Bundessozialgericht, Urteil vom 06.12.2018, Az. B 8 SO 2/17 R

8. Senat | REWIS RS 2018, 774

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialhilfe - Hilfe zur Pflege - stationäre Pflege - Tod des Leistungsberechtigten - Einrichtungsträger als Rechtsnachfolger - Vermögenseinsatz - Einsatzgemeinschaft - nicht getrennt lebender Ehegatte - Verweigerung der Vermögensverwertung - Leistungserbringung gegen Aufwendungsersatz


Leitsatz

1. Verweigert der Partner einer Einstandsgemeinschaft den Einsatz seines Vermögens zugunsten des Hilfebedürftigen, hat der Sozialhilfeträger eine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen über die Gewährung von Sozialhilfe gegen Ersatz seiner Aufwendungen (sog erweiterte bzw unechte Sozialhilfe) zu treffen.

2. Die Sonderrechtsnachfolge bei Leistungen in Einrichtungen und bei Pflegegeld nach dem Tod des Leistungsberechtigten erfasst Ansprüche auf erweiterte bzw unechte Sozialhilfe.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des [X.] vom 27. Juni 2016 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

[X.] ist ein Anspruch der [X.]lägerin als Rechtsnachfolgerin der [X.] ([X.]) auf Zahlung der [X.]osten für deren stationäre Pflege vom 2.10.2014 bis zum 18.9.2015.

2

Die [X.]lägerin betreibt in [X.] eine Pflegeeinrichtung und erbrachte [X.] (im [X.] an eine stationäre Behandlung in einem [X.]rankenhaus) ab dem 2.10.2014 bis zu ihrem Tod am 18.9.2015 auf [X.]rundlage eines Wohn- und Betreuungsvertrags (vom 2.10.2014) Pflegeleistungen. [X.] erhielt Pflegeleistungen aus der [X.] Pflegeversicherung; über weiteres Einkommen und Vermögen verfügte sie nicht. Ihr Ehemann, mit dem sie vor ihrer stationären Aufnahme eine Mietwohnung in [X.] bewohnt hatte, bezog eine [X.] Alters- und Betriebsrente (in Höhe von 471,32 Euro und 134,37 Euro monatlich) sowie eine [X.] Rente (in Höhe von 138,17 [X.] monatlich) und war Eigentümer einer Wohnung in der [X.], deren Verkehrswert zum 1.1.2014 rund 30 000 Euro betrug. Er teilte der Beklagten seit dem [X.] wiederholt mit, dass er diese Wohnung zuletzt ausschließlich allein über mehrere Monate im Jahr genutzt habe und sie geschütztes Vermögen sei. Die Mietwohnung hatte der Ehemann nach der stationären Aufnahme der [X.] noch bis Ende 2015 inne.

3

Die Beklagte lehnte den Antrag der anwaltlich vertretenen [X.] auf Leistungen der Sozialhilfe zur vollstationären Unterbringung ab, weil die Wohnung des Ehemanns verwertbares Vermögen sei (Bescheid vom 21.9.2015). Dagegen erhob die [X.]lägerin Widerspruch, nachdem sie der Beklagten den Tod der [X.] und ihren Eintritt in das Verfahren angezeigt hatte. Die Beklagte wies den Widerspruch als unzulässig zurück, weil der Ablehnungsbescheid mangels Bekanntgabe an [X.] nicht wirksam geworden sei (Widerspruchsbescheid vom 14.10.2015), und lehnte auf die [X.]lägerin übergegangene Ansprüche sodann ab (Bescheid vom 26.10.2015; Widerspruchsbescheid vom 16.11.2015).

4

Das Sozialgericht (S[X.]) [X.] hat die Beklagte verurteilt, der [X.]lägerin für die [X.] vom 2.10.2014 bis 18.9.2015 insgesamt 18 822,77 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 11.12.2015 zu zahlen (Urteil vom 15.3.2016). Die Berufung der Beklagten hat das [X.] (LS[X.]) [X.] zurückgewiesen (Beschluss vom [X.]). Zur Begründung hat das LS[X.] ausgeführt, der Anspruch der [X.] auf Hilfe zur Pflege sei unverändert auf die [X.]lägerin übergegangen. Deren ungedeckter Bedarf betrage nach den von der Beklagten nicht in Frage gestellten Berechnungen der [X.]lägerin 18 822,77 Euro. Ob die Eigentumswohnung des Ehemanns als Vermögen einzusetzen und verwertbar gewesen sei, könne offen bleiben, da er zu deren Verwertung nicht bereit gewesen sei. Damit habe sie nicht zur Bedarfsdeckung zur Verfügung gestanden. Die Rechtsnachfolge stelle das Erfordernis bereiter Mittel nicht in Frage. [X.] seien ab Rechtshängigkeit der [X.]lage zu zahlen.

