Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 21.09.2021, Az. 15 W 6/21

15. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 2495

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Tenor

I.

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 4c. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 11.01.2021 – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels – dahingehend abgeändert, dass der angefochtene Beschluss insgesamt wie folgt gefasst wird:

1.

Das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. A. vom 22.01.2020 sowie die zugehörigen Anlagen werden der Antragstellerin nur in der Fassung und dem Umfang gemäß der Anlage G 2 zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 08.02.2021 zur Kenntnis gegeben.

2.

Rechtsanwalt Dr. B., Rechtsanwältin C. sowie Patentanwalt Dr. D. werden im Umfang von Ziffer 1 von ihrer Verschwiegenheitsverpflichtung entbunden.

3.

Im Übrigen wird der Antrag der Antragstellerin auf Herausgabe des schriftlichen Gutachtens an sie persönlich zurückgewiesen.

II.

Die Anschlussbeschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

III.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin zu 70 % und der Antragsgegnerin zu 30 % auferlegt.

IV.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

V.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 25.000,00 €.

Gründe

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässig. Sie hat in der Sache in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Anschlussbeschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Mit Ziffern I. und II. des Beschlusses vom 18.12.2019 (Bl. 71 ff. GA) hat das Landgericht im sogenannten „Düsseldorfer Verfahren“ antragsgemäß wegen Verletzung des deutschen Teils des EP 01 (nachfolgend Antragspatent) die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens und die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens angeordnet. Das vom gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. A. erstattete Gutachten vom 22.01.2020 (Bl. 176 ff. GA), in welchem eine Verwirklichung des Antragspatents bejaht wird, leitete das Landgericht der Antragsgegnerin sowie den zur Verschwiegenheit verpflichteten Vertretern der Antragstellerin zu. Den Antrag, das Sachverständigengutachten an die Antragstellerin persönlich herauszugeben, hat das Landgericht mit Beschluss vom 11.01.2021 (Bl. 442 ff. GA) teilweise zurückgewiesen und beschlossen, das Sachverständigengutachten nebst Anlagen der Antragstellerin nur in der Fassung und dem Umfang nach der Anlage zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 08.10.2020 (Bl. 359 ff. GA) zur Kenntnis zu geben. Die Vertreter der Antragstellerin hat das Landgericht in diesem Umfang von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbunden.

Mit sofortiger Beschwerde vom 25.01.2021 (Bl. 455 f. GA) hat die Antragstellerin sinngemäß beantragt, den Beschluss des Landgerichts vom 11.01.2021 aufzuheben, ihr das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 22.01.2020 sowie die dazugehörigen Anlagen in ungeschwärzter Fassung persönlich zur Kenntnis zu bringen und ihre anwaltlichen Vertreter (vollständig) von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden. Hilfsweise hat sie die Herausgabe des Sachverständigengutachtens sowie die zugehörigen Anlagen an sie persönlich in der Fassung nach Anlage MB1 des Schriftsatzes vom 08.02.2021, höchsthilfsweise in der Fassung nach Anlage G 2 des genannten Schriftsatzes beantragt.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, der sofortigen Beschwerde nicht abzuhelfen und im Wege der Anschlussbeschwerde vom 10.03.2021 sinngemäß beantragt, den Beschluss des Landgerichts vom 11.01.2021 aufzuheben, das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 22.01.2020 der Antragstellerin persönlich nicht zur Kenntnis zu geben und die Verschwiegenheitsverpflichtung bestehen zu lassen.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 21.04.2021 (Bl. 526 ff. GA) der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin und der Anschlussbeschwerde der Antragsgegnerin nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Das schriftliche Gutachten des Sachverständigen ist gemäß dem zweiten Hilfsantrag der Antragstellerin in der Fassung gemäß Anlage MB2 zum Schriftsatz vom 08.02.2021 herauszugeben.

1)

Das Landgericht hat die für die Herausgabe eines Sachverständigengutachtens maßgeblichen Grundsätze zutreffend wiedergegeben und ist infolge dessen zu Recht davon ausgegangen, dass das Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen im Rahmen eines Besichtigungsverfahrens grundsätzlich an den Antragsteller bzw. Besichtigungsgläubiger persönlich herauszugeben ist, unabhängig davon, ob das Sachverständigengutachten eine Schutzrechtsverletzung bejaht oder verneint (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.06.2020, I-2 W 10/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.02.2020, I-2 W 1/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.08.2019, I-2 W 7/19; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.07.2015, I-15 W 20/15; jeweils m. w. Nachw.).

Es ist weiterhin zu Recht davon ausgegangen, dass eine Herausgabe (nur) dann und insoweit ausscheiden kann, als dass das Sachverständigengutachten Teile oder Unterlagen enthält, die von der Beweisanordnung nicht umfasst sind, oder wenn und soweit der Antragsgegner bzw. Besichtigungsschuldner beachtliche verfassungsrechtlichen Schutz nach Art. 12 Abs. 1 GG genießende Geheimhaltungsinteressen geltend macht, denen sich nicht ohne Eingriff in den Aussagegehalt des Gutachtens durch Schwärzungen Rechnung tragen lässt (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.06.2020, I-2 W 10/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.02.2020, I-2 W 1/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.08.2019, I-2 W 7/19; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.07.2015, I-15 W 20/15; jeweils m. w. Nachw.).

Können in dem Sachverständigengutachten sämtliche vom Antragsgegner geltend gemachten Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse (nachfolgend nur Geschäftsgeheimnis) durch Schwärzen oder auf sonstige Weise unkenntlich gemacht werden, bestehen in Bezug auf einen so redigierten Text des Gutachtens keine Geheimhaltungsinteressen (mehr), die einer Aushändigung des Besichtigungsgutachtens an den Antragsteller persönlich entgegenstehen könnten. Darauf, ob das so beschaffene Sachverständigengutachten für den Antragsteller noch hilfreich ist, kommt es nicht an. Auch ein objektiv nutzloses Rumpf-Gutachten ist  auszuhändigen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.06.2020, I-2 W 10/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.02.2020, I-2 W 1/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.08.2019, I-2 W 7/19; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.07.2015, I-15 W 20/15; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.07.2015, I-2 W 13/15, BeckRS 2016, 1681, jeweils m. w. Nachw.).

