Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.02.2012, Az. V ZB 6/11

5. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 9570

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Gegenstand

Zwangsversteigerung von mehreren Grundstücken in demselben Verfahren: Voraussetzung für das Gesamtausgebot unter Ausschluss von Einzelausgeboten


Tenor

Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden der Beschluss der 9. Zivilkammer des [X.] vom 7. Dezember 2010 und der Beschluss des [X.] vom 9. November 2010 aufgehoben.

Dem Meistbietenden [X.]     , geboren am 4. Juli 1970,            , wird der Zuschlag auf das am 3. November 2010 abgegebene Gebot versagt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 151.000 €.

Gründe

I.

1

Mit Beschluss vom 17. Dezember 2008 ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Beteiligten zu 2 die Zwangsversteigerung des im Eingang dieses Beschlusses bezeichneten, dem Schuldner gehörenden Grundbesitzes an. Die Beteiligten zu 3 und 4 traten dem Verfahren später bei. Der Verkehrswert der Grundstücke wurde auf insgesamt 390.000 € festgesetzt. In dem ersten Versteigerungstermin wurden keine Gebote abgegeben. Der Zuschlag auf das in dem zweiten Versteigerungstermin abgegebene [X.] von 150.000 € wurde versagt. In dem dritten Versteigerungstermin am 3. November 2010 beantragten die Vertreter der Beteiligten zu 2 bis 4, ausschließlich das Gesamtausgebot aller Grundstücke zuzulassen. Nachdem die anwesenden Beteiligten auf [X.] verzichtet hatten, beschloss das Amtsgericht, dass die Versteigerung der Grundstücke nur im Gesamtausgebot erfolgte. In diesem Zeitpunkt war der Schuldner noch nicht anwesend. Er erschien um 9.15 Uhr. Drei Minuten später forderte die Rechtspflegerin zur Abgabe von Geboten auf.

2

Mit am 9. November 2010 verkündeten Beschluss hat das Amtsgericht dem mit einem Bargebot von 151.000 € meistbietenden Beteiligten zu 5 den Zuschlag erteilt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners, welche er mit seinem fehlenden Verzicht auf [X.] begründet hat, ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will der Schuldner weiterhin die Versagung des Zuschlags erreichen.

II.

3

Nach Ansicht des [X.] haben die in § 63 Abs. 4 [X.] genannten Voraussetzungen für das Unterbleiben von [X.]n im Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts über die Versteigerung nur im Gesamtausgebot vorgelegen. Dass der Schuldner erst zeitlich nach dieser Entscheidung, aber vor dem Beginn der Bietzeit erschienen sei, lasse die Voraussetzungen nicht nachträglich entfallen. Denn die bloße Änderung der tatsächlichen Anwesenheit eines Beteiligten könne eine einmal getroffene Anordnung des [X.] nicht unrichtig machen. Die Zulassung nur des [X.] stelle eine zeitliche Zäsur in dem Versteigerungstermin dar. Im Interesse eines geordneten [X.] müsse der Schuldner "den Termin in dem Stadium annehmen", in welchem er diesem hinzutrete.

II.

4

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Beschwerdegericht durfte die Zuschlagsentscheidung des Amtsgerichts nicht aufrechterhalten, weil der Zuschlag wegen Fehlens eines wirksamen Verzichts des Schuldners auf [X.] nicht erteilt werden durfte. Der Zuschlag ist deshalb zu versagen (§ 100 [X.] i.V.m. § 83 Nr. 2 [X.]).

5

1. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 [X.] sind mehrere in demselben Verfahren zu versteigernde Grundstücke einzeln auszubieten. Der Ausschluss von [X.]n - wie hier - ist nur zulässig, wenn die anwesenden Beteiligten, deren Rechte bei der Feststellung des geringsten Gebots nicht zu berücksichtigen sind, auf die [X.] verzichtet haben (§ 63 Abs. 4 [X.]). Daran änderte es nichts, wenn - was hier nicht festgestellt, aber wahrscheinlich ist - die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 2 [X.] gegeben sind ([X.], Beschluss vom 1. Juli 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 1458 Rn. 7).

6

2. Auch der anwesende Schuldner muss auf [X.] verzichten, wenn sie ausgeschlossen sein sollen ([X.], Beschluss vom 1. Juli 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 1458 Rn. 8). Daran fehlt es hier. Der Verzicht war - entgegen der Ansicht des Amtsgerichts und des [X.] - nicht entbehrlich.

7

a) Der [X.] hat entschieden, dass die "Erklärung" des Verzichts auf [X.] nach § 63 Abs. 4 [X.] keine ausdrückliche Willenserklärung, sondern [X.] mit eindeutigem Erklärungsinhalt verlangt (Beschluss vom 30. Oktober 2008 - [X.], NJW-RR 2009, 158, 159 Rn. 10). Sowohl an dem einen als auch an dem anderen fehlt es hier. Der Schuldner hat keine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung abgegeben. Die Grundstücke durften deshalb nicht ausschließlich aufgrund des [X.] versteigert werden.

