtlichen Geschäftsverteilungsplans durch die Einrichtung eines weiteren Senats und die damit naturgemäß einhergehende "ungenügende Auslastung des Spruchkörpers" i.S. des § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG veranlasst ist.

3. NV: Für die Einzelzuweisung einer Sache im gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan besteht ein sachlicher Grund, wenn diese durch den Senatswechsel der zuständigen Berichterstatterin veranlasst ist (§ 21e Abs. 4 GVG).

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 05.11.2020 - 8 K 566/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Revision ist nicht wegen eines [X.], auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--), zuzulassen.

2

1. Der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gerügte Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (§ 119 Nr. 1 [X.]O, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes --GG--) liegt nicht vor.

3

a) Ein Verstoß gegen den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan führt nur dann zu einem Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O und § 119 Nr. 1 [X.]O, wenn er sich zugleich als Verletzung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) darstellt (Beschluss des [X.] --BFH-- vom 23.11.2011 - IV B 30/10, [X.], 431). Dies ist allein bei willkürlichen Verstößen gegen diese Verfahrensvorschriften der Fall. Von Willkür kann nur dann die Rede sein, wenn die Entscheidung sich so weit von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.] vom 19.02.2014 - I B 14/13, [X.], 880, Rz 4; vom 13.01.2016 - IX B 94/15, [X.], 581, Rz 5; Gräber/[X.], Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 4 Rz 27, m.w.N.).

4

b) "[X.]" i.S. des § 119 Nr. 1 [X.]O ist das Gericht in der Besetzung bei der abschließenden Entscheidung. Maßgebend für die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung des [X.] ist der für diesen Zeitpunkt geltende Geschäftsverteilungsplan des Gerichts; er regelt konstitutiv auch die Zuständigkeit des [X.] für bereits anhängige Sachen. Denn der Geschäftsverteilungsplan einschließlich etwaiger Änderungen wirkt nur für die Dauer eines Geschäftsjahres ([X.]) und tritt an dessen Ende ohne weiteres Zutun außer [X.] (vgl. [X.] vom 11.07.2006 - IX B 179/05, [X.] 2006, 1873, unter [X.], Rz 5; in [X.], 431, Rz 5; jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung).

5

§ 21e Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) i.V.m. § 4 [X.]O verbietet es nicht, durch den jährlichen Geschäftsverteilungsplan bereits anhängige Sachen einem anderen Spruchkörper zuzuweisen als dem, bei dem sie im Zeitpunkt ihres Einganges anhängig geworden sind. Hierbei ist jedoch --wie bei der Verteilung der Geschäfte [X.] das Abstraktionsprinzip zu beachten. Der jeweilige Geschäftsverteilungsplan muss die Aufgaben nach allgemeinen, abstrakten und objektiven Merkmalen (d.h. nicht speziell, sondern generell) verteilen. Dies schließt zwar nicht aus, bereits anhängige, neu zu verteilende Sachen --soweit notwendig-- in gewissem Umfang zu konkretisieren. Keinesfalls dürfen aber einzelne ausgesuchte Sachen einem anderen Spruchkörper zugewiesen werden. Geschieht dies dennoch [X.] auch in dem anerkennenswerten Bemühen, bestimmte Verfahren zu [X.], wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt (vgl. [X.] in [X.] 2006, 1873, unter [X.], Rz 6; in [X.], 431, Rz 6; jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung).

6

c) Im Streitfall liegt kein Verfahrensfehler in Gestalt eines Verstoßes gegen den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan vor. Der erkennende Senat des Finanzgerichts ([X.]) war nach dem vom Kläger vorgelegten --im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung geltenden-- Geschäftsverteilungsplan u.a. für das Verfahren 8 K 566/19 zuständig. Bei diesem Verfahren handelte es sich um eines von mehreren ausdrücklich bezeichneten Verfahren, die sich gegen das Finanzamt … richteten und trotz Einganges im Jahr 2019 dem 8. und nicht dem 7. Senat zugewiesen wurden. Maßgebend ist der vom Präsidium beschlossene und in der vom Präsidenten bestimmten Geschäftsstelle des [X.] zur Einsichtnahme aufgelegte Geschäftsverteilungsplan (§ 21e Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 GVG), nicht auf der Website des Gerichts veröffentlichte Pläne oder Übersichten.

7

Zweifel an der Rechtmäßigkeit des [X.] bestehen nicht. Dies gilt nach den zuvor dargestellten Grundsätzen auch im Hinblick darauf, dass durch den (jährlichen) Geschäftsverteilungsplan bereits anhängige Sachen einem anderen Spruchkörper zugewiesen werden als dem, bei dem sie im Zeitpunkt ihres Einganges anhängig geworden sind (Abgabe vom 7. Senat an den 6. Senat und später an den 8. Senat). Die nachträgliche ("unterjährige") Änderung war --worauf der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) zu Recht hinweist-- durch die Einrichtung des 8. Senats und die damit naturgemäß einhergehende "ungenügende Auslastung des [X.]" i.S. des § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG veranlasst.

8

Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip vor. Zwar handelt es sich bei dem Verfahren, das der Vorentscheidung zu Grunde liegt, um eines von insgesamt vier einzeln zugewiesenen Verfahren (das Finanzamt … betreffend), für die der 8. Senat zuständig sein sollte. Das [X.] hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Anordnung ihren Grund im Wechsel der zuständigen Berichterstatterin, die in der Sache bereits tätig geworden war (vgl. die mit Schreiben vom 01.07.2019 gesetzte Ausschlussfrist), in den 6. Senat bzw. 8. Senat hatte. § 21e Abs. 4 GVG sieht diese Möglichkeit der Zuständigkeitsperpetuierung ausdrücklich vor (vgl. [X.] vom 29.05.1996 - IV R 26/95, [X.] 1996, 908, unter 3., Rz 18; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 4 [X.]O Rz 94 ff.; Gräber/[X.], a.a.[X.], § 4 Rz 27). Hingegen bestehen keine Hinweise auf eine Manipulation durch gezielte und willkürliche Zuweisung einzelner Sachen, etwa im Hinblick auf die Person des Prozessbevollmächtigten (dazu [X.] vom 14.11.1995 - VIII R 84/93, [X.], [X.] 1996, 416, unter [X.], Rz 21).

9

2. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O abgesehen.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

IX B 73/20

12.05.2021

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend FG Nürnberg, 5. November 2020, Az: 8 K 566/19, Urteil

§ 21e Abs 1 GVG, § 21e Abs 9 GVG, § 21e Abs 3 GVG, § 21e Abs 4 GVG, § 4 FGO, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 119 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.05.2021, Az. IX B 73/20 (REWIS RS 2021, 5935)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5935


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IX B 73/20

Bundesfinanzhof, IX B 73/20, 12.05.2021.


Az. 8 K 566/19

FG Nürnberg, 8 K 566/19, 05.11.2020.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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