Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 01.04.1997, Az. Ss 500/96 Z - 44 Z -

1. Strafsenat | REWIS RS 1997, 345

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Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bonn zurückverwiesen.

Gründe

G r ü n d e

Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 26.04.1996 in seiner Abwesenheit "wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 3, 11 Straßenordnung der Stadt B." zu einer Geldbuße von 50,00 DM verurteilt.

Am 17.05.1996 hat die Tatrichterin in den Akten vermerkt: "Von einer schriftlichen Begründung des Urteils wird gemäß § 77 b OWiG abgesehen". Daraufhin wurde dem Betroffenen und dessen Verteidiger - formlos - eine "Urteilsausfertigung" übersandt, in der es im Anschluß an die Urteilsformel heißt: "Ohne Gründe gemäß [ref=508824bc-d6c4-4632-9956-340a67bc5d7c]§ 77 b OWiG[/ref]".

Nachdem am 23.06.1996 die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsbeschwerde des Verteidigers mit dem Antrag auf Zulassung eingegangen war, brachte die Richterin am 04.07.1996 ein vollständig begründetes Urteil zu den Akten, das dem Verteidiger des Betroffenen zugestellt wurde, mit dem Zusatz, bei der Abfassung des Urteils sei zunächst übersehen worden, daß der Betroffene in der Hauptverhandlung abwesend gewesen sei.

Die form- und fristgerecht (bereits vor Urteilszustellung) eingelegte Rechtsbeschwerde ist zur Fortbildung des materiellen Rechts zuzulassen (§ 80 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG) und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

Zutreffend beanstandet die Rechtsbeschwerde das Fehlen von Urteilsgründen. Die nachträgliche Anfertigung der am 04.07.1996 zu den Akten gelangten Urteilsgründe war unzulässig. Denn zu diesem Zeitpunkt lag bereits eine nicht mehr abänderbare Urteilsfassung vor. Die Amtsrichterin hat sich mit ihrem Vermerk vom 17.05.1996: "Von einer schriftlichen Begründung des Urteils wird gemäß [ref=b386e69f-6842-4a60-a087-299195a0a30f]§ 77 b OWiG[/ref] abgesehen" für ein abgekürztes Urteil entschieden und damit für ein Urteil in der Fassung des Protokolls. Das Protokoll enthält (hier) die für das Urteilsrubrum erforderlichen Angaben sowie die Urteilsformel und beinhaltet damit sämtliche Elemente eines abgekürzten Urteils in Bußgeldsachen (vgl. KG VRS 82, 135 = NZV 1992, 332; Göhler, OWiG, 11. Aufl., § 77 b Rdn. 8; Rebmann/Roth/Hermann, OWiG, 2. Aufl., § 77 b Bem. 2; vgl. Senge in KK - OWiG, § 77 b Rdn. 1, 3). Nachdem diese Urteilsfassung aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts - durch Übersendung an den Betroffenen und den Verteidiger - herausgegeben worden war, durfte sie nicht mehr verändert werden (KG a.a.O.; Göhler a.a.O.; vgl. auch BayObLG, NStZ 1991, 342). Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Urteilsbegründung gemäß § 77 b Abs. 2 OWiG liegen nicht vor, weil die erste Fassung des Urteils - des Urteils ohne Gründe - nicht von der Regelung in § 77 b Abs. 1 Satz 1 OWiG gedeckt war. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht von einer schriftlichen Begründung des Urteils absehen, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf die Einlegung der Rechtsbeschwerde verzichten oder wenn innerhalb der Frist Rechtsbeschwerde nicht eingelegt wird. Hier hatte weder der Betroffene auf die Einlegung der Rechtsbeschwerde verzichtet noch war die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels für ihn gegen das in seiner Abwesenheit ergangene Urteil abgelaufen, sie hatte noch nicht einmal begonnen (§ 80 Abs. 3 Satz 1, § 79 Abs. 4 OWiG; vgl. Senatsentscheidung vom 05.09.1995 - Ss 449/95 Z; BayObLG a.a.O.; Göhler a.a.O., § 79 Rdn. 30 a mit Nachweisen). Eine sinngemäße Anwendung des § 77 b Abs. 2 OWiG auf den Fall, daß der Tatrichter irrtümlich die Voraussetzungen nach Abs. 1 angenommen hat, kommt nicht in Betracht (Senatsentscheidung a.a.O.; BayObLG NStZ 1992, 136; KG a.a.O.; Göhler a.a.O.).