Kann den Geheimhaltungsinteressen hingegen nicht durch (Teil-)Schwärzung oder in anderer Weise Rechnung getragen werden, etwa weil die Schwärzung den Sinn des Sachverständigengutachtens entstellen, und ist nach dem Sachstand im Besichtigungsverfahren von einer Schutzrechtsverletzung auszugehen, müssen die Geheimhaltungsinteressen des Besichtigungsschuldners zurückstehen und das Interesse des verletzten Besichtigungsgläubigers an der Durchsetzung seiner aus dem Schutzrecht hervorgehenden Ausschließlichkeitsrechte hat Vorrang. Allerdings nur insoweit und in dem Umfang wie dies erforderlich ist, um dem Besichtigungsgläubiger eine Verfolgung der begangenen Schutzrechtsverletzung zu ermöglichen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.06.2020, I-2 W 10/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.02.2020, I-2 W 1/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.08.2019, I-2 W 7/19; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.07.2015, I-15 W 20/15; jeweils m. w. Nachw.).

2)

Will der Besichtigungsschuldner – wie hier – aus Gründen des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen verhindern, dass das Sachverständigengutachten der gegnerischen Partei (vollständig) zur Kenntnis gebracht wird, hat er nach allgemeinen Darlegungs- und Beweislastgrundsätzen Tatsachen darzulegen und ggf. glaubhaft zu machen, die ein solches Geheimnis begründen bzw. aus denen der Schluss gezogen werden kann, das bei ihm bestehende Geschäftsgeheimnisse berührt sind (BGH GRUR 2010, 318 – Lichtbogenschürung; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.06.2020, I-2 W 10/20; Cepl/Voß/Hahn, Prozesskommentar zum gewerblichen Rechtsschutz, 2. Aufl., § 485 Rn. 59).

a)

Die Frage, ob ein Geschäftsgeheimnis gegeben ist, beurteilt sich bei der Entscheidung über die Herausgabe eines schriftlichen Sachverständigengutachtens im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens nach dem „Düsseldorfer Verfahren“ nicht nach § 2 Nr. 1 GeschGehG. Diese Norm findet in diesem Verfahren keine Anwendung.

Die in § 2 Nr. 1 GeschGehG enthaltende Legaldefinition des Geschäftsgeheimnisses gilt, wie die Einleitung des § 2 GeschGehG („Im Sinne dieses Gesetzes ist …“) verdeutlicht, allein für das GeschGehG und damit für Verfahren, in denen Ansprüche aus diesem Gesetz geltend gemacht werden (BeckOK GeschGehG/Fuhlrott/Hiéramente GeschGehG § 2 Einl.; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander GeschGehG § 2 Rn. 7). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Außerhalb des Anwendungsbereichs des GeschGehG kann die Definition nur dann unmittelbar Geltung beanspruchen, wenn sie ausdrücklich in Bezug genommen wird und/oder sich aus dem Schutzzweck und dem Regelungskontext einer Norm ergibt, dass ein begrifflicher Gleichlauf mit § 2 Nr. 1 GeschGehG besteht (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander GeschGehG § 2 Rn. 7). Dies ist vorliegend ebenso wenig festzustellen. Das PatG enthält keine ausdrückliche Bezugnahme auf § 2 Nr. 1 GeschGehG; auch nicht in dem durch das 2. Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts eingefügten § 145a PatG.

§ 145a PatG ordnet allein eine entsprechende Anwendung der §§ 16 bis 20 GeschGehG in Patentstreitsachen mit Ausnahme von selbstständigen Beweisverfahren sowie in Zwangslizenzverfahren an. Ein Verweis auf § 2 GeschGehG findet sich in diesem Paragraphen mithin nicht und das selbstständige Beweisverfahren wird zudem aus dem Bereich der entsprechenden Anwendung der genannten Normen ausdrücklich ausgenommen. Zu letzterem wird in der Gesetzesbegründung explizit festgehalten, dass das „Düsseldorfer Verfahren“ von der Anwendung der genannten Bestimmungen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen in Patentstreitsachen unberührt bleibt. Es biete, so die Gesetzesbegründung weiter, dem Patentinhaber die Möglichkeit, an beweisrelevante Informationen aus der Sphäre des Beklagten zu gelangen und schütze zugleich dessen Geheimhaltungsinteressen (BT-Drs. 19/25821, S. 57). Die Herausnahme des selbständigen Beweisverfahrens aus dem Anwendungsbereich des § 145a PatG ist demzufolge wegen des in diesem Zusammenhang bereits bestehenden Schutzes von Geschäftsgeheimnissen bewusst erfolgt. Ferner ist auch nichts dafür ersichtlich, dass ein Verweis auf § 2 Nr. 1 GeschGehG, bei dem es sich anders als bei §§ 16 ff. GeschGehG nicht um eine prozessuale Maßnahme, sondern um eine materiell-rechtliche Norm handelt, versehentlich unterblieben wäre. Der Gesetzgeber hatte die Schnittstelle des GeschGehG und des PatG sowie den besonderen Bedarf nach prozessualem Schutz von Geschäftsgeheimnissen in Patentstreitsachen vor Augen (vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/25821, S. 56 f.); gerade deshalb erfolgte die Einführung des § 145a PatG. Erklärt der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund, das „Düsseldorfer Verfahren“ unberührt lassen zu wollen und unterbleibt ein Anwendungsverweis auf die Begriffsdefinition des GeschGehG, kann dies nur bedeuten, dass im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens nach dem „Düsseldorfer Verfahren“ die für die Herausgabe eines Sachverständigengutachtens erforderliche Feststellung von Geschäftsgeheimnissen auch weiterhin nach den anerkannten und bekannten Grundsätzen der Rechtsprechung zu erfolgen hat. Dass auf Grund dessen im selbständigen Beweisverfahren gemäß dem „Düsseldorfer Verfahren“ – möglicherweise – andere Anforderungen an ein Geschäftsgeheimnis gestellt werden als nach § 2 Nr. 1 GeschGehG, veranlasst letztlich nicht zu einer anderen Sichtweise. Da sich der Schutzzweck der Verfahren unterscheidet, ist ein einheitliches Begriffsverständnis insoweit nicht zwingend. Das GeschGehG dient dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor unerlaubter Erlangung, Nutzung und Offenlegung (§ 1 Nr. 1 GeschGehG) und stellt dem Inhaber im Falle unerlaubter Handlungen (§ 4 GeschGehG) verschiedene Ansprüche zur Seite (§§ 6 ff. GeschGehG). Bei der Entscheidung über die Herausgabe eines Sachverständigengutachtens im Rahmen des „Düsseldorfer Verfahrens“ steht demgegenüber die Frage im Raum, ob der im Wege eines gerichtlichen Verfahrens in Anspruch genommene Besichtigungsschuldner, schützenswerte Geschäftsgeheimnisse geltend machen kann, die im Einzelfall als Folge einer Interessensabwägung das Recht des Besichtigungsgläubigers auf effektiven Rechtsschutz überwiegen.

