Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.05.2013, Az. 4 StR 336/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 5995

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Gegenstand

Bußgeldverfahren: Zulässigkeit der nachträglichen Anfertigung von Urteilsgründen innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist nach Zuleitung des Hauptverhandlungsprotokolls an die Staatsanwaltschaft


Leitsatz

Im Bußgeldverfahren dürfen die Urteilsgründe auch dann innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zu den Akten gebracht werden, wenn der Staatsanwaltschaft, die an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat, auf Veranlassung des Richters zunächst ein von diesem unterzeichnetes Hauptverhandlungsprotokoll, das bereits alle nach § 275 Abs. 3 StPO erforderlichen Angaben enthält und dem ein ebenfalls durch den Richter unterzeichnetes Urteilsformular mit vollständigem Tenor und der Liste der angewandten Vorschriften als Anlage beigefügt ist, mit der Bitte um Kenntnisnahme vom Protokoll der Hauptverhandlung sowie der Anfrage zugeleitet worden ist, ob auf Rechtsmittel verzichtet werde, und der Betroffene, dessen Verzichtserklärung nicht gemäß § 77b Abs. 1 Satz 3 OWiG entbehrlich war, nachfolgend Rechtsbeschwerde eingelegt hat.

Tenor

Im Bußgeldverfahren dürfen die Urteilsgründe auch dann innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zu den Akten gebracht werden, wenn der Staatsanwaltschaft, die an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat, auf Veranlassung des [X.]s zunächst ein von diesem unterzeichnetes [X.], das bereits alle nach § 275 Abs. 3 StPO erforderlichen Angaben enthält und dem ein ebenfalls durch den [X.] unterzeichnetes Urteilsformular mit vollständigem Tenor und der Liste der angewandten Vorschriften als Anlage beigefügt ist, mit der Bitte um Kenntnisnahme vom Protokoll der Hauptverhandlung sowie der Anfrage zugeleitet worden ist, ob auf Rechtsmittel verzichtet werde, und der Betroffene, dessen Verzichtserklärung nicht gemäß § 77b Abs. 1 Satz 3 OWiG entbehrlich war, nachfolgend Rechtsbeschwerde eingelegt hat.

Gründe

I.

1

1. Das [X.] hat den Betroffenen durch Urteil vom 2. März 2012 wegen Führens eines Kraftfahrzeugs unter Einfluss von Alkohol mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 Promille oder mehr zu einer Geldbuße von 500 € verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Die Staatsanwaltschaft hatte an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen und eine Begründung des Urteils nur für den Fall beantragt, dass nicht auf ein Fahrverbot erkannt werde.

2

Mit Verfügung vom selben Tag hat das [X.] die Akten der Staatsanwaltschaft [X.] mit der Bitte um Kenntnisnahme vom Protokoll der Hauptverhandlung und der Anfrage zugeleitet, ob auf Rechtsmittel und Begründung des Urteils verzichtet werde. Zugleich bestimmte das Gericht eine Wiedervorlagefrist von zwei Wochen mit dem in Klammern gesetzten Zusatz „falls kein Rechtsmittel abgekürztes Urteil vorbereiten: Gründe: Von einer Begründung des Urteils ist abgesehen worden, § 77b Abs. 1 OWiG. Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 [X.] i.V.m. §§ 105 Abs. 1, 46 Abs. 1 OWiG“. Aus dem in den Akten befindlichen und vom [X.] unterzeichneten Protokoll der Hauptverhandlung ergibt sich u.a., dass das „aus der Anlage ersichtliche Urteil“ durch Verlesung der Urteilsformel und durch mündliche Mitteilung des wesentlichen Inhalts der Urteilsgründe verkündet wurde. Bei diesem dem Protokoll als Anlage beigefügten Schriftstück handelt es sich um einen von dem Tatrichter ausgefüllten Vordruck, der – handschriftlich ergänzt – den vollständigen [X.] nebst den angewendeten Vorschriften enthält und vom [X.] unterzeichnet ist.