5

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 19 Abs 6 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (S[X.]B XII). Der [X.]rundsatz der bereiten Mittel sei eine personenbezogene Voraussetzung für Ansprüche von Hilfebedürftigen, um existenzielle Notlagen tatsächlich zu beseitigen ("Tatsächlichkeitsprinzip"), der bei einer Rechtsnachfolge nicht anzuwenden sei, da keine Notlage mehr bestehe. Dies sei mit dem Ziel des [X.]esetzgebers, Hilfe durch Dritte zu fördern und den Leistungserbringer bei Tod des Hilfebedürftigen nicht leer ausgehen zu lassen, vereinbar, da § 19 Abs 6 S[X.]B XII nur eingeschränkt werde und juristische Personen nicht des Schutzes der Existenzsicherung bedürften. Ausnahmen und Einschränkungen bei Anspruchsübergängen seien weder § 19 Abs 6 S[X.]B XII noch der Rechtsordnung im Übrigen fremd.

6

Die Beklagte beantragt,
den Beschluss des [X.]s [X.] vom 27. Juni 2016 und das Urteil des Sozialgerichts [X.] vom 15. März 2016 aufzuheben und die [X.]lage abzuweisen.

7

Die [X.]lägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der [X.] ist im Sinne der Aufhebung des [X.] und der Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ).

[X.]egenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 26.10.2015 in der [X.]estalt des Widerspruchsbescheids vom 16.11.2015 (§ 95 S[X.][X.]), mit dem die Beklagte Zahlungen an die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der [X.] nach § 19 Abs 6 S[X.]B XII abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich die Klägerin statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 S[X.][X.]; vgl BS[X.] vom [X.] - [X.] [X.] 30/16 R - [X.] 4-3500 § 9 [X.] Rd[X.]1, auch zur Veröffentlichung in BS[X.]E vorgesehen). Die Klage ist auch im Übrigen zulässig; insbesondere steht ihr die Bestandskraft des Bescheids vom 21.9.2015 in der [X.]estalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.2015 nicht entgegen (vgl § 77 S[X.][X.]). Zwar war die Ablehnung vom 21.9.2015 den Rechtsnachfolgern der [X.] gegenüber wirksam durch Übermittlung an den Bevollmächtigten bekanntgeben worden (§ 39 Abs 1 Satz 1, § 37 Abs 1 Satz 2 iVm § 13 Abs 2 Halbsatz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - ); denn eine Unterbrechung des Verwaltungsverfahrens durch den Tod von [X.] war wegen ihrer anwaltlichen Vertretung analog § 246 Abs 1 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht eingetreten (vgl nur BS[X.] vom 13.7.2010 - [X.] [X.] 11/09 R - Juris Rd[X.]2 f). Die Klägerin hätte ihre Ansprüche als [X.]rin damit - entgegen der Auffassung der [X.] - zulässigerweise bereits zu diesem [X.]punkt weiterverfolgen können. Allerdings hat die Beklagte der Klägerin im Widerspruchsbescheid zugesagt, von Amts wegen über (nunmehr übergegangene) Ansprüche in der Sache zu entscheiden, weil das Verwaltungsverfahren aus ihrer Sicht noch nicht beendet war. Da es sich insoweit jedenfalls nicht um eine nur wiederholende Verfügung handelt, eröffnet dies eine erneute Widerspruchs- und Klagemöglichkeit unabhängig davon, ob es sich bei dem sodann ergangenen Bescheid (vom 26.10.2015) um einen Bescheid gemäß § 44 S[X.]B X oder um einen sog Zweitbescheid (vgl etwa BS[X.] [X.] 4-2600 § 89 [X.] Rd[X.] 21 mwN; kritisch [X.] in [X.] Komm, § 44 S[X.]B X Rd[X.]8, Stand Juni 2018; zum [X.]anzen auch [X.]iesbert in jurisPK-S[X.][X.], 1. Aufl 2017, § 77 Rd[X.] 71 ff) handelt.