Eine analoge Anwendung des § 2 Nr. 1 GeschGehG im selbständigen Beweisverfahren gemäß dem „Düsseldorfer Verfahren“ scheidet aufgrund des zuvor Gesagten aus. Es mangelt an einer planwidrigen Regelungslücke.

b)

Als Geheimnis ist nach den anerkannten Grundsätzen der Rechtsprechung zum „Düsseldorfer Verfahren“ jedes betriebsbezogene, technische oder kaufmännische Wissen im weitesten Sinne anzusehen, das allenfalls einem begrenzten Personenkreis bekannt ist und von dem sich ein größerer Personenkreis nur unter Schwierigkeiten Kenntnis verschaffen kann, an dessen Geheimhaltung der Unternehmer ein berechtigtes Interesse hat und in Bezug auf das sein Geheimhaltungswille bekundet worden oder erkennbar ist (BGH, GRUR 2010, 318 – Lichtbogenschnürung; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.06.2020, I-2 W 10/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.08.2019, I-2 W 7/19; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.01.2019, Az.: I-2 W 1/19; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.07.2015, I-15 W 20/15).

Die zur Wahrung des Geheimhaltungsinteresses in der Sache gebotenen Anordnungen sind alsdann aufgrund einer einzelfallbezogenen, umfassend alle beiderseitigen möglicherweise beeinträchtigten Interessen berücksichtigenden Würdigung zu treffen. Das bedeutet, dass, wenn auf Seiten des Besichtigungsschuldners ein den Tatbestand eines Geschäftsgeheimnisses erfüllender Gegenstand berührt ist, dessen Schutz nicht obligatorischen Vorrang hat und das Interesse des Schutzrechtsinhabers an der Offenlegung nicht stets zurücktritt. Die an den Erfordernissen des Einzelfalls orientierte Prüfung schließt vielmehr die Abwägung ein, ob das Interesse an der Wahrung des jeweiligen Geheimnisses gegenüber dem Offenlegungsinteresse des Patentinhabers überwiegt oder umgekehrt. Das beruht darauf, dass bestimmten Informationen, namentlich im geschäftlichen Bereich, zwar objektiv der Status von Privatgeheimnissen zuerkannt werden kann, dass dem Unternehmen des vermeintlichen Verletzers, insbesondere hinsichtlich seiner wettbewerblichen Position, aus ihrer Offenlegung unter Umständen aber nur mehr oder weniger unerhebliche Nachteile drohen. Umgekehrt kann der prozessuale Nutzen, den der Patentinhaber aus den durch die Offenlegung eines Geheimnisses zusätzlich gewonnenen Erkenntnissen ziehen kann, im Einzelfall voraussichtlich als so gering einzuschätzen sein, dass das Offenlegungsinteresse hinter dem Geheimhaltungsbedürfnis zurücktritt.

Daraus ergibt sich für den Besichtigungsschuldner, der die vorbehaltlose Offenlegung eines Sachverständigengutachtens verhindern will, die Notwendigkeit, nicht nur darzulegen, dass schützenswerte Geschäftsgeheimnisse berührt sind, sondern auch aufzuzeigen, welcher Stellenwert diesen im Wettbewerb zukommt und welche Nachteile ihm aus der Offenbarung erwachsen könnten (BGH, GRUR 2010, 318, 322 – Lichtbogenschnürung; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.08.2019 – I-2 W 7/19 m. w. Nachw.; Cepl/Voß/Hahn, Prozesskommentar zum gewerblichen Rechtsschutz, 2. Aufl., § 492 Rn. 15; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 13. Aufl., Abschn. B, Rz. 138).

c)

Die Antragsgegnerin hat schützenswerte Geschäftsgeheimnisse in diesem Sinne hinsichtlich der Führungs- und Umlenkrollen, der Abdeckung der Bürste und der Druckwalzenanordnung dargetan und glaubhaft gemacht.

aa)

Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass die Antragsgegnerin ein Geschäftsgeheimnis betreffend die konkrete Anordnung und Ausgestaltung der Führungs- und Umlenkrollen, wie sie auf den Bildern 1, 3, 4, 5, 7, 9, 13, 15, 16 und 18 des Sachverständigengutachten zu sehen ist, dargetan hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Beschluss vom 11.01.2021 und im Nichtabhilfebeschluss vom 21.04.2021 Bezug und macht sie sich zu Eigen. Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin veranlasst lediglich noch folgende Ergänzungen:

(1)

Der neuerliche Hinweis der Antragstellerin auf die im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 13.02.2020 im parallelen Verletzungsverfahren Az. 4a O 94/19 eingeblendeten bildlichen Darstellungen der Maschine D08 und der Maschine „E.“ führt nicht dazu, dass die hier in Rede stehende konkrete Anordnung und Ausgestaltung der Führungs- und Umlenkrollen als allgemein bekannt anzusehen ist. Der Antragstellerin ist zwar insoweit beizutreten, als dass die auf Seiten 28 und 23 des Schriftsatzes vom 13.02.2020 eingeblendeten bildlichen Darstellungen durch die Aufnahme in den Schriftsatz und dessen vorbehaltloser Übermittlung in dem parallelen Verletzungsverfahren nicht (mehr) als geheim eingestuft werden kann. Die bildlichen Darstellungen sind vielmehr (nun) einem nicht näher begrenzten Personenkreis zugänglich gemacht worden.

