Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 07.02.2012, Az. 1 ABR 77/10

1. Senat | REWIS RS 2012, 9482

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei der Anordnung von Arbeit während festgelegter Pausenzeiten


Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des [X.] vom 27. September 2010 - 2 [X.] - unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde im Übrigen teilweise aufgehoben.

2. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird Ziff. 2 des Beschlusses des [X.] vom 18. November 2009 - 7 [X.] - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

a) Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, es künftig zu unterlassen, gegenüber Beschäftigten, die nach Schicht- und Dienstplänen arbeiten, anzuordnen oder zu dulden, dass diese eine Arbeitsleistung in den dort vorgesehenen Pausenzeiten erbringen.

b) Der Arbeitgeberin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung zu Ziff. 2 a ein Ordnungsgeld von bis zu 10.000,00 Euro angedroht.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat von der Arbeitgeberin die Unterlassung der Anordnung oder Duldung von Arbeit während der Pausenzeiten verlangen kann.

2

Die Arbeitgeberin betreibt ein Luftverkehrsunternehmen. Antragsteller ist der bei ihr am [X.] für das Bodenpersonal gebildete Betriebsrat.

3

Nach § 10 des für das Bodenpersonal der Arbeitgeberin geltenden Manteltarifvertrags Nr. 14 ist den Arbeitnehmern bei einer täglichen Arbeitszeit von über 4,5 Stunden eine Pause von mindestens 20 Minuten und bei einer täglichen Arbeitszeit von über 6 Stunden eine Pause von mindestens 30 Minuten zu gewähren. In der bei der Arbeitgeberin geltenden „Betriebsvereinbarung Pausen“ vom 7. Mai 2002 ist bestimmt, dass die Pausenzeiten im Voraus in Dienst- und Schichtplänen festgelegt werden müssen. Diese werden von der Arbeitgeberin unter Beteiligung des Betriebsrats aufgestellt.

4

In der Vergangenheit kam es in mindestens 36 Fällen dazu, dass Mitarbeiter die vorgesehenen Pausen nicht einhalten konnten, sondern während dieser [X.] arbeiten mussten. Die Ruhepause entfiel vollständig und wurde auch nicht zu einem späteren [X.]punkt gewährt. Die Arbeitgeberin unterrichtete den Betriebsrat hierüber jeweils nachträglich durch sog. „Überstundenmitteilungen“. Nachdem der Betriebsrat von der Arbeitgeberin verlangte sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer die festgelegten Pausen in Anspruch nehmen können, wies diese ihre Beschäftigten an, die Pausenzeiten einzuhalten. Zudem stellte sie einen weiteren Mitarbeiter in dem Tätigkeitsbereich ein, in dem überwiegend die Pausenzeiten nicht eingehalten wurden. Auch nach diesen Maßnahmen gab es weitere Fälle, in denen Beschäftigte während der festgelegten Pausenzeiten auf Anordnung oder mit Duldung der Arbeitgeberin arbeiteten.

5

Der Betriebsrat hat von der Arbeitgeberin verlangt, die Anordnung oder Duldung von Arbeit während der Pausenzeiten zu unterlassen. Er hat zuletzt beantragt,

        

1.    

der Antragsgegnerin aufzugeben, es künftig zu unterlassen, Überstunden anzuordnen oder zu dulden, die dadurch entstehen, dass die Mitarbeiter/innen, die nach Schicht- und Dienstplänen arbeiten, die dort vorgesehene Pause nicht in Anspruch nehmen, sondern durcharbeiten;

        

2.    

der Antragsgegnerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen eine Entscheidung entsprechend dem Antrag zu 1. ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gesetzt wird, anzudrohen;

        

3.    

hilfsweise der Antragsgegnerin aufzugeben, es künftig zu unterlassen, ohne Zustimmung des Betriebsrats oder einen die Zustimmung ersetzenden Spruch einer Einigungsstelle Überstunden anzuordnen oder zu dulden, die dadurch entstehen, dass die Mitarbeiter/innen, die nach Schicht- und Dienstplänen arbeiten, die dort vorgesehene Pause nicht in Anspruch nehmen, sondern durcharbeiten.