Die Beklagte ist als örtlicher Sozialhilfeträger (§ 3 Abs 2 S[X.]B XII iVm § 1 Abs 1 des [X.]ischen [X.]esetzes zur Ausführung des [X.] - A[X.]S[X.]B XII vom 1.7.2004, [X.]Bl 469, 534, und § 131 Abs 1 [X.]emeindeordnung für [X.] - [X.]emeindeordnung <[X.]emO> vom [X.], [X.]Bl 581, bereinigt 698) sachlich zuständig (§ 97 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 S[X.]B XII iVm § 2 A[X.]S[X.]B XII). Ihre örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 98 Abs 2 Satz 1 und Satz 2 iVm § 13 Abs 2 S[X.]B XII, weil [X.] ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch [X.] - ) vor Aufnahme in die erste stationäre Einrichtung im Stadtkreis der [X.] hatte.

Im Ausgangspunkt zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass die für die stationäre Pflege der [X.] aufgebrachten Kosten von der [X.] an die Klägerin zu zahlen sind. Mangels ausreichender Feststellungen des [X.] (vgl § 163 S[X.][X.]) wegen der Einzelheiten der zwischen [X.] und der Klägerin getroffenen vertraglichen Regelung über die Heimvergütung und der zwischen den Beteiligten geltenden Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen kann der [X.] allerdings die Höhe der geschuldeten Vergütung nicht überprüfen und damit auch nicht über die Höhe der ungedeckten Heimkosten entscheiden, die den sozialhilferechtlichen Anspruch auf Hilfe zur Pflege bestimmen. Nach deren Tod steht dieser Anspruch auf stationäre Pflege, soweit die Leistung dem Berechtigten erbracht worden wäre, (nunmehr als Zahlungsanspruch) demjenigen zu, der die Leistung in der Einrichtung erbracht hat (§ 19 Abs 6 S[X.]B XII; in der Normfassung des [X.]esetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das [X.], B[X.]Bl I 3022). Die Feststellungen zu seiner Höhe wird das [X.] nachzuholen haben.

In der Sache kann auch offen bleiben, welchen Charakter die zweite Ablehnung vom 26.10.2015 im Verhältnis zu der ablehnenden Entscheidung vom 21.9.2015 in der [X.]estalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.2015 hat (vgl bereits oben). Die nur eingeschränkte Möglichkeit eines [X.]rs, ein Überprüfungsverfahren nach § 44 S[X.]B X zu führen, steht einem Anspruch jedenfalls nicht entgegen. Wie der [X.] bereits entschieden hat, bestehen keine solchen Einschränkungen, wenn die Einrichtung als [X.]r bereits in das vom Verstorbenen begonnene Verfahren eingerückt war und später ein Überprüfungsverfahren wegen ihres eigenen Anspruchs aus übergegangenem Recht betreibt (BS[X.] [X.] 4-5910 § 28 [X.] Rd[X.]2). So läge der Fall aber hier, wenn die im Widerspruchsbescheid vom 14.10.2015 angekündigte Entscheidung als Überprüfung nach § 44 S[X.]B X zu verstehen wäre.

Ob sich die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides an § 44 S[X.]B X oder im Falle eines sog [X.] an § 19 Abs 3 iVm § 61 S[X.]B XII misst, kann ebenfalls offen bleiben. Die Beklagte ist nämlich zu Unrecht zu Lebzeiten der [X.] der Schuld aus dem nach den Feststellungen des [X.] zwischen ihr (der [X.]) und der Klägerin wirksam abgeschlossenen Heimvertrag unter Hinweis auf verwertbares Vermögen des Ehemanns nicht beigetreten. [X.] war nach den Feststellungen des [X.] leistungsberechtigt nach § 61 Abs 1 Satz 1 S[X.]B XII (in der ab [X.] geltenden Normfassung - im Folgenden: alte Fassung - des [X.]esetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung vom 28.5.2008 - B[X.]Bl I 874). Danach ist Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung iS des § 61 Abs 3 S[X.]B XII aF für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen, Hilfe zur Pflege - ua als stationäre Pflege (§ 61 Abs 2 Satz 1 S[X.]B XII aF) - zu leisten.

