Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.11.2007, Az. 1 StR 290/07

1. Strafsenat | REWIS RS 2007, 1064

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 290/07 vom 6. November 2007 in der Strafsache gegen wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung - 2 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 6. November 2007, an der teilgenommen haben: [X.] am [X.] [X.] und [X.] am [X.] Dr. Wahl, [X.], [X.], Dr. [X.], Oberstaatsanwalt beim [X.] als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 14. Februar 2007 wird verworfen. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen. Von Rechts wegen Gründe: 1 Das [X.] hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen zurückgewiesen, weil die formellen Voraussetzungen einer Anordnung nach § 66b Abs. 2 StGB nicht erfüllt seien. Mit ihrer Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des landge-richtlichen Urteils und eine Zurückverweisung zu erneuter Verhandlung und Entschei-dung. Das Rechtsmittel, welches der [X.] nicht vertritt, hat keinen Erfolg. - 4 - [X.] 2 1. Das [X.] hat seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde gelegt: 3 Der frühere Tatrichter - [X.] Würzburg - hatte den Betroffenen, damals als Zuhälter tätig, am 9. November 1998 wegen schweren Menschenhandels in zwei Fällen - jeweils in Tateinheit mit anderen Delikten - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. 4 Dabei hatte das [X.] in dem für die Anordnung einer nachträglichen Si-cherungsverwahrung allein relevanten Tatkomplex —[X.]" eine Einzelstrafe in [X.] von fünf Jahren verhängt. Dieser lagen elf - tateinheitlich verwirklichte - Straftatbe-stände zugrunde, wobei nur die letzte Tat eine [X.] im Sinne des § 66b Abs. 2 StGB ist: Menschenhandel (§ 180b Abs. 2 Nr. 2 StGB aF), begangen durch Anwer-bung der 19 Jahre 2 Monate alten Prostituierten —[X.]fi Ende Juli 1996; [X.] (§ 181a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB), begangen im [X.] von Ende Juli 1996 bis zum 29. Juli 1997; [X.] Zuhälterei (§ 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB), begangen im [X.] (jedenfalls) vor September 1996; Körperverletzung (§ 223 StGB) zum Nachteil der —[X.]fi, begangen im August/September 1996; Gefährliche Körperverletzung (§ 223a StGB aF), begangen zum Nachteil der —[X.]fi im September 1996; Gefährliche Körperverletzung (§ 223a StGB aF) und Nötigung (§ 240 StGB), - 5 - begangen zum Nachteil der —[X.]fi im Juni 1997; Gefährliche Körperverletzung (§ 223a StGB aF) zum Nachteil [X.], be-gangen am 29. Juli 1997; Sachbeschädigung (§ 303 StGB), begangen am 29. Juli 1997;
Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) zum Nachteil —[X.]fi, begangen am 29. Juli 1997; Versuchter schwerer Menschenhandel (§ 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF) zum Nachteil —[X.]fi, begangen am 29. Juli 1997. 5 2. Das [X.] hat die Voraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB verneint. 6 a) Die formelle Voraussetzung der Verurteilung des Betroffenen zu einer Frei-heitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen einer oder mehrerer [X.]en liege nicht vor. Im Hinblick auf das erhebliche Übergewicht von [X.], welche der Einzelfreiheitsstrafe von fünf Jahren zugrunde liegen, könne ausgeschlossen wer-den, dass auch allein wegen der abgeurteilten [X.] eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt worden wäre. 7 b) Darüber hinaus hat das [X.] angezweifelt, ob der abgeurteilten [X.] der Charakter einer Symptomtat für eine Maßregelanordnung beigemessen wer-den könne, weil nach den Angaben des Gutachters eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten auch —bei Wegfall der [X.] zu bejahen gewesen" wäre. 8 c) Jedenfalls aber fehle es an der für die Anwendung des § 66b Abs. 2 StGB geforderten neuen Tatsache. Die erst im Strafvollzug aufgetretene psychische [X.] 6 - kung habe sich nicht in einer für die Gefährlichkeitsprognose relevanten Weise im [X.] des Verurteilten ausgedrückt; insoweit stützt sich das [X.] ausdrücklich auf den Beschluss des [X.]s vom 9. Januar 2007 ([X.], 191). I[X.] 9 Der Revision der Staatsanwaltschaft bleibt der Erfolg versagt. 10 Vorliegend kann offen bleiben, ob das [X.] zutreffend das Vorliegen der formellen Voraussetzungen einer Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwah-rung nach § 66b Abs. 2 StGB verneint hat, weil jedenfalls die psychische Erkrankung des Betroffenen keine neue Tatsache darstellt und auch die weiteren angeführten Gründe keine Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung begründen. 