Bundessozialgericht, Urteil vom 02.11.2010, Az. B 1 KR 11/10 R

1. Senat | REWIS RS 2010, 1783

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Krankenversicherung - Krankenhaus - Mitteleinbehalt zur Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung - Erlöschen des Einbehaltungsrechts - Grundvoraussetzungen für Mitteleinbehalt


Leitsatz

1. Krankenkassen behalten von Krankenhausrechnungen Mittel zur Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung ein, indem sie mit einem Gegenrecht aufrechnen, ohne damit einen Verwaltungsakt zu erlassen.

2. Bezahlt eine Krankenkasse vorbehaltlos eine Krankenhausrechnung trotz bestehenden Einbehaltungsrechts, erlischt es.

3. Nur geschlossene Verträge, die bei überschlägiger sozialgerichtlicher Prüfung die Grundvoraussetzungen eines Vertrags über integrierte Versorgung erfüllen, berechtigen Krankenkassen zum Mitteleinbehalt zwecks Anschubfinanzierung.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 17. März 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert wird auf 71 322,88 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Einbehaltung von Rechnungsteilbeträgen im Zusammenhang mit der Anschubfinanzierung für Maßnahmen der integrierten Versorgung.

2

Die Klägerin ist Trägerin eines nach § 108 [X.] zur Behandlung der Versicherten zugelassenen Krankenhauses. Unter dem 7.4.2004 schrieb die beklagte [X.] der Klägerin, sie habe nunmehr "die technischen Voraussetzungen für den Abschlag für die integrierte Versorgung im Einsatz". Sie habe seit Beginn des Jahres Verträge zur integrierten Versorgung nach § 140a [X.] abgeschlossen und sei somit berechtigt, den Abschlag in Höhe von 1 % einzubehalten. Um der Klägerin die Möglichkeit der Umstellung zu geben, werde sie gebeten, ihre Systeme kurzfristig bis spätestens 1.5.2004 umzustellen. Andernfalls würden entsprechende Beträge automatisch gekürzt. Sie werde die bereits bezahlten Rechnungen betreffend Krankenhausaufnahmen ab 1.1.2004 maschinell zu einem späteren [X.]punkt rückwirkend kürzen und über ihr Vorgehen noch informieren.

3

Die Beklagte hielt sich mit Blick auf ihre Verträge über integrierte Versorgung mit der [X.]/[X.], der [X.]/Elisabeth-Krankenhaus, der Praxisklinik [X.], dem Diakonissenkrankenhaus [X.], Hausärzten und Fachärzten für berechtigt, 71 322,88 [X.] von einer unstreitig zu bezahlenden Rechnung der Klägerin aus dem Monat Februar 2005 abzuziehen. Der Betrag entsprach 1 % der Rechnungssumme der mit der Beklagten abgerechneten Krankenhausfälle der Klägerin aus dem [X.]raum von Januar bis Ende April 2004 (Schreiben vom [X.] nebst Einzelaufstellung). Die Beklagte bezahlte deshalb die Sammelrechnung der Klägerin nur in gekürztem Umfang. Das [X.] hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 71 322,88 [X.] nebst 4 % Zinsen verurteilt (Urteil vom [X.]). Das L[X.] hat die Berufung der Beklagten unter Verschiebung des Verzinsungsbeginns auf die [X.] ab Rechtshängigkeit ([X.]) zurückgewiesen: Die Beklagte habe den Zahlbetrag nicht von Rechnungen der Klägerin "einbehalten", wozu sie allein berechtigt gewesen sei, sondern die Rechnungen zunächst vollständig beglichen und die Kürzung erst später ohne Rechtsgrundlage geltend gemacht. Sie habe zudem ermessensfehlerhaft Abzüge in Bezug auf Verträge über integrierte Versorgung vorgenommen, die sie noch gar nicht abgeschlossen, sondern deren Abschluss sie bloß geplant habe. Eine Teilung der einheitlichen Ermessensentscheidung komme nicht in Betracht (Urteil vom [X.]).

