LSG München, Urteil vom 22.09.2015, Az. L 15 SF 232/15

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Gegenstand

Keine Wiedereinsetzung wegen Rechtsunkenntnis oder nicht näher substantiierter besonderer Belastung;


Leitsatz

1. Auf eine Unkenntnis der Entschädigungsmöglichkeit und der dabei zu beachtenden Antragsfrist kann ein Wiedereinsetzungsantrag nicht gestützt werden, wenn die Belehrungspflicht in § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 JVEG erfüllt ist. (amtlicher Leitsatz)

2. Eine besondere (zeitliche) Belastung nicht nur im Sinn einer erheblichen beruflichen Inanspruchnahme, sondern auch durch andere Umstände des täglichen Lebens, stellt grundsätzlich keinen Wiedereinsetzungsgrund dar. (amtlicher Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Geltendmachung der Entschädigung für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 29.01.2015 wird abgelehnt.

Entscheidungsgründe

I. Streitig ist, ob dem Antragsteller für die Geltendmachung der Entschädigung für die Teilnahme an einem Gerichtstermin Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) zu gewähren ist.

Im Berufungsverfahren vor dem Bayer. Landessozialgericht (LSG) mit dem Aktenzeichen L 17 U 328/14 nahm der dortige Kläger und jetzige Antragsteller nach Anordnung des persönlichen Erscheinens (Ladungsschreiben vom 23.12.2014) an der mündlichen Verhandlung am 29.01.2015 teil.

Mit Schriftsatz vom 24.07.2015 hat der Bevollmächtigte des Antragstellers dem Bayer. LSG mitgeteilt, dass der Antragsteller bisher nicht gewusst habe, dass er für Fahrtkosten zu einem Gerichtstermin eine Erstattung beantragen könne. Gleichzeitig hat er für den Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Antragsfrist und gleichzeitig die Erstattung der mit 62,- € bezifferten Fahrtkosten beantragt. Weiter hat er vorgetragen, dass der Antragsteller wegen gesundheitlicher und existentieller Probleme permanent umgetrieben worden und die Thematik der Gebührenerstattung erst jetzt aufgekommen sei.

Der Senat hat die Akten des Berufungsverfahrens beigezogen.

II. Der Wiedereinsetzungsantrag, der einer Entscheidung durch den Kostenbeamten entzogen ist, ist abzulehnen.

Der Entschädigungsantrag ist verfristet gestellt worden. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung liegen nicht vor.

1. Entschädigungsantrag zu spät gestellt

Der Entschädigungsanspruch nach dem JVEG war bereits erloschen, als der Antragsteller die Entschädigung für sein Erscheinen bei der mündlichen Verhandlung am 29.01.2015 beim Bayer. LSG geltend gemacht hat.

Der Anspruch auf Entschädigung erlischt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle geltend gemacht wird, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat. Die Frist beginnt entsprechend § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG im Fall der Teilnahme an einem vom Gericht angeordneten Termin mit der Beendigung dieses Termins zu laufen.

Vorliegend ist die Heranziehung des Antragstellers am 29.01.2015 erfolgt. Die Dreimonatsfrist zur Geltendmachung des dafür entstandenen Entschädigungsanspruchs ist am 29.04.2015 (Mittwoch) abgelaufen.

Eines weiteren Hinweises des Gerichts auf den bevorstehenden Ablauf der Frist oder einer Aufforderung zur Bezifferung der Vergütungsforderung bedarf es nicht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. Beschluss vom 12.09.2013, Az.: L 15 SF 190/13 - m. w. N.).

Der mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Entschädigungsantrag im Schreiben vom 24.07.2015 ist erst am 27.07.2015 und damit deutlich nach Ablauf der Dreimonatsfrist für die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs beim LSG eingegangen.

2. Wiedereinsetzung

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheitert daran, dass der Antragsteller einen Wiedereinsetzungsgrund nicht vorgetragen und damit nicht glaubhaft gemacht hat.

2.1. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im Allgemeinen

Einem Anspruchsteller nach dem JVEG ist bei Versäumung der Frist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG Wiedereinsetzung nur dann zu gewähren, wenn

- er innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG, d. h. innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses für die (rechtzeitige) Antragstellung (zur Geltung dieser zeitlichen Anforderung bei allen drei im Folgenden genannten Voraussetzungen: vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12),

* einen Wiedereinsetzungsantrag stellt,

* einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft macht (vgl. zur verfassungsrechtlichen Problematik und den sich daraus ergebenden vergleichsweise geringen Anforderungen an die Glaubhaftmachung in diesem Zusammenhang die ausführlichen Erwägungen im Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12) und

* den Vergütungsanspruch beziffert

sowie

- sich das Gericht bei weiteren, von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen vom glaubhaften, d. h. überwiegend wahrscheinlichen Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrunds überzeugt hat (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12).

Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 7 i. V. m. § 4 Abs. 6 Satz 1 JVEG sind die im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags erforderlichen Erklärungen (Wiedereinsetzungsantrag, Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrunds und Bezifferung des Vergütungs- oder Entschädigungsanspruchs) zu Protokoll der Geschäftsstelle abzugeben oder schriftlich einzureichen.

Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 JVEG nicht mehr beantragt werden.

Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen ist dem JVEG - im Gegensatz zu vielen anderen gesetzlichen Regelungen - fremd (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. Beschlüsse des Senats vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 156/12, vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12, und vom 27.03.2013, Az.: L 15 SF 181/12 B). Das Antragserfordernis verbietet es zudem, allein in der verspäteten Geltendmachung einer Entschädigungsforderung einen Wiedereinsetzungsantrag zu sehen (vgl. Beschlüsse des Senats vom 03.01.2013, Az.: L 15 SF 255/10, und vom 15.02.2013, Az.: L 15 SF 211/12 B).

2.2. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im vorliegenden Fall

Ob der Wiedereinsetzungsantrag überhaupt fristgerecht gestellt worden ist, kann dahingestellt bleiben. Denn es fehlt jedenfalls an einer (fristgerechten) Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds, weil der Antragsteller überhaupt keinen Wiedereinsetzungsgrund vorgetragen hat.

Voraussetzung für eine (fristgerechte) Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds ist, dass Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne Verschulden an der Einhaltung der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG gehindert war. Dazu hat er Tatsachen anzugeben und glaubhaft zu machen, die erklären, warum er an einem fristgerecht, d. h. innerhalb der Dreimonatsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG zu stellenden Entschädigungsantrag ohne Verschulden gehindert war.

Um die vom Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG vorgesehene Möglichkeit der Wiedereinsetzung nicht ins Leere laufen zu lassen, ist von einer Glaubhaftmachung schon dann auszugehen, wenn ein Antragsteller im Rahmen seines Wiedereinsetzungsantrags plausibel einen nach der Lebenserfahrung naheliegenden Sachverhalt vorträgt, der eine Wiedereinsetzung begründen würde, und keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Angaben bestehen (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12 - mit ausführlichen Erläuterungen auch zu verfassungsrechtlichen Aspekten).

Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten einen Wiedereinsetzungsgrund, nämlich dass er unverschuldet an einer rechtzeitigen Beantragung der Entschädigung gehindert gewesen wäre, nicht vorgetragen.

2.2.1. Behauptete Unkenntnis von Entschädigungsmöglichkeit und Antragsfrist

Der vom Antragsteller angegebene Grund für die Fristversäumnis, dass er keine Kenntnis von der Möglichkeit der Erstattung von Fahrtkosten gehabt habe und die Entschädigungsproblematik ihm erst später bewusst geworden sei, kann im vorliegenden Fall keinen Wiedereinsetzungsgrund darstellen.

Wegen des Grundsatzes der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen gelten Gesetze mit ihrer Verkündung allen Normadressaten als bekannt ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese tatsächlich davon Kenntnis davon erhalten haben. Eine Unkenntnis des Rechts und der Befristung seiner Ausübung vermag daher nach ständiger Rechtsprechung eine Wiedereinsetzung nicht zu rechtfertigen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 22.01.1999, Az.: 2 BvR 729/96; Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Beschlüsse vom 01.11.2001, Az.: 4 BN 53/01, und vom 07.10.2009, Az.: 9 B 83/09; Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10.04.2006, Az.: VII S 9/06; Bundessozialgericht - BSG -, Beschluss vom 10.02.1993, Az.: 1 BK 37/92, und Urteil vom 06.05.2010, Az.: B 13 R 44/09 R - m. w. N.; Kammergericht Berlin, Urteil vom 20.01.2014, Az.: 20 U 213/13; Beschlüsse des Senats vom 10.10.2014, Az.: L 15 SF 289/13, und vom 11.05.2015, Az.: L 15 RF 14/15).