Nach § 19 Abs 3 S[X.]B XII wird ua Hilfe zur Pflege indes nur geleistet, soweit dem Leistungsberechtigten und seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften der §§ 82 ff S[X.]B XII nicht zuzumuten ist. [X.] selbst verfügte nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 S[X.][X.]) abgesehen von den Leistungen der [X.] Pflegeversicherung über kein weiteres Einkommen oder Vermögen. Ausreichende Feststellungen, ob beim Ehemann insbesondere verwertbares Vermögen (ggf auch eigenes Einkommen in mehr als bedarfsdeckender Höhe) vorhanden war, das dieser zu [X.]unsten seiner Ehefrau auch einzusetzen hatte, hat das [X.] unter Hinweis auf fehlende bereite Mittel nicht getroffen.

Auf verwertbares Vermögen und Einkommen des Ehemanns kommt es nach der Regelung des § 19 Abs 3 S[X.]B XII allerdings nur dann nicht an, wenn die Eheleute im streitigen [X.]raum getrennt gelebt haben. Bestand hingegen während der stationären Unterbringung zwischen den Eheleuten (noch) eine sog Einsatzgemeinschaft und war dem Ehemann die Aufbringung der Mittel für die Pflege der [X.] aus seinem Einkommen und Vermögen zumutbar, stellt sich die Frage der bereiten Mittel nicht. Vielmehr kommen dann Leistungen nach § 19 Abs 5 S[X.]B XII in Betracht (dazu gleich). Für ein [X.]etrenntleben von Ehegatten ist maßgebend, ob mindestens einer von ihnen den unmissverständlichen Willen zum Ausdruck bringt, sich vom anderen Ehegatten unter Aufgabe der bisherigen Lebensgemeinschaft auf Dauer zu trennen. Im Ausgangspunkt zutreffend ist das [X.] zwar davon ausgegangen, dass weder die räumliche Trennung von Ehegatten durch die stationäre Pflege eines Ehegatten in einer Einrichtung noch die Weigerung des anderen Ehegatten, Vermögen für die Pflege einzusetzen, für sich betrachtet die Annahme eines [X.]etrenntlebens von Ehegatten rechtfertigt (vgl nur [X.] in jurisPK-S[X.]B XII, § 27 Rd[X.]4; für eine sog gemischte Bedarfsgemeinschaft nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - [X.]rundsicherung für Arbeitsuchende - BS[X.] [X.] 4-4200 § 9 [X.]2 Rd[X.]7 f). Anlass zu weitergehender Prüfung hätte hier aber bestanden, weil der Ehemann jedenfalls seit März 2015 vorerst in der [X.] lebte und unklar geblieben ist, welche Bindungen zu [X.] überhaupt noch bestanden. Auch zu der Frage, ob die Wohnung in der [X.] verwertbar und einzusetzen war (§ 90 Abs 1, Abs 2 [X.] und Abs 3 S[X.]B XII, hierzu etwa BS[X.] [X.] 4-3500 § 90 [X.]), hat das [X.] ausgehend von seiner Rechtsauffassung keine weiteren Feststellungen getroffen.