4

Mit ihrer vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 140d [X.] und der Rechtsgedanken des § 812 BGB. Sie (die Beklagte) habe die zunächst unterlassenen Rechnungseinbehalte für Behandlungen ab Anfang 2004 noch im Februar 2005 geltend machen dürfen. Dass die einschlägigen Verträge erst zum 1.7.2004 geschlossen worden seien, sei unschädlich. Es genüge, dass sie (die Beklagte) überhaupt im [X.] Verträge über eine integrierte Versorgung abgeschlossen habe, die im Rahmen eines Dreijahreszeitraums die Höhe des [X.] von 1 % der Abrechnungen rechtfertigten.

5

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des [X.] vom 17. März 2010 und des Sozialgerichts [X.]-Roßlau vom 28. Februar 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der beklagten [X.] ist nicht begründet. Der [X.]n stand keine Gegenforderung aus der Einbehaltung von Mitteln zwecks Anschubfinanzierung von Maßnahmen der integrierten Versorgung im [X.]raum Januar bis Ende April 2004 zu, die sie gegenüber der unstreitigen Forderung der klagenden [X.]rankenhausträgerin auf Vergütung von [X.]rankenhausbehandlung gemäß ihrer Sammelrechnung aus Februar 2005 mit Erfolg geltend machen konnte.

9

1. Der erkennende Senat ist geschäftsplanmäßig für die Sache zuständig, da es sich um einen Leistungserbringerstreit der gesetzlichen [X.]rankenversicherung handelt. [X.] ist der Anspruch der klagenden Trägerin des [X.]rankenhauses auf Vergütung für [X.]rankenhausbehandlung, dem die [X.] angebliche Rechte aus § 140d [X.] entgegenhält. Das unterscheidet den Rechtsstreit von Sachen im Zuständigkeitsbereich des [X.], in denen es um Ansprüche gegen eine [X.]rankenkasse ([X.]) auf Zahlung [X.] geht (vgl dazu [X.], 52 = [X.]-2500 § 140d [X.]).

Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Die [X.]lägerin macht den Anspruch auf weitere Vergütung für die [X.]rankenhausbehandlung zu Recht mit der (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG geltend (vgl allgemein: [X.], 1 f = [X.] 3-2500 § 112 [X.]; [X.], 164 = [X.]-2500 § 39 [X.]2, Rd[X.]0; [X.], 172 = [X.]-2500 § 109 [X.]3, Rd[X.] 9; BSG Urteil vom [X.] [X.]R 19/09 R -, zur Veröffentlichung in [X.]-5562 § 8 [X.] vorgesehen, mwN). Die [X.]lägerin hat den Zahlungsanspruch auch konkret beziffert (vgl zur Notwendigkeit [X.], 254, 263 = [X.] 3-2500 § 37 [X.]; [X.], 300 = [X.]-2500 § 39 [X.] 2).

2. Gegen den unstreitigen, mit der Sammelrechnung von Februar 2005 geltend gemachten Anspruch der [X.]lägerin auf [X.]rankenhausvergütung aus § 109 Abs 4 Satz 3 [X.] stehen der [X.]n keine Gegenrechte aus der Anschubfinanzierung für Verträge über integrierte Versorgung für den [X.]raum Januar bis Ende April 2004 zu. Einzig in Betracht kommt ein Recht auf "Einbehaltung von Mitteln". Teilweise hat die [X.] Mittel zur Anschubfinanzierung für Verträge der integrierten Versorgung schon gar nicht "einbehalten" (dazu a). Soweit spätere Einbehalte erfolgt sind, sind diese als abtrennbarer Entscheidungsteil eigenständig auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen (dazu b). Im Ergebnis war die [X.] zu den vorgenommenen Einbehaltungen in der Sache nicht berechtigt (dazu c).

a) Die [X.] kann sich bis zum Zugang ihres [X.] bei der [X.]lägerin schon deshalb nicht auf Rechte aus Anschubfinanzierung zur integrierten Versorgung berufen, weil das Gesetz sie lediglich zum "Zahlungseinbehalt" von Rechnungen der einzelnen [X.]rankenhäuser ermächtigt. Die [X.] hat von diesem Recht auf Einbehaltung keinen Gebrauch gemacht, sondern die Forderungen der [X.]lägerin nach den [X.] und damit für den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG) zunächst erfüllt. Die [X.] kann nachträglich, nach Erfüllung der Forderungen, eine Einbehaltung nicht mehr wirksam geltend machen.