3

Die Staatsanwaltschaft hat die Akten ausweislich eines Stempelvermerks „nach Kenntnisnahme und Zustellung“ mit dem handschriftlichen Zusatz „Rechtsmittelverzicht“ am 8. März 2012 zurückgesandt. Am selben Tag hat der Betroffene per Telefax Rechtsbeschwerde gegen das Urteil eingelegt. Die Akten gingen am 12. März 2012 beim Amtsgericht ein.

4

Am 4. April 2012 hat das Amtsgericht ein mit Gründen versehenes Urteil zu den Akten gebracht und zugleich dessen Zustellung an die Staatsanwaltschaft „gemäß § 41 [X.]“ verfügt. Diese hat die Akten wiederum mit dem Stempelvermerk „nach Kenntnisnahme und Zustellung“ am 12. April 2012 zurückgesandt.

5

Dem Verteidiger ist das Urteil am 10. April 2012 zugestellt worden. Dieser hat die Rechtsbeschwerde mit einem am 8. Mai 2012 beim [X.] eingegangenen Schriftsatz unter Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch begründet. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch zu ändern und festzustellen, dass das Fahrverbot durch die [X.] der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis bereits abgegolten sei.

6

2. Das zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde berufene [X.] beabsichtigt, das mit Gründen versehene Urteil seiner auf die Sachrüge hin vorzunehmenden Prüfung zu Grunde zu legen. Da das Urteil ausreichende Feststellungen zu der dem Betroffenen angelasteten Ordnungswidrigkeit enthalte und deshalb eine vom Schuldspruch losgelöste rechtliche und tatsächliche Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs möglich sei, erweise sich die Beschränkung des Rechtsmittels als wirksam. Durch die Übersendung des [X.]s (mit handschriftlich ergänztem Urteilsvordruck) lediglich zum Zwecke der Kenntnisnahme vom Ausgang des Verfahrens habe das Gericht sich ersichtlich vorbehalten, ein schriftliches Urteil innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 [X.] abzusetzen.

7

An der beabsichtigten Vorgehensweise sieht sich das [X.] jedoch durch den Beschluss des [X.] vom 10. November 2011 – 3 Ss OWi 1444/11 – gehindert. Nach Ansicht des [X.] liegt eine die nachträgliche Anfertigung von Urteilsgründen innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 [X.] sperrende [X.] eines sog. „Protokollurteils“ auch dann vor, wenn das ohne Gründe in das [X.] aufgenommene oder diesem als Anlage beigegebene bzw. nachgeheftete Urteil zur Herbeiführung einer (frühzeitigen) Rechtsmittelerklärung der Staatsanwaltschaft auf gerichtliche Anordnung der Staatsanwaltschaft bekannt gegeben wird. Es sei insbesondere auch ohne Belang, ob die Bekanntgabe zur Zustellung (§ 41 [X.]) oder aber nur „zur Kenntnis“ des [X.]s und unter dem ausdrücklichen „Vorbehalt“ einer (späteren) Urteilszustellung gemäß § 41 [X.] erfolge.

