Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.09.2017, Az. 1 StR 300/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 5679

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Gegenstand

Ablehnung eines Richters im Strafverfahren: Eigene Entscheidung des Abgelehnten über das Ablehnungsgesuch


Tenor

1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 23. November 2016 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kostenpflichtig gewährt.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.

3. Das Verfahren wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen bewaffneter unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum vorsätzlichen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Entscheidung über die Einziehung von Gegenständen getroffen. Dagegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten.

2

Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 3 [X.] und nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Erfolg. Die Revision macht zu Recht geltend, dass das [X.] vom [X.] rechtsfehlerhaft gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 [X.] als unzulässig verworfen worden ist und es dadurch zu einer Entziehung des gesetzlichen [X.]s gekommen ist.

I.

3

Der Verfahrensrüge liegt im Wesentlichen folgendes Geschehen zu Grunde:

4

1. Am ersten Hauptverhandlungstag, dem 18. November 2016, lehnte der Verteidiger namens des Angeklagten den Vorsitzenden [X.] und den richterlichen Beisitzer wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

5

Zur Begründung seines [X.]s nahm der Verteidiger zunächst auf seine im Rahmen einer ersten, später jedoch ausgesetzten Hauptverhandlung gestellten Befangenheitsanträge vom 26. August 2016 und vom 30. August 2016, sowie auf seine Erwiderungen vom 31. August 2016 und 25. September 2016 auf die dienstlichen Stellungnahmen der [X.] Bezug. Ergänzend führte er als neuen Sachvortrag aus, dass sich eine Befangenheit der Berufsrichter im jetzigen Termin ergebe, da die Terminierung zur nunmehrigen Hauptverhandlung abermals rechtsfehlerhaft und willkürlich erfolgt sei, wobei sich das Gericht wiederum über einen geschaffenen Vertrauenstatbestand hinweggesetzt habe, wie dieser bereits für die frühere Verfahrensterminierung durch das [X.] in seinem Beschluss vom 31. August 2016 beanstandet worden sei. Darüber hinaus machte der Angeklagte geltend, dass die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers mit Beschluss vom 31. Oktober 2016 gegen seinen ausdrücklichen Willen erfolgt sei, ohne dass die Voraussetzungen hierfür gegeben gewesen seien. Weiter trug der Angeklagte vor, dass der Verteidigung in der Hauptverhandlung das Wort zur Antragstellung nicht erteilt und trotz Beanstandung der Verteidigung und Beantragung eines Gerichtsbeschlusses ein solcher nicht herbeigeführt und protokolliert worden sei. Auch einem Unterbrechungsantrag des Verteidigers zur Beratung mit dem Angeklagten sei nicht nachgekommen worden.

6

2. Das [X.] verwarf den Befangenheitsantrag unter Mitwirkung der abgelehnten [X.] und der Schöffen gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 [X.] mit Beschluss vom 23. November 2016 als unzulässig. Zur Begründung wurde nach umfangreicher Schilderung des bisherigen [X.] darauf verwiesen, dass sich für die Strafkammer sowohl aus den geschilderten Geschehensabläufen vor und in der Hauptverhandlung als auch aus den gestellten Gesuchen eindeutig ergebe, dass es dem Antragsteller nicht darum gehe, „das Ausscheiden der jeweils abgelehnten [X.] zu erreichen oder begründete Anliegen vorzutragen, sondern einzig darum in rechtsmissbräuchlicher Weise das Verfahren zu sabotieren“. Zudem seien „die nunmehr gestellten Gesuche von unwahrem und haltlosem Vorbringen geprägt“. Im Folgenden führte die Strafkammer im Einzelnen aus, weshalb die Ausführungen der Verteidigung zu dem neuen Vorbringen im Ablehnungsgesuch nicht zutreffend seien. Abschließend kam sie zu dem Ergebnis, dass sich nach einer Gesamtbewertung das Prozessverhalten der Verteidigung als dysfunktional darstelle: „Es wird einzig das Ziel verfolgt das Verfahren zu sabotieren und eine Entscheidung in angemessener [X.] zu verhindern.“

II.