6

Die Arbeitgeberin hat zur Begründung ihres Abweisungsantrags ausgeführt, ein Großteil der Fälle, in denen in den Pausen gearbeitet worden sei, habe darauf beruht, dass die Tätigkeit der im [X.] 2008 eingeführten Personaldisponenten zeitaufwendiger gewesen sei als geplant. Dem habe sie zwischenzeitlich durch den Einsatz eines weiteren Mitarbeiters Rechnung getragen. Die Nichteinhaltung von Pausenzeiten in anderen Bereichen sei auf den zeitweise außergewöhnlich hohen Krankenstand zurückzuführen.

7

Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag entsprochen und ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 Euro angedroht; das [X.] hat die Anträge abgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

8

B. Die Rechtsbeschwerde ist überwiegend begründet. Das [X.] hat den Hauptantrag zu Unrecht abgewiesen. Die Androhung von Ordnungsgeld ist allerdings auf 10.000,00 Euro zu begrenzen.

9

I. Der Betriebsrat ist [X.]. Er stützt die geltend gemachten Unterlassungsansprüche auf Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 [X.] und den Durchführungsanspruch nach § 77 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Damit macht er eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtspositionen geltend. Ob die Rechte tatsächlich bestehen, ist eine Frage der Begründetheit.

II. Der Antrag zu 1) ist zulässig. Er bedarf allerdings der Auslegung.

1. Wie der Betriebsrat in der Anhörung vor dem Senat klargestellt hat, geht es ihm trotz der missverständlichen Formulierung nicht darum, bei der Anordnung von Arbeit während der festgelegten Pausenzeiten mitzubestimmen. Ein solches Verlangen wäre auch offensichtlich rechtswidrig, weil aufgrund der zwingenden gesetzlichen Regelung in § 4 [X.] und der Tarifregelung in § 10 [X.] die festgelegten Pausen zu gewähren sind und demzufolge die Arbeitnehmer in dieser [X.] keine Arbeitspflichten treffen. Das Begehren des Betriebsrats ist auch nicht auf eine Verschiebung des Arbeitszeitendes oder der Pause auf einen späteren [X.]punkt innerhalb einer Schicht gerichtet. Seinem gesamten Vorbringen ist vielmehr deutlich zu entnehmen, dass es ihm allein darum geht zu verhindern, dass die Arbeitgeberin während der in den gemeinsam aufgestellten Dienstplänen festgelegten Pausenzeiten Arbeit anordnet oder Arbeitsleistungen duldend entgegennimmt.

2. So verstanden ist der Antrag hinreichend bestimmt iSd. auch im Beschlussverfahren anwendbaren § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Arbeitgeberin kann erkennen, was von ihr verlangt wird. Sie soll die im Dienstplan vorgesehenen Pausenzeiten einhalten und es unterlassen, während dieser [X.]en Arbeit anzuordnen oder entgegenzunehmen. Die Arbeitgeberin hat die ihr möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um dies zu verhindern. Eine nähere Konkretisierung dieser Maßnahmen kann und muss im Erkenntnisverfahren nicht verlangt werden. Es ist vielmehr Sache der Arbeitgeberin, die nach den konkreten Umständen erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu ergreifen (vgl. [X.] 29. April 2004 - 1 [X.] - zu [X.] 1 b der Gründe, [X.]E 110, 252).

III. Der Antrag zu 1) ist begründet.

1. Der Betriebsrat kann nach § 23 Abs. 3 [X.] von der Arbeitgeberin verlangen, es zu unterlassen, während der in den Dienstplänen festgelegten Pausenzeiten für die betreffenden Mitarbeiter Arbeit anzuordnen oder Arbeitsleistungen entgegenzunehmen.