Dies wäre für das hiesige Verfahren jedoch nur dann von Relevanz, wenn sich die bildlichen Darstellungen im Schriftsatz vom 13.02.2020 und die Bilder, die der Sachverständige in sein gerichtliches Gutachten aufgenommen hat, (inhaltlich) entsprechen würden. Dies ist indes unstreitig nicht der Fall; die auf den Bildern jeweils zu sehende Anordnung und Ausgestaltung der Führungs- und Umlenkrollen ist nicht identisch. Darauf, ob die bildlichen Darstellungen im Schriftsatz vom 13.02.2020 teilweise die Anordnung und Ausgestaltung zeigen, die auf den Bildern des Sachverständigengutachtens zu sehen ist, kommt es nicht an. Ein Geschäftsgeheimnis kann insbesondere auch Stand der Technik oder einzelne allgemein bekannte Bestandteile umfassen. Maßgeblich ist die gesamte Information, nicht, ob bei einer Gesamtheit von Informationen sämtliche einzelne Informationen oder alle Bestandteile für sich genommen geheim sind. Selbst in der Zusammenstellung von für sich allgemeinen bekannten Informationen kann ein Geschäftsgeheimnis liegen (BGH GRUR 2008, 727 – Schweißmodulgenerator; BGH GRUR 2003, 356 – Präzisionsmessgeräte). Da es auf die konkret in Rede stehende Information ankommt und entscheidend ist, ob diese allgemein bekannt ist, ist gleichsam nicht von Bedeutung, ob und wenn ja welches der – (inhaltlich) nicht identischen – Bildern einen weitergehenden Informationsgehalt besitzt.

Aus den gleichen Gründen kommen auch die von der Antragstellerin vorgebrachten diversen YouTube-Videos nicht zum Tragen. Die darin gezeigten Führungs- und Umlenkrollen sind zwar aufgrund der Veröffentlichung der Videos auf YouTube allgemein bekannt. Die Videos zeigen indes nicht die konkrete Anordnung und Ausgestaltung, die auf den Bildern des Sachverständigen zu erkennen ist.

(2)

Die Antragsgegnerin hat bezüglich der in Rede stehenden Anordnung und Ausgestaltung der Führungs- und Umlenkrollen auch nicht lediglich einen internen Geheimhaltungswillen gehabt. Sie hat diesen Willen vielmehr auch durch tatsächliche Geheimhaltungsmaßnahmen bekundet.

Als eine solche Maßnahme kann allerdings nicht, wie die Antragstellerin zu Recht hervorhebt, die von der Antragsgegnerin zunächst erklärte Zutrittsverweigerung angesehen werden. Der der Antragstellerin von der Antragsgegnerin zunächst verweigerte Zutritt zu den Geschäftsräumen zwecks Besichtigung mit der Folge der Notwendigkeit eines Durchsuchungsbeschlusses ist für sich genommen kein Beleg für das Ergreifen erforderlicher Geheimhaltungsmaßnahmen. Dieses der Antragsgegnerin von der Rechtsordnung grundsätzlich zugestandene Vorgehen hat zwar – aus Sicht der Antragstellerin – die Besichtigung erschwert bzw. zeitlich verzögert. Es hat jedoch nicht zu (weiteren) Geheimhaltungsmaßnahmen der Antragsgegnerin geführt. Der Durchsuchungsbeschluss enthält keine dahingehenden Anordnungen. Der gerichtliche Sachverständige und die weiteren zur Besichtigung zugelassenen Vertreter der Antragstellerin waren vielmehr bereits nach Ziffer II.3, III.2 des Beschlusses vom 18.12.2019 zur Verschwiegenheit verpflichtet. Auf diese Verpflichtungen hatte der Durchsuchungsbeschluss keinen Einfluss. Angesichts der auferlegten Verschwiegenheitsverpflichtungen wurden Informationen, von denen die genannten Personen im Besichtigungsverfahren Kenntnis erlangen, nicht allgemein bekannt oder öffentlich zugänglich. Bis zur Aufhebung der Verschwiegenheitsverpflichtungen waren bzw. sind diese Informationen vielmehr gerade durch diese abgesichert und der Personenkreis, der sie kennt, bleibt nach wie vor abgrenzbar.

Die Antragsgegnerin hat ihren Geheimhaltungswillen indes mittels technischer Sicherungsmaßnahme nach außen kundgetan. Sie hat zwar die von ihr behauptete Untersagung von Ton- und Videoaufnahmen in ihren Geschäftsräumen trotz des zulässigen Bestreitens mit Nichtwissens der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, der eidesstattlichen Versicherung des Herrn Dr. F. (Anlage H. 5) ist hierzu nichts zu entnehmen. Es ist jedoch glaubhaft gemacht, dass Unbefugten der Zutritt zu der Produktionsstätte bzw. den Räumlichkeiten nicht gestattet ist. Wie der eidesstattlichen Versicherung des Herrn Dr. F. (Anlage H. 5) – an deren Glaubhaftigkeit der Senat nicht zweifelt – zu entnehmen ist, sind die Produktionsräume durch elektronische Schlösser geschützt. Die Mitarbeiter erhalten Codekarten; ohne diese ist ein Zugang nicht möglich. Mittels der eidesstattlichen Versicherung hat die Antragsgegnerin zudem glaubhaft gemacht, dass die Computer der Mitarbeiter durch Passwörter gesichert sind. Jeder Mitarbeiter kann nur mit Benutzerkennung und Eingabe des persönlichen Passworts auf das System zugreifen. Darüber hinaus können nur Personen der J&K Abteilung standardmäßig auf die Daten der J&K Abteilung zugreifen. Insbesondere Projektpläne, Zeichnungen, Testergebnisse und Dokumentationen von Versuchsläufen sind mithin grundsätzlich nicht für sämtliche Mitarbeiter zugänglich. Sie können nur selektiv bei einer abteilungsübergreifenden J&K Projektbeteiligung die Daten erhalten.

