Landgericht Köln, Urteil vom 13.10.2021, Az. 26 O 314/20

26. Zivilkammer | REWIS RS 2021, 10189

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Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger erwarb am 26.7.2016 einen gebrauchten Pkw T zum Preis von 27.500,- €. Das Fahrzeug wies bei Übergabe einen Kilometerstand von 6.185 auf. Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung betrug die Laufleistung 92.831 km.

Der Pkw ist mit einem 2,0l-TDI-Motor ausgestattet, der zu den Motoren des Typs FB 000 zählt. Diese Motoren hat die Beklagte entwickelt, hergestellt und in Verkehr gebracht. Die Besonderheiten der Steuerungssoftware dieser Motoren in Bezug auf die Abgasrückführung (“Umschaltlogik“) sind allgemein bekannt.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe ein nicht verjährter Schadensersatzanspruch gem. § 826 BGB gegenüber der Beklagten zu. Anders als in anderen vom Bundesgerichtshof entschiedenen Verfahren stamme das von ihm gekaufte Fahrzeug gerade nicht von der Marke W. Bezüglich solcher Fahrzeuge habe seitens der Beklagten eine noch ungenauere „Aufklärung“ stattgefunden als bei Modellen ihrer Kernmarke. Ferner verbleibe auch nach dem Aufspielen des Software-Updates eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters. Jedenfalls ergäbe sich ein Anspruch aus § 852 BGB.

Der Kläger hat mit der am 1.12.2020 bei Gericht eingegangenen Klage zunächst die Anträge angekündigt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 27.500,00 nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit dem 26. Juli 2016 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit

sowie Zinsen in Hohe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit

Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke T vom Typ B mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) 00000 nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft sowie Zahlung eines Nutzungsersatzes in Höhe von derzeit EUR 7.189,60.

Hilfsweise:

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs der Marke T vom Typ B mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) 00000 mit der manipulierten Motorsoftware durch die Beklagte resultieren.

Weiter:

3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in dem

Klageantrag zu 1) genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.

4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung  der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.077,74 freizustellen.

Zuletzt beantragt der Kläger:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 27.500,00 nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit dem 26. Juli 2016 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke T vom Typ B mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) 00000 nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft sowie Zahlung eines Nutzungsersatzes in Höhe von EUR 8.109,75.

und erklärt den Rechtsstreit im Hinblick auf den erhöhten Nutzungsersatz im Übrigen teilweise für erledigt.

Hilfsweise:

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs der Marke T vom Typ B mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) 00000 mit der manipulierten Motorsoftware durch die Beklagte resultieren.

Weiter:

3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.

4. Es wird festgestellt, dass der in Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.

5. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.077,74 freizustellen.

Zudem:

6. festzustellen, dass sich die Forderung des Antrags unter 1. in der Höhe des vom Gericht festgesetzten Anspruchs der Beklagten auf Nutzungsersatz für die vom Kläger zwischen Rechtshängigkeit der Klage und dem Termin der letzten mündlichen Verhandlung gezogenen Nutzungen erledigt hat.

Die Beklagte schließt sich der Teilerledigungserklärung nicht an und beantragt

              die Klage abzuweisen.

Sie wendet sich unter näheren Darlegungen gegen das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs und erhebt die Einrede der Verjährung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen sittenwidriger  Schädigung nach § 826 BGB.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fehlt es für Fahrzeugkäufe aus dem W-Konzern nach dem 22.9.2015 an einer Sittenwidrigkeit (BGH VI ZR 5/20), wobei dies ausdrücklich auch für sämtliche Fahrzeuge aus dem Konzern gilt (VI ZR 244/20). Der W-Konzern hat danach seine Verhaltensänderung nicht auf seine Kernmarke W beschränkt, sondern im Gegenteil bereits in seiner Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 darauf hingewiesen, dass die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des W-Konzerns vorhanden und dass der Motor vom Typ FB 000 auffällig sei, ohne diesbezüglich eine Einschränkung auf eine bestimmte Marke des Konzerns vorzunehmen.

Ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers nach § 826 BGB oder § 823 BGB  wegen der in dem Motor FB 000 eingesetzten Software wäre darüber hinaus jedenfalls verjährt. Andere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht.

Die bei Gericht im Dezember 2020 eingegangene Klageschrift vom 1.12.2019 vermochte die Verjährung nicht mehr i.S.d. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu hemmen.