Nach § 140d Abs 1 Satz 1 [X.] in der hier maßgeblichen Fassung des [X.] der gesetzlichen [X.]rankenversicherung ([X.] <[X.]> vom 14.11.2003, [X.] 2190) hat jede [X.] zur Förderung der integrierten Versorgung in den Jahren 2004 bis 2006 jeweils Mittel bis zu [X.] von der nach § 85 Abs 2 [X.] an die [X.] ([X.]) zu entrichtenden Gesamtvergütung sowie von den Rechnungen der einzelnen [X.]rankenhäuser für voll- und teilstationäre Versorgung einzubehalten, soweit die einbehaltenen Mittel zur Umsetzung von nach § 140b [X.] geschlossenen [X.] erforderlich sind.

Das "Einbehalten" von Mitteln umschreibt den Vorgang, dass die [X.] einen gegen sie gerichteten Anspruch - sei es aus nach § 85 Abs 2 [X.] an die [X.] zu entrichtender Gesamtvergütung, sei es aus abgerechneter [X.]rankenhausbehandlungsvergütung (vgl etwa § 109 Abs 4 Satz 3 [X.]) - als berechtigt ansieht, die hierfür geschuldeten Mittel in Höhe des [X.] aber nicht leistet, sondern mit einem Gegenrecht auf Mitteleinbehaltung zur Anschubfinanzierung aufrechnet und die auf diese Art und Weise "einbehaltenen Mittel" zur zweckgebundenen Verwendung verbucht (zur Buchung der Mittel siehe Gesetzentwurf eines [X.] der Fraktionen [X.], [X.] und [X.]/[X.], BT-Drucks 15/1525 [X.] zu [X.]16 <§ 140d>). Das Gesetz benennt mit dem "Einbehalten" von Mitteln nur abgekürzt einen äußeren Vorgang, qualifiziert aber nicht ausdrücklich die dahinter stehenden rechtlichen Vorgänge. Die Aufrechnung von [X.]n zur Erfüllung von Ansprüchen auf Vergütung von [X.]rankenhausbehandlung erfolgt analog §§ 387 ff BGB (vgl [X.], 15 = [X.]-2500 § 109 [X.]7, Rd[X.]1) durch [X.].

Ein Verwaltungsakt hat dagegen zwischen den gleichgeordneten [X.]n und [X.]rankenhäusern zwecks Einbehaltung nicht zu ergehen (aA Einbehalt als Verwaltungsakt - [X.] [X.] 2005, 121, 122; str dagegen für die Verrechnungserklärung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen Leistungsempfängern und Sozialleistungsträgern nach § 52 [X.], vgl hierzu Vorlagebeschluss an den [X.] vom [X.] - B 13 R 76/09 R - und BSG Beschluss vom [X.] - B 4 SF 1/09 S -, anhängiges Verfahren GS 2/10). Entgegen der Auffassung des [X.] war die [X.] nicht etwa gehalten, eine Ermessensentscheidung über die Aufrechnung gegenüber dem Anspruch der [X.]lägerin aus [X.]rankenhausbehandlung zu treffen. Vielmehr handelt es sich bei der Einbehaltung um eine gebundene Entscheidung: Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut "hat" die betroffene [X.] Mittel im gesetzlich vorgegebenen Rahmen "einzubehalten", soweit die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Im Rahmen dieser gebundenen Entscheidung muss die [X.] allerdings eine Prognose hinsichtlich der künftigen Erforderlichkeit der Mittel aufstellen. Allein der prognostische Inhalt einer Entscheidung macht diese aber noch nicht zu einer Ermessensentscheidung.