Der Umstand, daß - wie vorstehend ausgeführt - Urteilsgründe fehlen, führt für sich allein allerdings noch nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde. Erforderlich ist auch in einem solchen Fall die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen des [ref=6ed3eb33-662f-4947-8c6b-4b9ad62803a7]§ 80 Abs. 1 und 2 OWiG[/ref] anhand des abgekürzten Urteils, des Bußgeldbescheids, des Zulassungsantrags und sonstiger Umstände, die auch aus nachgeschobenen Urteilsgründen hergeleitet werden können (BGHSt 42, 187 = NJW 1996, 3157 = NStZ 1997, 39 = VRS 92, 135; Senatsentscheidung vom 14.02.1997 - Ss 23/97 Z und vom 18.03.1997 - Ss 489/96 Z).

Hier ergibt sich insbesondere aus den nachgeschobenen Urteilsgründen, daß die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts geboten ist. In den nachgeschobenen Urteilsgründen heißt es unter anderem:

"Am 28.08.1995 wurde zwischen 10:10 Uhr und 10:25 Uhr festgestellt, daß der Betroffene mit seinem Pkw VW ... in B. vor dem Haus S.straße mit beiden linken Rädern auf einer Baumscheibe geparkt hatte. Auf der S.straße ist das halbseitige Parken auf dem linken Gehweg zwischen den Baumscheiben auf der Plattierung erlaubt. Das entsprechende Verkehrszeichen befindet sich vor der S.straße Nr. und ist durch entsprechende Markierungen auf dem plattierten Gehweg näher geregelt. Der vor Haus Nr. stehende Baum hat eine rechteckige aus Erde bestehende Baumscheibe und ist an beiden Seiten in Fahrtrichtung mit zwei Metallbügeln gegen Befahren der Baumscheibe geschützt. ...

Der Betroffene hat dadurch entgegen §§ 3 und 11 der Straßenordnung eine städtische Anlage, nämlich die Baumscheibe des vor Haus S.straße eingesetzten Baumes befahren und seinen Pkw mit den linken Rädern auf dieser Baumscheibe abgestellt. Es handelt sich hier um eine städtische Anlage. Gemäß § 1 Abs. 2 Straßenordnung der Stadt B. sind Anlagen alle der Öffentlichkeit dienenden und zugänglichen Gärten, Anpflanzungen, (Senat: Alleen, Parkanlagen und sonstige) Grünanlagen (Senat: einschließlich der dazugehörigen Fuß- und Radwege, Gewässer, Ufer, Dämme und Böschungen; ...). Danach kommt es auf die Größe und den Umfang der Grünanlage nicht an. Auch eine einzelne Pflanze - wie hier ein einzelner Baum - kann diese Voraussetzungen erfüllen. Denn er dient der Begrünung der S.straße zur Beschattung von Gehweg und Straße. Diese städtische Anlage besteht nicht nur aus dem Baum, sondern auch der ihn umgebenden Erde und damit der hier viereckigen Baumscheibe, die unbedingt erforderlich ist, um den Baum ausreichend zu bewässern. Entgegen § 3 der Straßenordnung hat der Betroffene diese Baumscheibe befahren. ..."

Danach ist entscheidungserheblich, ob es sich bei einer innerhalb eines Gehwegs befindlichen, an die Fahrbahn angrenzenden Baumscheibe um eine Anlage im Sinne des § 1 Abs. 2 der Straßenordnung der Stadt B. handelt. Denn nur für diesen Fall hat der Betroffene gegen § 3 Satz 1 dieser Straßenordnung - "Anlagen dürfen nicht befahren und außerhalb der Wege nicht betreten werden, soweit nichts Gegenteiliges bestimmt ist oder sich aus ihrer Zweckbestimmung nichts anderes ergibt." - verstoßen und damit eine Ordnungswidrigkeit nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 der Straßenordnung der Stadt B. begangen. Ist die Baumscheibe nämlich Bestandteil des Gehwegs, beurteilt sich das Verhalten des Betroffenen nicht nach der B. Straßenordnung, sondern - wie unten ausgeführt - nach den Regeln der StVO. Die vorbeschriebene Rechtsfrage ist obergerichtlich noch nicht entschieden.