8

Das vorlegende [X.] teilt die Auffassung des [X.] nicht. Es entspreche allgemeiner Auffassung, dass ein vollständig in das Sitzungsprotokoll aufgenommenes oder diesem als Anlage beigefügtes Urteil unbeschadet der in § 77b Abs. 2 OWiG geregelten Ausnahmen nicht mehr verändert werden dürfe, sobald es dadurch auf Anordnung des Gerichts aus dessen innerem Dienstbereich herausgegeben worden sei, dass es der Staatsanwaltschaft zum Zwecke der Zustellung gemäß § 41 [X.] übersandt worden sei. Im vorliegenden Fall habe jedoch noch kein „Urteil“ in diesem Sinne den Dienstbereich verlassen. Sowohl im Strafverfahren als auch im Bußgeldverfahren sei dem Gericht die Möglichkeit eröffnet, das Urteil entweder schriftlich zu den Akten zu geben oder vollständig in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen. Während sich im Strafverfahren bereits aus dem [X.] ergebe, ob das Gericht unter Aufnahme der vollständigen Urteilsgründe ein „Protokollurteil“ habe fertigen wollen oder aber beabsichtige, das Urteil im Nachhinein schriftlich niederzulegen, finde in Bußgeldsachen eine entsprechende Entscheidung des [X.]s nicht zwingend Niederschlag im Protokoll. Denn hier bestehe die zusätzliche Möglichkeit, unter den Voraussetzungen des § 77b OWiG von Urteilsgründen gänzlich abzusehen. Ebenso wie es im Strafverfahren im Ermessen des Vorsitzenden stehe zu entscheiden, ob das Urteil in das Protokoll aufgenommen oder schriftlich zu den Akten gegeben werde, bedürfe es auch im Bußgeldverfahren einer Ermessensentscheidung des erkennenden [X.]s. Obwohl jedes [X.] zwingend die erforderlichen Bestandteile eines der Gründe entkleideten Urteils enthalte, liege ein „Protokollurteil“ erst dann vor, wenn der Tatrichter die Entscheidung getroffen habe, es hierbei zu belassen und von einer schriftlichen Begründung abzusehen. Eine derartige Entscheidung habe der [X.] erkennbar zum Ausdruck gebracht, wenn er die Akten gemäß § 41 [X.] der Staatsanwaltschaft zum Zwecke der Zustellung zuleite. Andernfalls liege in der (formlosen) Zuleitung nur die Übersendung des [X.]s, die keine Sperrwirkung für die nachträgliche Fertigung von Urteilsgründen entfalte.

9

Das [X.] hat die Sache daher dem [X.] zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

„Ist ein nachträgliches Absetzen der Urteilsgründe innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 [X.] vorgesehenen Frist in Bußgeldsachen zulässig, wenn der zu einer zweihundertfünfzig Euro übersteigenden Geldbuße verurteilte Betroffene von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden war und in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger vertreten wurde, die Staatsanwaltschaft nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen hat und dieser zunächst ein durch den [X.] unterzeichnetes [X.], welches alle für den [X.] nach § 275 Abs. 3 [X.] erforderlichen Angaben enthält, nebst eines ebenfalls durch den [X.] unterzeichneten, als Anlage zum Protokoll genommenen [X.], welches den vollständigen Tenor sowie die Auflistung der angewandten Vorschriften enthält, auf Veranlassung des Tatrichters mit der Bitte um Kenntnisnahme vom Protokoll der Hauptverhandlung sowie der Anfrage, ob auf Rechtsmittel und Begründung des Urteils verzichtet werde, zugeleitet und nachfolgend seitens des Betroffenen Rechtsbeschwerde eingelegt worden ist?“

3. Der [X.] hat unter Zusammenfassung der [X.] beantragt zu beschließen:

„Ein nachträgliches Absetzen der Urteilsgründe innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 [X.] vorgesehenen Frist ist in Bußgeldsachen auch dann zulässig, wenn der Staatsanwaltschaft bereits zuvor ein durch den [X.] unterzeichnetes [X.], welches bereits alle für § 275 Abs. 3 [X.] erforderlichen Angaben enthält, nebst eines ebenfalls durch den [X.] unterzeichneten, als Anlage zum Protokoll genommenen [X.], welches den vollständigen Tenor sowie die Auflistung der angewandten Vorschriften enthält, auf Veranlassung des Tatrichters mit der Bitte um Kenntnisnahme vom Protokoll der Hauptverhandlung sowie der Anfrage, ob auf Rechtsmittel und Begründung des Urteils verzichtet werde, zugeleitet wurde und nachfolgend seitens des Betroffenen Rechtsbeschwerde eingelegt worden ist.“

II.