Die Ausübung des Einbehaltungsrechts steht der [X.] nicht zu jedem beliebigen [X.]punkt frei. Vielmehr muss sie entscheiden, ob sie eine ihr zugegangene, nach ihrer Überprüfung zu erfüllende [X.]rankenhaus-Rechnung voll begleichen oder stattdessen hiervon Mittel zur Anschubfinanzierung für eine Maßnahme der integrierten Versorgung einbehalten will. Zur Einbehaltung ist sie zeitlich nur bis zur vorbehaltlosen Erfüllung der [X.]rankenhausforderung befähigt. Spätere [X.]en sind unwirksam, denn sie gehen bei bereits erfolgter Zahlung ins Leere. [X.] die [X.] Mittel einbehalten, tritt im Rechtssinne an die Stelle der eigentlich gebotenen Zahlung zur Schuldtilgung die Erklärung gegenüber dem Gläubiger, die geltend gemachte Forderung in Höhe der Einbehaltung durch Aufrechnung zu erfüllen. Bezahlt die [X.] stattdessen die Rechnung vorbehaltlos, macht sie von ihrem Einbehaltungsrecht gerade keinen Gebrauch. Der betroffene Gläubiger braucht in einem solchen Fall nicht mehr damit zu rechnen, später noch mit einem Gegenrecht aus der Anschubfinanzierung konfrontiert zu werden. Denn die [X.] hat bei [X.] Zahlung ihr evtl bestehendes Recht auf Einbehaltung nicht ausgeübt. Der Gläubiger darf diese Erfüllung der Schuld durch die [X.] so verstehen, dass sie keinen Zahlbetrag zur Anschubfinanzierung einbehalten will. In einem solchen Fall ist es für die [X.] rechtlich ausgeschlossen, hinsichtlich der beglichenen [X.] nachträglich dennoch ein Gegenrecht aus der Anschubfinanzierung für die integrierte Versorgung geltend zu machen. Die [X.] hat sich dann entschieden, keine Mittel einzubehalten und ihre Schuld erfüllt, ohne dass ihr Einbehaltungsrechte aus Anschubfinanzierung verblieben sind.

Anders liegt es dagegen, wenn eine [X.] den mit der Rechnung geforderten Betrag zwar begleicht, dies aber mit dem Vorbehalt verknüpft, einen Rechnungsteil zur Anschubfinanzierung wieder zurückzufordern. In einem solchen Fall, der etwa auf den Schwierigkeiten der Umstellung eines automatischen [X.] beruhen kann, weiß der betroffene Gläubiger nämlich im voraus, dass die [X.] ihr Einbehaltungsrecht ausüben will, aber - etwa aufgrund technischer Schwierigkeiten - dennoch zunächst den vollständigen Rechnungsbetrag zahlt. In einem solchen Fall ist die [X.] berechtigt, im Umfang ihres Einbehaltungsrechts den zunächst gezahlten Betrag zurückzufordern. Denn sie macht damit von ihrem zuvor erklärten Vorbehalt Gebrauch.

Nach diesen Grundsätzen kann die Revision der [X.]n hinsichtlich desjenigen Zahlbetrags keinen Erfolg haben, der Rechnungen wegen [X.]rankenhausbehandlung durch die [X.]lägerin betrifft, die die [X.] vor Zugang ihres [X.] bei der [X.]lägerin bereits beglichen hatte. Denn in diesem [X.]raum hatte die [X.] nicht von einem Einbehaltungsrecht Gebrauch gemacht mit der Folge, dass sich die [X.]lägerin auf die ungeschmälerte Erfüllung ihrer Forderungen verlassen durfte. Zu einer späteren Aufrechnung oder Rückforderung ermächtigt § 140d [X.] indessen nicht, wie dargelegt.