Ergibt sich im Ergebnis dieser Prüfung die Pflicht des Ehemanns zum Einsatz des Vermögens, wovon die Beklagte ausgeht, bestand wegen seiner Weigerung, dieses tatsächlich einzusetzen, ein Anspruch der [X.] auf Hilfe zur Pflege nach § 19 Abs 5 Satz 1 S[X.]B XII (ebenfalls in der Normfassung des [X.]esetzes vom 27.12.2003). Danach haben ua die in § 19 Abs 3 S[X.]B XII genannten Personen, denen die Aufbringung der Mittel iS des § 19 Abs 3 S[X.]B XII zuzumuten ist, dem Träger der Sozialhilfe Aufwendungen in dem Umfang zu ersetzen, in dem Leistungen erbracht worden sind. Unter welchen Voraussetzungen eine Leistung gegen Aufwendungsersatz erbracht werden darf, obwohl die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen zumutbar ist (sog erweiterte bzw unechte Sozialhilfe gegen Ersatz der Aufwendungen), erschließt sich aus dem Wortlaut der Regelung nicht. Insoweit ist auf die [X.] in § 11 Abs 2 Satz 1 und § 29 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSH[X.]) zurückzugreifen, wonach nur "in begründeten Fällen" Hilfe geleistet werden "kann", weil diese Vorschriften durch § 19 Abs 5 S[X.]B XII inhaltsgleich übertragen werden sollten (vgl BT-Drucks 15/1514 [X.] zu § 19 Abs 4 S[X.]B XII idF des Entwurfs) und diese [X.]rundsätze in der Folge trotz zwischenzeitlicher Vorschläge (vgl BT-Drucks 16/2711 [X.] und 10 zum Entwurf eines [X.]esetzes zur Änderung des S[X.]B XII und anderer [X.]esetze) auch nicht geändert worden sind. Die Möglichkeit einer Bewilligung von "vorläufigen" Leistungen ohne weitere Voraussetzungen war dagegen offensichtlich nicht beabsichtigt (vgl [X.] in jurisPK-S[X.]B XII, § 19 Rd[X.]8, Stand 9/2018; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], S[X.]B XII, 19. Aufl 2015, § 19 Rd[X.]2; [X.] in Hauck/[X.], S[X.]B XII, § 19 Rd[X.]7, Stand 9/15; ähnlich [X.]rube in [X.]rube/[X.], S[X.]B XII, 6. Aufl 2018, § 19 Rd[X.]9; [X.] in Oestreicher/[X.], S[X.]B II/S[X.]B XII, § 19 S[X.]B XII Rd[X.]3, Stand 10/2018; [X.]roth in [X.], § 19 S[X.]B XII Rd[X.] 22, Stand 9/2018; [X.] in [X.]/Zink, S[X.]B II/S[X.]B XII, § 19 S[X.]B XII Rd[X.]5, Stand 8/2018; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], S[X.]B XII, 11. Aufl 2018, § 19 Rd[X.] 21; Ehmann in Ehmann/[X.]/[X.], [X.]esamtkommentar SRB, 2. Aufl 2018, § 19 S[X.]B XII Rd[X.] 20; [X.], [X.]rundsicherung und Sozialhilfe, Teil [X.] 4 Rd[X.]5, Stand 2/2007, wonach Einschränkungen auf der Tatbestandsebene nicht mehr bestehen und die entsprechenden [X.]esichtspunkte in eine Ermessensentscheidung einfließen sollen).

Ein "begründeter Fall" im Sinne des so verstandenen § 19 Abs 5 S[X.]B XII liegt vor, wenn innerhalb der Einsatzgemeinschaft der Ehegatte, dem der Einsatz seiner Mittel zu [X.]unsten des Leistungsberechtigten zuzumuten ist, tatsächlich zum Einsatz von Einkommen oder Vermögen nicht bereit ist (aA [X.]rube in [X.]rube/[X.], aaO, § 19 Rd[X.] 20). Der [X.] führt insoweit die Rechtsprechung des [X.] (BVerw[X.]) zu § 29 Satz 1 BSH[X.] (vgl BVerw[X.]E 50, 73, 77; BVerw[X.]E 66, 82, 85 f) fort. Wenn entgegen der typisierenden Annahme des [X.]esetzgebers, dass die Personen einer Einsatzgemeinschaft einander die entsprechenden Unterstützungsleistungen erbringen, ohne dass es auf die (rechtliche) Verfügungsbefugnis des Leistungsberechtigten ankommt (vgl etwa BS[X.]E 112, 61 = [X.] 4-3500 § 90 [X.], Rd[X.]5), Unterstützungsleistungen tatsächlich nicht erbracht werden, liegt für den Leistungsberechtigten eine "Notlage" vor, in der die Bewilligung von (erweiterter bzw) "unechter" Sozialhilfe gegen einen Aufwendungsersatzanspruch nicht ermessensfehlerhaft ist (vgl BVerw[X.]E 50, 73, 77).