7

Die zulässig erhobene Verfahrensrüge führt zur Urteilsaufhebung.

8

Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 [X.] ist gegeben. Bei dem angegriffenen Urteil wirkten [X.] mit, nachdem ein gegen sie gerichtetes Ablehnungsgesuch in objektiv nicht vertretbarer Weise nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 [X.] verworfen und dadurch der Anspruch des Angeklagten auf den gesetzlichen [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt worden ist.

9

1. Ein Befangenheitsantrag kann unter den Voraussetzungen des § 26a Abs. 1 Nr. 3 [X.] wegen [X.] nur dann abgelehnt werden, wenn es dem Antragsteller offensichtlich ausschließlich auf eine Verzögerung der Hauptverhandlung ankommt ([X.], Beschluss vom 18. Februar 2004 - 2 StR 462/03, [X.], 630). Die Regelung beinhaltet damit eine Abwehrmöglichkeit gegen exzessiv und rechtsmissbräuchlich gestellte Ablehnungsanträge, die etwa auf völlig haltlose und unzutreffende Vorwürfe gestützt werden ([X.], Beschluss vom 20. März 2009 - 2 StR 545/08, [X.], 207) oder die sich aus einer Gesamtwürdigung von Indizien ergeben (vgl. [X.] in [X.], [X.], 27. Aufl., § 26a Rn. 24 und [X.] in [X.]/ [X.], [X.], 60. Aufl., § 26a Rn. 6 mwN).

Die einer Vereinfachung des [X.]s dienende Vorschrift des § 26a [X.] gestattet nur ausnahmsweise, dass ein abgelehnter [X.] selbst über einen gegen ihn gestellten Befangenheitsantrag entscheidet, wenn keine Entscheidung in der Sache getroffen wird und die Beteiligung des abgelehnten [X.]s lediglich auf eine echte Formalentscheidung oder die Verhinderung des Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt bleibt ([X.], Beschlüsse vom 2. Juni 2005 - 2 BvR 625/01, [X.], 3410 und vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06). Die Anwendung des § 26a [X.] darf daher nicht dazu führen, dass der abgelehnte [X.] sein eigenes Verhalten beurteilt und damit zum »[X.] in eigener Sache« wird. In Fällen, in denen die Frage der Unzulässigkeit nicht klar und eindeutig zu beantworten ist, liegt es daher nahe, das Regelverfahren nach § 27 [X.] zu wählen, um jeden Anschein einer solchen Entscheidung in eigener Sache zu vermeiden; denn auf Fälle „offensichtlicher Unbegründetheit“ des [X.] darf das vereinfachte [X.] wegen des sonst vorliegenden Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht ausgedehnt werden. Nur bei einer solch strengen Beachtung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 26a [X.] gerät diese Ausnahmeregelung mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt ([X.], Beschlüsse vom 2. Juni 2005 - 2 BvR 625/01, [X.], 3410 und vom 20. März 2007 - 2 BvR 1730/06; [X.], Beschlüsse vom 8. Juli 2009 - 1 [X.], [X.], 446 und vom 7. Juli 2015 - 3 [X.], [X.], 458 mwN).

Dass die abgelehnten [X.] zum Beleg der Prozessverschleppungsabsicht das eigene Verhalten im Rahmen des Prozessgeschehens bei der Entscheidung nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 [X.] darstellen müssen, macht sie indes noch nicht zu [X.]n in eigener Sache ([X.], Beschlüsse vom 8. Juli 2009 - 1 [X.], [X.], 446 und vom 2. November 2010 - 1 [X.], [X.], 294, jeweils mwN). Hingegen darf der abgelehnte [X.] über diese formale Prüfung hinaus nicht an einer näheren inhaltlichen Untersuchung der Ablehnungsgründe auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer offensichtlichen Unbegründetheit mitwirken und sich auf diese Weise zum [X.] in eigener Sache machen. Dabei muss die Auslegung des [X.] darauf ausgerichtet sein, es seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen, um nicht im Gewande der Zulässigkeitsprüfung in eine Begründetheitsprüfung einzutreten ([X.], Beschluss vom 2. Juni 2005 - 2 BvR 625/01, [X.], 3410; [X.], Beschluss vom 6. Mai 2014 - 5 [X.], [X.], 175).