b) Entgegen der Auffassung des [X.] darf sich die gerichtliche Prüfung ausgehend davon, dass ein Teil der Aufrechnung schon mangels "Einbehaltung" im Rechtssinne unwirksam war, nicht auf diesen Teilaspekt beschränken. Die [X.] traf mit dem Rechnungsabzug keine unteilbare Entscheidung, sondern erklärte sinngemäß hinsichtlich des gesamten von ihr geforderten Betrages die Aufrechnung. Das schließt es nicht aus, dass die [X.] hinsichtlich eines weiteren [X.] wirksam sein kann. Die Absetzungsbeträge von den Rechnungen der [X.]lägerin, die vor und nach Zugang des [X.] erfolgten, können ohne Weiteres unterschieden werden. Deshalb ist zu prüfen, ob hinsichtlich des Aufrechnungsteils, der Absetzungen von Rechnungen nach Zugang des [X.] bei der [X.]lägerin betrifft, "Einbehaltungen" im Rechtssinne erfolgten und die Voraussetzungen hierfür vorlagen.

Die [X.] behielt in der [X.] ab Zugang ihres [X.] bei der [X.]lägerin - anders als bezogen auf den vorangegangenen [X.]raum - im Rechtssinne Mittel ein, da sie der [X.]lägerin auf ihre Rechnungen nur unter dem Vorbehalt späterer Rückforderung leistete. Die Äußerungen der [X.]n waren für die [X.]lägerin nur in diesem Sinne zu verstehen: Sie erklärte der [X.]lägerin nämlich in dem Schreiben vom 7.4.2004, sie sei zu einem Abschlag von den [X.] in Höhe von [X.] wegen der seit Jahresbeginn geschlossenen Verträge zur integrierten Versorgung berechtigt, bitte um eine Umstellung der Rechnungen bis spätestens 1.5.2004 und werde bereits bezahlte Rechnungen zu einem späteren [X.]punkt rückwirkend kürzen. Damit machte die [X.] der [X.]lägerin unmissverständlich deutlich, dass sie ab sofort zur Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung 1 % von Rechnungen der [X.]lägerin einbehalten wollte und die tatsächliche Umsetzung lediglich an der praktischen Umstellung des [X.] scheiterte. Das genügt nach den dargelegten Grundsätzen, um von einer "Einbehaltung" von Mitteln durch die [X.] auszugehen. Die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Einbehaltung waren indes bis zum Ablauf des Monats April 2004 nicht erfüllt.

c) Die [X.] war in der [X.] nach Zugang ihres [X.] bei der [X.]lägerin nicht berechtigt, Rechnungseinbehalte vorzunehmen. Anders als § 140d Abs 1 Satz 1 [X.] für die Einbehaltung voraussetzt, waren die von der [X.]n ab Zugang des [X.] bis zum Ablauf des 30.4.2004 einbehaltenen Mittel nicht zur Umsetzung von nach § 140b [X.] geschlossenen [X.] "erforderlich". Teilweise waren die zugrunde liegenden Verträge nämlich noch gar nicht geschlossen, teilweise handelte es sich inhaltlich nicht um Verträge über integrierte Versorgung.

§ 140d Abs 1 Satz 1 [X.] verlangt schon nach seinem klaren Wortlaut, dass die Mittel für die Umsetzung "geschlossener" Verträge erforderlich sein sollen, nicht etwa aber auch für Verträge, die sich erst noch im Planungs- oder [X.] befinden. Dem entspricht auch der Regelungszweck des § 140d [X.], Einbehaltungen nur zur Umsetzung von Vorhaben der integrierten Versorgung zu gestatten, die auf rechtlich gesicherter Grundlage stehen. Es bedarf hierfür nämlich mehr als einer bloßen konkreten Planung künftig [X.] (ebenso [X.], 52 = [X.]-2500 § 140d [X.] Rd[X.]1 mwN; [X.] 2004, 209, 213; [X.]/[X.], [X.], Band 4, Stand August 2010, [X.] § 140d Rd[X.]0 f). Denn die in der Einbehaltung liegende Aufrechnung lässt die geltend gemachte Forderung im aufrechenbaren Umfang erlöschen und bewirkt insoweit, dass die zur Tilgung vorgesehenen Mittel nicht dem Gläubiger zufließen. Die den Gläubiger mit der Einbehaltung treffende und ihn finanziell belastende Erfüllungswirkung erfordert eine hinreichende Berechenbarkeit und Rechtsklarheit der Aktivitäten der betroffenen [X.] in Bezug auf Maßnahmen der integrierten Versorgung. Beides ist nur gewährleistet, wenn bereits unzweifelhaft feststeht, wofür konkret der Mitteleinsatz auf [X.]n-Seite erfolgen soll.