Soweit die Antragsgegnerin arbeitsvertragliche Regelungen zur Geheimhaltung und Verschwiegenheit behauptet hat, hat sie solche zwar nicht glaubhaft gemacht, obgleich die Antragstellerin die tatsächliche Verwendung der von der Antragsgegnerin zitierten Klauseln aus „Standard-Arbeitsverträgen“ zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten hat und, anders als die Antragsgegnerin meint, auch insoweit keine Verschiebung der Glaubhaftmachungslast eingetreten ist. Es gilt indes zu bedenken, dass grundsätzlich auch ohne besondere Vereinbarung in einem Arbeitsvertrag aus § 241 Abs. 2 BGB die (Neben)Verpflichtung des Arbeitnehmers folgt, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Arbeitgebers zu wahren (BAG NZA 2009, 855 m. w. Nachw.; MüKoBGB/Spinner BGB § 611a Rn. 1007).

Sofern die Angemessenheit der tatsächlich ergriffenen Geheimhaltungsmaßnahmen vorliegend überhaupt ein Kriterium sein sollte, ist festzuhalten, dass kein Anhalt dafür besteht, diese im konkreten Fall verneint werden müsste. Insbesondere ist weder vorgetragen noch sonst wie ersichtlich, dass die konkrete Anordnung und Ausgestaltung der Führungs- und Umlenkrollen der auf dem freien Markt nicht erhältlichen Maschinen (unbefugten) Dritten bekannt ist.

(3)

Anhand des zuvor Gesagten lässt sich feststellen, dass die im Sachverständigengutachten gezeigte konkrete Anordnung und Ausgestaltung der Führungs- und Umlenkrollen nicht allgemein bekannt ist. Ein größerer Personenkreis kann sich die Kenntnis nur unter Schwierigkeiten beschaffen.

Für diese Feststellung bedarf es vorliegend nicht der Benennung der konkreten Anzahl an Mitarbeitern (der J&K Abteilung), die zum Kreis der „Mitwisser“ gehören. Selbst wenn sämtlichen Mitarbeitern der Antragsgegnerin das in Rede stehende Geschäftsgeheimnis bekannt sein sollte, und nicht nur denjenigen der J&K Abteilung, handelt es sich um einen (eng) begrenzten Personenkreis. Die Personen sind identifizier- bzw. bestimmbar; sie gehören allesamt zum selben Unternehmen. Ein Höchstwert für die Größe des begrenzten Personenkreises existiert nicht. Es kann sich deshalb auch um einen größeren Personenkreis handeln. Der Geheimnischarakter wird regelmäßig auch nicht dadurch aufgehoben, dass Vorgänge in einem Produktionsbetrieb den dort Beschäftigten bekannt werden (BGH, GRUR 2018, 1161 – Hohlfasermembranspinnanlage II; BGH, GRUR 2012, 1048 – MOVICOL-Zulassungsantrag; BGH GRUR 2003, 356 – Präzisionsmessgeräte). Dass andere Personen als die Mitarbeiter der Antragsgegnerin von der Anordnung und Ausgestaltung der Führungs- und Umlenkrollen ist, wie ausgeführt, nicht feststellbar.

(4)

Mit Blick auf die Anordnung und Ausgestaltung der Führungs- und Umlenkrollen hat die Antragsgegnerin schließlich auch den Stellenwert des Geschäftsgeheimnisses und die Nachteile ausreichend dargetan, die ihr aus der Offenbarung der Information erwachsen können (BGH, GRUR 2010, 318 – Lichtbogenschürung).

Die Antragsgegnerin hat nachvollziehbar im Einzelnen vorgetragen und mittels der eidesstattlichen Versicherung des Herrn Dr. F. (Anlage H. 5) glaubhaft gemacht, dass die besichtigten Vorrichtungen nicht frei am Markt erhältlich sind und die Anordnung der Führungs- und Umlenkrollen für eine höher Prozessstabilität sorgt. Diese Stabilität ermögliche eine höhere Prozessgeschwindigkeit bei gleichbleibender Qualität und somit eine deutlich höhere Produktionszahl. Zudem könne die Wartungszeit niedrig gehalten werden und die Anpassungsfähigkeit an unterschiedlichen Produkttypen erhöht werden. Das Oberflächenmaterial der Rollen verringere den Abrieb und damit den Verschleiß der Rollen, was ebenso weniger Wartung und weniger Reparaturen und damit weniger Stillstand an der Maschine nach sich ziehe. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Glaubhaftigkeit der eidesstaatlichen Versicherung hervorrufen könnten, sind nicht ersichtlich oder vorgetragen. Die Antragsgegnerin hat weiter nachvollziehbar dargetan, dass bei Kenntnis der hier in Rede stehenden Anordnung und Anpassung der eigenen Maschinen die Antragstellerin einen höheren Durchsatz pro Stunde und pro Maschine erzielen könnte. Mittel- und langfristig könnte dieses Geschäftsgeheimnis zu einer effizienteren und qualitativ hochwertigeren Produktion führen. Auf das Jahr gerechnet könnte dies, wenn bei der Antragstellerin auch nur einmal am Tag der Ausgangsstoff je Maschine weniger reißt, zu einer Produktionssteigerung von mindestens ½ - 1 Mio. Windeln führen.