1. Die [X.] sind erfüllt. Die Vorschrift des § 121 Abs. 2 GVG ist gemäß § 79 Abs. 3 OWiG für die Rechtsbeschwerde im Sinne des Ordnungswidrigkeitengesetzes entsprechend heranzuziehen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20. März 1992 – 2 StR 371/91, [X.]St 38, 251, 254, und vom 18. Juli 2012 – 4 [X.], [X.]St 57, 282). Das [X.] kann nicht seiner Absicht gemäß entscheiden, ohne von der Rechtsauffassung des [X.] abzuweichen. Dürfte das nachträglich zu den Akten gebrachte Urteil der Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu Grunde gelegt werden, wäre die Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch mangels tatsächlicher Feststellungen zum Schuldspruch unwirksam und das Urteil müsste schon aus diesem Grund insgesamt aufgehoben werden (vgl. [X.], Beschluss vom 13. März 1997 – 4 [X.], [X.]St 43, 22, 25).

2. In der [X.] teilt der Senat die Auffassung des vorlegenden [X.]. Das [X.] durfte die Urteilsgründe nachträglich innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 [X.] zu den Akten bringen. Dieses mit Gründen versehene Urteil ist der im Rechtsbeschwerdeverfahren vorzunehmenden Prüfung zu Grunde zu legen.

Der Senat hat die zu beantwortende Rechtsfrage lediglich aus Gründen der Übersichtlichkeit nach Maßgabe der [X.] zum Teil neu gefasst.

a) Die Bestimmung des § 275 Abs. 1 [X.] gilt gemäß § 46 Abs. 1, § 71 Abs. 1 OWiG im gerichtlichen Bußgeldverfahren entsprechend (vgl. BayObLG, NJW 1976, 2273; [X.]/[X.], OWiG, 16. Aufl., § 71 Rn. 45). Dies bedeutet, dass das vollständige Urteil unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 [X.] zu den Akten gebracht werden muss, sofern es nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen wurde. Liegt ein sog. „Protokollurteil“ vor, gelten die Fristen für die Urteilsabsetzung nach § 275 Abs. 1 [X.] nicht (vgl. KG, [X.], 332; [X.], [X.], 55. Aufl., § 275 Rn. 1).

Wie im Strafverfahren steht es auch im Bußgeldverfahren im nicht anfechtbaren Ermessen des Vorsitzenden zu entscheiden, ob das Urteil mit den Gründen als besondere Niederschrift (also mit [X.], Urteilsformel und Gründen) zu den Akten zu bringen ist oder die Gründe vollständig in das Protokoll mit aufzunehmen sind (vgl. [X.]/[X.], OWiG, 16. Aufl., § 71 Rn. 45; [X.] in LR-[X.], 26. Aufl., § 275 Rn. 19). Hinsichtlich Form und Inhalt unterliegt das in das Protokoll aufgenommene Urteil den gleichen Anforderungen wie die in einer getrennten Urkunde erstellten Urteile (vgl. [X.], 233). Wenn sich die nach § 275 Abs. 3 [X.] erforderlichen Angaben bereits aus dem Protokoll ergeben, ist ein besonderer [X.] jedoch entbehrlich. Die Urteilsformel und die Gründe müssen im Protokoll von sämtlichen mitwirkenden [X.]n unterschrieben werden (vgl. [X.], [X.], 55. Aufl., § 275 Rn. 1).

b) Im Bußgeldverfahren eröffnet § 77b Abs. 1 OWiG – über § 267 Abs. 4 und Abs. 5 Satz 2 [X.] hinausgehend – aus Gründen der Verfahrensvereinfachung und zur Entlastung der Tatsacheninstanz die Möglichkeit, von einer schriftlichen Begründung des Urteils gänzlich abzusehen (vgl. [X.], OWiG, 3. Aufl., § 77b Rn. 1). Dies ist dann der Fall, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf die Einlegung der Rechtsbeschwerde verzichtet haben oder wenn innerhalb der Frist keine Rechtsbeschwerde eingelegt wird (§ 77b Abs. 1 Satz 1 OWiG) oder wenn die Verzichtserklärungen der Staatsanwaltschaft und des Betroffenen ausnahmsweise entbehrlich sind (§ 77b Abs. 1 Sätze 2 und 3 OWiG). Im Bußgeldverfahren steht somit der Umstand, dass in dem [X.] keine Urteilsgründe niedergelegt sind, der Annahme eines im Sinne von § 46 Abs. 1, § 71 Abs. 1 OWiG, § 275 Abs. 1 Satz 1 [X.] vollständig in das Sitzungsprotokoll aufgenommenen Urteils nicht entgegen. Es genügt, dass das [X.] alle für den [X.] nach § 275 Abs. 3 [X.] erforderlichen Angaben sowie den vollständigen Tenor einschließlich der angewendeten Vorschriften enthält und von dem erkennenden [X.] unterzeichnet ist (vgl. [X.], [X.], 175; StraFo 2010, 468; [X.], [X.], 45, 46; KG, [X.], 332; [X.], [X.], 352).