Anders als vom Gesetz vorausgesetzt, waren hier der Vertrag "Hausärzte", der Vertrag "Fachärzte" und der Vertrag "Praxisklinik [X.]" bis Ende April 2004 noch nicht geschlossen. Der Hausärzte- und der Fachärztevertrag sehen vielmehr als Datum für die Unterzeichnung erst den 25.6.2004 vor, ohne dass das [X.] festgestellt hat, dass diese Verträge tatsächlich abgeschlossen worden sind. Die [X.] hat dem [X.] diesbezüglich sogar überhaupt keinen unterschriebenen Vertrag vorgelegt. Der Vertrag mit der Praxisklinik [X.], der ausweislich der übersandten Vertragsurkunde erst am 27.4.2004 unterzeichnet wurde, war ebenfalls im Rechtssinne nicht bis zum Ablauf des April 2004 geschlossen. Nach § 9 dieses Vertrages vereinbarten die Vertragspartner nämlich erst bis zum 30.4.2004 ein [X.]. Die darin enthaltene Dokumentation ist nach dem Vertragsinhalt gemäß § 140b Abs 3 [X.] jedem Beteiligten im jeweils erforderlichen Umfang zugänglich. Die Regelung verdeutlicht, dass das [X.] als gesetzlich vorgesehener, zwingender integraler Bestandteil eines Vertrags zur integrierten Versorgung auch am 27.4.2004 noch nicht existierte, sodass unter Berücksichtigung des selbst gesetzten Datums erst frühestens für die [X.] ab [X.] hätten stattfinden dürfen. Das [X.] hat im Übrigen nicht festgestellt, dass später ein [X.] vereinbart worden ist. Auf eine weitere Prüfung dieser Verträge kommt es nicht an. Eine rückwirkende Inkraftsetzung der Verträge, wie sie der [X.] mit der Regelung über sein Inkrafttreten zum 1.4.2004 vorsieht, ist rechtlich nicht zulässig. Denn es handelt sich um Verträge, die einen Status begründen, insoweit vergleichbar etwa dem Abschluss eines Versorgungsvertrags mit einem [X.]rankenhaus (vgl zur fehlenden Rückwirkung der Genehmigung eines [X.]rankenhaus-Versorgungsvertrags zB [X.] 2006, 368 = US[X.] 2006-14).

Die weiteren von der [X.]n vorgelegten Verträge sind zwar im Rechtssinne "geschlossen", aber keine Verträge "nach § 140b [X.]", die eine Einbehaltung rechtfertigen konnten. Der erkennende Senat sieht insoweit eine bloß überschlägige, die Grundvoraussetzungen eines Vertrags über integrierte Versorgung einbeziehende Prüfung als ausreichend an. Andernfalls würde jeder einzelne Rechtsstreit über die Einbehaltung von Mitteln zur Anschubfinanzierung einen Anreiz für [X.]onkurrenten der integrierten Versorgung bieten, Verträge über die integrierte Versorgung im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung von Einbehaltungen zu Fall zu bringen. Um dies zu verhindern, begnügt sich § 140d Abs 1 Satz 1 [X.] damit, für Einbehaltungen lediglich zu verlangen, dass die einbehaltenen Mittel "zur Umsetzung von nach § 140b geschlossenen [X.]" erforderlich sind. Eine weitergehende Detailprüfung verlangt das Gesetz dagegen nicht.