11 1. Eine Anordnung nach § 66b Abs. 2 StGB knüpft zwar grundsätzlich an die Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 StGB an; allerdings werden die in Betracht kom-menden [X.] enger gefasst und die erforderliche Mindeststrafe der Anlassverurteilung auf mindestens fünf Jahre Freiheitsstrafe festgelegt und damit an die nachträgliche Sicherungsverwahrung zudem ohne die übrigen Voraussetzungen des § 66 StGB bewusst hohe Anforderungen gestellt. Dem Grundsatz der [X.] wird dadurch Rechnung getragen, dass der Betroffene sich einer oder meh-rerer sehr schwerwiegender Taten schuldig gemacht haben muss. Zudem muss der Betroffene zu einer zeitigen Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt sein, um das Gewicht der von ihm bereits ausgegangenen und im Falle von [X.] drohenden Gefährlichkeit zu kennzeichnen (vgl. insoweit [X.]. 15/2887 [X.], 15/3146 [X.]). Danach kann eine Freiheitsstrafe in dieser Höhe auch eine Einzel-strafe wegen einer Straftat aus dem genannten Bereich sein. Eine Gesamtfreiheits-strafe in mindestens dieser Höhe genügt jedenfalls dann, wenn dieser ausschließlich entsprechende [X.]en im Sinne dieser Vorschrift zugrunde liegen (vgl. hierzu - 7 - [X.]St 48, 100 zu § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB). Soweit es eine Vorverurteilung zu einer einheitlichen Jugendstrafe betrifft, erfüllt diese die Voraussetzungen nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur dann, wenn zu erkennen ist, dass der Täter bei einer der dieser Vor-schrift zugrunde liegenden Straftaten die geforderte Mindeststrafe verwirkt hätte, so-fern diese Straftat als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre ([X.], 3723). Den Fall tateinheitlicher Verurteilung, welche neben einer oder mehrerer [X.]en auch weitere Straftaten erfasst, hat der [X.] - für § 66b Abs. 2 StGB - noch nicht entschieden. Hinsichtlich der Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 StGB hat der [X.] bei einer tateinheitlichen Verurteilung wegen einer [X.] sowie einer Nichtkatalogtat es für die formellen Voraussetzun-gen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB für im Grundsatz ausreichend erachtet, wenn die ausgeurteilte Strafe zumindest der erforderlichen Mindeststrafe entsprach ([X.], 3723, 3725). 12 Allerdings können die in der vorbezeichneten Entscheidung dargelegten Grundsätze nicht ohne Weiteres auf § 66b Abs. 2 StGB übertragen werden, weil gera-de für diese Fallgruppe durch den Gesetzgeber bewusst höhere Anforderungen ge-stellt werden sollten, wobei der Gesetzgeber zusätzlich nur von einer geringen Anzahl denkbarer Fälle ausging ([X.]. 15/2887 [X.], 12). Auch entspricht der vorlie-gende Sachverhalt nicht der Entscheidung zu § 66 Abs. 3 StGB; denn dort handelte es sich um durch eine Handlung tateinheitlich begangene mehrere Straftatbestände. Hier liegen demgegenüber elf grundsätzlich selbstständige Handlungen über einen [X.] von einem Jahr vor, welche in der Ausgangsverurteilung nur durch eine zugleich begangene Dauerstraftat zur Tateinheit verklammert wurden. Der [X.] neigt für sol-che Fälle dahin, dass bei tateinheitlicher Verurteilung von einer oder mehreren [X.]en sowie weiteren Straftaten die formellen Voraussetzungen nach § 66b Abs. 2 StGB nur vorliegen, sofern die mindestens fünf Jahre Freiheitsstrafe erreichende Strafhöhe wesentlich durch die [X.] geprägt ist. Dies entspricht auch Überle-gungen, welche sich aus den [X.] zu § 66b Abs. 2 StGB erge-ben (vgl. [X.]. 15/3146 [X.]). - 8 - 13 Letztlich kann diese Rechtsfrage aber offen bleiben, weil jedenfalls die mate-riellen Voraussetzungen einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht gegeben sind. 14 2. Das [X.] hat zutreffend darauf verwiesen, dass eine im Strafvollzug aufgetretene psychische Erkrankung des Verurteilten für sich genommen die nach-trägliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB regelmäßig nicht begründen kann ([X.], 191). [X.] Kriterium ist, ob sich die Erkrankung während der Strafhaft in einer für die Gefährlichkeitsprognose relevanten Weise im Verhalten des Verurteilten ausgedrückt hat ([X.] aaO). Solches konnte die [X.] vorliegend gerade nicht feststellen. Der Verurteilte hat danach während seiner Haftzeit lediglich in zwei Fällen Gewalt gegen Sachen angewendet, im Übrigen liegen lediglich Verfehlungen mit Bagatellcharakter vor. Insoweit handelt es sich um [X.] und vollzugstypische Verhaltensweisen, welche ohne weitere Feststellungen nicht als Hinweise auf eine erhebliche Gefährlichkeit eines Verurteilten gewertet werden können (vgl. hierzu [X.] - Kammer - NStZ 2007, 87; [X.] NStZ 2007, 267). [X.] Wahl Kolz [X.] [X.]

Meta

1 StR 290/07

06.11.2007

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.11.2007, Az. 1 StR 290/07 (REWIS RS 2007, 1064)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2007, 1064

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(Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung: Anwendung der Rechtsprechung des BVerfG auf § 66b Abs. 1 S. …


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