Die geltend gemachten deliktischen Ansprüche unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB). Die Verjährungsfrist begann wie auch vom Bundesgerichtshof  (Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20) entschieden gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Ende des Jahres 2015, so dass Verjährung mit Ablauf des Jahres 2018 eintrat. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die hiernach erforderliche Kenntnis liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist; weder ist notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben. Ferner kommt es grundsätzlich nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an, es genügt vielmehr aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit im Grundsatz die Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände (BGH, Urteil vom 15.3.2016, XI ZR 122/14). Ohne Belang ist es auch, ob der Geschädigte die Rechtswidrigkeit des Geschehens, das Verschulden des Schädigers und den in Betracht kommenden Kausalverlauf richtig einschätzt. Grob fahrlässige Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beobachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen; ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können. Ausreichend ist allerdings, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen zugemutet werden kann, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage, ggfls. in Form einer Feststellungsklage, zu erheben (BGH, Urteil vom 10.11.2009, VI ZR 247/08). Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an; für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein und es muss sich ihm der Verdacht eine möglichen Schädigung aufdrängen (BGH aaO).

Aufgrund der umfassenden Berichterstattung in allen Medien ab Herbst 2015 und mangels des Vorbringens entgegenstehender, auf den konkreten Sachverhalt bezogener Gesichtspunkte ist auch vorliegend davon auszugehen, dass sich dem Kläger das Betroffensein seines Fahrzeuges sowie ein hieraus resultierender Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten förmlich hätte aufdrängen müssen bzw. das Unterlassen der Einholung über die Betroffenheit des Fahrzeugs grob fahrlässig war, ohne dass die Erhebung einer Klage unzumutbar gewesen wäre (OLG Köln, Beschluss vom 4.3.2020, 26 U 73/19; OLG München, Beschluss vom 3.12.2019, 20 U 5741/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 7.4.2020, 10 U 455/19; OLG Koblenz, Urteil vom 30.6.2020, 3 U 1785/19). Bereits mit der umfassenden Medienberichterstattung im Jahr 2015 sowie der sich dadurch aufdrängenden Annahme des Betroffenseins des eigenen Fahrzeugs hatte der Kläger die einen deliktischen Anspruch nach § 826 BGB stützenden Tatsachen ihrem wesentlichen Kern nach in der Hand; die fehlende Unkenntnis der Einzelumstände war demgegenüber für den Beginn der Verjährung ohne Bedeutung. Es musste sich dem Kläger aufdrängen, dass er durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung in dem Motor „betrogen“ worden war und das erworbene Fahrzeug infolgedessen einen Minderwert aufwies. Dass die näheren konzerninternen Umstände der Entwicklung und des Vertriebs der „Schummelsoftware“ nicht bekannt waren, ist für den Beginn der Verjährungsfrist ohne Belang (OLG Köln aaO). Der Kläger trägt auch keinerlei konkrete Umstände vor, nach denen gerade ihm die breite Information der Öffentlichkeit hätte verborgen geblieben sein können. In Übereinstimmung mit dem Urteil des BGH VI ZR 244/20 ist auch davon auszugehen, dass die Beklagte in ihrer ad-hoc-Mitteilung vom 22.9.2015 auch auf das Vorhandensein der betreffenden Steuerungssoftware in anderen Dieselfahrzeugen des Konzerns hingewiesen hat.

Soweit der Kläger auf eine sittenwidrige Schädigung durch die Implementierung eines sog. „Thermofensters“ im Rahmen des Updates abstellt, steht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 8.3.2021, VI ZR 889/20) entgegen.

Der hilfsweise auf § 852 BGB gestützte Anspruch auf Restschadensersatz des Klägers, der das Fahrzeug als Neuwagen von einem T-Vertragshändler gekauft hat, greift ebenfalls nicht durch (so etwa OLG Hamm, Urteil vom 6.10.2020, 46 U 15/19; OLG Oldenburg, Beschluss vom 5.1.2021, 2 U 168/20; OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.5.2012, 5 U 57/20). Ein solcher Anspruch könnte im Übrigen allein den bei der Beklagten verbliebenen Nettogewinn umfassen, zu dessen Höhe der Kläger nicht hinreichend vorträgt.

Ansprüche auf Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung,  eines Annahmeverzugs und einer unerlaubten Handlung bestehen damit ebenfalls nicht.

Die Klage ist daher mit den prozessualen Nebenentscheidungen der  §§ 91 I, 709

ZPO abzuweisen.

Streitwert: bis zu 25.000,- €

Meta

26 O 314/20

13.10.2021

Landgericht Köln 26. Zivilkammer

Urteil

Sachgebiet: O

Zitier­vorschlag: Landgericht Köln, Urteil vom 13.10.2021, Az. 26 O 314/20 (REWIS RS 2021, 10189)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 10189

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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