Vorliegend war das Ermessen der [X.], solche Leistungen zu bewilligen, auf Null reduziert. [X.] befand sich bereits seit der Antragstellung in einer Einrichtung zur stationären Pflege und war selbst mittellos. Es lag damit in der Verantwortung der [X.], in dieser Situation eine ausreichende Pflege sicherzustellen; von dem Antrag, mit dem [X.] auf das Vermögen des Ehemanns hingewiesen hatte, ist vorliegend auch die Bewilligung einer (nur) erweiterten oder unechten Sozialhilfe erfasst. Es ist in einer solchen Lage nicht davon auszugehen, dass die Bewilligung von Leistungen gegen Aufwendungsersatz für den Fall, dass das Vermögen (entgegen der Annahme beider Ehegatten) einzusetzen ist, ohne Einverständnis der Leistungsempfängerin erfolgt (vgl dazu BVerw[X.]E 45, 131, 134), zumal die Pflicht zum Aufwendungsersatz nicht [X.] selbst betroffen hätte (dazu später). Die Unsicherheit, ob beim Ehemann verwertbares und einzusetzendes Vermögen vorlag (zu den notwendigen Prüfungsschritten im Einzelnen siehe bereits zuvor) und dieser zu dessen Einsatz im Ergebnis einer abschließenden Prüfung durch die Beklagte bereit gewesen wäre, durfte die Beklagte schließlich nicht auf die Einrichtung (also die Klägerin) überwälzen, auch wenn diese zu Lebzeiten der [X.] die Pflege - in Erwartung einer entsprechenden Bewilligung von Leistungen - tatsächlich übernommen hat (dazu ausführlich [X.], aaO, Teil [X.] 4 Rd[X.]7). Eine darlehensweise Bewilligung nach § 91 Satz 1 S[X.]B XII schied schließlich aus (wovon auch die Beklagte ausgeht), weil diese Vorschrift die Bereitschaft zur [X.] voraussetzt und deshalb nur Anwendung findet, wenn der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung des Vermögens (objektiv) nicht möglich ist oder die sofortige Verwertung eine besondere Härte bedeuten würde (vgl bereits BS[X.]E 123, 188 = [X.] 4-4200 § 9 [X.]6, Rd[X.]5 ff).

Dieser Anspruch auf erweiterte bzw unechte Sozialhilfe nach § 19 Abs 5 S[X.]B XII ist vorliegend nach § 19 Abs 6 S[X.]B XII auf die Klägerin übergangen (vgl bereits BS[X.] [X.] 4-3500 § 19 [X.] Rd[X.]6). Dem steht nicht entgegen, dass ein Anspruch auf Ermessensleistungen - selbst dann, wenn (wie hier) das Ermessen auf Null reduziert ist (BS[X.] [X.] 1200 § 40 [X.]; aA [X.], S[X.]B I, 5. Aufl 2014, § 40 Rd[X.] 21) - grundsätzlich erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung entsteht (§ 40 Abs 2 iVm § 39 S[X.]B I; aA [X.] [X.] vom 19.4.2018 - L 7 [X.] 4981/14 - Juris Rd[X.]8). Die [X.] nach § 19 Abs 6 S[X.]B XII erstreckt sich auch auf Ansprüche des Verstorbenen auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 Satz 2 S[X.]B I); denn der [X.]r tritt in die Rechtsstellung des verstorbenen Hilfeempfängers ein (vgl BS[X.]E 106, 264 = [X.] 4-3500 § 19 [X.] 2, Rd[X.]1), sodass weder die Fälligkeit noch die Feststellung von Leistungsansprüchen des verstorbenen Berechtigten Voraussetzung für seinen Anspruch sind (vgl auch BS[X.] [X.] 4-3500 § 17 [X.] Rd[X.]8 zur Abgrenzung zu den Fällen der Vererbung nach § 58 Satz 1 S[X.]B I).