Dies zugrunde gelegt sind konkrete (wirtschaftliche) Nachteile der Antragsgegnerin zu erkennen, wenn die Anordnung und Ausgestaltung der Führungs- und Umlenkrollen der Antragstellerin, mit welcher sie im Wettbewerb steht, bekannt wird.

bb)

Auch bei der auf den Bildern 3, 4, 7, 9, 12 und 18 des Sachverständigengutachtens gezeigten Abdeckung der Bürste handelt es sich um ein Geschäftsgeheimnis der Antragsgegnerin.

(1)

Anhaltspunkte dafür, dass die Position, Form und/oder das Material der Bürstenabdeckung allgemein bekannt oder öffentlich zugänglich sind, bestehen nicht. Nicht einmal die Antragstellerin behauptet derartiges. Soweit sie das Ergreifen ausreichender Geheimhaltungsmaßnahmen in Abrede stellt, ist auf das unter 2) c) aa) (2) – (3) Ausgeführte zu verweisen. Die dortigen Ausführungen gelten hier sinngemäß.

Soweit die Antragstellerin darauf abstellt, dass die Geheimhaltungsmaßnahmen stets konkret in Bezug auf das jeweilige Geschäftsgeheimnis ergriffen werden müssen, ist ihr im Ansatz zuzustimmen. Diese Anforderung wird vorliegend indes erfüllt. Die von der Antragsgegnerin vorgetragenen und glaubhaft gemachten Maßnahmen beziehen sich allesamt auf die besichtigte(n) Maschine(n). An dieser bzw. an denen befinden sich jedoch sämtliche Vorrichtungsteile, die ein Geschäftsgeheimnis darstellen. Folglich sind sämtliche Geheimhaltungsmaßnahmen, die auf die Maschine bezogen ergriffen wurden, zugleich Maßnahmen mit Bezug zum einzelnen Geheimnis.

(2)

Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, dass die Position, die Form und das Material der Abdeckung die Produktion der Windeln verbessert. So werde beispielsweise durch die Formgebung verhindert, dass absorbierendes Material ungewollt auf die zu produzierenden Windeln gewirbelt werde und dass die Kanäle damit tatsächlich sauber und frei von Verunreinigungen sind/bleiben.

Diesem Vorbringen ist die Antragstellerin nicht erheblich entgegen getreten. Sie hat es im Tatsächlichen nicht bestritten, sondern das Vorbringen lediglich – unzutreffender Weise – als nicht substantiiert bezeichnet. Insbesondere der wirtschaftliche Wert der Bürstenabdeckung und die mit einer Offenbarung ihrer Position, Form und ihrem Material einhergehenden Nachteile für die Antragsgegnerin sind demzufolge unstreitig.

cc)

Ebenfalls als Geschäftsgeheimnis zu qualifizieren ist die auf den Bildern 2, 5, 7, 9, 15, 16 und 18 des Sachverständigengutachtens abgebildete Druckwalzenanordnung.

(1)

Anhaltspunkte dafür, dass die Druckwalzenanordnung allgemein bekannt oder offenkundig ist, bestehen nicht. Soweit die Antragstellerin auch in diesem Zusammenhang auf die bildlichen Darstellungen im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 13.02.2020 im parallelen Verletzungsverfahren Az. 4a O 94/19 verweis, verfängt dies nicht. Die dort gezeigte Druckwalze entspricht nicht der Druckwalzenanordnung, die den Bildern des Sachverständigengutachtens zu entnehmen ist.

Die Antragsgegnerin hat bezüglich dieser Druckwalzenanordnung auch ihren Geheimhaltungswillen durch Geheimhaltungsmaßnahmen kundgetan. Es wird insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen unter 2) c) aa) (2) – (3) und 2) c) bb) verwiesen.

(2)

Die Antragsgegnerin hat darüber hinaus den Stellenwert dieses Geheimnisses im Wettbewerb und ebenso die (wirtschaftlichen) Nachteile dargetan, die ihr bei Offenbarung des Geschäftsgeheimnisses erwachsen können. Ihre Wettbewerbsposition im Vergleich zur Antragstellerin am Markt würde erheblich beeinträchtigt.

Glaubhaft gemacht durch die eidesstattliche Versicherung des Herrn Dr. F. (Anlage H. 5) hat die Antragsgegnerin substantiiert vorgetragen, dass durch einen Wechsel des Materials der Andruckrollen die Lebensdauer der Rollen erhöht werden konnte. Da weniger Verschleiß entstehe, bedürfe es auch weniger Wartung und Reparatur und damit weniger Stillstand der Maschine, was letztlich zu einer Steigerung der Produktionszahlen führt. Allein durch die Änderung des Oberflächenmaterials der Walzen laufe die Maschine effizienter und fehlerfreier und produziere im Ergebnis mehr Produkte. Dies lasse sich auch schnell auf andere Maschinen der Antragstellerin umsetzen. Gleiches gelte für das Innere der Walze. Durch das gewählte Design werde eine gut definierte Flexibilität der Walze erreicht, wodurch sich diese sanft an jeden Wechsel zwischen Kanälen und Nicht-Kanälen der Windel anpasse, so dass das Produkt insgesamt verbessert werde. Ein weiterer, leicht zu adaptierender wettbewerblicher Vorteil sei die von ihr vorgenommene Trennung der seitlichen Druckrollen und der zentralen (Kanal-)Druckrolle.

Der Senat hat keine Zweifel bezüglich der Glaubhaftigkeit der eidesstattlichen Versicherung.

(3)

Die von der Antragsgegnerin im Laufe des Besichtigungsverfahrens am 19.02.2020 eingereichte Patentanmeldung EP 02 führt nicht einer anderen Beurteilung. Sie bestätigt im Gegenteil das wirtschaftliche Interesse der Antragsgegnerin.