Auch unter Berücksichtigung dieses reduzierten Prüfmaßstabs erfüllt der [X.] mit dem Diakonissenkrankenhaus [X.] gGmbH nicht die Grundvoraussetzungen eines Vertrags über integrierte Versorgung. § 140b Abs 1 [X.] erläutert im Einzelnen, mit wem [X.]n Verträge nach § 140a Abs 1 [X.] abschließen können. Nach § 140a Abs 1 Satz 1 [X.] können die [X.]n abweichend von den übrigen Regelungen dieses [X.]apitels Verträge über eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten oder eine interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung mit den in § 140b Abs 1 [X.] genannten Vertragspartnern abschließen.

Der Vertrag "Diakonissenkrankenhaus" zielt insoweit zwar auf eine sektorenübergreifende Versorgung ab. Nach seiner Präambel regelt der Vertrag eine integrierte Versorgung auf der Grundlage der §§ 140a ff [X.]. Ziel der Vereinbarung ist die integrative Zusammenarbeit von niedergelassenen Vertragsärzten mit dem [X.]rankenhaus. Gegenstand ist die Behandlung der als Anlage 1 dieser Vereinbarung aufgeführten Indikationen in Form einer interventionellen Versorgung mit postoperativer Nachsorge im überwachten Bett. Teilnehmende Ärzte sind nach § 1 des Vertrages zuweisende und nachbehandelnde Ärzte gemäß § 3 der Vereinbarung und kooperierende Ärzte gemäß § 2 der Vereinbarung. Zu den zuweisenden und/oder nachbehandelnden Ärzten soll nach § 3 des Vertrages "jeder zugelassene Vertragsarzt" gehören. Eine solche vertragliche Ausgestaltung deutet durchaus die Zielrichtung an, eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung zu schaffen.

Gleichwohl sind die Voraussetzungen des § 140b iVm § 140a [X.] nicht erfüllt. Die [X.] muss einen Vertrag über eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten mit solchen Vertragspartnern aus dem [X.]reis der abschließend in § 140b Abs 1 [X.] Aufgeführten "geschlossen" haben, dh auf einer vertraglichen Grundlage sichergestellt haben, dass die Vertragspartner eine integrierte Versorgung auch rechtlich leisten können. Soll - wie hier - die integrative Zusammenarbeit von niedergelassenen Vertragsärzten mit einem [X.]rankenhaus stattfinden, ist ein Vertrag von hinreichender Qualität daher erst "abgeschlossen", wenn tatsächlich auch die als potenzielle Vertragsteilnehmer angesprochenen Vertragsärzte vertraglich einbezogen worden sind. Daran fehlt es beim Vertrag "Diakonissenkrankenhaus". Eine Einbeziehungsvereinbarung mit Vertragsärzten, wie sie § 3 des Vertrages anspricht, liegt nicht vor, nicht einmal in Form eines - hierfür aber auch nicht ausreichenden - Musters. Dass tatsächlich in der [X.], in der die [X.] im dargelegten Rechtssinne Mittel einbehalten hat, [X.] mit Vertragsärzten bereits geschlossen worden waren, hat das [X.] nicht festgestellt, auch die [X.] hat dies nicht dargelegt, obwohl die [X.]lägerin das Fehlen einer solchen Vereinbarung bei dem [X.] gerügt hat. Unter diesen Umständen kann der erkennende Senat nicht von einem "nach § 140b geschlossenen Vertrag" ausgehen.

