Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21.07.2016, Az. V B 66/15

5. Senat | REWIS RS 2016, 7798

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Gegenstand

Anforderungen an die Übertragung auf den Einzelrichter


Leitsatz

NV: Das FG kann über die Übertragung eines Rechtsstreits auf den Einzelrichter im Regelfall nach Eingang von Klagebegründung, Klageerwiderung und Steuerakten entscheiden. Eine Übertragung ohne Eingang der Klagebegründung kann z.B. auch nach Fristsetzung gemäß § 79b FGO zulässig sein. Anders ist es, wenn ein Antrag nach § 86 Abs. 1 FGO mit der Ankündigung gestellt wird, die Klage nach Aktenvorlage zu begründen.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 1. Juli 2015  12 K 3845/12 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) machte mit ihrer beim Finanzgericht ([X.]) am 23. November 2012 eingegangenen Klage geltend, dass der ihr erteilte Umsatzsteuerbescheid 1999 vom 26. November 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Oktober 2012 nebst des hierzu ergangenen [X.]s ebenso rechtswidrig sei wie die Ablehnung eines Billigkeitsantrags durch Bescheid vom 17. April 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Oktober 2012. Zur Erstellung der Klagebegründung beantragte sie Akteneinsicht, die ihr gewährt wurde. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) teilte mit, dass es nur seine eigenen Akten, nicht aber auch die Akten anderer Behörden übersende. Daraufhin beantragte die Klägerin mit Schriftsatz vom 4. März 2013 gemäß § 86 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O), die Oberfinanzdirektion (OFD) ..., das [X.] ... und das [X.] zur Vorlage der Akten aufzufordern, die das Verfahren der Klägerin, insbesondere den Billigkeitsantrag der Klägerin, betreffen. Zur Begründung wies die Klägerin darauf hin, dass diese [X.] an der Entscheidung über ihren Billigkeitsantrag beteiligt gewesen seien. Mit Schriftsatz vom 28. Juni 2013 beantragte die Klägerin die Beiladung der OFD ..., des [X.] ... und des [X.]s.

2

Das [X.] beschloss am 10. Juni 2015 die Übertragung auf den Einzelrichter gemäß § 6 [X.]O und übersandte am 11. Juni 2015 die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 1. Juli 2015. Aufgrund der mündlichen Verhandlung wies das [X.] die Klage gegen den [X.] als unzulässig und die Klage im Übrigen als unbegründet ab.

Entscheidungsgründe

3

II. Die Beschwerde der Klägerin ist begründet. Es liegt ein von der Klägerin geltend gemachter Verfahrensmangel vor (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O).

4

1. Die Voraussetzungen des absoluten Revisionsgrundes gemäß § 119 Nr. 1 [X.]O sind gegeben, da das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war.

5

a) Die Übertragung eines Rechtsstreits auf den Einzelrichter nach § 6 [X.]O kann zu einem Besetzungsmangel i.S. des § 119 Nr. 1 [X.]O führen. Dies kommt bei einer willkürlichen Übertragung auf den Einzelrichter in Betracht. Hierfür reicht es nicht aus, wenn der Rechtsstreit auf den Einzelrichter bereits vor dem Eingang der letzten Schriftsätze übertragen wird. Denn der Senat kann über die Übertragung schon dann entscheiden, wenn er sich ein hinreichendes Urteil über den Fall bilden kann. Hierfür genügt nach allgemeiner Auffassung der Eingang von Klagebegründung, Klageerwiderung und Steuerakten (Beschluss des [X.] --BFH-- vom 27. Dezember 2004 IV B 16/03, [X.] 2005, 1078, unter [X.]; ebenso [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 6 [X.]O Rz 14; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 6 [X.]O Rz 31, und [X.] in [X.], [X.], § 6 [X.]O Rz 33).

6

b) Im Streitfall hatte der Senat des [X.] den Rechtsstreit auf den Einzelrichter bereits vor dem Eingang der Klagebegründung übertragen. Es kann [X.] bleiben, ob bereits jegliche Übertragung auf den Einzelrichter als Verstoß gegen § 6 [X.]O i.V.m. § 119 Nr. 1 [X.]O anzusehen ist. Bleibt die Klagebegründung z.B. trotz einer Fristsetzung nach § 79b [X.]O aus, kann eine Übertragung auf den Einzelrichter sachgerecht sein. Anders ist es im Streitfall, in dem die Klägerin einen Antrag nach § 86 Abs. 1 [X.]O gestellt und ausdrücklich angekündigt hatte, die Klage nach [X.] zu begründen.

7

c) Folge der Unwirksamkeit der Einzelrichterübertragung war, dass weiterhin der [X.] als der für die Entscheidung des Streitfalls zuständige gesetzliche Richter anzusehen ist ([X.] vom 8. Januar 2013 [X.] 118/12, [X.] 2013, 750).

8

2. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 [X.]O zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

9

Dabei macht der Senat von der Möglichkeit einer Zurückverweisung des vom [X.] dem Einzelrichter übertragenen Rechtsstreits an den [X.] Gebrauch (vgl. zu § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O BFH-Urteile vom 15. April 1996 VI R 98/95, [X.], 509, [X.] 1996, 478, unter 3.; vom 30. November 2010 VIII R 19/07, [X.] 2011, 449, unter [X.], und in [X.] 2013, 750).

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V B 66/15

21.07.2016

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 1. Juli 2015, Az: 12 K 3845/12, Urteil

§ 6 FGO, § 119 Nr 1 FGO, § 86 Abs 1 FGO, § 79b FGO, § 126 Abs 3 S 1 Nr 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21.07.2016, Az. V B 66/15 (REWIS RS 2016, 7798)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 7798

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