a) Nach § 23 Abs. 3 [X.] kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber bei einem groben Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus dem [X.] durch das Arbeitsgericht aufgeben lassen, eine Handlung zu unterlassen. Ein grober Verstoß des Arbeitgebers ist bei einer objektiv erheblichen und offensichtlich schwerwiegenden Pflichtverletzung zu bejahen ([X.] 19. Januar 2010 - 1 [X.] - Rn. 28, [X.]E 133, 75). Diese Anforderungen sind regelmäßig erfüllt, wenn er mehrfach und erkennbar gegen seine Pflichten aus dem [X.] verstoßen hat (vgl. [X.] 18. August 2009 -1 ABR 47/08 - Rn. 36, [X.]E 131, 342). Eine grobe Pflichtverletzung indiziert die Wiederholungsgefahr (vgl. [X.] 29. April 2004 - 1 [X.] - zu [X.] 2 [X.] der Gründe, [X.]E 110, 252). Diese ist nur dann ausgeschlossen, wenn aus faktischen oder rechtlichen Gründen eine Wiederholung des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens ausscheidet (Fitting [X.] 25. Aufl. § 23 Rn. 65). Die Zusicherung, zukünftig betriebsvereinbarungswidriges Verhalten zu unterlassen, genügt hierfür nicht ([X.] 23. Juni 1992 - 1 [X.] - zu [X.] der Gründe, [X.] [X.] 1972 § 23 Nr. 20 = EzA [X.] 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 51).

b) Nach diesen Grundsätzen hat die Arbeitgeberin grob gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten verstoßen. Das [X.] hat übersehen, dass die Arbeitgeberin gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 [X.] unter Beteiligung des Betriebsrats Dienstpläne aufgestellt hat, in denen die Pausenzeiten für die einzelnen Mitarbeiter geregelt sind. Die Einhaltung dieser Dienstpläne ist eine Verpflichtung iSd. § 23 Abs. 3 Satz 1 [X.], weil sie ihre Grundlage im [X.] hat. Die Arbeitgeberin hat die mit dem Betriebsrat vereinbarten Dienstpläne einseitig geändert, indem sie wiederholt die festgelegten Pausenzeiten aufgehoben und die betreffenden Mitarbeiter angewiesen hat, in dieser [X.] zu arbeiten, oder die von diesen in den Pausen erbrachte Arbeitsleistung duldend entgegengenommen hat. Die hierin liegende Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten ist grob. Die Arbeitgeberin war offensichtlich nicht befugt, die festgelegten Pausenzeiten einseitig aufzuheben. Die Vielzahl der Pflichtverletzungen in der Vergangenheit begründet dabei zugleich die Wiederholungsgefahr für die Zukunft. Diese ist weder durch die getroffenen Anweisungen noch durch die erfolgte Einstellung weiterer Mitarbeiter ausgeschlossen. Dagegen spricht bereits, dass es auch nach der erstinstanzlichen Entscheidung in der [X.] von Februar bis April 2010 mindestens fünf Fälle gab, in denen die festgelegten Pausenzeiten nicht eingehalten worden sind.

2. Der Arbeitgeberin war für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung nach § 23 Abs. 3 Satz 5 [X.] ein Ordnungsgeld von bis zu 10.000,00 Euro anzudrohen. Die weitergehende Ordnungsgeldandrohung im Beschluss des Arbeitsgerichts lässt die sich aus dieser Vorschrift ergebende Höchstgrenze außer Betracht ([X.] 29. April 2004 - 1 [X.] - zu B V der Gründe, [X.]E 110, 252).

3. Der Hilfsantrag ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen, nachdem der Hauptantrag erfolgreich war.

        

    Schmidt    

        

    Koch    

        

    Linck    

        

        

        

    Hayen    

        

    Hann    

                 

Meta

1 ABR 77/10

07.02.2012

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Köln, 18. November 2009, Az: 7 BV 173/09, Beschluss

§ 23 Abs 3 BetrVG, § 87 Abs 1 Nr 2 BetrVG, § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO, § 4 ArbZG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 07.02.2012, Az. 1 ABR 77/10 (REWIS RS 2012, 9482)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9482

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 ABR 42/17 (Bundesarbeitsgericht)

Unterlassungsansprüche - unzulässige Rechtsausübung


2 TaBV 11/10 (Landesarbeitsgericht Köln)


5 AZR 847/13 (Bundesarbeitsgericht)


1 AZR 642/13 (Bundesarbeitsgericht)

Pausengewährung - Annahmeverzug


5 AZR 886/12 (Bundesarbeitsgericht)

Pausengewährung - Annahmeverzug - Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.