Soweit die Antragstellerin meint, die Anmeldung einer Erfindung zum Patent sei für sich genommen nicht ausschlaggebend für die Frage, ob ein Geschäftsgeheimnis vorliegt oder nicht, ist ihr zwar im Ansatz beizutreten. Anzulegen sind vielmehr auch insoweit die üblichen Prüfungskriterien. Es ist folglich auch mit Blick auf eine angemeldete Erfindung zu prüfen, ob die darin offenbarte – und in dem Besichtigungsgegenstand befindliche – Vorrichtung allenfalls einem begrenzten Personenkreis bekannt ist, der Unternehmer an ihrer bzw. seiner Geheimhaltung ein berechtigtes Interesse und einen Geheimhaltungswillen bekundet hat bzw. ob ein solcher erkennbar ist. Nur wenn dies anzunehmen ist, liegt ein Geschäftsgeheimnis vor. Allein die Einreichung einer Patentanmeldung verhindert mithin nicht die Herausgabe eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens im selbständigen Beweisverfahren.

Wird die Anmeldung veröffentlicht, ist die darin offenbarte Vorrichtung oder das darin offenbarte Verfahren ab diesem Zeitpunkt allgemein bekannt im oben genannten Sinne. Ein in der Anmeldung zuvor enthaltendes Geschäftsgeheimnis wird demnach mit Veröffentlichung einem unbegrenzten Personenkreis zur Kenntnis gebracht und die Herausgabe des gerichtlichen Sachverständigengutachtens kann gestützt hierauf nicht mehr versagt werden.

Vorliegend ist die in der eingereichte Patentanmeldung EP 02 offenbarte Vorrichtung aufgrund der maßgeblichen Kriterien als Geschäftsgeheimnis anzusehen. Sie ist infolge der Patentanmeldung auch nicht allgemein bekannt, da eine Veröffentlichung gem. Art. 93 EPÜ im maßgeblichen Zeitpunkt, d.h. im Zeitpunkt der (Beschwerde)Entscheidung über den Herausgabeantrag, nicht ersichtlich ist.

d)

Weitergehende berechtigte Geheimhaltungsinteressen der Antragsgegnerin sind indes nicht festzustellen.

Ihr Vorbringen zu den Typenschildern, dem Restbehälter und der „Vielzahl proprietärer technischer Lösungen“ ist unsubstantiiert. Es fehlt insbesondere ein nachvollziehbarer auf Tatsachen gestützter Vortrag zum Stellenwert der vermeintlichen Geheimnisse und zu den konkreten Nachteilen, die der Antragsgegnerin bei Offenlegung erwachsen können. Die Antragsgegnerin belässt es hier bei pauschalen Äußerungen, die überdies von der Antragstellerin allesamt zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten sind.

Darauf, ob die Antragstellerin bei Kenntnis dieser Informationen einen Mehrwert für den Nachweis der Benutzung des Antragspatentes hat oder ob sie die Informationen benötige, kommt es nicht an. Ob ein Geschäftsgeheimnis vorliegt, bestimmt sich allein nach den bereits benannten Kriterien.

3)

Infolge der beachtlichen Geheimhaltungsinteressen der Antragsgegnerin kann eine Herausgabe des schriftlichen Sachverständigengutachtens an die Antragstellerin persönlich – entgegen ihrem Hauptantrag – nicht vollständig erfolgen. Ebenso wenig kann dem Herausgabeverlangen der Antragstellerin in Form des 1. Hilfsantrages entsprochen werden. Erst die als Anlage G 2 zum Schriftsatz vom 08.02.2021 höchsthilfsweise zur Akte gereichte Fassung des Sachverständigengutachtens berücksichtigt alle glaubhaft gemachten Geschäftsgeheimnisse der Antragsgegnerin. Die Bilder 3, 4, 5, 7, 9, 13, 15, 16 und 18 des Sachverständigengutachtens sind zu schwärzen soweit sie die konkrete Anordnung und Ausgestaltung der Führungs- und Umlenkrollen zeigen. Die Bilder 3, 4, 7, 9, 12 und 18 sind zu schwärzen soweit sie die Abdeckung der Bürste zu erkennen geben, und die Bilder 2, 5, 7, 9, 15, 16 und 18 sind zu schwärzen soweit auf ihnen die Druckwalzenanordnung abgebildet ist.

Mit den Schwärzungen gemäß Anlage G 2 werden die Geheimhaltungsinteressen der Antragsgegnerin vollständig berücksichtigt, auch wenn die von der Antragstellerin in dieser Anlage vorgenommenen Schwärzungen auf den genannten Bildern teilweise etwas geringer ausfallen als diejenigen, die die Antragsgegnerin in der von ihr vorgelegten Fassung vorgenommen hat. Die Antragsgegnerin hat auf diese teilweise reduzierte Schwärzung lediglich mit der Anmerkung reagiert, es sei fraglich, was diese Reduzierung für die Antragstellerin bei der Frage der Benutzung für einen Mehrwert bieten soll. Sie hat jedoch nicht behauptet, dass die Reduzierung der Schwärzung dazu führen würde, dass hierdurch die Führungs- und Umlenkrollen, die Bürstenabdeckung oder die Druckwalzenanordnung zu erkennen seien. Auf einen etwaigen Mehrwert kommt es im Übrigen nicht an.

Da aufgrund der Schwärzungen gemäß Anlage G 2 sämtliche glaubhaft gemachten Geschäftsgeheimnisse der Antragsgegnerin unkenntlich gemacht sind, existieren mit Blick auf die Fassung des Sachverständigengutachtens gemäß dieser Anlage keine Geheimhaltungsinteressen (mehr), die einer Aushändigung dieser Fassung an die Antragstellerin persönlich entgegenstehen könnten. Darauf, ob das so beschaffene Gutachten für sie noch hilfreich ist, kommt es nicht an. Wobei dies vorliegend nicht zweifelhaft sein kann, weil der gesamte Text des schriftlichen Sachverständigengutachtens vollständig zur Kenntnis der Antragstellerin gelangt.