Gleiches gilt für den Vertrag mit dem [X.]rankenhaus [X.] und der Saale-[X.]linik Halle, Praxisklinik für operative Medizin, bei dem im [X.]lage- und Berufungsverfahren allerdings schon der Vertragstext nicht in unterzeichneter Form vorgelegt worden ist. Auch dieser Vertrag enthält eine Präambel wie der Vertrag mit dem Diakonissenkrankenhaus [X.] gGmbH, sieht eine Regelung über zuweisende und/oder nachbehandelnde Ärzte in seinem § 3 vor und will insoweit allgemein "jeden" zugelassenen Vertragsarzt einbeziehen. Der Vertragstext enthält sich aber einer vertraglichen Einbeziehung von konkreten Vertragsärzten, die von dieser ihnen eingeräumten Option auch Gebrauch machten. Auch insoweit hat das [X.] keine [X.] für den betroffenen [X.]raum festgestellt noch sind diese sonst aktenkundig. Im Übrigen werden nach § 6 dieses Vertrages im Rahmen einer Übergangsregelung bis zur Bereitstellung von geeigneten Räumlichkeiten im [X.]rankenhaus Operationen übergangsweise nach der dargelegten [X.] lediglich von den Ärzten der Praxisklinik (§ 115 Abs 2 Satz 1 [X.] [X.]) nur an den - dafür vom Medizinischen Dienst der [X.]rankenversicherung abgenommenen - drei Standorten der Praxisklinik erbracht, sodass nicht von einer verschiedene Leistungssektoren übergreifenden Versorgung der Versicherten auszugehen ist. Eine interdisziplinär/fachübergreifende Versorgung ist mit dem Vertrag weder beabsichtigt noch ergibt sie sich aus dem beigefügten OP-[X.]atalog.

Entsprechendes gilt schließlich für den [X.]. Auch dieser Vertrag, der nach seiner Präambel auf die integrative Zusammenarbeit von niedergelassenen Vertragsärzten in der Region mit dem [X.] abzielt, sieht in der Übergangsregelung (§ 3 des Vertrags) lediglich Operationen in der Praxisklinik vor. Eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung findet dagegen nicht statt. Auch insoweit kann der erkennende Senat nicht von einem geschlossenen Vertrag über integrierte Versorgung ausgehen.

3. Die vom [X.] zuerkannte Forderung von Prozesszinsen ist entsprechend der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl BSG [X.]-2500 § 69 [X.] 7 Rd[X.]4; vgl auch [X.], 133 = [X.]-7610 § 291 [X.]) nicht zu beanstanden, zumal die [X.]lägerin lediglich einen an der Pflegesatzvereinbarung orientierten Zinssatz von 4 % geltend macht.

4. Die [X.]ostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO, diejenige über den Streitwert aus § 197a Abs 1 Satz 1 Halbs 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 G[X.]G.

Meta

B 1 KR 11/10 R

02.11.2010

Bundessozialgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Dessau, 28. Februar 2007, Az: S 4 KR 70/05, Urteil

§ 85 Abs 2 SGB 5, § 109 Abs 4 S 3 SGB 5, § 140a Abs 1 S 1 SGB 5, § 140b Abs 3 SGB 5, § 140d Abs 1 S 1 SGB 5 vom 14.11.2003, § 387 BGB, § 31 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 02.11.2010, Az. B 1 KR 11/10 R (REWIS RS 2010, 1783)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1783

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 3 KR 6/10 R (Bundessozialgericht)

Krankenversicherung - integrierte Versorgung - Anschubfinanzierung - Erforderlichkeit - geschlossene Verträge - überschlägige sozialgerichtliche Prüfung …


B 6 KA 22/15 R (Bundessozialgericht)

Kassenärztliche Vereinigung - Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung - Anspruch auf Rückzahlung nicht innerhalb von 3 …


B 1 KR 11/15 R (Bundessozialgericht)

Krankenversicherung - Krankenhaus - Krankenhausvergütungen unterliegen der vierjährigen sozialrechtlichen Verjährung - keine weitere zeitliche Einschränkung …


B 1 KR 41/16 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache


B 6 KA 16/14 B (Bundessozialgericht)

Krankenversicherung - integrierte Versorgung - Behandlungsleistungen müssen solche der Regelversorgung überwiegend ersetzen - Hinausreichen über …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.