Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.03.2023, Az. B 7 AS 129/22 B

7. Senat | REWIS RS 2023, 1944

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Anspruch auf rechtliches Gehör - Akteneinsichtsrecht


Tenor

Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 20. September 2022 werden zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung sind zurückzuweisen, weil sie jedenfalls unbegründet sind.

2

Nach § 160 Abs 2 [X.] ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat ([X.]), die Entscheidung des [X.] von einer Entscheidung des [X.], des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] oder des [X.] abweicht und auf dieser Abweichung beruht ([X.]) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann ([X.] 3). Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das [X.] in der Sache richtig entschieden hat, ist nicht zulässig.

3

Der von den Klägern behauptete Verstoß gegen § 120 [X.] durch das Übergehen von [X.] liegt nicht vor. Nach § 120 Abs 1 Satz 1 [X.] haben die Beteiligten das Recht der Einsicht in die Akten, soweit die übermittelnde Behörde dieses nicht ausschließt. Wird das Recht auf Akteneinsicht verweigert, kann darin ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 [X.]) zu sehen sein (vgl nur [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 120 Rd[X.]0 mwN). Die Kläger behaupten zwar, das [X.] habe ihre Anträge auf Akteneinsicht vom 17.12.2021, [X.] und 15.9.2022 übergangen. Dieser Vortrag entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Im Schriftsatz vom 17.12.2021 ist bereits kein Antrag auf Akteneinsicht enthalten. Dem Antrag vom [X.] ist mit Verfügung vom [X.], mit dem die Verwaltungsakten zur Einsicht an die Bevollmächtigte der Kläger übersandt worden sind, nachgekommen worden. Mit gerichtlichem Schreiben vom [X.] wurden zudem die Gerichtsakten zur Einsicht übersandt. Auf das Schreiben der Klägerbevollmächtigten vom 15.9.2022, wonach Akteneinsicht "vorerst in die Wahr- und Klagehandakten des Beklagten" gefordert worden ist, hat das Gericht mit Verfügung vom [X.] mitgeteilt, dass entsprechende Akten nicht beigezogen seien und diese damit auch nicht zur Einsicht überlassen werden könnten.

4

Die weiteren von den Klägern behaupteten Verfahrensmängel sind nicht ordnungsgemäß bezeichnet.

5

Sie [X.] zum einen, das [X.] habe ermessensfehlerhaft angenommen, die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach § 153 Abs 4 [X.] (Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, wenn das [X.] sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält) lägen vor. Sie führen zur Begründung aus, der Fall sei schwierig und komplex, weil die Entscheidung des [X.] lang sei und sich insbesondere zu einer Vielzahl verfahrensrechtlicher Fragen verhalte; zudem hätte ihren Beweisangeboten in einer mündlichen Verhandlung nachgegangen werden müssen. Warum die Länge einer Entscheidung und die Auseinandersetzung mit verfahrensrechtlichen Fragen, die sich aus der Antragstellung der Kläger im Berufungsverfahren ergeben, eine Entscheidung im [X.] ermessensfehlerhaft macht, legen die Kläger aber nicht dar, sondern belassen es im Ergebnis bei der Behauptung, aus der Länge der Entscheidung ergebe sich bereits die Schwierigkeit des Verfahrens. Zudem setzt sich die Beschwerdebegründung nicht mit dem Umstand auseinander, dass nach ihrem eigenen Vortrag das [X.] vom fehlenden Nachweis der Hilfebedürftigkeit im streitbefangenen [X.]raum ausgegangen ist und keine Anknüpfungspunkte für weitere Ermittlungen gesehen hat. Wenn sie behaupten, es sei Beweis angeboten worden durch sich unstreitig in den Akten befindliche Bescheide und Abrechnungen, handelt es sich weder um die ordnungsgemäße Darlegung eines Beweisantrags noch setzen sich die Kläger damit auseinander, dass sich das [X.] nach ihrem eigenen Vorbringen mit diesen Unterlagen in seiner Entscheidung gerade auseinandergesetzt hat.

6

Auch der behauptete Verstoß gegen § 103 [X.] ist damit nicht hinreichend dargetan. Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 [X.] stützt, muss für die ordnungsgemäße Darlegung des behaupteten [X.] einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des [X.] wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (vgl zB [X.] vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] 3 mwN). Insoweit fehlt es schon an der Wiedergabe eines Beweisantrags. Nichts anderes gilt, wenn die Kläger geltend machen, das [X.] habe Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.] verletzt, weil es Beweisanträge ohne Begründung übergangen habe. Mit dem Vortrag, sie hätten Banken vom Bankgeheimnis befreit und zum Beweis von Einkommen und Vermögen auf den ausgefüllten Folgeantrag nebst Zusatzbogen Vermögen verwiesen nebst den zu den Akten eingereichten Unterlagen, ist der behauptete Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß begründet; gleiches gilt für den behaupteten Verstoß gegen § 128 [X.].

