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Stattgebender Kammerbeschluss: Zur Abwägung zwischen Meinungsäußerungsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht bei Äußerung wahrer Tatsachen über Geschäftsgebaren einer konkreten Person im Bewertungsbereich von Internet-Portalen - hier: Verletzung der Meinungsfreiheit durch zivilgerichtliches Unterlassungsurteil - Gegenstandswertfestsetzung
1. Das Urteil des [X.] vom 27. September 2013 - 324 O 80/13 - und das Urteil des [X.] vom 4. November 2014 - 7 U 89/13 - verletzen den Beschwerdeführer jeweils in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
2. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.
3. Die [X.] hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
4. [X.] wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist eine zivilgerichtliche Verurteilung zur Unterlassung.
1. Der Beschwerdeführer und Beklagte des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: der Beschwerdeführer) hatte nach den gerichtlichen Feststellungen vom Kläger des Ausgangsverfahrens, der eine Immobilienfirma betreibt, eine Werkstattfläche gemietet. [X.] kam es zu einem Rechtsstreit um Rückzahlungsansprüche des Beschwerdeführers. Die Parteien schlossen im Oktober 2008 einen Vergleich, in dem sich der Kläger dazu verpflichtete, 1.100 € an den Beschwerdeführer zu bezahlen. Im Januar 2009 bot der Kläger an, den Betrag in 55 Monatsraten zu je 20 € zu bezahlen. Dieses Ratenzahlungsangebot lehnte der Beschwerdeführer ab und stellte zugleich Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft, was er dem Kläger auch mitteilte. Im Februar 2009 sah sich der Beschwerdeführer gezwungen, einen [X.] zu erteilen. Kurz vor Erteilung des Auftrags hatte der Kläger 110 € gezahlt. Die Zahlung des Restbetrags erfolgte Ende Februar 2009. Die Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren im März 2009 ein.
[X.] berichtete der Beschwerdeführer über diesen - in der Sache zwischen den Parteien unstreitigen - Vorgang auf Internet-Portalen, welche die Möglichkeit bieten, Firmen zu suchen und eine Bewertung abzugeben. Der Beschwerdeführer nutzte für seine Äußerungen jeweils die Bewertungsfunktion:
"Ende 2007 war ich leider gezwungen [X.] bezüglich der Rückgabe meiner Mietkaution vor dem [X.] zu verklagen. Im November 2008 bekam ich dann vom Amtsgericht … einen Titel, der Herr … verpflichtete, 1.100 € an [X.] zu zahlen. Am [X.] bekam ich einen Brief von [X.], in dem er angeboten hat, die 1.100 € in 55 Monatsraten á 20 € zu bezahlen, da es im zur [X.] nicht möglich ist, die 1.100 € in einer Summe zu zahlen.
Erst nach Einschalten der Staatsanwaltschaft … und dem zuständigen Gerichtsvollzieher hat Herr … dann Ende Februar 2009 gezahlt. Mit [X.] werde ich bestimmt keine Geschäfte mehr machen."
[Name des Beschwerdeführers], Hamburg
Der Kläger begehrte im Ausgangsverfahren die Unterlassung dieser Äußerungen.
2. Das [X.] verurteilte den Beschwerdeführer antragsgemäß. Die angegriffene Äußerung verletze das allgemeine Persönlichkeitsrecht, da nach der gebotenen Abwägung die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers zurücktreten müsse. Wahre Tatsachen aus dem Bereich der Sozialsphäre dürften zwar nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, da im Bereich der Sozialsphäre dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ein tendenziell größeres Gewicht zuzuerkennen sei. Dennoch überwiege vorliegend das Anonymitätsinteresse des [X.]. Auch wenn ein öffentliches Interesse bei zukünftigen Geschäftspartnern oder Kunden zu bejahen sei, führten die konkreten Umstände des Ermittlungsverfahrens und die zeitlichen Abläufe dazu, dass von keinem besonders erheblichen öffentlichen Interesse zum [X.]punkt der Verbreitung auszugehen sei. Es handle sich um einen Vorwurf im Bereich der mittleren Kriminalität. Hinzu komme, dass zwischen der Einleitung beziehungsweise Einstellung des Strafverfahrens und der Bewertung durch den Beschwerdeführer drei Jahre vergangen seien und es sich um ein im [X.]punkt der Berichterstattung bereits seit längerer [X.] erledigtes Ermittlungsverfahren handle. Vor dem Hintergrund der Gesamtumstände und der geschäftlichen Tätigkeit des [X.] müsse von einer hohen Beeinträchtigung des [X.] ausgegangen werden. Zudem komme nach der Rechtsprechung des [X.] eine Berichterstattung mit Namensnennung über strafrechtliche Ermittlungsverfahren nur in Fällen schwerer Kriminalität oder bei Straftaten in Betracht, die die Öffentlichkeit besonders berührten.
3. Das [X.] wies die Berufung des Beschwerdeführers zurück und führte ergänzend aus, dass das zögerliche Bezahlen einer titulierten Forderung kein Ereignis darstelle, an dem ein besonderes öffentliches Interesse bestehe.
4. Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen des [X.]s und des [X.]s und rügt die Verletzung seiner Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
5. Der Justizbehörde und dem Kläger des Ausgangsverfahrens wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Kläger des Ausgangsverfahrens hat sich geäußert. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem [X.] vor.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.] zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]).