8

b) Daran ändert nichts, dass der Schuldner bei der Beschlussfassung über den Ausschluss von [X.]n noch nicht in dem Versteigerungstermin anwesend war. Entscheidend ist nämlich, dass er in dem Zeitpunkt, bis zu welchem der Verzicht erklärt werden musste, also spätestens vor der Aufforderung zur Abgabe von Geboten (§ 63 Abs. 4 Satz 2 [X.]), anwesend war. Wollte man das - wie das Beschwerdegericht - anders sehen und in der vorherigen Beschlussfassung eine zeitliche Zäsur in dem Ablauf des Versteigerungstermins annehmen, hätte das für die Beteiligten eine Verkürzung der Erklärungsfrist zur Folge. Sie müssten zur Wahrung ihrer Rechte den Versteigerungstermin von Anfang an wahrnehmen, weil sie anderenfalls Gefahr liefen, hinsichtlich der Art des zulässigen Ausgebots vor vollendeten Tatsachen zu stehen. Ein solches Ergebnis entspricht nicht der Regelung in § 63 Abs. 4 Satz 2 [X.]. Diese ermöglicht den Beteiligten die Abgabe der Verzichtserklärung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Bis dahin müssen sie sich nicht erklären. Sind sie in diesem Zeitpunkt anwesend, bedarf es jedoch der Erklärung des Verzichts auf [X.]. Fehlt - wie hier - eine solche Erklärung, ist die Versteigerung ausschließlich aufgrund eines [X.] unzulässig.

9

c) Entgegen der Ansicht des [X.] waren die Rechte des Schuldners nicht dadurch ausreichend gewahrt, dass er bis zur Aufforderung zur Abgabe von Geboten dem Verzicht auf [X.] hätte entgegentreten können. Eine solche Verhaltensweise ist keinem Beteiligten im Sinne von § 63 Abs. 4 [X.] anzusinnen. Denn das Gesamtausgebot unter Ausschluss von [X.]n ist nur zulässig, wenn die erforderlichen Verzichtserklärungen vorliegen. Geben die Beteiligten diese Erklärungen nicht oder nicht rechtzeitig ab, darf das Vollstreckungsgericht nicht von [X.]n absehen (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Oktober 2008 - [X.], NJW-RR 2009, 158, 159 Rn. 10).

d) Ob in Ausnahmefällen das [X.] auch ohne den Verzicht anwesender Beteiligter unter dem Blickwinkel des Rechtsmissbrauchs unterbleiben kann (so etwa [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl., § 63 Rn. 12 mwN; offengelassen von [X.], Rpfleger 2000, 509), braucht nicht entschieden zu werden. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Schuldners hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt. Der Beteiligte zu 5 vermutet es lediglich. Darauf kann der [X.] seine Entscheidung jedoch nicht stützen.

e) Schließlich geht die von dem Beschwerdegericht angesprochene Erwägung des Amtsgerichts in der Begründung der Nichtabhilfe der Beschwerde des Schuldners, ein eventueller Verfahrensverstoß sei nach § 84 [X.] geheilt worden, weil die Bietinteressenten kein Interesse an der Abgabe von Geboten auf einzelne Grundstücke oder [X.] gehabt hätten, ins Leere. Beeinträchtigt durch den Zuschlag wird hier das Recht des Schuldners, keinen Verzicht auf [X.] zu erklären. Auf die Interessen potentieller Bieter kommt es nicht an. Die Rechtsbeeinträchtigung des Schuldners entfiele allenfalls dann, wenn sicher feststünde, dass bei [X.]n kein höherer [X.] erzielt worden wäre (vgl. [X.] aaO, § 84 Rn. 7; [X.], [X.], 19. Aufl., § 84 Rn. 2.4). Das ist hier nicht festgestellt und auch nicht ersichtlich.

3. Der angefochtene Beschluss hat somit keinen Bestand; er ist aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der [X.] selbst zu entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO). Deshalb ist auf die sofortige Beschwerde des Schuldners der Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts ebenfalls aufzuheben und, weil der Schuldner das Verfahren nicht genehmigt hat (vgl. § 84 [X.]), dem Beteiligten zu 5 der Zuschlag zu versagen.

IV.

1. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Der Anwendung der §§ 91 ff. ZPO steht entgegen, dass sich die Beteiligten in dem Verfahren über die Zuschlagsbeschwerde in der Regel nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüberstehen (siehe nur [X.], Beschluss vom 25. Januar 2007 - [X.], [X.], 378, 381 Rn. 7 mwN).

2. Der Gegenstandswert ist nach § 47 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 2 Satz 1 GKG nach dem Wert des Zuschlags zu bestimmen, mithin nach dem [X.].

[X.]                               [X.]                                Schmidt-Räntsch

                  Brückner                            Weinland

Meta

V ZB 6/11

02.02.2012

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Frankfurt, 7. Dezember 2010, Az: 2-9 T 520/10

§ 63 Abs 4 S 2 ZVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.02.2012, Az. V ZB 6/11 (REWIS RS 2012, 9570)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9570

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Zuschlagsversagungsgrund der Feststellung eines gesonderten geringsten Gebots


Referenzen
Wird zitiert von

2 BvR 938/12

V ZB 6/11

Zitiert

V ZB 94/10

Zitieren mit Quelle:
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