Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.03.2011, Az. II B 152/10

2. Senat | REWIS RS 2011, 8692

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Gegenstand

Aussetzung des Verfahrens gegen einen Folgebescheid bis zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Grundlagenbescheids nicht stets geboten; keine Klagebefugnis der Erbengemeinschaft gegen Erbschaftsteuerbescheide


Leitsatz

1. NV: Es kann ermessensgerecht sein, das Klageverfahren gegen einen Folgebescheid trotz ausstehender Entscheidung über einen Grundlagenbescheid nicht auszusetzen, wenn die Klagebegründung den Folgebescheid als solchen betrifft und im Verfahren über diesen Bescheid entscheidungserheblich ist .

2. NV: Ist die Klage gegen einen Folgebescheid unzulässig, ist das Klageverfahren nicht wegen der noch ausstehenden Entscheidung über einen Grundlagenbescheid auszusetzen .

3. NV: Eine Erbengemeinschaft ist nicht zur Klage gegen die gegenüber Erben ergangenen Erbschaftsteuerbescheide befugt .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin zu 1. (Klägerin zu 1.) ist [X.] zur Hälfte nach ihrem im April 2003 verstorbenen [X.] Die Klägerin und Beschwerdeführerin zu 2. (Klägerin zu 2.) ist die [X.]rbengemeinschaft nach [X.], zu der neben der Klägerin zu 1. auch deren Bruder B gehört.

2

Während des Klageverfahrens erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) die geänderten [X.]rbschaftsteuerbescheide vom 12. Februar 2010, durch die er die [X.]rbschaftsteuer aufgrund des [X.] des zuständigen Lagefinanzamts vom 15. Juni 2009 gegenüber der Klägerin zu 1. und B auf jeweils 4.488 € herabsetzte. Bei den [X.] berücksichtigte das [X.] u.a. aufgrund des [X.] vom 15. Juni 2009 jeweils einen Anteil von 19.875 € an land- und forstwirtschaftlichem Vermögen. Der Feststellungsbescheid wurde von der Klägerin zu 1. mit der Klage vom 30. November 2010 angefochten, nachdem der [X.]inspruch erfolglos geblieben war.

3

[X.]ntgegen dem Antrag der [X.] setzte das Finanzgericht ([X.]) das Verfahren wegen [X.]rbschaftsteuer durch Beschluss vom 13. Oktober 2010 gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) aus, da die [X.]ntscheidung des Lagefinanzamts in dem [X.]inspruchsverfahren gegen den der [X.]rbschaftsteuerfestsetzung zugrunde liegenden Bewertungsbescheid abzuwarten sei. Das [X.] half der dagegen gerichteten Beschwerde nicht ab, weil der Bewertungsbescheid aufgrund der dagegen erhobenen Klage noch nicht bestandskräftig und Grundlagenbescheid für den Rechtsstreit wegen [X.]rbschaftsteuer sei.

4

Die [X.] führen zur Begründung ihrer Beschwerde aus, die Aussetzung des Verfahrens sei unangebracht. Das Klageverfahren gegen die Feststellungsbescheide würde sich nämlich erübrigen, wenn ihrem Antrag entsprechend bei der Festsetzung der [X.]rbschaftsteuer für das land- und forstwirtschaftliche Vermögen die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des [X.]rbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der im Jahr 2003 geltenden Fassung ([X.]rbStG) sowie der Freibetrag nach § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 [X.]rbStG berücksichtigt würden.

5

Die [X.] beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben.

6

Das [X.] beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

7

Da der von den [X.] im Klageverfahren wegen [X.]rbschaftsteuer vertretenen Auffassung nicht gefolgt werden könne, müsse die [X.]ntscheidung über die Rechtmäßigkeit des [X.] abgewartet werden.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Klageverfahrens nach § 74 [X.]O liegen nicht vor.

9

1. Nach § 74 [X.]O kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet, die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits aussetzen.

a) Eine Abhängigkeit zwischen zwei anhängigen Verfahren in diesem Sinne besteht nur, wenn der Ausgang des einen (möglicherweise auszusetzenden) Rechtsstreits von dem anderen (möglicherweise vorgreiflichen) Verfahren   in der Sache beeinflusst werden kann. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn feststeht, dass es im erstgenannten Verfahren nicht zu einer Sachprüfung kommen kann, dieses also unabhängig vom Ausgang des anderen Verfahrens zur Klageabweisung führt. Das ist u.a. der Fall, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen fehlen (Urteil des [X.] --BFH-- vom 20. September 1989 [X.], [X.], 205, [X.] 1990, 177).

b) Ist die für eine Aussetzung erforderliche Abhängigkeit von zwei Verfahren gegeben, steht die Entscheidung über die Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Dabei ist es regelmäßig geboten und zweckmäßig (Ermessensreduzierung auf Null), dass das Gericht den Streit um die Rechtmäßigkeit eines [X.]s aussetzt, solange noch unklar ist, ob und wie der angefochtene Grundlagenbescheid geändert wird (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 25. August 2010 II R 65/08, [X.], 239, [X.] 2011, 379; [X.] vom 22. September 2010 [X.]/09, [X.] 2011, 257).

Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Bei der Entscheidung über die Aussetzung sind vielmehr prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Beteiligten abzuwägen (BFH-Urteil vom 11. Mai 2010 [X.], [X.] 2010, 2067, unter [X.], m.w.N.; [X.] vom 31. Mai 2010 [X.]/09, [X.] 2010, 2082, unter [X.]a).

Im Einzelfall kann eine solche Abwägung ergeben, dass trotz ausstehender Entscheidung über einen Grundlagenbescheid eine Fortführung des Verfahrens gegen den [X.] ist (BFH-Urteil in [X.], 239, [X.] 2011, 379, unter [X.], m.w.N.). Das ist z.B. dann der Fall, wenn das Vorbringen eines Beteiligten den [X.] als solchen betrifft und im Verfahren über diesen Bescheid entscheidungserheblich ist. In diesem Fall kann das betreffende Vorbringen bereits zur Entscheidung über die Klage führen, ohne dass es noch auf die Entscheidung über den Grundlagenbescheid ankommt. Dann kann eine zeitnahe Entscheidung sowohl der [X.] als auch dem (objektivierten) Interesse der Beteiligten entsprechen. Von Bedeutung ist dabei, dass unbeschadet einer Entscheidung über den [X.] dieser bei einer nachfolgenden Aufhebung oder Änderung des Grundlagenbescheids (auch im dagegen gerichteten Klageverfahren) gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ([X.]) ebenfalls aufzuheben oder zu ändern ist, ohne dass es einer weiteren gerichtlichen Entscheidung bedarf (BFH-Urteil in [X.], 239, [X.] 2011, 379, unter [X.], m.w.N.).

2. Der Rechtsstreit war danach nicht auszusetzen.

a) Die Aussetzung scheidet hinsichtlich der Klägerin zu 2. schon deshalb aus, weil deren Klage, soweit sie sich gegen die Festsetzung von Erbschaftsteuer richtet, unzulässig und die vom [X.] zu treffende Entscheidung danach nicht von einer etwaigen Änderung des Feststellungsbescheids abhängig ist. Die Unzulässigkeit der Klage der Klägerin zu 2. ergibt sich aus § 40 Abs. 2 [X.]O. Die Klägerin zu 2. ist durch die Erbschaftsteuerbescheide nicht beschwert, weil diese lediglich gegenüber der Klägerin zu 1. und B ergangen sind. Eine Erbengemeinschaft als solche ist nicht Steuerschuldner der Erbschaftsteuer (§ 20 Abs. 1 Satz 1 [X.]).

b) Hinsichtlich des Klageverfahrens der Klägerin zu 1. sind die Voraussetzungen für eine Abweichung von der Regel, dass das Klageverfahren gegen einen [X.] bis zur Entscheidung über einen angefochtenen Grundlagenbescheid auszusetzen ist, erfüllt. Über das Begehren der Klägerin zu 1., die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. [X.] anzuwenden und den Freibetrag nach § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 [X.] zu gewähren, kann unabhängig von dem noch nicht bestandskräftigen Feststellungsbescheid entschieden werden. Es entspricht unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf effektiven und somit auch zeitgerechten Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) der [X.], über diese Fragen im Klageverfahren wegen Erbschaftsteuer alsbald zu entscheiden. Hat die Klägerin zu 1. dabei Erfolg, würde sich in ihrem Klageverfahren gegen den Feststellungsbescheid die Entscheidung über die unter Umständen schwierigen Bewertungsfragen erübrigen. Andernfalls würde die Abweisung der Klage gegen den Erbschaftsteuerbescheid der Berücksichtigung einer etwaigen späteren Herabsetzung des festgestellten Werts des land- und fortwirtschaftlichen Vermögens nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] i.V.m. § 110 Abs. 2 [X.]O nicht entgegenstehen.

3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, da es sich um ein unselbständiges Zwischenverfahren handelt ([X.] vom 28. Juni 2010 [X.]/10, [X.] 2010, 1847).

Meta

II B 152/10

11.03.2011

Bundesfinanzhof 2. Senat

Beschluss

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 13. Oktober 2010, Az: 5 K 370/06, Beschluss

Art 19 Abs 4 GG, § 40 Abs 2 FGO, § 74 FGO, § 20 Abs 1 ErbStG 1997

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.03.2011, Az. II B 152/10 (REWIS RS 2011, 8692)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8692

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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