7

Darüber hinaus [X.] die Kläger eine "Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz nach Art. [X.]. § 7 I,1 [X.]. 3 SGB II i.V.m. § [X.] und ein faires Verfahren aus Art. 20 III GG i.V.m. Art. 3 GG i.V.m. dem [X.]. § 9 SGB II sowie die Verletzung des Justizgewährungsanspruchs". Sie tragen zur Begründung vor, indem das [X.] behaupte, sich nicht von ihrer Hilfebedürftigkeit für die [X.] von Oktober 2014 bis März 2015 überzeugen zu können, seien pauschal behauptete Zweifel des Gerichts unsachlich und unfair, da diese nicht entkräftet werden könnten und damit effektiver Rechtsschutz verwehrt werde. Das [X.] hätte sich aufgrund aktenkundiger Unterlagen von der Mittellosigkeit der Kläger überzeugen können. In diesem Vortrag ist aber keine formgerechte Begründung eines [X.], sondern inhaltliche Kritik an der Entscheidung des [X.] zu sehen, die die Zulassung der Revision nicht zu begründen vermag. Denn Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (stRspr; vgl nur [X.] vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 -[X.] 1500 § 160a [X.] 7).

8

Zudem behaupten die Kläger, das [X.] habe unter Verletzung des [X.] auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren und damit willkürlich unter Verletzung des Rechts- und Sozialstaatsprinzips entschieden, in dem es behauptet habe, die Hilfebedürftigkeit für den streitbefangenen [X.]raum sei nicht nachgewiesen. Damit widerspreche das [X.] dem Gesetzeswortlaut des § 9 Abs 1 SGB II zur Hilfebedürftigkeit, bewerte gewährte geringfügige Darlehen zu Unrecht als bedarfsdeckendes Einkommen und entferne sich "vernünftig nicht mehr nachvollziehbar von einem fairen objektiven rechtsstaatlichen Verfahren". Dieser und der weitere Vortrag zum behaupteten Verfahrensmangel bezeichnet einen solchen aber nicht, sondern erschöpft sich ebenfalls in einer inhaltlichen Kritik an der Richtigkeit der Entscheidung des [X.], ein Anspruch auf Leistungen bestehe mangels nachgewiesener Hilfebedürftigkeit nicht. Nichts anderes gilt, soweit die Kläger vortragen, angesichts der vorliegenden Unterlagen sei die Entscheidung "überraschend" gewesen und von ihnen sei mit der Aufforderung darzulegen, wie der Lebensunterhalt im streitbefangenen [X.]raum gesichert worden sei, Unmögliches verlangt worden. Soweit sie behaupten, die beantragte Fristverlängerung zum Nachweis der Hilfebedürftigkeit sei nicht gewährt und damit der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verletzt worden, trifft dies in der Sache nicht zu.

9

Soweit schließlich vorgebracht wird, das [X.] habe § 157 [X.] verletzt, wonach es den Streitfall als weitere Tatsacheninstanz in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu überprüfen und alle vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen habe, und zur Begründung ausgeführt wird, das [X.] hätte nach dem Akteninhalt die Überzeugung von der bestehenden Hilfebedürftigkeit gewinnen müssen, sind diese Ausführungen ebenfalls nur als im Beschwerdeverfahren unbeachtliche inhaltliche Kritik zu verstehen. Ein Formmangel ist dadurch nicht formgerecht gerügt.

Die Kläger tragen zudem vor, die Revision sei wegen Divergenz der Entscheidung des [X.] zur Entscheidung des [X.] mit dem Aktenzeichen [X.] AS 32/08 R zuzulassen. Diesen Zulassungsgrund haben die Kläger in der Begründung der Beschwerde aber ebenfalls nicht schlüssig dargelegt (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]). Für die Bezeichnung einer Abweichung (Divergenz) ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des [X.] von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage des [X.] abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das [X.] aufgestellt hat, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das [X.] diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung der Revision wegen Abweichung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, dass das [X.] dem [X.] widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des [X.] abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl nur [X.] vom 25.9.2002 - B 7 [X.] 142/02 B - [X.] 3 - 1500 § 160a [X.] 34). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die Kläger tragen zwar vor, das [X.] habe das tragende Kriterium aufgestellt, dass Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II nicht vorliege, wenn nicht dargelegt werde, wie man offenkundig faktisch und tatsächlich überlebt habe. Dem gegenüber habe das [X.] in der genannten Entscheidung das Kriterium aufgestellt, dass eine faktische Bedarfsdeckung die Hilfebedürftigkeit nicht entfallen lasse, da allein entscheidend sei, ob im [X.] Einkommen in bedarfsdeckender Höhe zur endgültigen Verwendung zur Verfügung stehe. Damit haben die Kläger jedoch keine einander im Grundsätzlichen widersprechende Rechtssätze wiedergegeben. Vielmehr knüpft die Aussage des [X.] im Grundsatz erst an nachgewiesenes Einkommen an, woran es nach dem [X.] vorliegend gerade fehlte.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.].

S. Knickrehm

Harich

R[X.] Siefert
ist wegen Urlaubs an
der Signatur verhindert
S. Knickrehm

Meta

B 7 AS 129/22 B

08.03.2023

Bundessozialgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Darmstadt, 24. September 2021, Az: S 19 AS 14/15, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 62 SGG, § 120 Abs 1 S 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.03.2023, Az. B 7 AS 129/22 B (REWIS RS 2023, 1944)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1944

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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