Eine Ausnahme vom Grundsatz, dass eine Unkenntnis des Rechts und der Befristung seiner Ausübung eine Wiedereinsetzung nicht rechtfertigen kann, hat der Gesetzgeber mit der mit 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz mit Wirkung zum 01.08.2013 eingeführten Belehrungspflicht in § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 JVEG und der Vermutungsregelung in § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG gemacht.

Die Voraussetzungen der Vermutungsregelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG sind jedoch im vorliegenden Fall offensichtlich nicht erfüllt. Die Behauptung des Antragstellers, er habe keine Kenntnis von der Möglichkeit der Erstattung von Fahrtkosten gehabt, ist durch das Ladungsschreiben des Gerichts widerlegt. Auf Seite 2 des gerichtlichen Schreibens vom 23.12.2014, mit dem der Antragsteller unter Anordnung des persönlichen Erscheinens zur mündlichen Verhandlung geladen worden ist, ist ausdrücklich - und teilweise sogar durch Fettdruck besonders hervorgehoben - auf die Erstattungsmöglichkeit der mit dem Gerichtstermin verbundenen Aufwendungen und eines Verdienstausfalls sowie darauf hingewiesen, dass „der Anspruch auf Entschädigung erlischt, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat, geltend gemacht wird“, und die Frist „mit der Beendigung der Zuziehung“ beginne. Damit hat der Antragsteller den von ihm als Wiedereinsetzungsgrund geltend gemachten Lebenssachverhalt schon nicht plausibel vorgetragen.

2.2.2. „Umhergetriebensein“ wegen gesundheitlicher und existentieller Probleme

Auch eine besondere (zeitliche) Belastung nicht nur im Sinn einer erheblichen beruflichen Inanspruchnahme, sondern auch durch andere Umstände des täglichen Lebens, stellt grundsätzlich keinen Wiedereinsetzungsgrund dar (vgl. Beschluss des Senats vom 19.05.2015, Az.: L 15 RF 3/15 - m. w. N.; BSG, Beschluss vom 11.10.1965, Az.: 2 RU 201/65, und Urteil vom 30.03.2011, Az.: B 12 AL 2/09 R).

Es ist Sache des Antragstellers, durch geeignete organisatorische Maßnahmen und Prioritätensetzung dafür Sorge zu tragen, dass fristgebundene Angelegenheiten rechtzeitig erledigt werden. Lediglich dann, wenn außergewöhnliche Belastungen plötzlich und unvorhersehbar eingetreten, ist eine Berücksichtigung im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrags möglich (vgl. BSG, Beschluss vom 19.05.1976, Az.: 12 RAr 53/76; BGH, Beschlüsse vom 15.02.1967, Az.: VIII ZB 3/67, und vom 23.11.1995, Az.: V ZB 20/95; BVerwG, Beschluss vom 11.03.2015, Az.: 9 B 5/15).

Irgendwelche unvorhergesehen und plötzlich eingetretenen Umstände, die einer rechtzeitigen Antragstellung entgegengestanden wären, hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Lediglich mit dem im Schreiben vom 24.07.2015 erfolgten Vortrag - „Die Mandantschaft war durch die gesundheitlichen und existentiellen Probleme permanent umgetrieben. Die Thematik der Gebührenerstattung ist erst jetzt aufgekommen.“ - ist daher ein Wiedereinsetzungsgrund nicht glaubhaft geschildert werden. Denn es fehlt an einem Vortrag dahingehend, dass die grundsätzlich für einen Wiedereinsetzungsantrag unbeachtliche Situation plötzlich und überraschend eingetreten wäre, so dass der Antragsteller dafür keine Vorkehrungen treffen hätte können, was einem Verschulden an der Fristversäumnis entgegen stehen würde. Damit hat der Antragsteller keinen als Wiedereinsetzungsgrund geeigneten Lebenssachverhalt plausibel vorgetragen.

Dem Antragsteller kann daher bezüglich der Geltendmachung der Entschädigung für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 29.01.2015 keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.

Das Bayer. LSG hat über den Antrag auf Wiedereinsetzung als Einzelrichter zu entscheiden gehabt (§ 2 Abs. 2 Satz 7, § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG).

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 2 Abs. 2 Satz 7, § 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 2 Abs. 2 Satz 7, § 4 Abs. 8 JVEG).

Datenquelle d. amtl. Textes: Bayern.Recht

Meta

L 15 SF 232/15

22.09.2015

LSG München

Urteil

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: LSG München, Urteil vom 22.09.2015, Az. L 15 SF 232/15 (REWIS RS 2015, 5021)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5021

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