2. Diesen Maßstäben hält die Verwerfung des gegen die Berufsrichter und Schöffen gerichteten [X.] als unzulässig nicht stand.

a) Die Voraussetzungen für eine [X.] oder eine Verfolgung nur verfahrensfremder Zwecke i.S.d. § 26a Abs. 1 Nr. 3 [X.] liegen nicht vor.

Mit dem am ersten Tag der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungsgesuch des Angeklagten wurden mit der aus seiner Sicht rechtsfehlerhaften und willkürlichen Terminierung zur neu angesetzten Hauptverhandlung sowie der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers erkennbar neue Tatsachen vorgebracht, die eine Besorgnis der Befangenheit des Gerichts in der jetzigen Hauptverhandlung begründen konnten. Dass dabei zur Begründung dieses Befangenheitsantrags auf frühere Anträge und Entscheidungen Bezug genommen wurde, steht dem nicht entgegen. Denn erst unter Berücksichtigung des bisherigen [X.] wurde das neue, aus Sicht des Angeklagten die jetzige Befangenheit begründende Verhalten der Berufsrichter nachvollziehbar. Damit kann bereits nicht festgestellt werden, dass es dem Antragsteller offensichtlich bereits am ersten Tag der Hauptverhandlung ausschließlich auf eine Verzögerung des Verfahrens durch einen exzessiv und rechtsmissbräuchlich gestellten Ablehnungsantrag ankam oder ausschließlich verfahrensfremde Ziele verfolgt wurden. Dies umso mehr, als der Angeklagte auf Grund der zeitlichen Grenze des § 25 Abs. 1 [X.] gehalten war, sich neu ergebende Anhaltspunkte, die geeignet waren, Zweifel gegen die Unparteilichkeit des Gerichts zu begründen, unmittelbar zu Beginn der neuen Hauptverhandlung geltend zu machen.

b) Im Übrigen werden mit der Entscheidung auch die dargestellten Grenzen der vom Gesetzgeber nach § 26a [X.] ausnahmsweise zugelassenen [X.] durch das abgelehnte Gericht überschritten. Denn es erfordert eine inhaltliche und keine rein formale Prüfung, ob der vom Angeklagten in seinem Ablehnungsgesuch geltend gemachte neue Sachvortrag aus Sicht eines verständigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermochte. Dies wird auch aus der Begründung des Beschlusses vom 23. November 2016 deutlich, soweit in Bezug auf den neuen Sachvortrag des Angeklagten darauf verwiesen wird, dass „wahrheitswidrige“ oder „unwahre Behauptungen“ aufgestellt würden. Weil die abgelehnten [X.] die Entscheidung selbst getroffen haben und damit eine inhaltliche Bewertung des [X.] vorgenommen haben, ist der Anwendungsbereich des § 26a Abs. 1 Nr. 3 [X.] in einer Weise überspannt worden, die im Blick auf die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht mehr vertretbar war.

III.

Der Senat hielt es für angebracht, das Verfahren an ein anderes [X.] zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 [X.]).

                                   

Rin[X.] Dr. Fischer ist im
Urlaub und deshalb an der
Unterschrift gehindert.

Raum   

        

Bellay   

        

Raum  

        

Bär   

        

Hohoff   

        

Meta

1 StR 300/17

07.09.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Heilbronn, 23. November 2016, Az: 8 KLs 64 Js 6672/16

§ 26a StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.09.2017, Az. 1 StR 300/17 (REWIS RS 2017, 5679)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5679

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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