c) Es entspricht gefestigter Rechtsprechung und einer verbreiteten Meinung in der Literatur, dass die nachträgliche Ergänzung eines Urteils grundsätzlich nicht zulässig ist – und zwar auch nicht innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 [X.] –, wenn es bereits aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden ist ([X.], Beschluss vom 13. März 1997 – 4 [X.], [X.]St 43, 22, 26 mwN). Für das Bußgeldverfahren folgt daraus, dass ein vollständig in das Sitzungsprotokoll aufgenommenes, nicht mit Gründen versehenes Urteil, das den inneren Dienstbereich des Gerichts bereits verlassen hat, nicht mehr verändert werden darf, es sei denn, die nachträgliche Urteilsbegründung ist gemäß § 77b Abs. 2 OWiG zulässig (vgl. [X.], [X.], 175; StraFo 2010, 468; [X.], [X.], 151; [X.], [X.], 461; [X.], 180; [X.], 45; [X.], [X.], 557; KG, [X.], 332; [X.], [X.], 352, 353). Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise nachträgliche Ergänzung der Urteilsgründe waren im vorliegenden Fall schon deshalb nicht gegeben, weil der Betroffene zu einer 250 € übersteigenden Geldbuße verurteilt worden ist (§ 77b Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 OWiG). Gleichwohl durfte das Amtsgericht die Urteilsgründe innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 [X.] zu den Akten bringen. Denn durch die Übersendung des [X.]s an die Staatsanwaltschaft zum Zwecke der Kenntnisnahme ist noch keine die nachträgliche Fertigung von Urteilsgründen sperrende [X.] eines „Protokollurteils“ erfolgt. Dies ergibt sich hier unzweifelhaft aus dem Vorbehalt, den der [X.] in die Begleitverfügung aufgenommen hat.

d) Die Entscheidung, ob ein Urteil als verfahrensabschließend gewollt ist und deshalb aus dem inneren Dienstbetrieb herausgegeben werden soll, trifft der erkennende [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 6. August 2004 – 2 [X.], [X.]St 49, 230, 234). Voraussetzung für die Annahme der [X.] eines nicht begründeten „Protokollurteils“ ist der erkennbar zum Ausdruck gebrachte Wille des Gerichts, dass es von den Möglichkeiten des § 77b Abs. 1 OWiG sowie des § 275 Abs. 1 Satz 1 [X.] in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG Gebrauch macht, also von einer schriftlichen Begründung des Urteils gänzlich absieht und das Urteil allein durch Aufnahme in das [X.] fertigt (vgl. [X.], [X.], 461, 462). Der [X.] muss sich bewusst für eine derart abgekürzte Fassung des Urteils entschieden haben (vgl. [X.], [X.], 175; KG, [X.], 332). Solange ein Urteil bewusst unvollständig ist, also noch keine endgültig gebilligte Urteilsfassung vorliegt, ist es nicht Bestandteil der Akten, und zwar selbst dann nicht, wenn der Entwurf diesen einliegen sollte ([X.] in LR-[X.], 26. Aufl., § 275 Rn. 3). Erst mit der gerichtlichen Anordnung (§ 36 Abs. 1 Satz 1 [X.]) der Übersendung der Akten einschließlich eines ohne Gründe ins [X.] aufgenommenen bzw. als Anlage zum [X.] genommenen Urteils an die Staatsanwaltschaft „zur Zustellung gemäß § 41 [X.]“ hat sich der Tatrichter für die [X.] einer nicht mit Gründen versehenen Urteilsfassung endgültig entschieden. Damit hat ein „Protokollurteil ohne Gründe“ den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen und ist mit der Zustellung an die Staatsanwaltschaft nach außen in Erscheinung getreten. Da der Tatrichter in diesem Fall das Urteil der Staatsanwaltschaft in Urschrift und eindeutig erkennbar im Wege der förmlichen Bekanntmachung einer Entscheidung zugeleitet hat, muss er sich an dieser Erklärung festhalten lassen (vgl. [X.], [X.], 175; StraFo 2010, 468; [X.], [X.], 151; [X.], [X.], 461; [X.], 180; [X.], 45, 46; [X.], [X.], 352 f.). Dabei wird den Anforderungen an eine Zustellung gemäß § 41 [X.] bereits dadurch genügt, dass die Staatsanwaltschaft aus der Übersendungsverfügung in Verbindung mit der aus den Akten zu ersehenden Verfahrenslage erkennen kann, mit der Übersendung an sie werde die Zustellung nach § 41 [X.] bezweckt. Es bedarf keines ausdrücklichen Hinweises auf diese Vorschrift (vgl. [X.], 351, 352; [X.], [X.], 6. Aufl., § 41 Rn. 3; [X.] in LR-[X.], 26. Aufl., § 41 Rn. 1).