Die zugelassene Rechtsbeschwerde führt - auf die Sachrüge - zur Überprüfung des angefochtenen Urteils nach Rechtsbeschwerdegrundsätzen. Da das Urteil in der hier maßgeblichen Fassung - wie dargelegt unzulässigerweise - keine Gründe enthält, ist es danach aufzuheben. Das unzulässige Fehlen von Urteilsgründen stellt einen Verstoß gegen sachliches Recht dar, weil dem Rechtsbeschwerdegericht in diesem Fall eine Nachprüfung auf sachlich- rechtliche Fehler nicht möglich ist (vgl. Senatsentscheidung vom 28.09.1993 - Ss 400/93 Z = VRS 86, 302; Göhler a.a.O., § 77 b Rdn. 8 m.w.N.).

Für die neue Hauptverhandlung wird auf folgendes hingewiesen:

Eine in B. innerhalb eines Gehwegs befindliche, mit Erdreich bedeckte, einen Baum umgebende Fläche (sogenannte Baumscheibe) ist entweder eine Anlage im Sinne der B. Straßenordnung oder Bestandteil des Gehwegs (eine sogenannte Wahlfeststellung scheidet insoweit aus, vgl. zu deren Voraussetzungen: Hürxthal in KK - StPO, 3. Aufl., § 261 Rdn. 67). Wegen ihrer Lage innerhalb des Gehwegs ist sie - selbst wenn sie an die Fahrbahn angrenzt - nur dann nicht Bestandteil des Gehwegs - des Wegs, der für Fußgänger eingerichtet und bestimmt ist (vgl. OLG Köln NJW 1955, 73; OLG Düsseldorf VRS 87, 369 = DAR 1994, 369 = NZV 1994, 372; OLG Hamm DAR 1994, 409; Berr/Hauser, Das Recht des ruhenden Verkehrs, Rdn. 336 - jeweils auch zu den weiteren Merkmalen des Begriffs des Gehwegs) - , wenn sie von diesem so deutlich abgegrenzt ist, daß sie erkennbar nicht - z.B. auch nicht von einem Fußgänger mit Hund - betreten werden soll. Eine Abgrenzung ist nicht bereits dadurch gegeben, daß die in Rede stehenden Flächen einen unterschiedlichen Belag aufweisen (z.B. Pflasterung, Plattenbelag/Erdreich) und sich innerhalb der Erdreichfläche ein Baum befindet (vgl. OLG Hamm DAR 1994, 409). Vielmehr ist eine solche Abgrenzung nur dann vorhanden, wenn die - in der Oberfläche - mit Erdreich versehene Fläche von der übrigen durch eine - wenn auch nur niedrige - Einfriedigung (z.B. aus Stahlrohr) abgetrennt ist oder infolge einer Bepflanzung (z.B. mit Blumen oder Büschen) von einen Betreten erkennbar ausgenommen sein soll.

Sollte die Baumscheibe Bestandteil des Gehwegs sein, ist ein Parken darauf ausschließlich nach den Regeln der StVO zu beurteilen. Danach ist das Parken auf Gehwegen verboten, sofern nicht durch Kennzeichnungen gemäß § 41 Abs. 3 Nr. 7, § 42 Abs. 4 (Zeichen 315) Ausnahmen zugelassen sind (vgl. [ref=eadfa64a-e847-4f1a-926e-6941dfbf24c8]§ 12 Abs. 4 Satz 1 StVO[/ref]; Senatsentscheidung vom 05.09.1996 - Ss 417/96 Z = NZV 1997, 191 mit Nachweisen).

Meta

Ss 500/96 Z - 44 Z -

01.04.1997

Oberlandesgericht Köln 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 01.04.1997, Az. Ss 500/96 Z - 44 Z - (REWIS RS 1997, 345)

Papier­fundstellen: REWIS RS 1997, 345

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