1. Das [X.] hat die maßgeblichen Fragen zur Beurteilung von wahren Tatsachenbehauptungen im Bereich des Äußerungsrechts und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bereits entschieden (vgl. [X.] 34, 269 <281 ff.>; 35, 202 <232>; 66, 116 <139>; 97, 391 <403>; 99, 185 <196>).
2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
Bei den angegriffenen Äußerungen handelt es sich um Tatsachenbehauptungen, die geeignet sind, zur Meinungsbildung beizutragen und deshalb auch den Schutz der Meinungsfreiheit genießen (vgl. [X.] 85, 1 <15 f.>; 90, 241 <247>; stRspr).
Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt, sondern steht gemäß Art. 5 Abs. 2 GG insbesondere unter dem Schrankenvorbehalt der allgemeinen Gesetze, zu denen auch die hier angewendeten Vorschriften der §§ 823, 1004 BGB gehören. Jedoch haben die Fachgerichte bei der Auslegung und Anwendung der grundrechtsbeschränkenden Normen des einfachen Rechts die wertsetzende Bedeutung des beeinträchtigten Grundrechts zu berücksichtigen. Diesem Erfordernis werden die angegriffenen Entscheidungen nicht in hinreichendem Maße gerecht. Die Gerichte haben zwar nicht verkannt, dass die streitgegenständlichen Äußerungen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen und sind auch in eine Abwägung zwischen diesem Grundrecht des Beschwerdeführers und den auf Seiten des [X.] zu berücksichtigenden grundrechtlich geschützten Belangen seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingetreten. Die Erwägungen der Gerichte werden aber der Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit nicht hinreichend gerecht.
Die Gerichte legen zunächst zutreffend dar, dass die Behauptung wahrer Tatsachen, die Vorgänge aus der Sozialsphäre betreffen, grundsätzlich hingenommen werden müsse, denn das Persönlichkeitsrecht verleiht keinen Anspruch darauf, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie es genehm ist (vgl. [X.] 97, 391 <403>). Zu den hinzunehmenden Folgen der eigenen Entscheidungen und Verhaltensweisen gehören deshalb auch solche Beeinträchtigungen, die sich aus nachteiligen Reaktionen Dritter auf die Offenlegung wahrer Tatsachen ergeben, solange sie sich im Rahmen der üblichen Grenzen individueller Entfaltungschancen halten (vgl. [X.] 97, 391 <404>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 8. Juni 2010 - 1 BvR 1745/06 -, Rn. 21, [X.]). Die Schwelle zur Persönlichkeitsrechtsverletzung wird bei der Mitteilung wahrer Tatsachen über die Sozialsphäre regelmäßig erst überschritten, wo sie einen Persönlichkeitsschaden befürchten lässt, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht (vgl. [X.] 97, 391 <403>; 99, 185 <196 f.>).
Die Gerichte gehen weiter zutreffend davon aus, dass auch die Nennung des Namens im Rahmen einer solchen der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Bewertung das Persönlichkeitsrecht des [X.] berührt. Hierbei darf der Einbruch in die persönliche Sphäre nicht weiter gehen, als eine angemessene Befriedigung des Informationsinteresses dies erfordert. Die für den Genannten entstehenden Nachteile müssen im rechten Verhältnis zur Schwere des geschilderten Verhaltens oder der sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen (vgl. [X.] 35, 202 <232>). Eine ausreichend schwere Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des [X.] zeigen die angegriffenen Entscheidungen indes nicht auf und begründen nicht in tragfähiger Weise, dass der Kläger die unbestritten wahren Äußerungen ausnahmsweise nicht hinnehmen muss. Sie lassen nicht erkennen, dass dem Kläger ein unverhältnismäßiger Verlust an [X.] Achtung droht. Trotz der vom Beschwerdeführer erstatteten Anzeige wird dem Kläger keine strafrechtlich relevante Handlung vorgeworfen, sondern eine schleppende Zahlungsmoral. Vor diesem Hintergrund steht auch die namentliche Nennung des [X.], der seine Firma unter diesem Namen führt, nicht außer Verhältnis zum geschilderten Verhalten. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Gerichte hier ein öffentliches Informationsinteresse möglicher Kundinnen und Kunden des [X.] bejahen.
Soweit die Gerichte darauf abstellen, dass sich der Beschwerdeführer erst drei Jahre nach der Einstellung eines Strafverfahrens äußert, führt dies nicht zu einem Überwiegen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des [X.]. Es würde den Beschwerdeführer unverhältnismäßig in seiner Meinungsfreiheit einschränken, wenn nach einer solchen [X.]spanne im Rahmen einer subjektiven Bewertung des Geschäftsgebarens eines nach wie vor in gleicher Weise tätigen Gewerbebetreibers von ihm erlebte unstreitig wahre Tatsachen nicht mehr äußern dürfte. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der [X.]punkt der geschilderten Ereignisse klar erkennbar ist, und dass die Äußerungen auf den Portalen als Bewertung veröffentlicht wurden.
3. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass das [X.] bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.
4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin folgt aus § 34a Abs. 2 [X.]. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>).
Meta
29.06.2016
Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer
Stattgebender Kammerbeschluss
Sachgebiet: BvR
vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 4. November 2014, Az: 7 U 89/13, Urteil
Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 S 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 823 Abs 2 BGB, § 1004 BGB, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG
Zitiervorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 29.06.2016, Az. 1 BvR 3487/14 (REWIS RS 2016, 9091)
Papierfundstellen: NJW 2016, 3362 REWIS RS 2016, 9091
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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