Hat der Tatrichter demgegenüber lediglich die formlose Übersendung der Akten und des [X.]s an die Staatsanwaltschaft verfügt, um diese über den Ausgang des Verfahrens zu informieren und die Frage des Rechtsmittelverzichts möglichst frühzeitig zu klären, so behält er sich ersichtlich die Entscheidung vor, gegebenenfalls innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 [X.] ein mit Gründen versehenes Urteil als besondere Niederschrift zu den Akten zu bringen. Für die Annahme einer Zustellung im Sinne von § 41 [X.] durch Vorlegung der Urschrift des Urteils ist kein Raum, weil auf Seiten des Tatrichters ein entsprechender [X.] fehlt und dies in der Zuleitungsverfügung auch deutlich zum Ausdruck kommt (vgl. [X.], [X.], 461, 462; [X.], 180; [X.], 45, 46; [X.]/[X.], OWiG, 16. Aufl., § 77b Rn. 3, 8; [X.], OWiG, 3. Aufl., § 77b Rn. 5, 15). Der [X.] will dann noch kein fertiges Urteil in den Geschäftsgang geben. So verhielt es sich insbesondere in dem Fall, der dem Beschluss des [X.] vom 10. November 2011 – 3 Ss OWi 1444/11 – zu Grunde lag. Auf den Willen und das Handeln der Staatsanwaltschaft, der zugestellt werden soll, kommt es dabei nicht an (vgl. [X.], 55).

e) Dem Tatrichter die Möglichkeit zu nehmen, durch formlose Übersendung des [X.]s an die Staatsanwaltschaft frühzeitig zu klären, ob diese auf Rechtsmittel verzichtet, und damit [X.] für den Fall zu gewinnen, dass auch der Betroffene kein Rechtsmittel einlegt, würde zudem eine unnötige formale Beschränkung darstellen. Diese wäre mit dem Zweck des Bußgeldverfahrens, der auf eine einfache, schnelle und summarische Erledigung ausgerichtet ist ([X.], Beschluss vom 13. März 1997 – 4 [X.], [X.]St 43, 22, 26), nicht vereinbar.

[X.][X.]

                      [X.]

Meta

4 StR 336/12

08.05.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 17. Juli 2012, Az: 2 SsBs 107/12, Vorlagebeschluss

§ 41 StPO, § 275 Abs 1 S 2 StPO, § 275 Abs 3 StPO, § 77b Abs 1 S 3 OWiG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.05.2013, Az. 4 StR 336/12 (REWIS RS 2013, 5995)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5995

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