Wegen der vollständigen Wahrung der beachtlichen Geheimhaltungsinteressen der Antragsgegnerin ist es nach den unter II. 1) dargelegten Grundsätzen auch nicht vonnöten, das Ergebnis des Sachverständigengutachtens hinsichtlich des Verletzungsvorwurfs weiter zu beleuchten. Hieraus ergeben sich vorliegend keine Konsequenzen in Bezug auf die Freigabe des Gutachtens.

II.

Die Anschlussbeschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Soweit die Antragsgegnerin die Herausgabe des Sachverständigengutachtens mit dem von ihr behaupteten Vorbenutzungsrecht gem. § 12 PatG zu verhindern sucht, verfängt dies aus den vom Landgericht zutreffend dargestellten Gründen nicht. Das Vorbenutzungsrecht ist weder unstreitig noch tritt es klar zu Tage. Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts im Beschluss vom 11.01.2021 und im Nichtabhilfebeschluss vom 21.04.2021 Bezug genommen.

Auch die Anregung der Antragsgegnerin, den Beweisbeschluss aufzuheben, weil dem Beweissicherungsverfahren infolge der Ausführungen der Antragstellerin zu den im Verletzungsverfahren Landgericht Düsseldorf 4a O 94/19 überreichten Lichtbildern die Grundlage entzogen worden sei, bleibt ohne Erfolg. Mit diesen Einwand kann die Antragsgegnerin im gegenwärtigen Verfahrensstadium nicht mehr gehört werden. Die Anordnung des selbstständigen Beweisverfahrens ist gemäß § 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht anfechtbar (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.07.2015, I-2 W 13/15).

Schließlich führt auch die mit Schriftsatz vom 31.08.2021 überreichte vorläufige Meinung des EPA vom 13.08.2021 (Anlage H. 6) nicht zum Erfolg der Anschlussbeschwerde. Nach dieser vorläufigen Auffassung ist das Antragspatent zwar zu widerrufen, so dass, wenn das EPA bei seiner geäußerten vorläufigen Meinung bliebe und den Widerruf des Antragspatents – rechtskräftig – aussprechen würde, der Vorwurf einer Schutzrechtsverletzung mangels Schutzrechts haltlos wäre. Dies bietet vorliegend indes keinen Grund, das schriftliche Gutachten in der geschwärzten Fassung gemäß Anlage G 2 nicht herauszugeben. Die dargelegten und glaubhaft gemachten Geheimhaltungsinteressen der Antragsgegnerin werden mit dieser Fassung berücksichtigt; weitergehende Geheimhaltungsbedürfnisse bestehen nicht mehr. Da sich das Besichtigungsgutachten nicht zur Frage des Rechtsbestands verhält, obliegt es mithin jedem, dem das Gutachten vorgelegt wird, sich selbst Gedanken darüber zu machen, ob das Antragspatent rechtsbeständig ist (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.10.2014, I-2 W 17/20; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 13. Aufl. Abschn. B, Rn. 145).

Nichts anderes folgt aus dem Verweis der Antragsgegnerin auf Randnummer 162 des zitierten Handbuches, in dem u.a. der Beschluss des 2. Zivilsenats vom 19.09.2017, I-2 W 10/17 wieder gegeben ist. Die dort beschriebene Ausnahmesituation betraf den Fall, dass das dort bereits anhängige Verletzungsverfahren ausgesetzt worden war. Ein ausgesetztes Verletzungsverfahren gibt es vorliegend hingegen nicht. Abgesehen davon heißt es in dem Beschluss des 2. Zivilsenats:

„…Die Aussetzung des Verletzungsprozesses wegen hinreichender Erfolgsaussicht des Rechtsbestandsangriffs führt daher zwangsläufig zur Zurückweisung des Aushändigungsbegehrens, wobei im Beschwerdeverfahren um die Gutachtenfreigabe die Tatsache einer unangefochtenen Aussetzung für sich allein und ohne dass sich das Beschwerdegericht noch näher mit der Vernichtungsprognose des Landgerichts befassen müsste, zum Unterliegen des Besichtigungsgläubigers führt. Denn solange der Verletzungsprozess tatsächlich ausgesetzt ist und mangels Beschwerdeangriffs des Gläubigers auch blockiert bleibt, solange kommt eine Rechtsdurchsetzung nicht in Betracht, deretwegen ein überwiegendes Freigabeinteresse anzuerkennen sein könnte, demgegenüber die Geheimhaltungsbelange des Antragsgegners zurückzustehen hätten. ….“

Auch im kursiv gesetzten Punkt unterscheiden sich folglich die zu beurteilenden Sachverhalte. Wie ausgeführt müssen die glaubhaft gemachten Geheimhaltungsbelange der Antragsgegnerin vorliegend nicht zurückstehen. Sie werden vielmehr durch die Herausgabe einer geschwärzten Fassung berücksichtigt.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Es bestand keine Veranlassung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, weil die Voraus-setzungen des § 574 ZPO hierfür ersichtlich nicht gegeben sind.

Den Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens ist auf 25.000,00 € festzusetzen. Der Wert des Beschwerdeverfahrens um die Aushändigung des Besichtigungsgutachtens ist üblicherweise mit einem Viertel des Werts des selbstständigen Beweisverfahrens zu bemessen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.06.2020, I-2 W 10/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.03.2020, I-2 W 3/20). Das gilt auch im Streitfall.

Meta

15 W 6/21

21.09.2021

Oberlandesgericht Düsseldorf 15. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: W

Vorgehend: Landgericht Düsseldorf, 4c O 72/19

Zitier­vorschlag: Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 21.09.2021, Az. 15 W 6/21 (REWIS RS 2021, 2495)

Papier­fundstellen: GRUR 2022, 75 REWIS RS 2021, 2495

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2 W 10/20

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