Schließlich steht dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen, dass nach dem Tod der [X.] kein ungedeckter ([X.] mehr besteht. Wollte man - wie die Beklagte meint - eine über den Tod hinaus fortbestehende "Notlage" als weitere Voraussetzung für den Anspruchsübergang ansehen, liefe die Norm leer; denn für einen Anspruch nach § 19 Abs 6 S[X.]B XII ist gerade Voraussetzung, dass der [X.]r die Leistung bis zum Tod des Berechtigten tatsächlich erbracht hat, also die Bedarfe tatsächlich gedeckt waren, ohne dass allerdings eine (vollständige) Schuldübernahme vom Sozialhilfeträger erklärt war. Ähnlich wie bei der (eingeschränkten) Vererblichkeit von Sozialleistungsansprüchen (vgl zB BS[X.]E 123, 171 = [X.] 4-3500 § 66 [X.], Rd[X.]4 mwN) treten an die Stelle des Bedarfs des verstorbenen Leistungsberechtigten die wegen der aktuellen Bedarfslage vom Leistungsberechtigten gegenüber dem [X.]r eingegangenen Verbindlichkeiten. Mit der Einführung einer [X.] (vgl bereits § 28 Abs 2 BSH[X.]) sollte so eine schnelle Hilfe durch Dritte gefördert und vermieden werden, dass Einrichtungen trotz berechtigten Vertrauens auf Leistungen der Sozialhilfe leer ausgehen, wenn die Entscheidungen bei der Hilfe in Einrichtungen längere [X.] beanspruchen (vgl nur BS[X.]E 110, 93 = [X.] 4-3500 § 19 [X.], Rd[X.]7 mwN). Nach Sinn und Zweck sowohl des § 19 Abs 6 S[X.]B XII als auch des § 19 Abs 5 S[X.]B XII ergibt sich bei sog erweiterter bzw unechter Sozialhilfe im [X.]rundsatz nichts Abweichendes. Soweit der [X.] in seiner früheren Entscheidung zu § 19 Abs 6 S[X.]B XII iVm § 19 Abs 5 S[X.]B XII ausgeführt hat, die Voraussetzungen eines "tatsächlichen aktuellen Bedarfs" seien "vorliegend nicht erfüllt" (BS[X.] [X.] 4-3500 § 19 [X.] Rd[X.]6; vgl auch [X.] [X.] vom 19.4.2018 - L 7 [X.] 4981/14 - Juris Rd[X.]8), folgt daraus nichts anderes; denn im dort entschiedenen Fall lagen schon die Voraussetzungen einer Bewilligung nach § 19 Abs 5 S[X.]B XII nicht vor.

Allerdings ist ein Anspruch nach § 19 Abs 6 S[X.]B XII für den [X.]r dann nicht realisierbar, wenn der verstorbene Leistungsberechtigte (im Ergebnis der erst nach seinem Tod bindend abgeschlossenen Prüfung) zumindest auch zum Einsatz von eigenem Einkommen oder Vermögen verpflichtet war. In diesem Fall geht mit dem Anspruch nach § 19 Abs 5 Satz 1 S[X.]B XII die Verpflichtung zum Aufwendungsersatz (ggf als [X.]esamtschuldner) mit über (vgl bereits BS[X.] [X.] 4-3500 § 19 [X.] Rd[X.]6). Dem Anspruch stünde die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung entgegen (§ 242 Bürgerliches [X.]esetzbuch : "dolo agit qui petit quod statim redditurus est"). Der Aufwendungsersatz trifft im Fall einer Weigerung, Vermögen einzusetzen, aber nur den "Verpflichteten"; bei nicht getrennt lebenden Ehegatten also nur denjenigen, der als Inhaber des Vermögens (und sei es als Miteigentümer) auch zum Einsatz seines Einkommens und Vermögens verpflichtet gewesen wäre. Eine solche Verpflichtung bestand nach den bindenden Feststellungen des [X.] hier (allenfalls) für den Ehemann, nicht auch für [X.]. Trifft den Leistungsberechtigten aber keine Pflicht zum Aufwendungsersatz, entspricht es dem dargestellten Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte des § 19 Abs 6 S[X.]B XII, dass dies auch dem [X.]r zugutekommt.

Entgegen der Auffassung des [X.] steht der Klägerin kein Anspruch auf Prozesszinsen (§§ 291, 288 B[X.]B) zu. Da der [X.]r in die Rechtsstellung der verstorbenen Leistungsberechtigten eintritt, ist auch der übergegangene Anspruch auf [X.]eldleistungen (§ 11 Satz 1 S[X.]B I) nur unter den Voraussetzungen des § 44 S[X.]B I zu verzinsen. Kommt nur ein Anspruch nach § 19 Abs 5 S[X.]B XII in Betracht, könnte einem Zinsanspruch § 40 Abs 2 iVm § 41 S[X.]B I entgegenstehen; dies wird das [X.] noch zu entscheiden haben.

Das [X.] wird ggf auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 2/17 R

06.12.2018

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Heilbronn, 15. März 2016, Az: S 11 SO 4135/15, Urteil

§ 61 Abs 1 S 1 SGB 12 vom 27.12.2003, § 61 Abs 2 S 1 SGB 12 vom 27.12.2003, § 19 Abs 3 SGB 12, § 19 Abs 5 S 1 SGB 12, § 19 Abs 6 SGB 12, § 90 Abs 1 SGB 12, § 11 Abs 2 S 1 BSHG, § 29 S 1 BSHG, § 39 Abs 1 S 2 SGB 1

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 06.12.2018, Az. B 8 SO 2/17 R (REWIS RS 2018, 774)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 774

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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